Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010

Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010 Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010

11.12.2012 Aufrufe

6 Sammlung Mit der Neueinrichtung des Altbaus 2005 wurde deutlich, dass hier dank der Stiftungen von Leopold Ruzicka und David Koetser eine eindrückliche Sammlung Alter Meister zusammen gekommen ist. Durch gelegentliche Erwerbungen versuchen wir, ihren spezifischen Charakter behutsam weiterzuentwickeln und ihr einen eigenen Klang zu verleihen. Dies ermöglichen die Zuwendungen der Dr. Joseph Scholz Stiftung, die uns nach dem Stilleben von Sebastian Stoskopff nun ein ebenso bedeutendes und ungewöhnliches Gemälde schenkt, Hendrik Terbrugghens «Verkündigung Mariae». Der Utrechter, der als einer der ersten Holländer in Caravaggios Bannkreis geriet, war zugleich der begabteste und originellste Vermittler der neuen realistischen Strömung in den Norden. Bekannt blieben seine malerisch attraktiven Genre-Halbfiguren, während die künstlerisch anspruchsvolleren, aber sehr eigenwilligen Kompositionen lange verkannt blieben. Nicht von ungefähr war er in der Altmeister- Ausstellung «Unbekannte Schönheit», die René Wehrli 1956 im Kunsthaus zusammenstellte, mit einem Hauptwerk, der «Pflege des heiligen Sebastian», prominent vertreten. So freuen wir uns, dass das Vermächtnis von René Wehrli und Marie-Louise Bleuler die ergänzende Finanzierung ermöglichte. Die Gestaltung des Themas fasziniert den heutigen Betrachter vor allem durch die leuchtende Farbgebung mit der erstaunlichen Gelb-Dominante des Engels und durch die Bravour der malerischen Umsetzung der Materialität und ihrer Abstufungen. Der anderen Stiftung, die uns regelmässig Erwerbungen ermöglicht, der Hulda und Gustav Zumsteg- Stiftung, verdanken wir ein reizendes Frühwerk Alber- to Giacomettis, das Bildnis seines Schiersers Schulfreundes Simon Bérard –wir sind überzeugt, dass gerade dieser so sorgfältig in auserlesenen Farben komponierte, etwas träumerische Jünglingskopf Gustav Zumsteg besonders gefallen hätte. Es ist das erste der beiden Portraits des Kommilitonen und zeigt die beginnende Auseinandersetzung mit dem Pointillismus, der in der von Tizians sog. «Ariost» inspirierten Halbfigur voll entfaltet ist. Bis jetzt war das früheste im Kunsthaus vorhandene Gemälde Albertos das anspruchsvolle Selbstbildnis von 1921; nun lässt sich auch die erste Phase seiner Malerei mit ihrem eigenen Charme auf ihrem Höhepunkt 1918 hier studieren. Als Vermächtnis von Irene Myrtha Reichenberg- Stoop kamen drei repräsentative süditalienische Landschaften von Johann Jacob Frey in die Sammlung, einem Basler, der nach Rom übersiedelte und dessen qualitätvolle spätromantische Szenerien sich im obersten Segment des internationalen Touristenmilieus grosser Beliebtheit erfreuten, während sie in Schweizer Museen kaum vertreten sind. Eine nordische Sommerfrische zeigt das Meerbild von Albert Marquet, ein Legat von Ellen Schuppli-Steinberg, das seine Hängeprobe zwischen Matisse und Derain erstaunlich gut bestand. Aus der Ferne erreichte uns von Marcella Brenner ein grosses Gemälde aus dem Nachlass ihres Mannes Morris Louis, «Delta Zone», das in seiner lyrischen, transparent fliessenden Dynamik seine Kunst besser vertritt als das vorhandene Streifenbild. Alfred Hofstetter, der Lebenspartner von Bessy Nager, schenkte aus ihrem Nachlass drei «Satelliten» zu den «Voyageurs immobiles», ihrer letzten grossen Arbeit, deren Erwerbung beim viel zu

frühen Tod der dem Kunsthaus u.a. als Mitglied des Vorstandes nahe stehenden Künstlerin bereits angebahnt war. Mit dieser Installation kommen wir zu den Erwerbungen aus eigenen Mitteln. Es ist hier wieder einmal in Erinnerung zu rufen, dass der ordentliche Ankaufsetat seit 1978 bei 500’000 Fr. stagniert und damit seine Kaufkraft weitgehend eingebüsst hat; nur die statutarisch auf 15% der Mitgliederbeiträge festgelegte Summe ist dank der erfreulichen Entwicklung der Zürcher Kunstgesellschaft in diesen 32 Jahren von 36’000 Fr. auf 250’000 Fr. gestiegen. Die vier Gemälde von Hans Richter ergänzen die bereits beträchtliche Werkgruppe dieses vielleicht wichtigsten Malers des Zürcher Dada-Kreises aufs Beste, denn sie zeigen die Spannweite der rezipierten Avantgarde-Strömungen vom Kubismus bis zum Expressionismus und ihre dadaistische Transformationen auf. Verdanken wir das Angebot dieses Ensembles, das als Geschenk des Künstlers in einer Kette von Freundschaften weitergereicht wurde, alten Beziehungen, so ist das Selbstbildnis von Max Haufler die ziemlich singuläre Frucht der Mittwoch-Sprechstunde, in der der Sammlungskonservator im Sinn des «service public» Leuten bei der Beurteilung ihrer Kunstschätze behilflich ist. Haufler ist als Filmemacher und Schauspieler in Schweizer und Hollywood-Produktionen noch stets bekannt, doch seine Anfänge als Maler dürften ziemlich vergessen sein. Dabei ist das Bild für einen Siebzehnjährigen eine sehr respektable Leistung; die frühen Verbindungen zu Albert Müller, bei dem schon der Gymnasiast in den Ferien weilte, und zu Camenzind, bei dem er in die Lehre ging, sind evident: Es ist von der Basler Expressionisten-Gruppe «Rot-Blau» geprägt. Gewichtig sind die Ankäufe im Bereich der Fotografie, die wir vornehmlich den Kenntnissen von Tobia Bezzola verdanken. Lange verfolgten wir die Arbeit von Balthasar Burkhard, der nun kurz vor seinem Tode eine Serie von farbigen Blumenbildern schuf, monumental übergrosse und zugleich fragile Blüten ortlos im schwarzen Grund. Thomas Struths «Space Shuttle I» hat sich in der Ausstellung mit dem sich immer weiter verästelnden Detailreichtum und dem verdeckt hypnotischen Tiefensog unter dem Bauch des Raumschiffs als Hauptwerk der neuen, Orten der Hochtechnologie gewidmeten Werkserie erwiesen. Peter Fischli und David Weiss schenkten uns die Originalfotografie der «Liegenden», ein Unikat, das als Vorlage für die Briefmarke zum 100-Jahr-Jubiläum des Kunsthauses diente –Anlass zu einer Accrochage der Serie «Stiller Nachmittag» im Erdgeschoss des Anbaus, begleitet vom «Lauf der Dinge» und dessen «Making of». Bei den Erwerbungen aktueller Kunst dominieren mittlerweile die meist raumfüllenden Installationen völlig: Die Aussicht auf den Erweiterungsbau eröffnet neue Perspektiven. So gipfelten die längeren Diskussionen um Christoph Büchel in dem mutigen und schwergewichtigen Ankauf seiner durch eine Betonmauer zweigeteilten Dreizimmerwohnung «Hausmeister (Deutsche Grammatik)», die er 2008 in Kassel aufbaute und die beträchtliches Echo auslöste. Ihr Thema ist die aus der Nachkriegsentwicklung resultierende innerdeutsche Ost-West-Problematik, die in unserer Sammlung bereits in Werken von Penck und Baselitz behandelt wird. Die interaktive Video-Installation «L’hôtel des sapins» von Simon Senn hingegen gehört zu den aktuellen Explorationen im Bereich der Körpererfahrung, der Eigen- und Fremdwahrnehmung. Im Bereich der Upstarter werden die Ankäufe der Kunstgesellschaft nun schon seit einiger Zeit von den Aktivitäten der Gruppe Junge Kunst der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde, in der Mirjam Varadinis mitwirkt, und von der Dr. Georg und Josi Guggenheim- Stiftung, die von Bice Curiger beraten wird, tatkräftig sekundiert. Ihr verdanken wir die poetische Nachtszene von Esther Kempf, die von einem ganzen Rudel von Diaprojektoren mit festen Schablonen erzeugt wird, und die Filminstallation von Kathrin Sonntag. Die Gruppe Junge Kunst erhielt einen Jubiläums-Sonderkredit zur Erwerbung des «Notional Cupboard» von Mark Manders. Eher dokumentarisch akkumulativen Charakters und hierin Büchels «Hausmeister»-Wohnung 7

frühen Tod der dem <strong>Kunsthaus</strong> u.a. als Mitglied des<br />

Vorstandes nahe stehenden Künstlerin bereits angebahnt<br />

war.<br />

Mit dieser Installation kommen wir zu den Erwerbungen<br />

aus eigenen Mitteln. Es ist hier wieder einmal<br />

in Erinnerung zu rufen, dass der ordentliche Ankaufsetat<br />

seit 1978 bei 500’000 Fr. stagniert und damit seine<br />

Kaufkraft weitgehend eingebüsst hat; nur die statutarisch<br />

auf 15% der Mitgliederbeiträge festgelegte<br />

Summe ist dank der erfreulichen Entwicklung der<br />

<strong>Zürcher</strong> <strong>Kunstgesellschaft</strong> in diesen 32 Jahren von<br />

36’000 Fr. auf 250’000 Fr. gestiegen. Die vier Gemälde<br />

von Hans Richter ergänzen die bereits beträchtliche<br />

Werkgruppe dieses vielleicht wichtigsten Malers des<br />

<strong>Zürcher</strong> Dada-Kreises aufs Beste, denn sie zeigen die<br />

Spannweite der rezipierten Avantgarde-Strömungen<br />

vom Kubismus bis zum Expressionismus und ihre<br />

dadaistische Transformationen auf. Verdanken wir<br />

das Angebot dieses Ensembles, das als Geschenk<br />

des Künstlers in einer Kette von Freundschaften<br />

weitergereicht wurde, alten Beziehungen, so ist das<br />

Selbstbildnis von Max Haufler die ziemlich singuläre<br />

Frucht der Mittwoch-Sprechstunde, in der der<br />

Sammlungskonservator im Sinn des «service public»<br />

Leuten bei der Beurteilung ihrer Kunstschätze behilflich<br />

ist. Haufler ist als Filmemacher und Schauspieler<br />

in Schweizer und Hollywood-Produktionen noch<br />

stets bekannt, doch seine Anfänge als Maler dürften<br />

ziemlich vergessen sein. Dabei ist das Bild für einen<br />

Siebzehnjährigen eine sehr respektable Leistung; die<br />

frühen Verbindungen zu Albert Müller, bei dem schon<br />

der Gymnasiast in den Ferien weilte, und zu Camenzind,<br />

bei dem er in die Lehre ging, sind evident: Es ist<br />

von der Basler Expressionisten-Gruppe «Rot-Blau»<br />

geprägt.<br />

Gewichtig sind die Ankäufe im Bereich der Fotografie,<br />

die wir vornehmlich den Kenntnissen von Tobia<br />

Bezzola verdanken. Lange verfolgten wir die Arbeit<br />

von Balthasar Burkhard, der nun kurz vor seinem<br />

Tode eine Serie von farbigen Blumenbildern schuf,<br />

monumental übergrosse und zugleich fragile Blüten<br />

ortlos im schwarzen Grund. Thomas Struths «Space<br />

Shuttle I» hat sich in der Ausstellung mit dem sich<br />

immer weiter verästelnden Detailreichtum und dem<br />

verdeckt hypnotischen Tiefensog unter dem Bauch<br />

des Raumschiffs als Hauptwerk der neuen, Orten der<br />

Hochtechnologie gewidmeten Werkserie erwiesen.<br />

Peter Fischli und David Weiss schenkten uns die Originalfotografie<br />

der «Liegenden», ein Unikat, das als<br />

Vorlage für die Briefmarke zum 100-Jahr-Jubiläum<br />

des <strong>Kunsthaus</strong>es diente –Anlass zu einer Accrochage<br />

der Serie «Stiller Nachmittag» im Erdgeschoss des<br />

Anbaus, begleitet vom «Lauf der Dinge» und dessen<br />

«Making of».<br />

Bei den Erwerbungen aktueller Kunst dominieren<br />

mittlerweile die meist raumfüllenden Installationen<br />

völlig: Die Aussicht auf den Erweiterungsbau eröffnet<br />

neue Perspektiven. So gipfelten die längeren Diskussionen<br />

um Christoph Büchel in dem mutigen und<br />

schwergewichtigen Ankauf seiner durch eine Betonmauer<br />

zweigeteilten Dreizimmerwohnung «Hausmeister<br />

(Deutsche Grammatik)», die er 2008 in Kassel aufbaute<br />

und die beträchtliches Echo auslöste. Ihr Thema<br />

ist die aus der Nachkriegsentwicklung resultierende<br />

innerdeutsche Ost-West-Problematik, die in unserer<br />

Sammlung bereits in Werken von Penck und Baselitz<br />

behandelt wird. Die interaktive Video-Installation<br />

«L’hôtel des sapins» von Simon Senn hingegen gehört<br />

zu den aktuellen Explorationen im Bereich der Körpererfahrung,<br />

der Eigen- und Fremdwahrnehmung.<br />

Im Bereich der Upstarter werden die Ankäufe der<br />

<strong>Kunstgesellschaft</strong> nun schon seit einiger Zeit von den<br />

Aktivitäten der Gruppe Junge Kunst der Vereinigung<br />

<strong>Zürcher</strong> Kunstfreunde, in der Mirjam Varadinis mitwirkt,<br />

und von der Dr. Georg und Josi Guggenheim-<br />

Stiftung, die von Bice Curiger beraten wird, tatkräftig<br />

sekundiert. Ihr verdanken wir die poetische Nachtszene<br />

von Esther Kempf, die von einem ganzen Rudel von<br />

Diaprojektoren mit festen Schablonen erzeugt wird,<br />

und die Filminstallation von Kathrin Sonntag. Die Gruppe<br />

Junge Kunst erhielt einen Jubiläums-Sonderkredit<br />

zur Erwerbung des «Notional Cupboard» von Mark<br />

Manders. Eher dokumentarisch akkumulativen Charakters<br />

und hierin Büchels «Hausmeister»-Wohnung<br />

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