«Der Star». Ein Wiener Stück in drei Aufzügen von Hermann Bahr

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Rudolf Steiner «Der Star». Ein Wiener Stück in drei Aufzügen von Hermann Bahr Erstveröffentlichung: Magazin für Literatur 1898, 67.Jg., Nr.47 (GA 29, S. 300- 302) Aufführung im Lessing-Theater, Berlin Hermann Bahr ging einst aus, das Königreich der großen, neuen Kunst zu suchen. Und jetzt bringt er Theaterstücke heim, die Blumenthalschen Geist in sich haben. Saul, des Kis Sohn, hat es anders gemacht. Jawohl, der Mann, der vor noch nicht langer Zeit den Mund voll genommen und gesagt hat: «Nur in einem Punkte ist kein Streit, in einem Punkte sind alle einig, die Alten und die Gruppen der Jugend. In einem Punkte ist kein Zweifel: dass der Naturalismus schon wieder vorbei ist und dass die Mühe, die Qual der Jugend ein Neues, Fremdes, Unbekanntes sucht, das noch keiner gefunden hat. Sie schwanken, ob es neuer Idealismus, eine Synthese von Idealismus und Realismus, ob es symbolisch oder sensitiv sein wird. Aber sie wissen, dass es nicht naturalistisch sein kann.» (Bahr, Studien zur Kritik der Moderne. 1894.) Auf dem Felde der dramatischen Kunst ist sich heute Hermann Bahr klar, wie es sein muss. Nicht naturalistisch, nicht symbolistisch; es muss ganz einfach blumenthalisch sein. Am 12. November sprach deshalb Hermann Bahr in dieser neuen Weise zu uns. Der «Star» Lona Ladinser hat die Hauptrolle in dem Stücke des Postbeamten Leopold Wisinger gespielt. Das Stück ist jämmerlich durchgefallen. Die Schauspieler ärgern sich natürlich, wenn die Stücke, in denen sie spielen, durchfallen. Deshalb ist am Tage nach der Premiere im Hause der Lona Ladinser ein furchtbares Geschimpfe. Das Dienstmädchen der Lona, die Iona selber, ein Fräulein Zipser - eine ausrangierte Schauspielerin und Gesellschafterin der Lona -, sie alle schimpfen auf das Publikum, auf den Dichter, auf die Kritik. Sie schimpfen alle in witzigen, pointierten Sätzen, so etwa, wie wenn ihnen der Feuilletonist Bahr erst jeden Satz ihres Geschimpfes sorgfältig eingetrichtert hätte. Das ist alles weder Naturalismus noch Symbolismus, sondern eben Blumenthalismus. Zunächst wenigstens ein guter. Dann aber kommt's schlimm. Denn wie sich der durchgefallene Dichter und

Rudolf Ste<strong>in</strong>er<br />

<strong>«Der</strong> <strong>Star»</strong>. <strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Wiener</strong> <strong>Stück</strong> <strong>in</strong> <strong>drei</strong> <strong>Aufzügen</strong> <strong>von</strong> <strong>Hermann</strong><br />

<strong>Bahr</strong><br />

Erstveröffentlichung: Magaz<strong>in</strong> für Literatur 1898, 67.Jg., Nr.47 (GA 29, S. 300-<br />

302)<br />

Aufführung im Less<strong>in</strong>g-Theater, Berl<strong>in</strong><br />

<strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong> g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>st aus, das Königreich der großen, neuen Kunst<br />

zu suchen. Und jetzt br<strong>in</strong>gt er Theaterstücke heim, die<br />

Blumenthalschen Geist <strong>in</strong> sich haben. Saul, des Kis Sohn, hat es anders<br />

gemacht. Jawohl, der Mann, der vor noch nicht langer Zeit den Mund<br />

voll genommen und gesagt hat: «Nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Punkte ist ke<strong>in</strong> Streit, <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Punkte s<strong>in</strong>d alle e<strong>in</strong>ig, die Alten und die Gruppen der Jugend. In<br />

e<strong>in</strong>em Punkte ist ke<strong>in</strong> Zweifel: dass der Naturalismus schon wieder<br />

vorbei ist und dass die Mühe, die Qual der Jugend e<strong>in</strong> Neues, Fremdes,<br />

Unbekanntes sucht, das noch ke<strong>in</strong>er gefunden hat. Sie schwanken, ob<br />

es neuer Idealismus, e<strong>in</strong>e Synthese <strong>von</strong> Idealismus und Realismus, ob es<br />

symbolisch oder sensitiv se<strong>in</strong> wird. Aber sie wissen, dass es nicht<br />

naturalistisch se<strong>in</strong> kann.» (<strong>Bahr</strong>, Studien zur Kritik der Moderne. 1894.)<br />

Auf dem Felde der dramatischen Kunst ist sich heute <strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong><br />

klar, wie es se<strong>in</strong> muss. Nicht naturalistisch, nicht symbolistisch; es muss<br />

ganz e<strong>in</strong>fach blumenthalisch se<strong>in</strong>.<br />

Am 12. November sprach deshalb <strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong> <strong>in</strong> dieser neuen<br />

Weise zu uns. Der «<strong>Star»</strong> Lona Lad<strong>in</strong>ser hat die Hauptrolle <strong>in</strong> dem<br />

<strong>Stück</strong>e des Postbeamten Leopold Wis<strong>in</strong>ger gespielt. Das <strong>Stück</strong> ist<br />

jämmerlich durchgefallen. Die Schauspieler ärgern sich natürlich,<br />

wenn die <strong>Stück</strong>e, <strong>in</strong> denen sie spielen, durchfallen. Deshalb ist am Tage<br />

nach der Premiere im Hause der Lona Lad<strong>in</strong>ser e<strong>in</strong> furchtbares<br />

Geschimpfe. Das Dienstmädchen der Lona, die Iona selber, e<strong>in</strong> Fräule<strong>in</strong><br />

Zipser - e<strong>in</strong>e ausrangierte Schauspieler<strong>in</strong> und Gesellschafter<strong>in</strong> der Lona<br />

-, sie alle schimpfen auf das Publikum, auf den Dichter, auf die Kritik.<br />

Sie schimpfen alle <strong>in</strong> witzigen, po<strong>in</strong>tierten Sätzen, so etwa, wie wenn<br />

ihnen der Feuilletonist <strong>Bahr</strong> erst jeden Satz ihres Geschimpfes<br />

sorgfältig e<strong>in</strong>getrichtert hätte. Das ist alles weder Naturalismus noch<br />

Symbolismus, sondern eben Blumenthalismus. Zunächst wenigstens e<strong>in</strong><br />

guter. Dann aber kommt's schlimm. Denn wie sich der durchgefallene<br />

Dichter und


RUDOLF STEINER<br />

<strong>«Der</strong> <strong>Star»</strong>. <strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Wiener</strong> <strong>Stück</strong> <strong>in</strong> <strong>drei</strong> <strong>Aufzügen</strong> <strong>von</strong> <strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong><br />

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die Lona <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander verlieben, wie der Dichter nervös wird und<br />

schimpft und poltert, weil se<strong>in</strong>e Geliebte <strong>von</strong> dem Leben, das sie vorher<br />

geführt hat, nicht lassen kann, wie dieses Leben selbst vor den<br />

Zuschauern entwickelt wird und wie die beiden sich wieder trennen,<br />

weil der Postbeamte doch se<strong>in</strong>e «Grete» dem Theaterstern vorzieht,<br />

endlich, wie dieser Stern sich wieder den Brettern, die die Welt<br />

bedeuten, mit ganzer Seele h<strong>in</strong>gibt: das alles spielt sich <strong>in</strong> <strong>drei</strong> Akten<br />

ab, die schlechter Blumenthalismus s<strong>in</strong>d. Ursprünglich soll das <strong>Stück</strong><br />

sogar vier Akte gehabt haben. Den vierten hat man gestrichen, weil er<br />

noch böser als die beiden vorhergehenden se<strong>in</strong> soll.<br />

<strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong> hat vor e<strong>in</strong> paar Jahren über die «<strong>E<strong>in</strong></strong>samen Menschen»<br />

das Urteil gefällt: «Und endlich die «<strong>E<strong>in</strong></strong>samen Menschen», <strong>in</strong> denen er<br />

(Gerhart Hauptmann) se<strong>in</strong> Werk, das ihn erwartete und brauchte,<br />

vollbracht und die lange Sehnsucht se<strong>in</strong>er Leute erlöst hat, <strong>in</strong>dem er<br />

mit genialer Bravour die Holzsche Technik theatralisierte: <strong>von</strong> allem<br />

der Menge irgendwie Anstößigen, das ihren Verstand behelligen<br />

könnte, re<strong>in</strong>lich und sauber ausgeputzt, auf die lieben Gewohnheiten<br />

teutonischer Parterre e<strong>in</strong>gestellt, Europa auf den Müggelsee reduziert,<br />

wie wenn man Maurice Maeterl<strong>in</strong>ck Herrn Kadelburg übergäbe.» Jetzt<br />

schreibt <strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong> e<strong>in</strong> <strong>Stück</strong>, <strong>in</strong> dem er zeigt, dass ke<strong>in</strong> Werk ihn<br />

erwartete und brauchte, e<strong>in</strong> <strong>Stück</strong>, <strong>in</strong> dem er die lange Sehnsucht<br />

se<strong>in</strong>er Freunde - vorausgesetzt, dass sie nicht bl<strong>in</strong>d s<strong>in</strong>d - schmählich<br />

enttäuscht, <strong>in</strong> dem er mit plumper Bravour die Blumenthalsche<br />

Technik imitiert, auf alles der Menge Gefällige spekuliert, Europa auf<br />

die Witze h<strong>in</strong>ter den Kulissen reduziert, wie wenn man Herrn<br />

Kadelburg Herrn <strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong> übergeben hätte.<br />

Diesen «<strong>Star»</strong>, dieses Sammelbecken <strong>von</strong> Erfahrungen <strong>in</strong>nerhalb der<br />

weniger guten Theaterwelt <strong>in</strong> <strong>Bahr</strong>sche Feuilletonwitze gekleidet, hat<br />

derselbe Mann geschrieben, der e<strong>in</strong>st <strong>von</strong> sich sagte: «Doch darf ich<br />

mich trösten, weil es immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> hübscher Gedanke und<br />

schmeichelhaft ist, dass zwischen Wolga und Loire, <strong>von</strong> der Themse<br />

zum Guadalquivir heute nichts empfunden wird, das ich nicht<br />

verstehen, teilen und gestalten könnte, und dass die europäische Seele<br />

ke<strong>in</strong>e Geheimnisse vor mir hat.»


RUDOLF STEINER<br />

<strong>«Der</strong> <strong>Star»</strong>. <strong>E<strong>in</strong></strong> <strong>Wiener</strong> <strong>Stück</strong> <strong>in</strong> <strong>drei</strong> <strong>Aufzügen</strong> <strong>von</strong> <strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong><br />

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Um se<strong>in</strong>e dramatischen Banalitäten zu rechtfertigen, hat <strong>Hermann</strong><br />

<strong>Bahr</strong> jetzt e<strong>in</strong>e eigene Theorie erfunden. Am 22. Oktober hat er <strong>in</strong> der<br />

Wochenschrift über das «Weiße Rößl» geschrieben, dass er sich bei der<br />

Aufführung «ausgezeichnet unterhalten» habe. Und dann weiter:<br />

«Unsere jungen Leute sagen ja freilich, dass sie das Theater verachten.<br />

Ich glaube nicht, dass sie recht haben; <strong>in</strong> allen großen Zeiten ist es das<br />

Größte gewesen, immer hat im Theater die Kultur ihre letzten Worte<br />

ausgesprochen. Aber gut. Nur sollen sie es dann <strong>in</strong> Ruhe lassen. Ich<br />

mag sagen: ich will e<strong>in</strong> stiller Gelehrter se<strong>in</strong>, ich b<strong>in</strong> mir genug, ich<br />

brauche die andern nicht, ich verlange gar nicht, gehört zu werden.<br />

Nur darf ich dann nicht reden wollen. Wenn ich reden will, muss ich<br />

zuerst e<strong>in</strong> Redner se<strong>in</strong> ... Wenn unsere jungen Leute nur erst e<strong>in</strong>mal<br />

können, was Blumenthal und Kadelburg kann, dann wird es ihnen das<br />

Publikum schon verzeihen, dass sie s<strong>in</strong>d.»<br />

<strong>«Der</strong> Dichter verhält sich zum Dramatiker, wie sich etwa e<strong>in</strong> Gelehrter<br />

zum Redner verhält. <strong>E<strong>in</strong></strong> Gelehrter kann die größten Gedanken haben,<br />

er muss deswegen noch ke<strong>in</strong> Redner se<strong>in</strong>. <strong>E<strong>in</strong></strong> Redner ist, wer die<br />

Gewalt hat, durch Worte die Hörer so zu beherrschen, dass sie ihm<br />

zustimmen. So ist e<strong>in</strong> Dramatiker, wer die Mittel des Theaters so<br />

kommandiert, dass der Zuschauer das fühlt, was er ihn fühlen lässt.»<br />

<strong>Hermann</strong> <strong>Bahr</strong> lebt <strong>in</strong> Wien. Dort gibt es e<strong>in</strong>en Redner, der es vermag,<br />

die Leute durch Worte so zu beherrschen, dass sie ihm zustimmen. Die<br />

es tun, haben den Redner deshalb zum Bürgermeister gemacht. Er<br />

heißt Lueger. Er hat diejenigen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gewalt, gegen deren<br />

Haupteigenschaft die ältesten Götter selbst vergebens kämpfen.<br />

Gelehrte gehet h<strong>in</strong> und lernet <strong>von</strong> ihm das Reden, so wie <strong>Hermann</strong><br />

<strong>Bahr</strong> <strong>von</strong> Blumenthal und Kadelburg das Dramenmachen gelernt hat!<br />

Die Aufführung im Less<strong>in</strong>g-Theater und das Publikum waren brav. Die<br />

Darsteller spielten recht gut; das Publikum klatschte Beifall und rief<br />

den Autor mehrmals. Dieser verneigte sich dann immer, <strong>in</strong>dem er die<br />

rechte Hand <strong>in</strong> graziösem Schwunge gegen das Herz bewegte. Andere<br />

Störungen konnte ich an diesem Abend nicht bemerken.

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