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Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010

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den Umsetzung in einen fauvistischen Farbenteppich<br />

kaum mehr zu finden. 12 So ist auch im Landschaftsbild<br />

die kubistische Zersplitterung ganz verschwunden und<br />

einem flächigen Gewebe farbiger Formen gewichen.<br />

Eine parallele Verschiebung lässt sich übrigens gleichzeitig<br />

bei Expressionisten wie Kirchner oder Kokoschka<br />

in unterschiedlicher Weise beobachten.<br />

Der «Blaue Mann», das andere 1977 von Frida<br />

Richter dem <strong>Kunsthaus</strong> geschenkte Gemälde,<br />

erscheint durch die prononciert antinaturalistische<br />

Farbe des Gesichtes und die irritierend asymmetrisch<br />

blickenden Augen stärker vom dadaistisch spielerisch<br />

provokativen Geist berührt. 13 Obwohl der spanische<br />

Graf Pedroso aus dem Kreis von Hugo Ball dargestellt<br />

ist, meint man doch den ovalen Kopf Arps mit der<br />

dreieckigen Nase zu sehen. Später notierte Richter:<br />

«Offensichtlich muss man die Erscheinung zerstören<br />

um den Geist, die Idee, das innere Prinzip, das Wesentliche<br />

zu erfassen. …Das Blatt vergessen, um das Oval<br />

zu studieren, die Farbe vergessen, um ihre Empfindung<br />

zu erfahren.» Richter ist hier unterwegs zu der<br />

im Sommer oder Herbst 1917 entstandenen Gruppe<br />

seiner «Visionären Portraits», die man wohl als seine<br />

ultimativen Dada-Werke bezeichnen darf und die bisher<br />

in der Sammlung nicht vertreten waren. Um sie<br />

richtig zu verstehen, kann man sich auf die allerdings<br />

wesentlich späteren Aussagen Richters stützen, denn<br />

er ist auch insofern ein paradigmatisch moderner<br />

Künstler, als er seine Produktion und die sie leitenden<br />

Absichten reich kommentierte. «1917 sprudelte<br />

ich in wenigen Monaten beinahe hundert sogenannte<br />

‹Visionäre Portraits› hervor, drei bis vier am Tag, die<br />

ein Jahr später in der Galerie Wolfsberg in <strong>Zürich</strong> den<br />

Unwillen der Kritiker erregten.» 14 Er erinnert sich,<br />

«dass ich meine ‹Visionären Portraits› 1917 vorzugsweise<br />

in der Dämmerung zu malen begann, wenn die<br />

Farben auf der Palette kaum noch zu unterscheiden<br />

waren. Da aber jede Farbe ihren ‹angestammten› Platz<br />

auf der Palette hatte, konnte die Hand mit dem Pinsel<br />

die zu wählenden Farben auch im Dunkeln finden. Und<br />

dunkler wurde es …, bis am Ende die Farbflecken nur<br />

noch wie in einer Art Selbst-Hypnose auf die Leinwand<br />

gesetzt wurden, fühlend und spontan tastend, wie sie<br />

sich mir auf-drängten oder zu-fielen, so dass sich das<br />

Bild mehr vor dem inneren als vor dem sehenden Auge<br />

vollenden musste.» 15 Die Titel der neun im September<br />

1918 gezeigten Bilder bieten in sich schon dadaistische<br />

Kurzpoesie, um nicht zu sagen Haikus der unlösbaren<br />

Widersprüche: «Höchstes Fieber entschlossenen<br />

Unglaubens», «Arp hinter einer Wolke aufgehend»,<br />

«Dada: Flucht ins Blumenleben», «Kuss in brutaler<br />

Harmonie» usw. Heute lassen sich noch drei identifizieren:<br />

«Ekstase von Verzweiflung unterminiert»,<br />

«Portrait macabre» und «Lokomotivseele»; drei weitere<br />

–ein Selbstbildnis, ein Portrait Emmy Hennings und<br />

ein «Kopf Liesl» –kennt man von Abbildungen, dazu<br />

nun den neuen Mann mit Hut (Abb. 6) –gern wüsste<br />

man, welche Titel ihnen zuzuordnen wären. 16<br />

Wichtige Anregungen für diese Produktion dürften<br />

die Ausstellungen in der «Galerie Dada» über der<br />

Confiserie Sprüngli geboten haben, die von März bis<br />

Mai 1917 im Mittelpunkt der Dada-Aktivitäten standen.<br />

Im Wesentlichen waren es zwei von Corray gelieferte<br />

Wanderausstellungen der Berliner «Sturm»-Galerie;<br />

besonderes Gewicht erhielt dabei Kandinsky durch<br />

den Vortrag, den Hugo Ball am 7. April über ihn hielt.<br />

Zentral für Richter war die Art des schöpferischen<br />

Prozesses, der durch die Reduktion oder Ausschaltung<br />

der rationalen Steuerung den «schöpferischen<br />

Zufall» und durch ihn tiefere psychische Schichten<br />

oder im Sinne Jungs gar allgemeinere Zusammenhänge<br />

zugänglich machen sollte. «Uns erschien der Zufall<br />

als eine magische Prozedur, mit der man sich über<br />

die Barriere der Kausalität, der bewussten Willensäusserung<br />

hinwegsetzen konnte, mit der das innere<br />

Ohr und Auge geschärft wurden, bis neue Gedankenund<br />

Erlebnisreihen auftauchten. Der Zufall war für uns<br />

jenes ‹Unbewusste›, das Freud schon 1900 entdeckt<br />

hatte.» 17 Richter sah in diesem Prinzip den Kern der<br />

ganzen Dada-Bewegung: «DADA versprach die absolute<br />

Freiheit. Es hatte den Zufall als letzte Konsequenz<br />

der Spontaneität zum Motto gemacht und als Heilmittel<br />

gegen Krieg, Gehorsam, Banalität und Kunst aufgestellt.<br />

Die neue Kunst als Antikunst!» 18<br />

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