Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010

Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010 Kunsthaus Zürich Zürcher Kunstgesellschaft Jahresbericht 2010

11.12.2012 Aufrufe

22 Menschenleere Strassen, Besucher vor berühmten Kunstwerken in berühmten Museen, Porträts von Individuen und von Familien sowie Landschaften, Urwälder und Blumen: In diese vier Motivgruppen lässt sich Struths fotografisches Werk grob gliedern, und entsprechend wurde es im grossen Saal präsentiert. Nach der überraschenden Ouvertüre, welche die Besucher mit fast lebensgrossen Betrachtern vor Michelangelos unsichtbarem «David» konfrontierte, machten die Strassenbilder der 70er Jahre den Anfang: zuerst streng zentralsymmetrisch aufgebaute, später freier komponierte schwarzweisse Aufnahmen menschenleerer europäischer Strassen. Es folgten die berühmten Museumsbilder, welche die Anwesenheit und das Verhalten von Besuchern, wenn sie in Museen vor weltberühmten Kunstwerken stehen, zum Thema haben. Die von Struth so genannten säkularen «Places of Worship» bildeten das nächste Kapitel: Ikonische Orte touristischer und konsumistischer Andacht. Sodann versetzte ein installativ angelegter grosser Saal mit Bildern von Dschungeln und Urwäldern den Betrachter in diese: Pictures of Paradise. Als nächste zentrale Werkgruppe folgten die Familienporträts aus aller Welt. Den Schluss bildete der neue thematische Strang in Struths Werk. Das Interesse des Künstlers gilt hier den komplexen visuellen Strukturen, welche komplexe technische Anlagen produzieren. Diese jüngsten Werke dürfen als Weiterführung von Struths Interesse an einer «Geschichte des menschlichen Ehrgeizes» betrachtet werden, die in den kollektiven Leistungen einer Kultur sichtbar gemacht wird, sei es in der Form einer mittelalterlichen Kathedrale, der Struktur einer Stadt oder der Konstruktion eines Raumschiffs. Die Ausstellung wurde vom Kunsthaus Zürich in Zusammenarbeit mit K20, Kunstsammlung Nordrhein Westfalen, Düsseldorf, organisiert und von Swiss Re, Partner für zeitgenössische Kunst, unterstützt. TB Picasso. Die erste Museumsausstellung 1932 Zur Feier seines hundertjährigen Bestehens widmete das Kunsthaus der ersten musealen Picasso-Retrospektive überhaupt, welche 1932 am Heimplatz eröffnet wurde, eine Hommage. Diese damals –unter Anleitung und völliger Kontrolle des Künstlers –von Wilhelm Wartmann organisierte Ausstellung war nicht nur ein Markstein der Ausstellungstätigkeit des Kunsthauses, sie war auch ein wichtiges Ereignis für die Geschichte der modernen Kunst. Die Ausstellung von 1932 umfasste 225 der wichtigsten Gemälde von Picasso aus den ersten drei Jahrzehnten seines Schaffens. Jede Phase seines Werdegangs war repräsentiert: die Bilder aus der frühen Zeit, aus der Blauen und der Rosa Periode indes eher knapp. Der Durchbruch zum Kubismus dagegen fand sich breit und glanzvoll vertreten; die «mondäne» und neuklassizistische Phase wiederum eher kursorisch. Spezielle Akzente lagen sodann auf den grossformatigen Stilleben der Mittzwanzigerjahre, auf Picassos Annäherungen an den Surrealismus sowie auf den Porträtserien von Picassos junger Geliebten Marie-Thérèse Walter. Die Auswahl, die Picasso 1932 getroffen hatte, war also umfassend, sie war jedoch weder ausgeglichen, noch war sie darauf bedacht, dem damaligen Publikumsgeschmack zu entsprechen. Stattdessen eröffnete Picasso mit seiner Selektion einen sehr persönlichen und pointierten Blick auf sein Werk. Ebendieses Profil der damaligen kuratorischen Selbstdarstellung Picassos nachzuzeichnen, war das Ziel unserer Ausstellung. Anhand von 74 Gemälden, vier Skulpturen sowie zwei druckgrafischen Serien konnten wir eine Präsentation erarbeiten, die dem Publikum nicht nur die kunsthistorischen Aspekte der Sache erläuterte, sondern zugleich (und vor allem) auch eine glanzvolle Picasso-Retrospektive bot. Der 1932er-Auswahl entsprechend war die Ausstellung auch architektonisch zweigeteilt: In der ersten, gedämpft, intim und historisierend gehaltenen Hälfte des grossen Ausstellungssaals entwickelten sich die kanonischen Stilstufen, mit Schwergewicht auf der Stilexplosion durch den Kubismus in den Jahren 1908–1918. Die zweite Hälfte

der Ausstellung sollte dem Publikum zweierlei vermitteln: Dass es sich 1932 auch um eine Ausstellung von atelierfrischer Gegenwartskunst handelte und dass es eine diskrete Abfolge von Stilstufen ab den zwanziger Jahren bei Picasso eigentlich nicht mehr gibt. Diese wird durch Eklektizismus und Stilpluralismus abgelöst: Entsprechend faltete sich ein einziger grosser, heller Saal auf, an dessen weissen Wänden die Hauptwerke der Jahre 1924–1932 ihre Interdependenzen sichtbar machen konnten. Der die Ausstellung begleitende und in drei Sprachen publizierte Katalog arbeitete das 1932er-Projekt erstmals mit der gebotenen Gründlichkeit auf. –Das in jeder Hinsicht anspruchsvolle Unternehmen wurde nicht zuletzt durch das Engagement der Credit Suisse, Partner des Kunsthaus Zürich, und die Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung ermöglicht. TB AUSSTELLUNGEN IM KABINETT Salomon Gessner. Idyllen in gesperrter Landschaft Salomon Gessner (1730–1788) war zu Lebzeiten ein gefeierter Malerpoet, dessen Werke in über zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Seine Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen und Radierungen wurden in den renommiertesten Kabinetten gesammelt. Als engagierter Vertreter einer «aufgeklärten» Malerei, die auf die subjektive Naturerfahrung und das autodidaktische Studium vertraut, rief Gessner Bewunderer wie auch Kritiker wie C.W. Kolbe, L. Richter, P.H. de Valenciennes oder P.N. Guérin auf den Plan. Das einst berühmte «Gessnerische Gemälde- Kabinett» wurde als Auftakt zur Hundertjahrfeier des Kunsthauses rekonstruiert. Es besteht aus 24 Gouachen und Aquarellen, 536 Handzeichnungen und 336 Radierungen. Mit Leihgaben ergänzt, wurde anhand von 70 Werken ein Querschnitt durch Gessners künstlerisches Schaffen gelegt und seine Wirkung auf Malerei und Zeichnung um 1800 angedeutet. Das Gessner- Kabinett war die erste öffentlich zugängliche «Gemälde-Sammlung» in Zürich. 1818 durch eine öffentliche Subskription erworben, übergab die Stadt dieses als Dauerleihgabe der Künstlergesellschaft, der Vorläuferin der Zürcher Kunstgesellschaft; es bildet also den Grundstein der Sammlung des Zürcher Kunsthauses. Zur Ausstellung veröffentlichte der Kurator eine umfassende Publikation zur Wirkungsgeschichte mit Beiträgen von namhaften Gessner-Spezialistinnen. Für die Unterstützung danken wir: Truus und Gerrit van Riemsdijk Stiftung, UBS Kulturstiftung, Dr. Adolf Streuli-Stiftung, Cassinelli-Vogel-Stiftung und privaten Gönnern. BvW Adrian Paci. «Motion Picture(s)» Adrian Paci (*1969 Shkodër) ist einer der wenigen international bekannten albanischen Künstler. Mit seinen Arbeiten –Videos, Malerei, Installationen, Fotografie –greift er existentielle Themen wie Migration, Globalisierung und kulturelle Identität auf und findet eindringliche Bilder dafür, wie sich die Erfahrung von Heimatverlust, Krieg oder gesellschaftlichen Umbrüchen auf den Menschen auswirkt. «Motion Picture(s)» war seine erste Einzelausstellung in einem Schweizer Museum. Er realisierte dafür neue Werke wie das Video «Electric Blue» und der zentral im mittleren Raum gezeigte bemalte Holztondo «Secondo Pasolini». Die im Kabinett präsentierten Arbeiten wurden durch drei ältere Videos im Kleinen Vortragssaal ergänzt. Zur Ausstellung erschien im Kehrer Verlag ein Booklet in Deutsch und Englisch mit einem ausführlichen Interview mit dem Künstler. Am Sonntag, 13. Juni um 12.15 Uhr, fand ein Künstlergespräch statt. –Die Videoarbeit «Electric Blue» entstand in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Graz. – Unterstützt wurde die Ausstellung durch Swiss Re, Partner für zeitgenössische Kunst, sowie durch die George Foundation und die Art Mentor Foundation Lucerne. MV 23

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Menschenleere Strassen, Besucher vor berühmten<br />

Kunstwerken in berühmten Museen, Porträts<br />

von Individuen und von Familien sowie Landschaften,<br />

Urwälder und Blumen: In diese vier Motivgruppen<br />

lässt sich Struths fotografisches Werk grob gliedern,<br />

und entsprechend wurde es im grossen Saal präsentiert.<br />

Nach der überraschenden Ouvertüre, welche<br />

die Besucher mit fast lebensgrossen Betrachtern vor<br />

Michelangelos unsichtbarem «David» konfrontierte,<br />

machten die Strassenbilder der 70er Jahre den<br />

Anfang: zuerst streng zentralsymmetrisch aufgebaute,<br />

später freier komponierte schwarzweisse Aufnahmen<br />

menschenleerer europäischer Strassen. Es folgten die<br />

berühmten Museumsbilder, welche die Anwesenheit<br />

und das Verhalten von Besuchern, wenn sie in Museen<br />

vor weltberühmten Kunstwerken stehen, zum Thema<br />

haben. Die von Struth so genannten säkularen «Places<br />

of Worship» bildeten das nächste Kapitel: Ikonische<br />

Orte touristischer und konsumistischer Andacht.<br />

Sodann versetzte ein installativ angelegter grosser<br />

Saal mit Bildern von Dschungeln und Urwäldern den<br />

Betrachter in diese: Pictures of Paradise. Als nächste<br />

zentrale Werkgruppe folgten die Familienporträts aus<br />

aller Welt. Den Schluss bildete der neue thematische<br />

Strang in Struths Werk. Das Interesse des Künstlers<br />

gilt hier den komplexen visuellen Strukturen, welche<br />

komplexe technische Anlagen produzieren. Diese<br />

jüngsten Werke dürfen als Weiterführung von Struths<br />

Interesse an einer «Geschichte des menschlichen<br />

Ehrgeizes» betrachtet werden, die in den kollektiven<br />

Leistungen einer Kultur sichtbar gemacht wird, sei<br />

es in der Form einer mittelalterlichen Kathedrale,<br />

der Struktur einer Stadt oder der Konstruktion eines<br />

Raumschiffs.<br />

Die Ausstellung wurde vom <strong>Kunsthaus</strong> <strong>Zürich</strong> in<br />

Zusammenarbeit mit K20, Kunstsammlung Nordrhein<br />

Westfalen, Düsseldorf, organisiert und von Swiss Re,<br />

Partner für zeitgenössische Kunst, unterstützt.<br />

TB<br />

Picasso.<br />

Die erste Museumsausstellung 1932<br />

Zur Feier seines hundertjährigen Bestehens widmete<br />

das <strong>Kunsthaus</strong> der ersten musealen Picasso-Retrospektive<br />

überhaupt, welche 1932 am Heimplatz eröffnet<br />

wurde, eine Hommage. Diese damals –unter Anleitung<br />

und völliger Kontrolle des Künstlers –von Wilhelm<br />

Wartmann organisierte Ausstellung war nicht nur ein<br />

Markstein der Ausstellungstätigkeit des <strong>Kunsthaus</strong>es,<br />

sie war auch ein wichtiges Ereignis für die Geschichte<br />

der modernen Kunst. Die Ausstellung von 1932<br />

umfasste 225 der wichtigsten Gemälde von Picasso aus<br />

den ersten drei Jahrzehnten seines Schaffens. Jede<br />

Phase seines Werdegangs war repräsentiert: die Bilder<br />

aus der frühen Zeit, aus der Blauen und der Rosa Periode<br />

indes eher knapp. Der Durchbruch zum Kubismus<br />

dagegen fand sich breit und glanzvoll vertreten; die<br />

«mondäne» und neuklassizistische Phase wiederum<br />

eher kursorisch. Spezielle Akzente lagen sodann auf<br />

den grossformatigen Stilleben der Mittzwanzigerjahre,<br />

auf Picassos Annäherungen an den Surrealismus sowie<br />

auf den Porträtserien von Picassos junger Geliebten<br />

Marie-Thérèse Walter. Die Auswahl, die Picasso 1932<br />

getroffen hatte, war also umfassend, sie war jedoch<br />

weder ausgeglichen, noch war sie darauf bedacht,<br />

dem damaligen Publikumsgeschmack zu entsprechen.<br />

Stattdessen eröffnete Picasso mit seiner Selektion<br />

einen sehr persönlichen und pointierten Blick auf sein<br />

Werk. Ebendieses Profil der damaligen kuratorischen<br />

Selbstdarstellung Picassos nachzuzeichnen, war das<br />

Ziel unserer Ausstellung. Anhand von 74 Gemälden, vier<br />

Skulpturen sowie zwei druckgrafischen Serien konnten<br />

wir eine Präsentation erarbeiten, die dem Publikum<br />

nicht nur die kunsthistorischen Aspekte der Sache<br />

erläuterte, sondern zugleich (und vor allem) auch eine<br />

glanzvolle Picasso-Retrospektive bot. Der 1932er-Auswahl<br />

entsprechend war die Ausstellung auch architektonisch<br />

zweigeteilt: In der ersten, gedämpft, intim und<br />

historisierend gehaltenen Hälfte des grossen Ausstellungssaals<br />

entwickelten sich die kanonischen Stilstufen,<br />

mit Schwergewicht auf der Stilexplosion durch den<br />

Kubismus in den Jahren 1908–1918. Die zweite Hälfte

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