85 Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser,

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Leserinnen und Leser, die Vergütung für die erbrachte Tätigkeit ist Lebenselexier eines jeden Anwalts. Ohne oder mit unzulänglichen Gebühren lässt sich keine Kanzlei betreiben, insbesondere kein Personal bezahlen, keine Technik und dergleichen vorhalten, aber auch nicht ein Anwaltsleben fristen. Die Grunderkenntnis ist banal, dennoch steht ersichtlich bei vielen Anwälten das Berufsethos eines Helfenden über der Sicherung des eigenen Einkommens. Anders ist es kaum erklärbar, mit welch generöser Nachlässigkeit allzu oft nach getaner Arbeit auf Gebühren verzichtet wird. Im Zuschauerraum sitzend kann man immer wieder erleben, wie das Gericht einen Gegenstandswert vorschlägt und die Anwälte, ersichtlich auf dieses Thema nicht vorbereitet, still leidend akzeptieren. Dabei macht es einen wesentlichen Unterschied aus, ob der Gegenstandswert mit € 4.999,00 oder € 5.001,00 bemessen wird (unter Ansatz von Verfahrens-, Termins- und Vergleichsgebühr im erstinstanzlichen Verfahren insgesamt € 154,10). Größere Differenzen des Gegenstandswerts potenzieren den anwaltlichen Mehrwert. Ein Verfahren bezüglich einer Änderungskündigung ist kostendeckend nicht zu führen, wenn das Gericht lediglich die Einkommensdifferenz von drei Monaten als Gegenstandswert ansetzt; anders stellt sich dies dar, wenn wenigstens das dreifache Bruttomonatseinkommen zugrunde gelegt wird. Gerade in arbeitsgerichtlichen Verfahren muss sich der Anwalt keineswegs stets an dem am Ende der Verhandlung festgesetzten Gegenstandswert orientieren. Die Gegenstandswerte können innerhalb des Verfahrens Schwankungen unterworfen sein, beispielsweise wenn umfangreiche Vergleichsverhandlungen unter Einbezug im konkreten Verfahren nicht anhängiger Angelegenheiten geführt wurden oder wenn sich Teile des Verfahrens erledigt haben. Es kann dann nach § 33 Abs. 1 RVG ein Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit gestellt werden. Abschließend entscheidet im Beschwerdeverfahren über Gegenstandswertsfestsetzungen das Landesarbeitsgericht, meist eine hierfür ausschließlich nach der Geschäftsverteilung bestimmte Kammer. Die Anwälte des Sprengels, aber auch alle, die sich einmal dorthin verirrt haben, fürchten mehr oder weniger die Rechtsprechung dieser Beschwerdekammer. Manchmal empfindet man ohnmächtige Wut und wünscht sich zumindest eine Verhandlung, in der man über den Entscheidungsansatz wenigstens einmal sprechen könnte. Dabei ist durchaus Nachsicht angezeigt. Was hat ein Richter schon mit Gebühren zu tun? Seinem Berufsbild ist diese Grundlage anwaltlicher Berufsexistenz eher fremd. Wenn es schon Anwälten selbst schwer fällt, die richtigen Gebührentatbestände zu finden und das sich im Gegenstandswert ausdrückende Interesse des Mandanten am Verfahren korrekt zu bemessen, muss dies dem Richter noch viel schwerer fallen. Notwendig ist also sachliche Erläuterung und Weckung kollegialen Verständnisses. Die AE ist bemüht Sensibilität für das Gebührenproblem herzustellen, allein schon durch einen Veröffentlichungsschwerpunkt zu Streitwert und Gebüh- 02/08 Herausgeber 85

<strong>Liebe</strong> <strong>Kolleginnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Kollegen</strong>,<br />

<strong>liebe</strong> <strong><strong>Leser</strong>innen</strong> <strong>und</strong> <strong>Leser</strong>,<br />

die Vergütung für die erbrachte Tätigkeit ist Lebenselexier eines jeden Anwalts.<br />

Ohne oder mit unzulänglichen Gebühren lässt sich keine Kanzlei betreiben,<br />

insbesondere kein Personal bezahlen, keine Technik <strong>und</strong> dergleichen<br />

vorhalten, aber auch nicht ein Anwaltsleben fristen. Die Gr<strong>und</strong>erkenntnis ist<br />

banal, dennoch steht ersichtlich bei vielen Anwälten das Berufsethos eines<br />

Helfenden über der Sicherung des eigenen Einkommens. Anders ist es kaum<br />

erklärbar, mit welch generöser Nachlässigkeit allzu oft nach getaner Arbeit<br />

auf Gebühren verzichtet wird. Im Zuschauerraum sitzend kann man immer<br />

wieder erleben, wie das Gericht einen Gegenstandswert vorschlägt <strong>und</strong> die<br />

Anwälte, ersichtlich auf dieses Thema nicht vorbereitet, still leidend akzeptieren.<br />

Dabei macht es einen wesentlichen Unterschied aus, ob der Gegenstandswert<br />

mit € 4.999,00 oder € 5.001,00 bemessen wird (unter Ansatz von<br />

Verfahrens-, Termins- <strong>und</strong> Vergleichsgebühr im erstinstanzlichen Verfahren<br />

insgesamt € 154,10). Größere Differenzen des Gegenstandswerts potenzieren<br />

den anwaltlichen Mehrwert. Ein Verfahren bezüglich einer Änderungskündigung<br />

ist kostendeckend nicht zu führen, wenn das Gericht lediglich die<br />

Einkommensdifferenz von drei Monaten als Gegenstandswert ansetzt; anders<br />

stellt sich dies dar, wenn wenigstens das dreifache Bruttomonatseinkommen<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegt wird.<br />

Gerade in arbeitsgerichtlichen Verfahren muss sich der Anwalt keineswegs<br />

stets an dem am Ende der Verhandlung festgesetzten Gegenstandswert orientieren.<br />

Die Gegenstandswerte können innerhalb des Verfahrens Schwankungen<br />

unterworfen sein, beispielsweise wenn umfangreiche Vergleichsverhandlungen<br />

unter Einbezug im konkreten Verfahren nicht anhängiger Angelegenheiten<br />

geführt wurden oder wenn sich Teile des Verfahrens erledigt<br />

haben. Es kann dann nach § 33 Abs. 1 RVG ein Antrag auf Festsetzung des<br />

Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit gestellt werden.<br />

Abschließend entscheidet im Beschwerdeverfahren über Gegenstandswertsfestsetzungen<br />

das Landesarbeitsgericht, meist eine hierfür ausschließlich<br />

nach der Geschäftsverteilung bestimmte Kammer. Die Anwälte des Sprengels,<br />

aber auch alle, die sich einmal dorthin verirrt haben, fürchten mehr oder weniger<br />

die Rechtsprechung dieser Beschwerdekammer. Manchmal empfindet<br />

man ohnmächtige Wut <strong>und</strong> wünscht sich zumindest eine Verhandlung, in<br />

der man über den Entscheidungsansatz wenigstens einmal sprechen könnte.<br />

Dabei ist durchaus Nachsicht angezeigt. Was hat ein Richter schon mit Gebühren<br />

zu tun? Seinem Berufsbild ist diese Gr<strong>und</strong>lage anwaltlicher Berufsexistenz<br />

eher fremd. Wenn es schon Anwälten selbst schwer fällt, die richtigen Gebührentatbestände<br />

zu finden <strong>und</strong> das sich im Gegenstandswert ausdrückende<br />

Interesse des Mandanten am Verfahren korrekt zu bemessen, muss dies dem<br />

Richter noch viel schwerer fallen. Notwendig ist also sachliche Erläuterung<br />

<strong>und</strong> Weckung kollegialen Verständnisses.<br />

Die AE ist bemüht Sensibilität für das Gebührenproblem herzustellen, allein<br />

schon durch einen Veröffentlichungsschwerpunkt zu Streitwert <strong>und</strong> Gebüh-<br />

02/08<br />

Herausgeber<br />

<strong>85</strong>


Herausgeber<br />

86 02/08<br />

ren. Die Einsendung von Entscheidungen zu diesem Thema bleibt ausdrücklich<br />

erwünscht.<br />

Über „Streitwert <strong>und</strong> Gebühren“ hinaus konnte in diesem Heft der AE ein<br />

gut gemischtes Potpourri an Entscheidungen, die überwiegend von <strong>Kollegen</strong><br />

eingesandt wurden, zusammengestellt werden. Bei der Auswahl <strong>und</strong> Präsentation<br />

galt wie stets der Gr<strong>und</strong>satz:<br />

Mögen sie nützen!<br />

Leipzig, im Juni 2008<br />

Ihr Roland Gross<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht


Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Einsenderliste 88<br />

Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Entscheidungen 89<br />

Allgemeines Vertragsrecht 91<br />

Kündigungsschutzrecht 104<br />

Betriebsverfassungsrecht/Personalvertretungsrecht 114<br />

Tarifrecht 128<br />

Sonstiges 134<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren 147<br />

Rezensionen<br />

Hümmerich/Boecken/Düwell (Hrsg.): Anwaltkommentar Arbeitsrecht 157<br />

Bauer/Göpfert/Krüger: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (Kommentar) 158<br />

Richardi: Betriebsverfassungsgesetz 159<br />

Lanswicker (Hrsg.): Prozesse in Arbeitssachen – Vertretung/Verfahren/Vollstreckung 159<br />

Kittner/Däubler/Zwanziger (Hrsg.): Kündigungsschutzrecht 160<br />

Hennsler/Braun: Arbeitsrecht in Europa 160<br />

Lingemann/Steinau-Steinrück/Mengel (Hrsg.): Employment & Labor Law in Germany 161<br />

Stichwortverzeichnis 162<br />

Impressum 164<br />

02/08<br />

Seite<br />

87


Liste der AE-Einsender<br />

Liste der AE-Einsender<br />

AE kann ihr Informationsziel nur erreichen, wenn möglichst viele Entscheidungen aus der Mitgliedschaft der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht im DAV kommen. Wir nennen daher hier regelmäßig mit Dank <strong>und</strong> Lob diejenigen, die sich um die AE besonders<br />

verdient gemacht haben.<br />

Berrisch Hansjörg Gießen<br />

Mansholt Werner Darmstadt<br />

Graumann Ingo Iserlohn<br />

Kelber, Dr. Markus Berlin<br />

Lodzik Michael Darmstadt<br />

Neef, Dr. Klaus Hannover<br />

Bauer Dietmar Wiehl<br />

Behrens Walter Hamburg<br />

Brötzmann, Dr. Ulrich Mainz<br />

Dribusch Bernhard Detmold<br />

Faecks Friedhelm Marburg<br />

Franzen Klaus-Dieter Bremen<br />

Geus Franz Schweinfurt<br />

Gosda Ralf Ahlen<br />

Gravenhorst, Dr. Wulf Düsseldorf<br />

Heinemann Bernd St. Augustin<br />

Hilligus Kurt-Jörg Neustadt i.Holst.<br />

Jung Nikolaus Oberursel<br />

Krutzki Gottfried Frankfurt a.M.<br />

Bauer Dirk Ansbach<br />

Böse Rainer Essen<br />

Clausen Dirk Nürnberg<br />

Crämer Eckart Dortm<strong>und</strong><br />

Daniels Wolfgang Berlin<br />

Eckert, Dr. Helmut Offenbach<br />

Fischer Ulrich Frankfurt/Main<br />

Gehrmann Dietrich Aachen<br />

Goergens Dorothea Hamburg<br />

Grimm, Dr. Detlev Köln<br />

Gussen Dr. Heinrich Rheda-Wiedenbrück<br />

Heimann Marco Cham<br />

Hennige, Dr. Susanne Gütersloh<br />

Herbert, Dr. Ulrich Coburg<br />

Hertwig, Dr. Volker Bremen<br />

Hesse Dr. Walter Berlin<br />

Hjort Jens Hamburg<br />

Höser, Dr. Jürgen Frechen<br />

Keller Thomas München<br />

Kern Jan H. Hamburg<br />

Krügermeyer-<br />

Kalthoff Rolf Köln<br />

Kühn Stefan Karlsruhe<br />

Kunzmann, Dr. Walter Euskirchen<br />

88 02/08<br />

Einsender mit mehr als 40 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 20 Entscheidungen<br />

Einsender mit mehr als 10 Entscheidungen<br />

Einsender mit 5 – 9 Entscheidungen<br />

Schrader, Dr. Peter Hannover<br />

Puhr-Westerheide Christian Duisburg<br />

Schmitt Jürgen Stuttgart<br />

Tschöpe, Dr. Ulrich Gütersloh<br />

Zeißig, Dr. Rolf Berlin<br />

Lampe, Dr. Christian Berlin<br />

Müller-Knapp Klaus Hamburg<br />

Müller-Wiechards Wolfram Lübeck<br />

Peter Michael Bad Honnef<br />

Schaefer Rolf Hannover<br />

Schmalenberg, Dr. Werner Bremen<br />

Schramm Joachim Lübbecke<br />

Schulz, Dr. Georg R. München<br />

Seidemann, Dr. Gisbert Berlin<br />

Sparla Franz Aachen<br />

Weber Axel Frankfurt/M.<br />

Weberling, Prof. Dr. Johannes Berlin<br />

Link Jochen Villingen<br />

Matissek Reinhard Kaiserslautern<br />

Matyssek Rüdiger Ratingen<br />

Pouyadou, Dr. Richard M. Augsburg<br />

Preßer Wolfgang Neunkirchen<br />

Pütter, Dr. Albrecht Flensburg<br />

Richter Klaus Bremen<br />

Richter, Dr. Hanns-Uwe Heidelberg<br />

Rütte Klemens Hamm<br />

Schäder Dr. Gerhard München<br />

Schäfer Dieter Essen<br />

Schipp, Dr. Johannes Gütersloh<br />

Schwirtzek Dr. Thomas Berlin<br />

Straub, Dr. Dieter München<br />

Striegel Bernhard Kassel<br />

Struckhoff Michael H. München<br />

Theissen-<br />

Graf Schweinitz Ingo Hagen<br />

Thiele Volker Düren<br />

Thieme Hans Frankfurt/M.<br />

Thon Horst Offenbach<br />

Zahn Thomas Berlin<br />

Zirnbauer Ulrich Nürnberg


Inhaltsverzeichnis der Entscheidungen<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Seite<br />

62. Urlaubsanspruch, einstweilige Verfügung, Ersatzurlaubsanspruch<br />

91<br />

63. Diskriminierung, Bewerbung, kein Anspruch gegen<br />

Personalvermittler 91<br />

64. Annahmeverzug, Feststellungsklage, Steuerschaden,<br />

VWL als Bruttoforderung, Verfallfrist, Geltendmachung,<br />

zu kurze Frist 92<br />

65. Günstigkeitsvergleich, Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung<br />

94<br />

66. Zielvereinbarung, unterlassene 96<br />

67. Arbeitszeit, Aufstockungsanspruch 102<br />

68. Befristung, Schriftform, konkludenter Verzicht, Zugang<br />

102<br />

69. Arbeitsvertrag, Bezugnahmeklausel, Transparenzgebot<br />

103<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

70. Betriebsrat, außerordentliche Kündigung, Erklärungsfrist<br />

nach Amtsniederlegung, Weiterbeschäftigung<br />

104<br />

71. Kündigungserklärung, Zurückweisung, mangels<br />

Vollmacht, Inkenntnissetzung 105<br />

72. Kündigung Ehepartner, Scheinvertrag 106<br />

73. Abmahnung, Bestimmtheit 107<br />

74. Konzernweite Beschäftigungspflicht 107<br />

75. Kündigungsschutzrecht, Änderungskündigung<br />

zur Kosteneinsparung 107<br />

76. Kündigungsschutzgesetz, Geltungsbereich, Beweislast<br />

108<br />

77. Krankheitsbedingte Kündigung, außerordentliche<br />

Kündigung, Unkündbarkeit, Schwerbehinderung 109<br />

78. Kündigungsfrist, Massenentlassungsanzeige 112<br />

79. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung,<br />

Zugang der Kündigungserklärung 112<br />

80. Betriebsratsanhörung 113<br />

81. Änderungskündigung, Änderung des Arbeitszeitvolumens<br />

114<br />

Betriebsverfassungs-/<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Inhalt: Entscheidungen<br />

02/08<br />

Seite<br />

82. Einigungsstelle, Aussetzung des Einsetzungsverfahrens<br />

114<br />

83. Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen<br />

Angelegenheiten, Versetzung, Unterrichtsumfang 114<br />

84. Einigungsstelle, keine offensichtliche Unzuständigkeit<br />

bei Arbeitsschutz 116<br />

<strong>85</strong>. Einigungsstelle, keine offensichtliche Unzuständigkeit<br />

bei Ges<strong>und</strong>heitsschutz 117<br />

86. Mitwirkung des Personalrats, Schulschließung 119<br />

87. Betriebsratswahl, Wahlbehinderung 121<br />

88. Sozialplan 121<br />

89. Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen<br />

Angelegenheiten, Personalgespräche, Personalakten,<br />

Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers 122<br />

90. Betriebsrat, Informationsanspruch, Personalstatistik<br />

122<br />

91. Betriebsratsschulung, Erforderlichkeit, Strafrecht<br />

<strong>und</strong> Betriebsverfassung 122<br />

92. Sozialplan, Gleichbehandlung, Altersdiskriminierung<br />

124<br />

93. Betriebsratsschulung 127<br />

94. Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen<br />

Angelegenheiten, Antragsauslegung Eingruppierung<br />

128<br />

Tarifrecht<br />

95. Eingruppierungsfeststellungsantrag, Bezugnahmeklausel,<br />

konstitutive Bedeutung Pflegehelfer,<br />

Stationshelfer, BAT, kirchlich-diakonische Vertragsordnung<br />

(KDAVO) des Diakonischen Werkes 128<br />

96. Tarifvertrag, Auslegung 131<br />

97. Direktionsrecht, Anhörung gemäß § 7 Arbeitsvertragsrichtlinien<br />

des diakonischen Werkes der<br />

evangelischen Kirchen in Deutschland (AVR),<br />

Versetzung, Beschäftigungsanspruch, einstweilige<br />

Verfügung 131<br />

98. Altersteilzeit, billiges Ermessen 132<br />

99. Tarifautomatik 133<br />

100. Altersteilzeit, rückwirkende Begründung 133<br />

89


Inhalt: Entscheidungen<br />

Seite<br />

101. Rufbereitschaft, § 8 Abs. 3 S. 4 TVöD 133<br />

Sonstiges<br />

102. Annahmeverzug, Lohnausfallprinzip 134<br />

103. Befangenheitsantrag, rechtliches Gehör 134<br />

104. Schwerbehinderte, Ladung zu Vorstellungsgespräch<br />

134<br />

105. Rechtsweg, Arbeitnehmerstatus<br />

106. Zwangsvollstreckung, Einstellung, nicht zu erset-<br />

136<br />

zender Nachteil, Rechtsmittelaussichten 136<br />

107. Örtliche Zuständigkeit, Erfüllungsort, ständiger<br />

Einsatz, Bedeutung einer örtlichen Vorgesetztenposition<br />

108. Gleichbehandlung, Altersdiskriminierung, Sozial-<br />

137<br />

planabfindung<br />

109. Mobbing, Begriffsbestimmung, Darlegungs- <strong>und</strong><br />

138<br />

Beweislast<br />

110. Gleichbehandlung, Bewerbungsverfahren, Diskri-<br />

140<br />

minierung 140<br />

111. Abfindung, Steuerabzug<br />

112. Gleichbehandlung, Altersdiskriminierung, gesetz-<br />

140<br />

liche Kündigungsfrist 141<br />

113. Rechtswegzuständigkeit 141<br />

114. Abmahnung, unklarer Erklärungswille, Abmahnungsschreiben<br />

ohne Unterschrift 142<br />

115. Urlaubsanspruch, Elternzeit, Übertragungsanspruch<br />

142<br />

116. Elternzeit, dringender betrieblicher Gr<strong>und</strong><br />

117. Passivrubrum, Berichtigung, Bezeichnungsirrtum,<br />

Partnerschaftsgesellschaft statt GbR, Verbraucher-<br />

142<br />

insolvenz, Aktivlegimitation<br />

118. Werkvertrag, Abgrenzung zum Dienstvertrag, Ar-<br />

142<br />

beitszeugnis als Abnahme<br />

119. Abfindung, sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen,<br />

keine Berücksichtigung als laufende Einkünfte,<br />

Anspruch auf Einbeziehung in die Famili-<br />

143<br />

enversicherung 143<br />

120. Sozialversicherungspflicht bei unwiderruflicher<br />

Freistellung, Beschäftigungsverhältnis, beitrags<strong>und</strong><br />

leistungsrechtlicher Begriff 146<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

121. Streitwert, Eingruppierung 147<br />

122. Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren, allgemeiner<br />

Feststellungsantrag, Vergleichsmehrwert<br />

Freistellung, Rücknahme des Verfahrens vor dem<br />

Integrationsamt 147<br />

90 02/08<br />

Seite<br />

123. Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren, Vergütungsansprüche<br />

neben Kündigungsschutzantrag<br />

148<br />

124. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Änderungskündigung<br />

148<br />

125. Streitwertbeschluss, Rechtsmittelverzicht 148<br />

126. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Vergleichsmehrwert<br />

148<br />

127. Streitwert, Vergütungsansprüche 149<br />

128. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Entfristungsklage<br />

<strong>und</strong> Kündigungsschutz 149<br />

129. Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren 149<br />

130. Streitwert im Beschlussverfahren, Beschwerdeberechtigung<br />

der Partei nur auf Streitwertsenkung,<br />

Eingruppierungsstreitigkeit, mehrere betroffene<br />

Arbeitnehmer 149<br />

131. Streitwert im Beschlussverfahren, Verpflichtung<br />

zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung „flexible<br />

Arbeitszeit“, € 12.000,00 152<br />

132. Streitwert im Beschlussverfahren, mehrere betroffene<br />

Arbeitnehmer Unterlassung Mitbestimmungsrechtsverletzung,<br />

einstweilige Verfügung 153<br />

133. Gegenstandswert, personalvertretungsrechtliche<br />

Beschlussverfahren § 23 Abs. 3 RVG, § 52 Abs. 2<br />

GKG 153<br />

134. Streitwert in Kündigungsschutzverfahren, Vergütungsansprüche<br />

neben Kündigungsschutzantrag 163<br />

135. Streitwert, Beschäftigungsanspruch 154<br />

136. Streitwert, nachvertragliches Wettbewerbsverbot 154<br />

137. Streitwert, Beschlussverfahren, Umgruppierung 155<br />

138. Streitwert, Änderungskündigung 155<br />

139. Gegenstandswert, Beschlussverfahren, Einstellung,<br />

vorläufige personelle Maßnahme, §§ 99,<br />

100 BetrVG 156<br />

140. Streitwert im Beschlussverfahren, Bestellung Vorsitzenden<br />

einer Einigungsstelle 156<br />

141. Vergleich, Kostenverteilung 156<br />

142. Streitwert im Beschlussverfahren, Unterlassung<br />

Mitbestimmungsrechtsverletzung, einstweilige<br />

Verfügung 156<br />

143. Festsetzung, offensichtlich unbegründeter Einwand<br />

157


Allgemeines Vertragsrecht<br />

62. Urlaubsanspruch, einstweilige Verfügung, Ersatzurlaubsanspruch<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... Selbst wenn man den Standpunkt vertritt, die vorgelegte<br />

ärztliche Bescheinigung (welche sich allerdings nicht über die<br />

Art der Tätigkeit verhält, für die der Verfügungskläger wieder<br />

arbeitsfähig ist) sei ausreichend, um die Frage zu bejahen,<br />

ob dem Arbeitgeber die Urlaubserteilung in natura wieder<br />

möglich ist, <strong>und</strong> wenn die Verfügungsbeklagte ihrerseits das<br />

Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit für die geschuldete Leistung<br />

beweisen müsste, konnte der Antrag dennoch keinen<br />

Erfolg haben, weil es nach Ansicht der Kammer auch an einem<br />

Verfügungsgr<strong>und</strong> fehlt.<br />

Zwar ist dem Verfügungskläger zuzugeben, dass Urlaubsansprüche<br />

auch im Wege der einstweiligen Verfügung nach<br />

§§ 935, 940 ZPO geltend gemacht werden können, selbst<br />

wenn die Urlaubsansprüche bei einer stattgebenden Entscheidung<br />

schon endgültig befriedigt werden. Auch ist es zutreffend,<br />

dass in einer so kurzen Zeitspanne, wie sie hier zwischen<br />

dem am 06.02.2008 der Verfügungsbeklagten erst zugegangenen<br />

Urlaubsantrag des Verfügungsklägers <strong>und</strong> der mündlichen<br />

Verhandlung vom 20.02.2008 lag, keine erstinstanzliche<br />

Entscheidung <strong>und</strong> schon gar keine rechtskräftige Entscheidung<br />

nach Durchlaufen mehrerer Instanzen im Hauptsacheverfahren<br />

erwirkt werden kann. Allerdings sind an den Verfügungsgr<strong>und</strong><br />

in den Fällen, in denen bereits eine Befriedigung<br />

des Anspruchs herbeigeführt werden soll (sog. Leistungsverfügung)<br />

strenge Anforderungen an den Verfügungsgr<strong>und</strong> zu<br />

stellen. Dieser ist nur gegeben, wenn besondere Eilbedürftigkeit<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> besteht, dass für den Fall, dass die<br />

einstweilige Verfügung nicht erlassen wird, dauernde Rechtsverluste<br />

drohen. Dies ist hier nicht der Fall.<br />

Im Gegensatz zu den Fallkonstellationen, in denen das<br />

Arbeitsverhältnis bereits gekündigt ist <strong>und</strong> Urlaub nur noch<br />

begrenzt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gewährt werden<br />

kann, oder in denen ein Arbeitnehmer im angekündigten<br />

Arbeitsverhältnis Urlaub für einen bestimmten Zeitraum, z.B.<br />

die Sommerferien, beantragt <strong>und</strong> die Reise bereits gebucht<br />

hat, er also auch dringend in dem begrenzten Zeitraum<br />

auf die Urlaubserteilung angewiesen ist, so dass bei Nichtgewährung<br />

des Urlaubs <strong>und</strong> Versagung der einstweiligen<br />

Verfügung endgültige Rechtsverluste drohen, verhält es sich<br />

vorliegend anders: Zwar erlischt der Urlaub, wenn die Verfügungsbeklagte<br />

ihn dem Verfügungskläger bis zum 31.03.2008<br />

nicht gewährt, mit Ablauf des Übertragungszeitraumes zum<br />

31.03.2008. Diese Rechtsfolge tritt auch dann ein, wenn der<br />

Verfügungsbeklagten die Urlaubsgewährung möglich <strong>und</strong><br />

zumutbar wäre <strong>und</strong> ihre Auffassung, der Verfügungskläger<br />

sei noch nicht wieder arbeitsfähig, unrichtig wäre. Wäre<br />

die Verfügungsbeklagte mit ihrer Auffassung im Unrecht,<br />

so wäre die Geltendmachung des Urlaubsanspruchs mit<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Schreiben des Verfügungsklägers vom 05.02.2008 jedoch<br />

ordnungsgemäß erfolgt <strong>und</strong> nicht ins Leere gegangen, die<br />

Verfügungsbeklagte wäre mit der Urlaubsgewährung ab<br />

dem ersten Tag, an dem diese möglich gewesen wäre, ab<br />

20.02.2008,’in Schuldnerverzug geraten, <strong>und</strong> der Urlaub,<br />

soweit er nicht ohnehin verfallen war, müsste im Umfang<br />

von 41 Kalendertagen als Ersatzurlaubsanspruch unbefristet<br />

nachgewährt werden. Es handelt sich insofern um einen<br />

Schadensersatzanspruch gem. §§ 275 Abs. 1, 280 Abs. 1, 283,<br />

286, 249 BGB, der auf Naturalrestitution gerichtet ist <strong>und</strong> dem<br />

primären Erfüllungsanspruch auf Urlaubsgewährung genau<br />

gleicht. Anders als in den Fällen, in denen das Arbeitsverhältnis<br />

gekündigt ist, muss im Falle der Nichterfüllung des<br />

Primäranspruchs der Arbeitnehmer nicht mit einem Urlaubsabgeltungsanspruch<br />

in Geld Vorlieb nehmen, der inhaltlich<br />

mit dem Erfüllungsanspruch auf Urlaubserteilung in natura<br />

gar nicht vergleichbar ist, zumal ihm keinerlei Erholungswert<br />

mehr zukommt. Auf eine solche Möglichkeit brauchte sich<br />

der Verfügungskläger nicht verweisen zu lassen. Hier entsteht<br />

jedoch, sofern sich herausstellt, dass Urlaub von der Verfügungsbeklagten<br />

zu Unrecht dem Verfügungskläger nicht<br />

ab 20.02.2008 erteilt worden ist, ein genau inhaltsgleicher<br />

Anspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung<br />

in natura in Form des Ersatzurlaubsanspruchs für die noch<br />

offenen 41 Kalendertage aus 2007. Dieser Anspruch ist<br />

auch im Gegensatz zum primären Erfüllungsanspruch nicht<br />

befristet <strong>und</strong> unterliegt nicht den Einschränkungen des § 7<br />

Abs. 3 BUrlG bzw. § 4 Ziffer 7 MTV. Nach alldem drohte<br />

dem Verfügungskläger kein vergleichbarer Rechtsverlust<br />

wie in Fällen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder<br />

des zwingenden Angewiesenseins auf Urlaubserteilung für<br />

einen konkretisierten begrenzten Zeitraum etwa wegen einer<br />

bereits gebuchten Urlaubsreise. Daher war der für den Erlass<br />

der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgr<strong>und</strong><br />

zu verneinen.<br />

■ Arbeitsgericht Oldenburg<br />

vom 20.02.2008, 2 Ga 1/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215556333,<br />

Fax: 0511/215556343<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de<br />

63. Diskriminierung, Bewerbung, kein Anspruch gegen<br />

Personalvermittler<br />

Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche der Klägerin<br />

wegen Benachteiligung im Rahmen von Bewerbungen auf<br />

einen Arbeitsplatz.<br />

Bei der Beklagten handelt es sich um ein Personalberatungsunternehmen,<br />

welches für K<strong>und</strong>en Mitarbeiter im IT-Bereich<br />

sucht.<br />

Mit ihrer Klage vom 24. Juli 2007, eingegangen beim Arbeitsgericht<br />

München am 26. Juli 2007, macht die Klägerin Ent-<br />

91


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

schädigungsansprüche gegen die Beklagte wegen Benachteiligung<br />

im Rahmen des Bewerbungsverfahrens geltend.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

1. Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht ist gemäß § 2 Abs. 1<br />

Nr. 3 C ArbGG eröffnet. Zwar ist strittig, ob es sich bei der<br />

Beklagten um einen Arbeitgeber handelt. Die Klägerin hat<br />

aber behauptet, dass die Beklagte vorliegend durch ihr Tätigwerden<br />

im Bewerbungsprozess die Funktionen eines Arbeitgebers<br />

erfülle. Da der Anspruch der Klägerin nur arbeitsrechtlich<br />

begründet werden kann – nämlich wenn es sich bei<br />

der Beklagten um eine Arbeitgeberin im Sinne des § 15 AGG<br />

handelt – liegt insoweit eine sog. doppelrelevante Tatsache<br />

vor („sicnon“-Fallgestaltung). Die Arbeitgebereigenschaft ist<br />

daher sowohl für die Zulässigkeit als auch die Begründetheit<br />

der Klage von Bedeutung. In entsprechender Anwendung der<br />

Rechtsprechung des BAG zu einer strittigen Arbeitnehmereigenschaft<br />

genügt nach Auffassung der Kammer die Rechtsbehauptung<br />

der Klagepartei, die Beklagte sei Arbeitgeberin, um<br />

die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zu bejahen.<br />

2. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entschädigung in<br />

der geltend gemachten Höhe aus § 15 Abs. 2 AGG.<br />

(1) Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß<br />

§ 15 Abs. 2 AGG ist, dass der Arbeitgeber gegen das sich<br />

aus § 7 Abs. 1 i.V.m. § l AGG ergebende Benachteiligungsverbot<br />

verstößt. Schuldner eines Entschädigungsanspruches<br />

nach dem AGG kann daher nur ein (potenzieller) Arbeitgeber<br />

des Anspruchstellers sein. Zwar erwähnt §.15 Abs. 2 AGG –<br />

anders als § 15 Abs. l AGG – nicht explizit den Arbeitgeber als<br />

Anspruchsgegner, aus § 15 Abs. 4 ergibt sich jedoch eindeutig,<br />

dass sich beide Ansprüche nur gegen den Arbeitgeber<br />

richten können (vgl. Schleusiner/Suckow/Voigt, AGG, S 15,<br />

Rn 26; Däubler/Berzbach, AGG, § 15, Rn 87).<br />

(2) Da die Beklagte als Personalvermittlungsunternehmen<br />

nicht potentielle Arbeitgeberin der Klägerin ist, scheidet ein<br />

Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG bereits aufgr<strong>und</strong><br />

des Fehlens der Arbeitgebereigenschaft bei der Beklagten<br />

aus.<br />

Entgegen der Auffassung der Klägerin übt die Beklagte auch<br />

ihr gegenüber keine Funktionen eines Arbeitgebers aus. Hierfür<br />

wäre beispielsweise erforderlich, dass sie der Klägerin gegenüber<br />

Weisungen hinsichtlich auszuführender Tätigkeiten<br />

im Rahmen ihrer Arbeitsorganisation erteilt sowie die entsprechenden<br />

Löhne oder Gehälter zahlt. Aufgabe der Beklagten ist<br />

aber einzig <strong>und</strong> allein die Rekrutierung von Personal für ihre<br />

Auftraggeber. Dadurch übt sie gegenüber der Klägerin keine<br />

Arbeitgebereigenschaft aus.<br />

■ Arbeitsgericht Müchen<br />

vom 21.12.2007, 3 Ca 10240/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Christian Ostermaier, Brienner<br />

Straße 12a, 80333 München, Tel.: 089/28634445,<br />

Fax: 089/28634400<br />

www.snp-online.de<br />

92 02/08<br />

64. Annahmeverzug, Feststellungsklage, Steuerschaden,<br />

VWL als Bruttoforderung, Verfallfrist, Geltendmachung,<br />

zu kurze Frist<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... I. Die Klageansprüche sind entstanden.<br />

1. Die Beklagte schuldete die Bruttovergütung i.H.v. 5.368,56<br />

Euro/Monat für die Jahre 2003 <strong>und</strong> 2004, insgesamt<br />

128.845,44 Euro, abzüglich des Arbeitslosengeldes gemäß<br />

den §§ 611, 615 BGB. Die Voraussetzungen des<br />

Anspruchs, Bestand des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong> Annahmeverzug<br />

der Beklagten, sind zwischen den Parteien nicht<br />

streitig. Der Zinsanspruch beruht auf § 286 Abs. 1, Abs. 2<br />

Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.<br />

2. Entsprechendes gilt für die vermögenswirksamen Leistungen<br />

i.H.v. 957,12 Euro (24 x 39,88 Euro). Es handelt sich<br />

hierbei um Arbeitsvergütung <strong>und</strong> damit nicht um eine Netto-,<br />

sondern um eine Bruttoforderung. Für die Annahme einer<br />

Nettoforderung fehlt es an schlüssigem Vortrag. Vielmehr<br />

hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich eine Bruttoleistung<br />

festgestellt. Der Kläger konnte auch Zahlung an sich selbst<br />

verlangen, da er den Betrag selbst auf sein Bausparkonto<br />

gezahlt hat. Der Zinsanspruch beruht auf § 291 BGB. Zinsen<br />

werden i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz<br />

geschuldet.<br />

3. Die beanspruchten Beitragszahlungen i.H.v. jeweils<br />

1.758,03 Euro für die Jahre 2003 <strong>und</strong> 2004 stellen ebenfalls<br />

nicht Netto-, sondern Bruttoforderungen dar. Sie sind als<br />

Teil des Bruttoarbeitseinkommens geschuldet, vom Kläger zu<br />

versteuern <strong>und</strong> aus dem sich ergebenden Nettoeinkommen<br />

an die Lebensversicherung abzuführen. Da der Kläger die<br />

Beitragszahlung zur Vermeidung weiterer Schäden selbst<br />

vorgenommen hat, steht ihm der entsprechende Ersatz als<br />

Bruttoanspruch zu.<br />

Gegen die Verurteilung zum Verzugsschadensersatz i.H.v. 2<br />

x 3,60 Euro (abzugsfrei) wegen der Mahngebühren hat die<br />

Beklagte keine Einwendungen erhoben. Der Anspruch ist<br />

nach den §§ 280, 286 BGB gerechtfertigt. Die Zinsforderung<br />

beruht auf § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.<br />

4. Mit dem Feststellungsantrag verlangt der Kläger den<br />

aus der verspäteten Zahlung resultierenden Steuerschaden,<br />

Das entspricht der Antragsbegründung <strong>und</strong> der Erläuterung<br />

durch den Kläger in der Revisionsverhandlung. Der Antrag ist<br />

nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Kläger hat ein rechtliches<br />

Interesse daran, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt<br />

werde. Ein Steuerschaden ist möglich <strong>und</strong> kann erst nach<br />

Zahlung der rückständigen Vergütung beziffert werden. Der<br />

Zahlungsverzug gem. § 286 Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 2 Nr. 3 BGB hängt<br />

allein von dem Verfall oder der Verwirkung der Vergütungsansprüche<br />

ab. Die übrigen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs<br />

sind unstreitig.<br />

II. Die Klageansprüche sind nicht erloschen.<br />

1. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis richtig <strong>und</strong> mit


im Wesentlichen zutreffender Begründung erkannt, dass die<br />

Ansprüche nicht verfallen sind.<br />

Der Kläger hat die Verfallfrist in Nr. 10.1 des Arbeitsvertrags<br />

gewahrt. Die im Oktober 2002 erhobene Kündigungsschutzklage<br />

wurde der geforderten Schriftform gerecht <strong>und</strong> beinhaltete<br />

die wirksame Geltendmachung der Ansprüche aus<br />

Annahmeverzug. Die Beklagte musste erkennen, dass der<br />

Kläger nicht nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern<br />

auch die durch die Kündigung bedrohten regelmäßig<br />

fällig werdenden Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis<br />

sichern wollte (vgl. nur Senat 26. April 2006 – 5 AZR 403/05<br />

BAGE 118, 60, 62 m.w.N zur ständigen Rechtsprechung des<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts). Das betrifft die monatlich zu zahlende<br />

Vergütung einschl. der vermögenswirksamen Leistungen<br />

ebenso wie die jährliche Beitragszahlung zur Lebensversicherung<br />

des Klägers. Es bedurfte in diesem Zusammenhang<br />

nicht regelmäßiger Geltendmachungsakte jeweils nach Eintritt<br />

der Fälligkeit.<br />

b) Ein Verfall der Annahmeverzugsansprüche ist nicht auf<br />

Gr<strong>und</strong> der weiteren Verfallfrist in Nr. 10.2 des Arbeitsvertrags<br />

eingetreten.<br />

aa) Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger diese Frist<br />

gewahrt hat (vgl. Senat, 26. April 2006 – 5 AZR 403/05 – BAGE<br />

118, 60, 63 f.).<br />

bb) Das Unterbleiben der rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung<br />

ist jedenfalls unschädlich. Die Bestimmung der<br />

Nr. 10.2 des Arbeitsvertrags ist gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />

insgesamt unwirksam <strong>und</strong> findet keine Anwendung. Vielmehr<br />

gilt nach § 306 Abs. 2 BGB allein das gesetzliche Verjährungsrecht.<br />

(1) Bei Nr. 10.2 des Arbeitsvertrags handelt es sich unstreitig<br />

um von der Arbeitgeberin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />

i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB.<br />

(2) Die Bestimmung stellt eine von Rechtsvorschriften abweichende<br />

Regelung dar (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB); denn<br />

gesetzlich bleiben Ansprüche abgesehen von einer Verwirkung<br />

(§ 242 BGB) erhalten <strong>und</strong> sind nur im Rahmen des<br />

Verjährungsrechts geltend zu machen. Die Klausel entspricht<br />

auch nicht einer tariflichen Bestimmung oder anderen Norm<br />

i.S.d. § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB, die auf das Arbeitsverhältnis der<br />

Parteien unmittelbar Anwendung finden kann (vgl. Senat, 25.<br />

Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19, 22; 28. September<br />

2005 – 5 AZR 52/05 – BAGE 116, 66, 71, 72 f.).<br />

(3) Die Bestimmung ist gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.<br />

Die Frist für die gerichtliche Geltendmachung ist<br />

mit zwei Monaten unangemessen kurz. Eine einzelvertragliche<br />

Ausschlussfrist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen,<br />

welche die gerichtliche Geltendmachung aller Ansprüche aus<br />

dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Frist von weniger als<br />

drei Monaten ab Fälligkeit verlangt, benachteiligt den Vertragspartner<br />

des Verwenders unangemessen entgegen den<br />

Geboten von Treu <strong>und</strong> Glauben (Senat, 25. Mai 2005 –5AZR<br />

572/04 – BAGE 115, 19, 26 f.). Sie ist mit wesentlichen Gr<strong>und</strong>gedanken<br />

des gesetzlichen Verjährungsrechts nicht zu ver-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

einbaren (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) <strong>und</strong> schränkt wesentliche<br />

Rechte, die sich aus der Natur des Arbeitsvertrags ergeben,<br />

so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist<br />

(§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). An dieser Rechtsprechung (vgl. dazu<br />

ausführlich Senat, 28. September 2005 – 5 AZR 52/05 – BAGE<br />

116, 66, 73 ff.) hält der Senat fest.<br />

(4) Die Unwirksamkeit der Ausschlussklausel führt auch unter<br />

Berücksichtigung der Besonderheiten bei Altverträgen zu<br />

ihrem ersatzlosen Wegfall bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags<br />

im Übrigen (§ 306 Abs. 1 <strong>und</strong> 2 BGB).<br />

Sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />

unwirksam, ist nach § 306 Abs. 2 BGB das (dispositive) Gesetz<br />

maßgebend. Ist der Gegenstand der unwirksamen Vereinbarung,<br />

nicht gesetzlich geregelt, kommt es darauf an, ob ein ersatzloser<br />

Wegfall der unwirksamen Klausel eine sachgerechte<br />

Lösung darstellt. Scheidet diese Möglichkeit aus, ist zu prüfen,<br />

ob nach den anerkannten Gr<strong>und</strong>sätzen der ergänzenden Vertragsauslegung<br />

eine Ersatzregelung gef<strong>und</strong>en werden kann<br />

(Senat, 25. April 2007 – 5 AZR 627/06 – Rn 26, AP BGB § 308<br />

Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 20 m.w.N).<br />

Eine sog. geltungserhaltende Reduktion ist im Recht der<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen nicht vorgesehen (Senat,<br />

28. September 2005 -5 AZR 52/05 – BAGE 116, 66, 76; 25.<br />

Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE 115, 19, 27; BAG, 4. März<br />

2004 – 8 AZR 196/03 – BAGE 110, 8, 26; BGH, 17. Mai 1982 –<br />

VIIZR 316/81 – BGHZ84, 109, 116; 25. Juni 2003 – VIHZR<br />

344/02 – NJW2003, 2899 f., zu II2 der Gründe). Der Gesetzgeber<br />

hat sich mit Art. 229 § 5 EGBGB für die Anwendbarkeit<br />

der §§ 305 ff. BGB auch auf Verträge entschieden, die bei<br />

ihrem Abschluss noch nicht dem Anwendungsbereich des<br />

Rechts Allgemeiner Geschäftsbedingungen unterfielen. Durch<br />

die Überleitungsvorschrift war den Arbeitsvertragsparteien<br />

ein zeitlicher Spielraum eröffnet, sich auf die geänderte rechtliche<br />

Lage einzustellen. Die Vertragsparteien können nicht<br />

davon ausgehen, dass die rechtliche Beurteilung einzelner<br />

Vertragsregelungen während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses<br />

unverändert bleibt. Ein etwaiges Vertrauen<br />

des Verwenders darauf, zu kurze <strong>und</strong> damit unwirksam gewordene<br />

Ausschlussfristen würden generell auf das gerade<br />

noch zulässige Maß verlängert, wäre nicht berechtigt <strong>und</strong><br />

nicht schützenswert.<br />

Der Senat hat darüber hinaus bei Altverträgen zur Schließung<br />

der sich aus der Anwendung des AGB-Rechts ergebenden<br />

Lücken auf die ergänzende Vertragsauslegung zurückgegriffen,<br />

weil die Klausel nur deshalb unwirksam war, weil sie in<br />

formeller Hinsicht den neuen Anforderungen nicht genügte<br />

(vgl. 11. Oktober 2006 – 5 AZR 721/05 – Rn 34, AP BGB<br />

§ 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; 12. Januar 2005 –<br />

5 AZR 364/04 – BAGE 113, 140, 147 f.). Die ergänzende Vertragsauslegung<br />

bietet die Möglichkeit einer flexiblen Korrektur,<br />

wenn der Wegfall der unwirksamen Klausel sich nicht<br />

durch dispositives Gesetzesrecht füllen lässt <strong>und</strong> zu einem<br />

Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht in<br />

vertretbarer Weise Rechnung trägt. Sie setzt voraus, dass<br />

93


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

die Gesetzeslage ohne eine Ergänzung des Vertrags keine<br />

angemessene, den typischen Interessen der Vertragsparteien<br />

Rechnung tragende Lösung bietet. An die Stelle der Klausel<br />

tritt die Gestaltung, die die Parteien bei einer angemessenen<br />

Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn<br />

ihnen die Unwirksamkeit der Geschäftsbedingung bekannt<br />

gewesen wäre (Senat, 25. April 2007 – 5 AZR 627/06 – Rn 26,<br />

AP BGB § 308 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 20; 11. Oktober<br />

2006 – 5AZR 721/05 – a.a.O; BGH 4. Juli 2002 – VIIZR 502/99 –<br />

BGHZ 151, 229, 234; 13. November 1997 – IX ZR 289/96 –<br />

BGHZ137, 153, 157). Das ist nicht etwa stets die Regelung,<br />

die der AGB-Kontrolle gerade noch gerecht wird.<br />

Die dargestellten Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung<br />

sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Unwirksamkeit<br />

der beanstandeten Klausel lässt den Regelungsplan<br />

der Parteien nicht als vervollständigungsbedürftig erscheinen.<br />

Anders als etwa bei der Unwirksamkeit eines vereinbarten<br />

Widerrufsvorbehalts (Senat, 12. Januar 2005 –5AZR<br />

364/04 – BAGE 113, 140) bietet das Gesetz hier eine angemessene<br />

Lösung, die den typischen Interessen der Vertragspartner<br />

Rechnung trägt. Der mit der Ausschlussfrist verfolgte<br />

Zweck, Rechtsfrieden <strong>und</strong> Rechtssicherheit herzustellen, wird<br />

durch die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGS erreicht.<br />

Zwar hat der Ablauf der Ausschlussfrist rechtsvernichtende<br />

Wirkung <strong>und</strong> ist von Amts wegen zu berücksichtigen,<br />

während die Verjährung dem Schuldner eine Einrede<br />

gibt <strong>und</strong> damit nur die Durchsetzung der rechtlich fortbestehenden<br />

Forderung hindert. Doch sowohl Ausschluss- als<br />

auch Verjährungsfristen begrenzen die Möglichkeit, das Recht<br />

durchzusetzen, indem sie ein Tätigwerden des Anspruchsinhabers<br />

verlangen. Sie sind Ausdruck des vom Gesetzgeber<br />

verfolgten Ziels, Rechtsfrieden herzustellen, <strong>und</strong> bezwecken<br />

einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz des<br />

Schuldners vor einer drohenden Beweisnot <strong>und</strong> möglichem<br />

Verlust von Regressansprüchen gegen Dritte einerseits <strong>und</strong><br />

der Notwendigkeit, den Gläubiger vor einem ungerechtfertigten<br />

Anspruchsverlust zu bewahren, andererseits. Ausschlussklauseln<br />

stellen angesichts der Verjährungsregelungen auch<br />

keine zwingend gebotene arbeitsrechtliche Besonderheit dar.<br />

Zahlreiche Arbeitsverträge kommen ohne sie aus. Die Verjährungsfrist<br />

von drei Jahren nach § 195 BGB ist angemessen<br />

lang, im Fall der Unwirksamkeit einer Verfallklausel dem Bedürfnis<br />

der Parteien nach Rechtssicherheit <strong>und</strong> Rechtsklarheit<br />

zu genügen (vgl. Senat, 28. September 2005 – 5 AZR 52/05 –<br />

BAGE 116, 66, 77; 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 – BAGE<br />

115, 19, 27t). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um<br />

einen Neu- oder einen Altvertrag handelt. Der Umstand, dass<br />

die §§ 305 ff. BGB bei Vertragsschluss nicht berücksichtigt<br />

werden konnten, begründet keine Notwendigkeit einer ergänzenden<br />

Vertragsauslegung.<br />

Im Übrigen vermag der Senat die Auffassung der Revision<br />

nicht zu teilen, die ergänzende Vertragsauslegung ergäbe<br />

eine dreimonatige Ausschlussfrist. Näher liegt es, dass die Be-<br />

94 02/08<br />

klagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin unter Geltung des § 307<br />

BGB <strong>und</strong> bei Berücksichtigung der im Jahre 2002 hierzu vertretenen<br />

Auffassungen eine Vertragsklausel mit einer sechsmonatigen<br />

Ausschlussfrist verwendet hätte, um auf der „sicheren<br />

Seite“ zu sein. Die Kenntnis der Rechtsprechung aus<br />

dem Jahre 2005 darf im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung<br />

nicht unterstellt werden. Ebenso bestehen keine<br />

Anhaltspunkte dafür, die Parteien hätten eine individuelle<br />

Vertragsklausel ausgehandelt.<br />

(5) Danach kann dahinstehen, ob Nr. 10.2 des Arbeitsvertrags<br />

den Kläger auch deshalb gem. § 307 BGB unangemessen<br />

benachteiligt, weil nach dieser Klausel auch die vom Ausgang<br />

eines noch laufenden Rechtsstreits abhängigen Ansprüche<br />

bereits gerichtlich geltend gemacht werden müssen.<br />

c) Mit den Zahlungsansprüchen bestand weiterhin die<br />

Gr<strong>und</strong>lage für einen Schadensersatzanspruch wegen verspäteter<br />

Zahlung. einer schriftlichen Geltendmachung des<br />

Schadensersatzanspruchs bedurfte es nicht. Dieser Anspruch<br />

wird frühestens mit dem Zufluss der verspäteten Zahlung<br />

bezifferbar <strong>und</strong> damit fällig im Sinne der Ausschlussfrist.<br />

2. Die Ansprüche sind nicht verwirkt.<br />

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, es fehle jedenfalls<br />

an dem sog. Umstandsmoment einer Verwirkung.<br />

Der Arbeitgeber könne nicht ohne besondere entgegenstehende<br />

Anhaltspunkte davon ausgehen, dass ein Arbeitnehmer<br />

das Bestandsschutzverfahren führe, um lediglich „formal“<br />

den Bestand seines Arbeitsverhältnisses zu erhalten, ohne aus<br />

dem Fortbestand Ansprüche auf Vergütungszahlung herleiten<br />

zu wollen. Solche Anhaltspunkte seien weder vorgetragen<br />

noch ersichtlich.<br />

b) Hiergegen bringt die Revision nichts Erhebliches vor. Sie<br />

räumt vielmehr sogar ein, dass der Kläger die Ansprüche<br />

durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage geltend gemacht<br />

hat. Einer weiteren Geltendmachung bedurfte es unter<br />

dem Gesichtspunkt der Verwirkung nicht. Damit ist schon<br />

das sog. Zeitmoment nicht erfüllt. Es spielt keine Rolle, dass<br />

<strong>und</strong> aus welchen Gründen der Kläger die Zahlungsansprüche<br />

nicht eingeklagt hat. Eine sog. Prozesswirkung liegt nicht<br />

vor.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 28.11.2007, 5 AZR 992/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Christian Zapp, Westerhellweg<br />

68, 44137 Dortm<strong>und</strong>, Tel.: 0231/9144600,<br />

Fax: 0231/91446025<br />

kanzlei@vogel-zapp.de; www.vogel-zapp.de<br />

65. Günstigkeitsvergleich, Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. ... Die „Betriebsvereinbarung Allgemeine Anstellungsbedingungen<br />

vom 01.03.2005“ sowie die „Betriebsvereinbarung<br />

Gehaltsr<strong>und</strong>e 2007“ sind hinsichtlich der von der Klägerin begehrten<br />

Lohnerhöhung auf das Arbeitsverhältnis der Kläge-


in (zur Zeit) nicht anzuwenden, da die günstigeren alten arbeitsvertraglich<br />

vereinbarten allgemeinen Anstellungsbedingungen<br />

vorgehen.<br />

a) Zwischen einer Betriebsvereinbarung <strong>und</strong> einem Einzelarbeitsvertrag<br />

gilt das Günstigkeitsprinzip, welchem als<br />

Schutzprinzip <strong>und</strong> als Ausdruck der Privatautonomie bzw.<br />

der allgemeinen Handlungsfreizeit aus Art. 2 Abs. 1 GG für<br />

die gesamte Arbeitsrechtsordnung besondere Bedeutung<br />

zukommt. Danach gehen günstigere einzelarbeitsvertragliche<br />

Regelungen einer Betriebsvereinbarung stets vor. Lediglich<br />

entgegenstehende schlechtere Bedingungen des Einzelarbeitsvertrages<br />

treten gegenüber den neuen einer Betriebsvereinbarung<br />

zurück. Zur Feststellung der günstigeren<br />

Regelung ist anhand eines objektiven Beurteilungsmaßstabes<br />

ein individueller Günstiqkeitsvergleich anzustellen (vgl. statt<br />

aller: Däubler/Kittner/Klebe-Berg, 9. Auflage, 2004, § 77 Rz 19).<br />

Es erfolgt also kein kollektiver Günstigkeitsvergleich aller<br />

betroffenen Arbeitsnehmer. Entscheidungserheblich ist allein<br />

die individuelle Günstigkeit für den einzelnen Arbeitnehmer<br />

(vgl. BAG, Urteil vom 28.03.2000, 1 AZR 366/99, AP Nr. 83 zu<br />

§ 77 BetrVG 1972, unter II.2. sowie LAG Schleswig-Holstein,<br />

Urteil vom 28.03.2007, 3 Sa 463/06, zitiert nach juris, unter<br />

4. b).<br />

Daher ist hier ein Günstigkeitsvergleich nicht für die Gesamtheit<br />

der Belegschaft durchzuführen (d.h., ob die unterschiedlichen<br />

Regelungen für die Gesamtheit der Arbeitnehmer insgesamt<br />

günstiger ist), sondern allein für die Klägerin.<br />

b) Nach diesem individuellen Günstigkeitsvergleich ist für<br />

die Klägerin jedoch die Anwendung der alten arbeitsvertraglich<br />

vereinbarten allgemeinen Anstellungsbedingungen günstiger<br />

als die Anwendung der „Betriebsvereinbarung Allgemeine<br />

Anstellungsbedingungen vom 01.03.2005“ <strong>und</strong> die Anwendung<br />

der „Betriebsvereinbarung Gehaltsr<strong>und</strong>e 2007“.<br />

Bei Anwendung der alten arbeitsvertraglich vereinbarten allgemeinen<br />

Anstellungsbedingen erzielt die Klägerin nämlich<br />

im Hinblick auf das zusammengerechnete monatliche Gehalt<br />

<strong>und</strong> die Jahressonderzuwendung insgesamt eine höhere Vergütung,<br />

als wenn die arbeitsvertraglich vereinbarten allgemeinen<br />

Anstellungsbedingungen zur Anwendung kommen.<br />

Entgegen der Ansicht der Klägerin <strong>und</strong> der Ansicht der<br />

Beklagten folgend ist der individuelle Günstigkeitsvergleich<br />

dabei zwischen der Summe aus dem zusammengerechneten<br />

Gehalt <strong>und</strong> der Jahreszuwendung nach den alten arbeitsvertraglichen<br />

allgemeinen Anstellungsbedingen auf der einen<br />

Seite <strong>und</strong> zwischen dem Gehalt inklusive Gehaltserhöhung<br />

<strong>und</strong> der (reduzierten) Jahressonderzuwendung nach der „Betriebsvereinbarung<br />

Allgemeinen Anstellungsbedingen vom<br />

01.03.2005“ i.V.m. der „Betriebsvereinbarung Gehaltsr<strong>und</strong>e<br />

2007“ auf der anderen Seite durchzuführen.<br />

Dabei ist kein Gesamtvergleich vorzunehmen, d.h. nicht die<br />

Gesamtheit der jeweils konkurrierenden Regelungen ist miteinander<br />

zu vergleichen (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Urteil<br />

vom 28.03.2007, 3 Sa 463/06, zitiert nach juris, unter 4. c)), son-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

dern es erfolgt ein Vergleich nach einem Sachgruppenprinzip<br />

(Däubler a.a.O.).<br />

Im Rahmen des Sachgruppenvergleiches sind dabei die in<br />

einem inneren Zusammenhang stehenden Teilkomplexe der<br />

unterschiedlichen Regelungen zu vergleichen. Beim Vergleich<br />

von unterschiedlichen Leistungen kommt es darauf an, ob<br />

diese funktional äquivalent sind. Ist dies nicht der Fall, ist ein<br />

Günstigkeitsvergleich regelmäßig nicht möglich. Ein Günstigkeitsvergleich<br />

scheidet daher insbesondere aus, wenn die zu<br />

vergleichenden Leistungen mit .unterschiedlichen Gegenleistungen<br />

verb<strong>und</strong>en sind (vgl. BAG, 1 AZR 148/03, Urteil vom<br />

27.01.2004, AP Nr. 166 zu § 112 BetrVG 1972, unter ll. 2. b) aa)<br />

sowie LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 11.07.2007, 6 Sa<br />

466/06, zitiert nach juris, unter 1. a)).<br />

Folglich ist hier nicht die Gesamtheit der arbeitsvertraglich<br />

vereinbarten allgemeinen Anstellungsbedingungen mit der<br />

Gesamtheit der Regelungen der Betriebsvereinbarung „Allgemeine<br />

Anstellungsbedingen vom 01.03.2005“ i.V.m. der<br />

„Betriebsvereinbarung Gehaltsr<strong>und</strong>e 2007“ zu vergleichen.<br />

Vielmehr ist für den Günstigkeitsvergleich im Einzelfall<br />

einzugrenzen, welche Regelungen im Arbeitsvertrag <strong>und</strong><br />

den alten Anstellungsbedingungen <strong>und</strong> welche Regelungen<br />

in den neuen Betriebsvereinbarungen in einem sachlichen<br />

Zusammenhang stehen <strong>und</strong> miteinander verglichen werden<br />

können. Dabei sind gr<strong>und</strong>sätzlich die sachlich entsprechenden<br />

Regelungen miteinander zu vergleichen. Maßgebend<br />

für die sachliche Entsprechung ist vor allem, ob die Bestimmungen<br />

denselben Gegenstand betreffen, hilfsweise die<br />

Verkehrsanschauung. So gehören Dauer des Urlaubs, Länge<br />

der Arbeitszeit <strong>und</strong> Höhe des Urlaubsgeldes zusammen,<br />

ebenso tariflicher Gr<strong>und</strong>lohn <strong>und</strong> Lohnzuschläge (BAG, Urteil<br />

vom 23.05.1984, 4 AZR 129/82, AP Nr. 9 zu § 339 BGB sowie<br />

LAG, Urteil vom 28.03.1007, a.a.O.). Jahressonderzuwendungen<br />

werden nicht in einen Günstigkeitsvergleich mit der<br />

monatlichen Vergütung einbezogen, wenn sie für den Fall<br />

des Ausscheidens bis zu einem bestimmten Stichtag des Folgejahres<br />

unter einer Rückzahlungsbedingung stehen, da die<br />

Vergütungsansprüche gr<strong>und</strong>sätzlich bedingungslos erworben<br />

werden. In einem solchen Fall sind die Lohnansprüche <strong>und</strong> die<br />

Sonderzuwendungsansprüche nämlich von unterschiedlichen<br />

Gegenleistungen abhängig: Die Lohnansprüche hängen<br />

ausschließlich von der Erbringung der Arbeitsleistung ab, die<br />

Sonderzuwendungsansprüche verlangen hingegen auch eine<br />

bestimmte Betriebstreue. Dann scheidet die Bildung einer<br />

Sachgruppe zwischen Sonderzuwendung <strong>und</strong> Vergütung <strong>und</strong><br />

die Vergleichbarkeit der daraus resultierenden Gesamtbezüge<br />

mangels gleichwertiger Leistung aus (LAG a.a.O. unter f) sowie<br />

LAG Hamm, Urteil vom 11.05.2006, 8 Sa 2088/05, zitiert nach<br />

juris, unter II. 1. c) (5)).<br />

Ein Sachgruppenvergleich kann jedoch durchgeführt werden,<br />

wenn sowohl der Lohn als auch eine Gratifikationsleistung allein<br />

als Gegenleistung für die erbrachte Arbeit gezahlt werden<br />

(LAG Hamm a.a.O.).<br />

Danach hat hier der Günstigkeitsvergleich nicht getrennt zum<br />

95


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

einen auf der Ebene der monatlichen Vergütung <strong>und</strong> zum anderen<br />

auf der Ebene der Jahressonderzuwendung zu erfolgen.<br />

Vielmehr hat der Günstigkeitsvergleich zwischen den zusammengerechneten<br />

monatlichen Vergütungen <strong>und</strong> der Jahressonderzuwendung<br />

(zum einen aus den arbeitsvertraglich vereinbarten<br />

allgemeinen Anstellungsbedingungen <strong>und</strong> zum anderen<br />

aus der „Betriebsvereinbarung Allgemeine Anstellungsbedingungen<br />

vom 01.03.2005“ i.V.m. der „Betriebsvereinbarung<br />

Gehaltsr<strong>und</strong>e 2007“) zu erfolgen. Die monatliche Vergütung<br />

<strong>und</strong> die Jahressonderzahlung stehen als Äquivalent<br />

für die Arbeitsleistung der Klägerin in einem inneren Zusammenhang.<br />

Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei<br />

der monatlichen Vergütung <strong>und</strong> bei der Jahressonderzahlung<br />

um funktional äquivalent anzusehende Leistungen, so dass<br />

ein Sachgruppenvergleich nicht getrennt auf beiden Ebenen<br />

durchzuführen ist, sondern für die Summe der Jahressonderzahlung<br />

<strong>und</strong> der monatlichen Vergütung zusammen.<br />

Die von der Klägerin bezogene Jahressonderzuwendung wird<br />

nämlich allein für die tatsächliche Arbeitsleistung bzw. das<br />

tatsächliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses gezahlt. Es gibt<br />

keine Anbindung an eine Betriebstreue, insbesondere keine<br />

Rückzahlungsklausel bei vorzeitigem Ausscheiden. In einem<br />

Parallelverfahren der Parteien hat das Landesarbeitsgericht<br />

Niedersachsen (dieselben arbeitsvertraglichen Regelungen<br />

betreffend) insofern ausdrücklich ausgeführt:<br />

„... dass es sich bei der in § 8 der Anstellungsbedingung geregelten<br />

Jahressonderzahlung um einem Vergütungsbestandteil<br />

handelt, der in das vertragliche Austauschverhältnis von<br />

Vergütung <strong>und</strong> Dienstleistung eingeb<strong>und</strong>en ist. Die Regelung,<br />

dass die Zuwendung im Ein- <strong>und</strong> Austrittsjahr anteilig gezahlt<br />

wird, verdeutlicht, dass es sich um einen Vergütungsbestandteil<br />

handelt, der in den jeweiligen Abrechnungsmonaten verdient<br />

<strong>und</strong> nur aufgespart an den Fälligkeitsterminen ausgezahlt<br />

wird. ...“ (LAG Niedersachsen, Urteil vom 16.11.2006, 4<br />

Sa 596/06 unter 11.2.).<br />

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener<br />

Prüfung vollumfänglich an.<br />

Da die Summe aus beiden Leistungen ausgehend von<br />

den arbeitsvertraglich vereinbarten alten allgemeinen Anstellungsbedingungen<br />

höher liegt als bei Anwendung der<br />

„Betriebsvereinbarung Allgemeine Anstellungsbedingungen<br />

vom 01.03.2005“ <strong>und</strong> der „Betriebsvereinbarung Gehaltsr<strong>und</strong>e<br />

2007“, führt der Günstigkeitsvergleich deshalb dazu, dass die<br />

Anwendung der alten allgemeinen Anstellungsbedingungen<br />

für die Klägerin individuell günstiger ist.<br />

■ Arbeitsgericht Hannover<br />

vom 19.09.2007, 5 Ca 106/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Peter Schrader, Podbielskistraße<br />

33, 30163 Hannover, Tel.: 0511/215556333,<br />

Fax: 0511/215556343<br />

kanzlei@neef-schrader-straube.de<br />

96 02/08<br />

66. Zielvereinbarung, unterlassene<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... III. Hat sich der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag verpflichtet,<br />

dem Arbeitnehmer unter der Bedingung einen Bonus<br />

zu zahlen, dass dieser die vereinbarten Ziele erreicht, <strong>und</strong><br />

kommt eine Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien über<br />

die vom Arbeitnehmer innerhalb einer Zielperiode zu erreichenden<br />

Ziele nicht zustande, ist in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur<br />

umstritten, unter welchen Voraussetzungen <strong>und</strong> in welcher<br />

Höhe dem Arbeitnehmer ein Bonus zusteht oder dieser<br />

Anspruch auf Schadensersatz hat.<br />

1. Weitgehend Einigkeit besteht allerdings darüber, dass<br />

allein das Fehlen einer Zielvorgabe oder Zielvereinbarung<br />

noch nicht stets dazu führt, dass der Arbeitnehmer den<br />

Bonus nicht beanspruchen kann (vgl. BSG, 23. März 2006<br />

– B11a AL 29/05 R – NZA -RR 2007, 101; BGH, 9. Mai 1994 –<br />

IIZR 128/93 – ZIP 1994, 1017; LAG Köln, 1. September 2003 –<br />

2 Sa 471/03 -; Mauer, NZA 2002, 540, 547; Schmiedl, BB 2004,<br />

329, 330; a.A. für den Fall, dass der Arbeitnehmer nicht zum<br />

Abschluss der konkreten Zielvereinbarung aufgefordert hat:<br />

Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882, 883; Berwanger, BB 2003,<br />

1499, 1503; Deich, S. 266; für den Fall, dass eine Einigung<br />

auf ein Ziel nicht möglich ist: Bauer, FA 2002, 295, 296).<br />

Ansonsten hätte es der Arbeitgeber in der Hand, durch<br />

die Verweigerung einer Zielvereinbarung den Anspruch des<br />

Arbeitnehmers auf den Bonus zu beseitigen. Eine derartige<br />

Möglichkeit widerspräche dem Gr<strong>und</strong>satz, dass vorbehaltlos<br />

vereinbarte Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers vom<br />

Arbeitgeber nicht einseitig geändert oder widerrufen werden<br />

können (BSG, 23. März 2006 – B11a AL 29/05 R – a.a.O.).<br />

2. Die Arbeitsvertragsparteien können allerdings eine<br />

Rahmenvereinbarung über Zielvereinbarungen gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

stillschweigend aufheben <strong>und</strong> damit bewusst von der<br />

Festlegung von Zielen absehen. Dies kann insbesondere<br />

dann anzunehmen sein, wenn ein in Aussicht gestellter<br />

Bonus im Vergleich zur nicht erfolgsabhängigen Vergütung<br />

des Arbeitnehmers gering <strong>und</strong> der Arbeitnehmer während<br />

mehrerer Zielperioden die vereinbarten Ziele deutlich verfehlt<br />

hat. In einem solchen Fall kann die unterb<strong>liebe</strong>ne Festlegung<br />

von Zielen trotz des damit verb<strong>und</strong>enen Verzichts<br />

auf den in Aussicht gestellten Bonus auch im Interesse<br />

des Arbeitnehmers liegen, wenn dieser z.B. befürchtet, der<br />

Arbeitgeber könnte an seinen Leistungen zweifeln oder gar<br />

das Arbeitsverhältnis auf Gr<strong>und</strong> einer Minderleistung beenden<br />

wollen, wenn er vereinbarte Ziele wieder nicht erreicht (zur<br />

Zulässigkeit arbeitsrechtlicher Maßnahmen bei Nichterreichen<br />

vereinbarter Leistungsziele vgl. Pfänder, ZTR 2002, 402, 405).<br />

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor.<br />

IV. Nach einer in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur vertretenen<br />

Auffassung soll bei einer unterb<strong>liebe</strong>nen Aufstellung von<br />

Zielen die Festlegung der Ziele bei Zielvorgaben gemäß § 315<br />

Abs. 3 Satz 2 BGB <strong>und</strong> bei Zielvereinbarungen in analoger<br />

Anwendung dieser Vorschrift durch Urteil erfolgen (vgl.


Hessisches LAG, 29. Januar 2002 – 7 Sa 836/01 – AiB 2002,<br />

575; ArbG Düsseldorf, 13. August 2003 – 10 Ca 10348/02 –<br />

DB 2004, 1103; Küttner/Griese, Personalbuch 2006, Stichwort<br />

Zielvereinbarung, Rn 14; Mauer, a.a.O.; Brors, RdA 2004,<br />

273, 277; Riesenhuber/von Steinau-Steinrück, NZA 2005, 7<strong>85</strong>,<br />

791; Behrens/Rinsdorf, NZA 2006, 830, 835; dies. FS ARGE<br />

Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein S. 449, 466 für den<br />

Fall unwirksamer Zielvorgaben gegenüber Vorständen). § 315<br />

Abs. 1 BGB regelt, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen<br />

zu treffen ist, wenn die Leistung durch einen Vertragsschließenden<br />

bestimmt werden soll. Entspricht die getroffene<br />

Bestimmung nicht der Billigkeit, so wird sie nach § 315 Abs. 3<br />

Satz 2 1. Alt. BGB durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt<br />

gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 2. Alt. BGB, wenn die Bestimmung<br />

verzögert wird. Zur Begründung der direkten oder analogen<br />

Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB wird vielfach auf<br />

eine Entscheidung des B<strong>und</strong>esgerichtshofs zur Bestimmung<br />

der Bemessungsgr<strong>und</strong>lage einer Tantieme zurückgegriffen,<br />

wenn diese entgegen der vertraglichen Abrede nicht „erarbeitet“<br />

wurde (9. Mai 1994 – IIZR 128/93 – ZIP 1994, 1017).<br />

Dem Arbeitgeber wird bei Zielvorgaben dabei allerdings<br />

zum Teil auch dann noch das Leistungsbestimmungsrecht<br />

zugestanden, wenn die Zielperiode bereits abgelaufen <strong>und</strong><br />

wegen der Bonuszahlung ein Rechtsstreit anhängig ist (LAG<br />

Düsseldorf, 29. Oktober 2003 – 12 Sa 900/03; Annuß, NZA<br />

2007, 290, 295). Ob bei unterb<strong>liebe</strong>nen Zielvorgaben das<br />

Gericht die Ziele gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB auch nach<br />

Ablauf der Zielperiode noch zu bestimmen hat, ist hier nicht<br />

zu entscheiden. Bei unterb<strong>liebe</strong>nen Zielvereinbarungen sind<br />

nach Ablauf der Zielperiode die Ziele <strong>und</strong> deren Gewichtung<br />

nicht in entsprechender Anwendung von § 315 Abs. 3 Satz 2<br />

BGB durch Urteil festzulegen.<br />

1. Haben die Arbeitsvertragsparteien vereinbart, die Ziele<br />

<strong>und</strong> deren Gewichtung gemeinsam aufzustellen, entspricht<br />

es nicht ihrem Willen, dass die Ziele durch einen der Vertragsschließenden<br />

allein bestimmt werden. Die in § 315 Abs. 3<br />

Satz 2 BGB geregelte richterliche Ersatzleistungsbestimmung<br />

ist nicht für eine allgemeine richterliche Vertragshilfe nutzbar<br />

zu machen. Die Vertragshilfe des § 315 BGB greift nur dort,<br />

wo die Parteien das vereinbart haben, sich also autonom<br />

der richterlichen Schlichtung durch Ersatzleistungsbestimmung<br />

unterworfen haben (Staudinger/Rieble, BGB (2001)<br />

§ 315 Rn 46; Riesenhuber/von Steinau-Steinrück, NZA 2005,<br />

7<strong>85</strong>, 792; Schmiedl, BB 2004, 329, 331). Dies ist bei einer<br />

Rahmenvereinbarung, die regelt, dass die Ziele <strong>und</strong> deren<br />

Gewichtung gemeinsam festgelegt werden, nicht der Fall.<br />

2. Eine Festsetzung von Zielen nach Ablauf der Zielperiode<br />

durch Urteil wird auch dem Motivationsgedanken nicht gerecht,<br />

der für Zielvereinbarungen maßgebend ist. Zweck von<br />

Zielbonussystemen ist die Förderung der Mitarbeitermotivation.<br />

Der für den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus als<br />

zusätzliche Vergütung dient als Anreiz. Diese Funktion kann<br />

ein an das Erreichen von Zielen geknüpfter Bonus nur erfüllen,<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

wenn der Arbeitnehmer die von ihm zu verfolgenden Ziele<br />

bereits bei Ausübung seiner Tätigkeit kennt.<br />

3. Es kommt hinzu, dass die nachträgliche Ermittlung angemessener,<br />

fallbezogener Ziele durch die Gerichte angesichts<br />

der Vielzahl <strong>und</strong> der unterschiedlichen Gewichtung möglicher<br />

Ziele <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> sich ständig ändernder Rahmenbedingungen<br />

in der Regel zumindest mit erheblichen Schwierigkeiten<br />

verb<strong>und</strong>en oder überhaupt nicht möglich ist. Die Arbeitsvertragsparteien<br />

können Unternehmensziele <strong>und</strong> damit<br />

Ziele festlegen, die an den Erfolg des Unternehmens, z.B. den<br />

Gewinn oder den Umsatz, anknüpfen. Sie können bestimmen,<br />

dass für die Zielerreichung der Erfolg einer Abteilung oder<br />

eines „Teams“ maßgebend sein soll. Gegenstand einer Zielvereinbarung<br />

können aber auch persönliche Ziele sein, die individuelle<br />

Leistungen im Blick haben. Den Arbeitsvertragsparteien<br />

steht es auch frei, ob sie so genannte „harte“ Ziele festlegen,<br />

deren Erreichung objektiv messbar ist, oder so genannte<br />

„weiche“ Ziele, die ähnlich wie unbestimmte Rechtsbegriffe<br />

bei der Feststellung der Zielerreichung im konkreten Fall ausfüllungsfähige<br />

<strong>und</strong> ausfüllungsbedürftige Beurteilungsspielräume<br />

lassen, indem sie z.B. auf die Reputation des Unternehmens<br />

oder die Motivation der Mitarbeiter abstellen (zu diesen<br />

<strong>und</strong> weiteren Zieltypen vgl. Behrens/Rinsdorf, FS ARGE Arbeitsrecht<br />

im Deutschen Anwaltverein S. 450 ff.; Röder, FS ARGE<br />

Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein S. 141 ff.). Dass eine<br />

nachträgliche, an den Besonderheiten des jeweiligen Falles<br />

ausgerichtete Ermittlung billigem Ermessen entsprechender<br />

Ziele <strong>und</strong> deren Gewichtung für eine bestimmte Zielperiode<br />

durch die Gerichte nicht möglich sein kann, wird insbesondere<br />

dann deutlich, wenn, wie im Entscheidungsfall, der Arbeitgeber<br />

dem Arbeitnehmer auch während einer Zielperiode<br />

nicht nur andere oder zusätzliche Tätigkeiten übertragen<br />

kann, sondern den Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Kündigung<br />

bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch von<br />

der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellen darf <strong>und</strong> von<br />

diesen Befugnissen Gebrauch macht. Hätte die Beklagte den<br />

Kläger bereits unmittelbar nach Ausspruch der Kündigung<br />

vom 17. Dezember 2005 oder sofort nach der Schließung der<br />

vom Kläger geleiteten Abteilung Vertrieb <strong>und</strong> Marketing Ende<br />

des Jahres 2005 <strong>und</strong> nicht erst ab dem 8. März 2006 von der<br />

Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt, wäre die Ermittlung<br />

billigem Ermessen entsprechender Ziele <strong>und</strong> deren Gewichtung<br />

von vornherein nicht möglich. Die Bestimmung von<br />

Zielen <strong>und</strong> deren Gewichtung setzt jedenfalls die Kenntnis der<br />

vom Arbeitnehmer zu verrichtenden Tätigkeit voraus.<br />

4. Aus dem Urteil des B<strong>und</strong>esgerichtshofs vom 9. Mai 1994<br />

(– IIZR 128/93 – ZIP 7994, 1017) folgt nichts anderes. In dieser<br />

Entscheidung ging es um eine einem Geschäftsführer zugesagte<br />

Tantieme, für deren Höhe die Gesellschaft erst noch<br />

eine Bemessungsgr<strong>und</strong>lage zu „erarbeiten“ hatte. Wenn der<br />

B<strong>und</strong>esgerichtshof entschieden hat, dass in einem solchen<br />

Fall die Höhe der Tantieme gemäß § 315 BGB nach billigem<br />

Ermessen zu bestimmen ist, solange es an einer Ausgestaltung<br />

der Bemessungsgr<strong>und</strong>lage fehlt, kann daraus nicht ab-<br />

97


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

geleitet werden, dass auch von den Arbeitsvertragsparteien<br />

gemeinsam festzulegende Ziele <strong>und</strong> deren Gewichtung nach<br />

Ablauf der Zielperiode nach dieser Vorschrift zu bestimmen<br />

sind, wenn die Aufstellung von Zielen unterb<strong>liebe</strong>n ist.<br />

V. Andere Auffassungen in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur wollen<br />

wie das Landesarbeitsgericht die Ziele nachträglich im<br />

Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen (vgl.<br />

LAG Köln, 23. Mai 2002 – 7 Sa 71/02 – DB 2003, 451; 1. September<br />

2003, – 2 Sa 471/03 -; 14. März 2006, –9Sa1152/05 -;<br />

LAG Hamm, 24. November 2004 –3Sa1325/04 – LAGReport<br />

2005, 165; Hümmerich, NJW 2006, 2294, 2298; Schmiedl, BB<br />

2004, 329, 331; Deich, S. 274 für den Fall, dass keiner Partei das<br />

Leistungsbestimmungsrecht zugewiesen ist; Klein, NZA 2006,<br />

1129, 1130 für den Fall, dass die Parteien zwar über Ziele<br />

verhandelten, eine Vereinbarung jedoch nicht zustande kam).<br />

Unabhängig davon, dass eine erst nach Ablauf der Zielperiode<br />

erfolgte Bestimmung der Ziele dem Motivationsgedanken<br />

<strong>und</strong> damit dem Zweck von Zielbonussystemen nicht gerecht<br />

wird, ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts<br />

<strong>und</strong> dieser in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur vertretenen<br />

Ansicht in aller Regel eine nachträgliche Bestimmung der Ziele<br />

im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung jedoch nicht<br />

möglich.<br />

1. Eine ergänzende Vertragsauslegung setzt eine unbewusste<br />

Lücke einer vertraglichen Regelung voraus. Bei ihrer<br />

Schließung ist zu fragen, was die Parteien vereinbart hätten,<br />

wenn ihnen die Lücke bewusst gewesen wäre, wobei nicht<br />

die subjektive Vorstellung einer Vertragspartei maßgebend<br />

ist, sondern das, was die Parteien bei angemessener Abwägung<br />

ihrer Interessen nach Treu <strong>und</strong> Glauben als redliche<br />

Vertragspartner vereinbart hätten (BAG, 11. Oktober 2006 – 5<br />

AZR 721/05 – AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6;<br />

12. Januar 2005 – 5AZR 364/04 – BAGE 113, 140). Bei der<br />

ergänzenden Vertragsauslegung muss die Antwort auf diese<br />

Frage innerhalb des durch den Vertrag selbst gezogenen<br />

Rahmens gesucht werden (BAG, 24. Oktober 2007 – 10 AZR<br />

825/06). Das Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung<br />

darf nicht im Widerspruch zu dem im Vertrag ausgedrückten<br />

Parteiwillen stehen (BAG, 13. November 2002 – 4 AZR 393/01 –<br />

BAGE 103, 364 m.w.N.).<br />

2. Kommt eine nach der arbeitsvertraglichen Rahmenregelung<br />

abzuschließende Zielvereinbarung zwischen den<br />

Arbeitsvertragsparteien bis zum Ablauf der Zielperiode<br />

nicht zustande, fehlt es an einer unbewussten, ausfüllungsbedürftigen<br />

Lücke im Arbeitsvertrag. Haben die Parteien<br />

im Arbeitsvertrag eine Rahmenvereinbarung bezüglich der<br />

Bonuszahlung getroffen <strong>und</strong> bewusst davon abgesehen,<br />

bereits im Arbeitsvertrag Ziele zu nennen, weil sie diese<br />

<strong>und</strong> deren Gewichtung für jede Zielperiode gesondert vereinbaren<br />

wollten, haben sie deutlich zwischen der allgemeinen<br />

Regelung im Arbeitsvertrag <strong>und</strong> den für jede Zielperiode<br />

gesondert abzuschließenden Zielvereinbarungen unterschieden<br />

(vgl. Mohnke, Zielvereinbarungen im Arbeitsverhältnis<br />

S. 316; ähnlich Gehlhaar, NZA-RR 2007, 113, 115). Legen<br />

98 02/08<br />

die Arbeitsvertragsparteien entgegen der im Arbeitsvertrag<br />

getroffenen Rahmenvereinbarung keine Ziele fest, sei es aus<br />

Vergesslichkeit oder weil sie sich nicht auf Ziele verständigen<br />

können, wird dadurch der Arbeitsvertrag nicht nachträglich<br />

lückenhaft. Eine nachträgliche Bestimmung von Zielen im<br />

Rahmen des durch den Arbeitsvertrag gezogenen Rahmens<br />

ist nicht möglich, wenn die Festlegung der Ziele nach<br />

dem Willen der Arbeitsvertragsparteien bewusst nicht im<br />

Arbeitsvertrag erfolgt ist. Das wird auch aus der Entscheidung<br />

des Landesarbeitsgerichts deutlich. Dieses legt seiner<br />

ergänzenden Vertragsauslegung nicht den Arbeitsvertrag<br />

oder die Ergänzungsvereinbarung der Parteien zu Gr<strong>und</strong>e.<br />

Es stellt vielmehr für die für die Monate Januar bis März<br />

2006 zu bestimmenden Ziele auf die von den Parteien für<br />

das Jahr 2005 zuletzt getroffene Zielvereinbarung ab, wenn<br />

es annimmt, bei der ergänzenden Vertragsauslegung sei<br />

davon auszugehen, dass die Parteien unabhängig von den<br />

Regelungen im Detail Ziele vereinbart hätten, die der Kläger<br />

ähnlich wie im Vorjahr hätte erfüllen können.<br />

a) Haben die Arbeitsvertragsparteien bei der Bonusregelung<br />

bewusst zwischen der Rahmenvereinbarung im Arbeitsvertrag<br />

<strong>und</strong> den Zielvereinbarungen für die jeweiligen Zielperioden<br />

unterschieden, ist dieser Wille zu achten. Hätten sie für alle<br />

Zielperioden dieselben Ziele vereinbaren wollen, hätte es dieser<br />

Differenzierung nicht bedurft. Haben sie Ziele <strong>und</strong> deren<br />

Gewichtung nur für eine bestimmte Zielperiode gemeinsam<br />

festgelegt, bezieht sich ihre Verständigung auch nur auf den<br />

Zeitraum dieser Periode. Eine solche für eine bestimmte Zeit<br />

abgeschlossene Zielvereinbarung enthält keine unbewusste<br />

Lücke für die Zeit nach Ablauf der Zielperiode, die durch<br />

ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden könnte<br />

<strong>und</strong> müsste. Halten Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer es für angemessen,<br />

an den bisherigen Zielen <strong>und</strong> deren Gewichtung<br />

auch in der nachfolgenden Zielperiode festzuhalten, werden<br />

sie sich in der Regel darauf verständigen <strong>und</strong> eine entsprechende<br />

Zielvereinbarung abschließen. Besteht dagegen, wie<br />

im Entscheidungsfall, über den Inhalt einer Zielvereinbarung<br />

für eine abgelaufene Zielperiode <strong>und</strong> den Grad der Zielerreichung<br />

Streit, kann bei einer unterb<strong>liebe</strong>nen Zielfestsetzung<br />

für die nachfolgende Periode regelmäßig nicht angenommen<br />

werden, dass die Parteien dieselben oder ähnliche Ziele vereinbart<br />

hätten. Es kann auch nicht aus dem Grad der Zielerreichung<br />

gefolgert werden, der Arbeitnehmer hätte in der<br />

nachfolgenden Zielperiode vereinbarte Ziele im selben Umfang<br />

erreicht.<br />

b) Gegen die Heranziehung des letzten Zielerreichungsgrades<br />

für die Berechnung der Bonuszahlung spricht im Entscheidungsfall<br />

schon, dass der Kläger nach der Schließung der von<br />

ihm geleiteten Abteilung Vertrieb <strong>und</strong> Marketing Ende des<br />

Jahres 2005 ab dem 1. Januar 2006 bis zu seiner Freistellung<br />

mit anderen Tätigkeiten beschäftigt wurde.<br />

aa) Auch wenn zwischen den Parteien darüber Streit besteht,<br />

wie viele von den insgesamt 134 im Jahr 2005 verkauften<br />

Kassen der Kläger selbst verkauft hat, besteht doch Einig-


keit, dass es im Jahr 2005 anders als in den Monaten Januar<br />

bis März 2006 Hauptaufgabe des Klägers war, zusammen mit<br />

den zwei anderen in der Abteilung Vertrieb <strong>und</strong> Marketing<br />

beschäftigten Arbeitnehmern möglichst viele Kassen zu verkaufen.<br />

Es kommt hinzu, dass die Arbeitsvertragsparteien für<br />

die Einarbeitungszeit in den ersten Monaten des Arbeitsverhältnisses<br />

häufig andere, meist weniger anspruchsvolle Ziele<br />

festlegen oder berücksichtigen, dass sich die Entscheidungen<br />

des Arbeitnehmers <strong>und</strong> die von ihm getroffenen Maßnahmen<br />

in der ersten Zielperiode oft noch nicht auswirken <strong>und</strong> sein<br />

Erfolg oder Misserfolg noch durch die Tätigkeit eines Vorgängers<br />

bestimmt ist. Denkbar ist auch, dass sich die Arbeitsvertragsparteien<br />

auf Gr<strong>und</strong> veränderter äußerer Bedingungen,<br />

z.B. einem verschärften Wettbewerb, oder auf Gr<strong>und</strong> einer veränderten<br />

innerbetrieblichen Organisation auf im Vergleich zur<br />

abgelaufenen Zielperiode weniger ehrgeizige Ziele verständigen.<br />

Da Zielvereinbarungen regelmäßig für einen längeren<br />

Zeitraum abgeschlossen werden, kann es schon vor Ablauf<br />

der Zielperiode dazu kommen, dass die Parteien feststellen<br />

müssen, dass die festgelegten Ziele auf Gr<strong>und</strong> der Dynamik<br />

der Ziele bis zum Ende der Zielperiode nicht realisierbar sind<br />

bzw. ihre Realisierung keinen Sinn mehr macht (Preis/Preis,<br />

IIZ 5 Rn 36; zur Erforderlichkeit einer Zielanpassung oder Zielkorrektur<br />

vgl. auch Hergenröder, AR-Blattei SD Nr. 1<strong>85</strong>5 Rn 94).<br />

bb) Das Landesarbeitsgericht hat nicht berücksichtigt, dass<br />

die Parteien nach seinen eigenen Feststellungen für das Jahr<br />

2005 unterschiedliche Ziele festgelegt hatten. Sie haben die<br />

am 26. September 2005 für den Vertrieb vereinbarten Jahresziele<br />

bereits am 31. Oktober 2005 neu definiert. Mit Erfolg<br />

rügt die Beklagte, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht<br />

für den anteiligen Bonus für die Monate Januar bis März 2006<br />

auf den von ihm für das Kalenderjahr 2005 angenommenen<br />

Zielerreichungsgrad von 91,36 % abgestellt. Dieser ist ebenso<br />

wie die für das Jahr 2005 zuletzt getroffene Zielvereinbarung<br />

für einen anteiligen Bonus für die Monate Januar bis<br />

März 2006 ohne Bedeutung. Das Landesarbeitsgericht hat auf<br />

Gr<strong>und</strong> seiner Annahme, der Verkauf von 140 Kassen im Jahr<br />

2005 sei ein Unternehmensziel gewesen, keine Feststellungen<br />

dazu getroffen, wie viele von den insgesamt 134 im Jahr<br />

2005 verkauften Kassen der Kläger selbst verkauft hat. Sollte<br />

die Behauptung der Beklagten zutreffen, wonach der Kläger<br />

nur vier Kassen verkauft hat, käme es nach der Auffassung<br />

des Landesarbeitsgerichts letztlich für die Zielperiode Januar<br />

bis März 2006 gar nicht entscheidend darauf an, ob <strong>und</strong> in<br />

welchem Umfang der Kläger im Jahr 2005 Ziele erreicht hat,<br />

sondern nur darauf, dass in diesem Jahr das Unternehmensziel<br />

„Verkauf von 140 Kassen“ mit 134 verkauften Kassen weitgehend<br />

erreicht worden ist.<br />

VI. Entgegen der von einem anderen Teil der Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> der Literatur vertretenen Auffassung muss auf den in<br />

§ 162 Abs. 1 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken,<br />

dass niemand aus seinem treuwidrigen Verhalten Vorteile<br />

ziehen darf, nicht zurückgegriffen werden, wenn die Parteien<br />

keine Zielvereinbarung für eine Zielperiode getroffen haben<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

(vgl. zu diesem Rückgriff auf den Gedanken der Bedingungsvereitelung<br />

bei unterlassenen Zielvorgaben <strong>und</strong> nicht abgeschlossenen<br />

Zielvereinbarungen LAG Köln, 23. Mai 2002 – 7<br />

Sa 71/02 – DB 2003, 451; LAG Düsseldorf, 28. Juli 2006 –<br />

17 Sa 465/06 – LAGE BGB 2002 § 611 Tantieme Nr. 2; Kolmhuber,<br />

ArbRB 2003, 117, 119; Röder, FS ARGE Arbeitsrecht<br />

im Deutschen Anwaltverein S. 148; Bauer, FA 2002, 295, 296;<br />

Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882, 883; Berwanger, a.a.O.; Hergenröder,<br />

AR-Blattei SD Nr. 1<strong>85</strong>5 Rn 48; Klein, a.a.O.; Preis/Preis,<br />

II Z 5 Rn 38; Deich, S. 267).<br />

1. Eine unmittelbare Anwendung von § 162 Abs. 1 BGB<br />

kommt von vornherein nicht in Betracht.<br />

a) Bei einer Zielvereinbarung handelt es sich nicht um eine<br />

Bedingung im Sinne dieser Vorschrift (so auch LAG Köln, 14.<br />

März 2006 – 9 Sa 1152/05). Bedingung i.S.d. §§ 158 ff. BGB ist<br />

die durch den Parteiwillen in ein Rechtsgeschäft eingefügte<br />

Bestimmung, die die Rechtswirkungen des Geschäfts von einem<br />

zukünftigen Ungewissen Ereignis abhängig macht (Palandt/Heinrichs,<br />

BGB, 66. Aufl., Einf. v § 158 Rn 1; MüKo-BGB/H.<br />

P. Westermann, § 158 Rn 10; Mohnke, S. 313). Beim Abschluss<br />

einer Rahmenvereinbarung über Zielvereinbarungen gehen<br />

die Parteien jedoch davon aus, dass sie sich über Ziele verständigen<br />

werden. Ungewiss ist nur, welche Ziele vereinbart<br />

werden <strong>und</strong> ob diese vom Arbeitnehmer erreicht oder verfehlt<br />

werden. Die Rechtswirkungen der Rahmenvereinbarung<br />

selbst sollen nicht von einem zukünftigen Ungewissen Ereignis<br />

abhängig sein.<br />

b) Zudem haben die Regelungen der §§ 158 ff. BGB die<br />

Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts als Ganzes zum Gegenstand<br />

(Klein, a.a.O.). Fehlende Zielvereinbarungen wirken<br />

sich dagegen nur auf einen einzelnen Anspruch innerhalb<br />

des vereinbarten Arbeitsvertrags aus (vgl. Kolmhuber, a.a.O.;<br />

Mohnke, S. 31; Deich, S. 267; Rieble/Gutzeit, JbArbR Bd. 37 S. 41,<br />

46, wonach auch dann eine Bedingung i.S.d. §§ 158 ff. BGB<br />

vorliegt, wenn nicht das Rechtsgeschäft, sondern sein Inhalt<br />

bedingt wird).<br />

2. Für eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 1 BGB fehlt<br />

es an einer Regelungslücke.<br />

a) Es trifft zwar zu, dass die Regelung in § 162 Abs. 1 BGB<br />

Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens ist, dass niemand<br />

aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis<br />

Vorteile herleiten darf (Palandt/Heinrichs, § 162 Rn 6; Staudinger/Bork,<br />

BGB (2003), § 162 Rn 2; MüKo-BGB/H. P. Westermann,<br />

§ 162 Rn 18; Schmiedl, BB 2004, 329, 331). Auch ist nicht zu<br />

verkennen, dass Fälle denkbar sind, in denen der Arbeitgeber<br />

nur deshalb nicht zum Abschluss einer Zielvereinbarung<br />

bereit ist, um die für den Fall der Zielerreichung zugesagte<br />

zusätzliche Vergütung nicht zahlen zu müssen. So liegt die<br />

Zahlung einer zusätzlichen Vergütung nach einer Kündigung<br />

des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong> während einer Freistellung des<br />

Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung<br />

bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig<br />

nicht im Interesse des Arbeitgebers. Dann besteht zwar eine<br />

Interessenlage, die mit der bei treuwidriger Verhinderung des<br />

99


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

Eintritts einer Bedingung durch eine Partei, zu deren Nachteil<br />

der Eintritt der Bedingung gereichen würde, vergleichbar ist.<br />

In aller Regel liegen eine zusätzliche Motivation des Arbeitnehmers<br />

<strong>und</strong> das Erreichen der vereinbarten Ziele aber vor<br />

allem auch im Interesse des Arbeitgebers. Dies leuchtet nicht<br />

nur bei Unternehmenszielen ein, die an den Gewinn oder<br />

Umsatz anknüpfen, sondern auch bei persönlichen Zielen.<br />

Auch individuelle Leistungen des Arbeitnehmers kommen<br />

letztlich dem Arbeitgeber zugute. Ein treuwidriges Handeln<br />

i.S.v. § 162 BGB liegt vor, wenn das Verhalten bei Würdigung<br />

von Anlass, Zweck <strong>und</strong> Beweggr<strong>und</strong> gegen Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

verstößt. Hat ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer eine<br />

Rahmenvereinbarung über Zielvereinbarungen abgeschlossen,<br />

wird er nur in seltenen Ausnahmefällen wider Treu <strong>und</strong><br />

Glauben nicht bereit sein, eine Zielvereinbarung mit dem<br />

Arbeitnehmer abzuschließen. Das Erreichen der aufgestellten<br />

Ziele gereicht dem Arbeitgeber in aller Regel nicht zu seinem<br />

Nachteil, sondern zu seinem Vorteil. Das gilt auch dann, wenn<br />

berücksichtigt wird, dass es den Anspruch des Arbeitnehmers<br />

auf den versprochenen Bonus auslöst.<br />

b) Selbst wenn zur Annahme eines treuwidrigen Verhaltens<br />

i.S.v. § 162 Abs. 1 BGB ein objektiver Verstoß gegen Treu <strong>und</strong><br />

Glauben ausreichte <strong>und</strong> schuldhaftes Verhalten nicht zu fordern<br />

wäre (Palandt/Heinrichs, § 162 Rn 3), könnte in einem<br />

Fall treuwidrig verhinderter Zielvereinbarungen in entsprechender<br />

Anwendung von § 162 Abs. 1 BGB nur die unterb<strong>liebe</strong>ne<br />

Festlegung von Zielen, nicht aber ohne weiteres auch<br />

eine vollständige Zielerreichung angenommen werden (vgl.<br />

Mohnke, S. 316; Gehlhaar, a.a.O.). Über den Grad der Zielerreichung<br />

wäre damit bei einer analogen Anwendung von § 162<br />

Abs. 1 BGB noch keine Aussage getroffen (vgl. LAG Hamm, 24.<br />

November 2004 –3Sa1325/04 – LAGReport 2005, 165; LAG<br />

Köln, 14. März 2006–9Sa1152/05 -; Gehlhaar, a.a.O.; Schmiedl,<br />

BB 2004, 329, 331). Würde ungeachtet besonderer Umstände<br />

des Einzelfalls <strong>und</strong> unter Außerachtlassung eines etwaigen<br />

Mitverschuldens des Arbeitnehmers bei nicht zustande gekommenen<br />

Zielvereinbarungen stets der Bonushöchstbetrag<br />

zugesprochen, würde § 162 BGB ein Sanktionscharakter beigemessen,<br />

der dieser Bestimmung nicht zukommt (Schmiedl,<br />

BB 2004, 329, 331),<br />

c) Gegen eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 1 BGB<br />

spricht entscheidend, dass eine unterb<strong>liebe</strong>ne Zielvereinbarung<br />

einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers auslösen<br />

kann <strong>und</strong> eine analoge Anwendung des § 162 Abs. 1<br />

BGB zur Schließung einer unbewussten Regelungslücke deshalb<br />

nicht erforderlich ist.<br />

VII. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer bei nicht getroffener Ziel<br />

Vereinbarung einen Schadensersatzanspruch wegen der ihm<br />

entgangenen erfolgsabhängigen Vergütung hat, kann ohne<br />

die Berücksichtigung der Gründe für das Nichtzustandekommen<br />

der Zielvereinbarung nicht entschieden werden (vgl. BSG<br />

23. März 2006 – B 11a AL 29/05, Ft-NZA-RR 2007, 101).<br />

1. Oblag es dem Arbeitgeber, die Initiative zur Führung eines<br />

Gesprächs mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung<br />

100 02/08<br />

zu ergreifen <strong>und</strong> hat er ein solches Gespräch nicht anberaumt,<br />

hat er eine vertragliche Nebenpflicht verletzt. Diese Pflichtverletzung<br />

kann einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers<br />

begründen (vgl. LAG Köln, 23. Mai 2002 –7Sa71/02 –<br />

DB 2003, 451; ArbG Frankfurt, 11. Dezember 2002 – 2 Ca<br />

2816/02 – ZTR 2003, 577; Riesenhuber/von Steinau-Steinrück,<br />

NZA 2005, 7<strong>85</strong>, 792; Klein, a.a.O.; Deich, S, 269; Mohnke, S. 317<br />

ff; Lischka, Arbeitsrechtliche Zielvereinbarungen S. 130 f., dies.<br />

BB 2007, 552, 554). Auch wenn der Arbeitgeber nicht allein die<br />

Initiativpflicht hat, verletzt er eine vertragliche Nebenpflicht<br />

<strong>und</strong> kann deshalb zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet<br />

sein, wenn er der Aufforderung des Arbeitnehmers nicht<br />

nachkommt, mit ihm eine Zielvereinbarung abzuschließen.<br />

a) Gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger Ersatz<br />

des hieraus entstehenden Schadens verlangen, wenn der<br />

Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Dies<br />

gilt nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, wenn der Schuldner<br />

die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Diese Voraussetzungen<br />

einer Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung von<br />

Schadensersatz sind erfüllt, wenn dieser seiner arbeitsvertraglichen<br />

Verpflichtung, für jede Zielperiode gemeinsam mit dem<br />

Arbeitnehmer Ziele festzulegen, nicht nachkommt <strong>und</strong> nicht<br />

gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nachweist, dass er es nicht<br />

zu vertreten hat, dass eine Zielvereinbarung nicht zustande<br />

gekommen ist. Für einen Entlastungsbeweis des Arbeitgebers<br />

ist es dabei unzureichend, wenn er von Verhandlungen über<br />

eine Zielvereinbarung abgesehen hat, weil der Arbeitnehmer<br />

bisher die festgelegten Ziele nie erreicht hat.<br />

b) Der Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 Satz 1<br />

BGB tritt allerdings im Gegensatz zu den Ansprüchen aus<br />

den §§ 281 bis 283 BGB nicht an die Stelle, sondern neben<br />

den Erfüllungsanspruch (Bamberger/Roth/Unberath, BGB,<br />

2. Aufl. Bd. 1 § 280 Rn 29; Erman/H. P. Westermann, BGB,<br />

11. Aufl. § 280 Rn 20; Palandt/Heinrichs, § 280 Rn 18). Um<br />

einen Erfüllungsanspruch geht es aber nicht, wenn der<br />

Arbeitnehmer nach Ablauf der Zielperiode den ihm für<br />

den Fall der Zielerreichung zugesagten Bonus verlangt. Der<br />

Arbeitnehmer beansprucht nicht die gemeinsame Festlegung<br />

von Zielen <strong>und</strong> verfolgt damit nicht einen Erfüllungsanspruch.<br />

Er begehrt statt der Leistung Schadensersatz. Dieser steht<br />

ihm gemäß § 280 Abs. 3 BGB nur unter den zusätzlichen<br />

Voraussetzungen des § 281 BGB, des § 282 BGB oder des<br />

§ 283 BGB zu. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine<br />

arbeitsvertragliche Verpflichtung, mit dem Arbeitnehmer für<br />

eine Zielperiode Ziele festzulegen, an deren Erreichen eine<br />

Bonuszahlung geknüpft ist, löst jedenfalls nach Ablauf der<br />

Zielperiode nach § 280 Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1 BGB<br />

einen Schadensersatzanspruch aus.<br />

aa) Nach Ablauf der Zeit, für die ein Arbeitgeber mit einem<br />

Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren hatte, ist die Festlegung<br />

von Zielen nicht mehr möglich. Ziele können zwar<br />

an sich auch für einen vergangenen Zeitraum formuliert werden.<br />

Eine Zielvereinbarung, die bei Zielerreichung einen Anspruch<br />

des Arbeitnehmers auf einen Bonus begründet, kann


entsprechend dem Motivationsgedanken ihre Anreizfunktion<br />

aber nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei<br />

der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden<br />

Ziele kennt <strong>und</strong> weiß, auf das Erreichen welcher persönlicher<br />

oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber in dem<br />

jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt <strong>und</strong> deshalb bereit<br />

ist, bei Erreichen dieser Ziele den zugesagten Bonus zu zahlen.<br />

Eine dem Motivationsgedanken <strong>und</strong> damit dem Sinn <strong>und</strong><br />

Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung<br />

von Zielen für einen vergangenen Zeitraum ist nicht möglich.<br />

Die Festlegung von Zielen wird jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode<br />

unmöglich i.S.v. § 275 Abs. 1 BGB, so dass der Arbeitnehmer<br />

nach § 280 Abs. 1 <strong>und</strong> Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 Satz 1<br />

BGB statt der Festlegung von Zielen Schadensersatz verlangen<br />

kann.<br />

bb) Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich<br />

nach den §§ 249 ff. 48 BGB. Gemäß § 252 Satz 1 BGB umfasst<br />

der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn.<br />

Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger<br />

Arbeit <strong>und</strong> damit auch eine Bonuszahlung (vgl. Palandt/Heinrichs,<br />

§ 252 Rn 8). Als entgangen gilt gemäß § 252<br />

Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen<br />

Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere<br />

nach den getroffenen Anstalten <strong>und</strong> Vorkehrungen,<br />

mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Diese<br />

Bestimmung enthält für den Geschädigten eine § 287 ZPO ergänzende<br />

Beweiserleichterung. Dieser hat nur die Umstände<br />

darzulegen (<strong>und</strong> in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen),<br />

aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge<br />

oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlichkeit<br />

des Gewinneintritts ergibt (BGH, 18. Februar 2002 –<br />

IIZR 355/00 – NJW 2002, 2553). Da die Beweiserleichterung<br />

der §§ 252 BGS, 287 ZPO auch die Darlegungslast derjenigen<br />

Partei mindert, die Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt,<br />

dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt<br />

werden (BGH, 18. Februar 2002 – II ZR 355/00 – a.a.O.).<br />

cc) Dem Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO unterliegen<br />

sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen<br />

Höhe (vgl. BGH, 28. April 1982 – IVa ZR 8/81 – NJW 1983, 998).<br />

Die Vorschrift dehnt für die Feststellung der Schadenshöhe<br />

das richterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO<br />

aus (BGH, 17. April 1997 – X ZR 2/96 – NJW-RR 1998, 331).<br />

Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung<br />

mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt (BAG, 20.<br />

September 2006 10 AZR 439/05 – AP HGB § 60 Nr. 13 = EzA<br />

BBiG § 10 Nr. 12). Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe<br />

an diese heranführen. Über bestrittene Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen<br />

hat das Gericht Beweis zu erheben (BAG,<br />

20. September 2006 – 10AZR 439/05 – a.a.O.; BGH, 15. März<br />

1988 – VI ZR 81/87 – NJW 1988, 3016; 17. April 1997 –XZR<br />

2/96 – a.a.O.).<br />

dd) Hat der Arbeitgeber schuldhaft kein Gespräch mit dem<br />

Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung geführt, ist der für<br />

den Fall der Zielerreichung zugesagte Bonus bei der abstrak-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

ten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB Gr<strong>und</strong>lage<br />

für die Ermittlung des dem Arbeitnehmer zu ersetzenden<br />

Schadens. Zwar müssen Zielvereinbarungen nicht stets die<br />

in Aussicht gestellte Bonuszahlung auslösen. Sie verfehlen<br />

jedoch ihren Motivationszweck <strong>und</strong> werden ihrer Anreizfunktion<br />

nicht gerecht, wenn die festgelegten Ziele vom Arbeitnehmer<br />

von vornherein nicht erreicht werden können. Auch<br />

kann sich ein Arbeitgeber der in der Rahmenvereinbarung zugesagten<br />

Bonuszahlung nicht dadurch entziehen, dass er vom<br />

Arbeitnehmer Unmögliches verlangt <strong>und</strong> nur bereit ist, Ziele<br />

zu vereinbaren, die kein Arbeitnehmer erreichen kann. Dem<br />

ist bei der Ermittlung des Schadens nach § 287 Abs. 1 ZPO<br />

Rechnung zu tragen. Es ist gr<strong>und</strong>sätzlich davon auszugehen,<br />

dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn<br />

nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche<br />

besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun <strong>und</strong><br />

gegebenenfalls nachzuweisen.<br />

2. Allerdings bedarf es anders als bei einer arbeitsvertraglichen<br />

Abrede über Zielvorgaben des Arbeitgebers bei Zielvereinbarungen<br />

der Mitwirkung des Arbeitnehmers bei der Aufstellung<br />

der Ziele für die jeweilige Zielperiode. Die Festlegung<br />

der Ziele ist damit nicht allein Aufgabe des Arbeitgebers. Der<br />

Arbeitnehmer verletzt eine vertragliche Nebenpflicht <strong>und</strong> hat<br />

weder einen Anspruch auf den Bonus noch einen Schadensersatzanspruch<br />

wegen entgangener Bonuszahlung, wenn allein<br />

aus seinem Verschulden eine Ziel Vereinbarung nicht zustande<br />

gekommen ist, weil er z.B. zu einem Gespräch mit dem<br />

Arbeitgeber über mögliche Ziele nicht bereit war.<br />

3. Ist in der Rahmenvereinbarung nicht ausdrücklich geregelt,<br />

dass der Arbeitgeber die Initiative zur Führung eines<br />

Gesprächs mit dem Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung<br />

zu ergreifen hat, <strong>und</strong> führt auch die Auslegung der Bonusregelung<br />

nicht zu einer alleinigen Pflicht des Arbeitgebers,<br />

die Verhandlungen über die Zielvereinbarung einzuleiten, ist<br />

entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts bei einer<br />

nicht zustande gekommenen Zielvereinbarung nicht stets davon<br />

auszugehen, dass nur der Arbeitgeber die Initiative zu<br />

ergreifen <strong>und</strong> auf Gr<strong>und</strong> seines Direktionsrechts ein Gespräch<br />

mit dem Arbeitnehmer über mögliche Ziele <strong>und</strong> deren Gewichtung<br />

anzuberaumen hatte.<br />

a) Zwar trifft die Erwägung des Landesarbeitgerichts zu, dass<br />

der Arbeitgeber gr<strong>und</strong>sätzlich nach § 106 Satz 1 GewO u.a.<br />

den Inhalt der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher<br />

bestimmen <strong>und</strong> dem Arbeitnehmer damit in den Grenzen<br />

des Arbeitsvertrags kraft seines Direktionsrechts Aufgaben zuweisen<br />

kann. Maßgebend ist jedoch, dass der Arbeitgeber<br />

bei einer arbeitsvertraglichen Abrede über Zielvereinbarungen<br />

anders als bei Zielvorgaben die Ziele nicht einseitig festlegen<br />

kann. Auch wenn davon ausgegangen wird, dass bei<br />

den Verhandlungen über eine Zielvereinbarung in der Regel<br />

zunächst der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mögliche Ziele<br />

vorschlägt, auf die er besonderen Wert legt, während der Arbeitnehmer<br />

häufig nur in quantitativer Hinsicht reagiert, wie<br />

dies das Landesarbeitsgericht angenommen hat, liegt doch<br />

101


Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

nicht nur eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers, sondern<br />

auch eine solche des Arbeitnehmers vor, wenn nicht geregelt<br />

ist, dass nur der Arbeitgeber den Anstoß für die Verhandlungen<br />

über die Zielvereinbarung geben muss, solche Verhandlungen<br />

nicht geführt werden <strong>und</strong> eine Zielvereinbarung<br />

deshalb nicht zustande kommt. Der Arbeitnehmer muss dem<br />

Arbeitgeber keine möglichen Ziele nennen, wenn auch er die<br />

Verhandlungen über die Zielvereinbarung anzuregen hat. Es<br />

reicht aus, wenn er den Arbeitgeber zu Verhandlungen über<br />

die Zielvereinbarung auffordert. Das hat auch der Kläger so<br />

gesehen. Er hat behauptet, im Januar 2006 den Geschäftsführer<br />

der Beklagten mehrfach zu einem Gespräch über eine Zielvereinbarung<br />

aufgefordert zu haben. Dass er dabei von sich<br />

aus mögliche Ziele vorgeschlagen hat, hat er nicht dargetan.<br />

b) Beruht das Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung<br />

auf Gründen, die sowohl der Arbeitgeber als auch<br />

der Arbeitnehmer zu vertreten haben, ist ein Schadensersatzanspruch<br />

des Arbeitnehmers wegen der entgangenen<br />

erfolgsabhängigen Vergütung nicht ausgeschlossen (a.A.<br />

Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882, 883). Dies gilt jedenfalls<br />

dann, wenn der Arbeitgeber nicht erst durch eine Mahnung<br />

des Arbeitnehmers mit den von ihm zu führenden<br />

Verhandlungen über die Zielvereinbarung in Verzug gerät,<br />

sondern die Zielvereinbarung nach der arbeitsvertraglichen<br />

Regelung vor Beginn der Zielperiode abzuschließen ist oder<br />

für den Abschluss der Zielvereinbarung eine andere Zeit nach<br />

dem Kalender bestimmt ist (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Trifft<br />

auch den Arbeitnehmer ein Verschulden daran, dass eine<br />

Zielvereinbarung unterb<strong>liebe</strong>n ist, ist dieses Mitverschulden<br />

des Arbeitnehmers nach § 254 BGB angemessen zu berücksichtigen.<br />

VIII. Das Landesarbeitsgericht hat auf Gr<strong>und</strong> seiner unzutreffenden<br />

Annahme, die Beklagte sei schon auf Gr<strong>und</strong> ihres Direktionsrechts<br />

verpflichtet gewesen, die Verhandlungen über<br />

die Zielvereinbarung zu initiieren, nicht geprüft, ob die Auslegung<br />

der vertraglichen Bonusregelung zu einer alleinigen Initiativpflicht<br />

der Beklagten führt oder beide Parteien Verhandlungen<br />

über eine Zielvereinbarung für die Monate Januar bis<br />

März 2006 anzuregen hatten. Diese Prüfung hat es jedenfalls<br />

dann nachzuholen, wenn der Kläger seine Behauptung nicht<br />

nachweist, wonach er im Januar 2006 den Geschäftsführer der<br />

Beklagten mehrfach zum Abschluss einer Zielvereinbarung<br />

aufgefordert hat. Für eine alleinige Initiativpflicht der Beklagten<br />

könnte sprechen, dass die Ziele „gemeinsam mit dem Mitarbeiter“<br />

<strong>und</strong> nicht „gemeinsam mit dem Arbeitgeber“ festzulegen<br />

waren. Sofern nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden<br />

Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel<br />

bezüglich der Initiativpflicht bleibt, kommt auch ein Rückgriff<br />

auf die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB in Betracht,<br />

sofern die Beklagte die Bonusregelung i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2<br />

BGB vorformuliert haben sollte. Das Landesarbeitsgericht wird<br />

ferner zu beurteilen haben, ob nach der arbeitsvertraglichen<br />

Regelung für den Abschluss der Zielvereinbarung für die Monate<br />

Januar bis März 2006 eine Zeit nach dem Kalender be-<br />

102 02/08<br />

stimmt war. War dies der Fall <strong>und</strong> oblag allein der Beklagten<br />

die Initiativpflicht, liegt ein Mitverschulden des Klägers an der<br />

unterb<strong>liebe</strong>nen Zielvereinbarung auch dann nicht vor, wenn<br />

er nicht nachweist, dass er den Geschäftsführer der Beklagten<br />

im Januar 2006 zum Abschluss einer Zielvereinbarung aufgefordert<br />

hat. Bedurfte es einer Mahnung des Klägers <strong>und</strong> weist<br />

dieser die von ihm behauptete Aufforderung des Geschäftsführers<br />

der Beklagten nicht nach, wird das Landesarbeitsgericht<br />

gemäß § 254 Abs. 1 BGB bei der Ermittlung des Schadens<br />

nach den §§ 252 BGB, 287 ZPO ein Mitverschulden de Klägers<br />

zu berücksichtigen haben.<br />

■ B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

vom 12.12.2007, 10 AZR 97/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Thomas Zahn, Budapester<br />

Straße 40, 10787 Berlin, Tel.: 030/2525910, Fax: 030/25459166<br />

www.advocati.de<br />

67. Arbeitszeit, Aufstockungsanspruch<br />

Wird die Arbeitzeit eines Arbeitnehmers aufgestockt, kann<br />

eine Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB geboten sein. Dabei<br />

begründet allein die Ungewissheit über den künftigen<br />

Arbeitskräftebedarf noch kein billigenswertes Interesse des<br />

Arbeitgebers an der Befristung der Arbeitszeiterhöhung.<br />

Diese Ungewissheit gehört zum unternehmerischen Risiko,<br />

das nicht auf den Arbeitnehmer verlagert werden kann.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 02.08.2007, 11 Sa 252/07<br />

68. Befristung, Schriftform, konkludenter Verzicht,<br />

Zugang<br />

1. Unterschreibt zuerst der Arbeitnehmer vor Arbeitsaufnahme<br />

einen befristeten Arbeitsvertrag, dann reicht es für<br />

den notwendigen schriftlichen Vertragsschluss nicht aus, dass<br />

der Vertreter des Arbeitgebers diesen später in Abwesenheit<br />

des Arbeitnehmers vor Arbeitsaufnahme unterzeichnet. Die<br />

Annahmeerklärung muss dem Arbeitgeber vielmehr zugehen<br />

(§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB). Ist dies vor Arbeitsaufnahme nicht<br />

der Fall, dann wird regelmäßig ein unbefristetes Arbeitsverhältnis<br />

begründet (in Anlehnung an BAG, vom 01.12.2004 –<br />

7 AZR 198/04 – NZA 2005, 575; vom 16.03.2005 – 7 AZR<br />

289/04 – NZA 2005, 923).<br />

2. Es kann offenbleiben, ob der Arbeitnehmer auf den rechtzeitigen<br />

Zugang der Annahmeerklärung gemäß § 151 Satz 1<br />

BGB verzichten kann.<br />

3. Ein solcher Verzicht liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn<br />

dem Arbeitnehmer der Gang des Verfahrens (Zugang des<br />

schriftlichen Arbeitsvertrages erst nach Arbeitsaufnahme) erklärt<br />

wird <strong>und</strong> er hiergegen keinen Widerspruch erhebt. Selbst<br />

bei einem ausdrücklichen Einverständnis wäre weiterhin erforderlich,<br />

dass der Verzicht des Arbeitnehmers als Willenserklärung<br />

nicht nur der nicht unterschriftsberechtigten Perso-


nalreferentin, sondern auch dem abschlussbevollmächtigten<br />

Vertreter des Arbeitgebers zugeht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 28.03.2007, 15 Sa 128/07<br />

69. Arbeitsvertrag, Bezugnahmeklausel, Transparenzgebot<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Klage ist begründet <strong>und</strong> die Widerklage ist unbegründet.<br />

Dem Kläger steht Annahmeverzugslohn in unstreitiger Höhe<br />

für die Monate Januar bis Juli 2006 zu, weil die Beklagte durch<br />

ihre unwirksame ordentliche Kündigung vom 28.12.2005 mit<br />

Ablauf der Kündigungsfrist am 11.01.2006 in Annahmeverzug<br />

geraten ist <strong>und</strong> dem Kläger deshalb für diesen Zeitraum den<br />

Lohn gemäß §§ 615 Satz 1, 611 Abs. 1 6GB in Verbindung<br />

mit dem Arbeitsvertrag der Parteien nachzahlen muss. Diese<br />

Lohnansprüche des Klägers sind nicht verfallen <strong>und</strong> die Beklagte<br />

ist deshalb nicht berechtigt, die von ihr nachgezahlten<br />

Beträge gemäß § 812 Abs. 1 BGB mit der Widerklage zurückzuverlangen<br />

Die Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers<br />

sind nicht gemäß § 13 Abs. 2 des Manteltarifvertrags für die<br />

gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- <strong>und</strong><br />

Transportwirtschaft Nordrhein-Westfalen vom 26.04.2005 (im<br />

Folgenden MTV Spedition) verfallen. Diese Tarifnorm findet<br />

auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Dass<br />

der Kläger kraft Verbandszugehörigkeit gemäß §3Abs.1TVG<br />

an diesen Tarifvertrag geb<strong>und</strong>en sei, hat die Beklagte nicht<br />

behauptet.<br />

§ 13 Abs. 2 MTV Spedition gilt auch nicht auf Gr<strong>und</strong> der Bezugnahmeklausel<br />

in Ziffer 2. des Arbeitsvertrags der Parteien.<br />

Diese Bezugnahmeklausel ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB<br />

unwirksam, weil sie den Kläger entgegen den Geboten von<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben unangemessen benachteiligt. Diese unangemessene<br />

Benachteiligung ergibt sich gemäß § 307 Abs. 1<br />

Satz 2 BGB daraus, dass die Bezugnahmeklausel nicht klar <strong>und</strong><br />

verständlich ist.<br />

Die Bezugnahmeklausel in Ziffer 2. des Arbeitsvertrages ist<br />

eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB.<br />

Bei dem Arbeitsvertrag der Parteien handelt es sich um einen<br />

Formulararbeitsvertrag. Das wird bereits durch die äußere<br />

Gestaltung des Vertrags deutlich, der zahlreiche Lücken zum<br />

Ausfüllen enthält, <strong>und</strong> ist zwischen den Parteien auch nicht<br />

streitig.<br />

§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt auch für den Teil der Verweisungen<br />

auf Tarifverträge, die nicht bereits normativ gelten<br />

(ErfK/Preis, 7. Auflage, München 2007, §§ 305 -310 BGB Rz 44<br />

unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien m.w.N.). Bei der<br />

Verweisung Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf ein anderes<br />

Regelungswerk liegt der Verstoß gegen das Transparenzgebot<br />

nicht schon darin, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit<br />

erschwert wird, die in Bezug genommene Reglung<br />

einzusehen. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr<br />

vorzubeugen, dass der Arbeitnehmer von der Durchsetzung<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Allgemeines Vertragsrecht<br />

bestehender Rechte abgehalten wird. Erst in der Gefahr, dass<br />

der Arbeitnehmer wegen unklar abgefasster Allgemeiner Vertragsbedingungen<br />

seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine<br />

unangemessene Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB<br />

(BAG, Urteil vom 03.04.2007 – 9 AZR 867/06 – unter II 2c dd)<br />

der Gründe m.w.N.).<br />

Ziffer 2. des Arbeitsvertrages benachteiligt den Kläger unangemessen,<br />

weil die Bezugnahmeklausel nicht klar <strong>und</strong> verständlich<br />

ist. In ihr wird nicht deutlich erkennbar festgelegt,<br />

welcher Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis der Parteien<br />

ergänzend zu den Regelungen im Arbeitsvertrag Anwendung<br />

finden soll. Vielmehr bietet die Bezugnahmeklausel drei<br />

verschiedene Tarifverträge zur Auswahl an, ohne dass einer<br />

dieser Tarifverträge gestrichen worden wäre. Die Klausel<br />

mutet dem Kläger damit zu, alle drei Tarifverträge <strong>und</strong><br />

ihre jeweiligen Nachfolgeregelungen auf ihren persönlichen<br />

Geltungsbereich durchzusehen, um nach einer entsprechenden<br />

Subsumtion zum Beispiel feststellen zu können, welche<br />

der in diesen Tarifverträgen enthaltenen unterschiedlichen<br />

Ausschlussfristenregelungen für seine Ansprüche gelten.<br />

So enthält beispielsweise der in der Bezugnahmeklausel<br />

genannte BMT Fernverkehr nur eine 1-stufige Verfallfrist.<br />

Gerade in Bezug auf so schwerwiegende Regelungen wie<br />

Ausschlussfristen, die Hauptleistungsansprüche bereits nach<br />

relativ kurzer Zeit erlöschen lassen, muss der Arbeitnehmer<br />

aber die durch allgemeine Geschäftsbedingungen herbeigeführte<br />

Geltung in besonderer Weise klar <strong>und</strong> unmissverständlich<br />

erkennen können. Gerade der Ausschluss eines<br />

Rechtsanspruches bedarf bei der Vertragsgestaltung einer<br />

unmissverständlichen Klarstellung. Diese unmissverständliche<br />

Klarstellung wird nicht durch eine Bezugnahmeklausel auf<br />

drei verschiedene Tarifverträge mit unterschiedlichen Ausschlussfristen<br />

gewährleistet.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der festgestellten Intransparenz der Klausel bedarf<br />

es keiner Entscheidung mehr, ob die Teilverweisung in Ziffer<br />

2. des Arbeitsvertrags („soweit dieser Arbeitsvertrag nichts<br />

anderes bestimmt“) einer Angemessenheitskontrolle gemäß<br />

§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB standhält, der sie trotz § 310 Abs. 4<br />

BGB zu unterziehen ist, weil für Teilbezugnahmeklauseln die<br />

Angemessenheits- <strong>und</strong> Richtigkeitsgewähr ausgehandelter<br />

vollständiger Tarifverträge nicht gilt (ErfK/Preis, 7. Auflage,<br />

München 2007, §§ 194-218 BGB Rz 47 a.E. m.w.N.).<br />

■ Arbeitsgericht Köln<br />

vom 13.03.2007, 16 Ca 7807/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Carsten Keunecke, Kölner<br />

Straße 2, 50226 Frechen, Tel.: 02234/18200, Fax: 02234/182010<br />

office@hdup.de, www.hdup.de<br />

103


Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

70. Betriebsrat, außerordentliche Kündigung, Erklärungsfrist<br />

nach Amtsniederlegung, Weiterbeschäftigung<br />

Tatbestand:<br />

Die Parteien streiten in erster Linie über die Wirksamkeit einer<br />

Kündigung.<br />

Die Beklagte betreibt ein Akutkrankenhaus mit 260 Beschäftigten.<br />

Der Kläger, war bei ihr seit dem 01.10.1994 als Krankenpfleger<br />

tätig, zuletzt auf der Station C (Chirurgie), wo insgesamt<br />

12 Vollzeitkräfte beschäftigt waren.<br />

Der Kläger war Mitglied des im Betrieb der Beklagten gewählten<br />

Betriebsrates.<br />

Am 12.07.2006 beantragte die Beklagte bei dem Betriebsrat<br />

die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers.<br />

Nach dem der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen<br />

Kündigung nicht zustimmte, leitete die Beklagte<br />

am 18.07.2006 bei dem Arbeitsgericht Iserlohn das Zustimmungsersetzungsverfahren<br />

5 BV 41/06 ein.<br />

Mit Beschluss vom 05.12.2006 hat das Arbeitsgericht den Antrag<br />

der Beklagten abgewiesen. Die gegen diesen Beschluss<br />

gerichtete Beschwerde vor dem Landesarbeitsgericht Hamm<br />

(13 TaBV 119/06) hatte Erfolg. Durch am 25.05.2007 verkündeten<br />

Beschluss hat das Landesarbeitsgericht die Zustimmung<br />

des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers<br />

ersetzt.<br />

Am 30.05.2007 hat der Kläger sein Betriebsratsamt niedergelegt<br />

<strong>und</strong> hierüber die Beklagte mit Schreiben vom 28.06.2007<br />

unterrichtet.<br />

Mit Schreiben vom 04. September 2007 kündigte die Beklagte<br />

unter Hinweis auf den Beschluss des Landesarbeitsgerichts<br />

Hamm vom 25.05.2007 das Arbeitsverhältnis außerordentlich<br />

fristlos.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... Die mit ihr angefochtene Kündigung ist wegen Versäumung<br />

der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB<br />

rechtsunwirksam. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung<br />

kann die fristlose Kündigung aus wichtigem Gr<strong>und</strong>e nur<br />

innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit<br />

dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den<br />

für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt.<br />

§ 626 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB enthält eine materiell-rechtliche<br />

Ausschlussfrist für die Kündigungserklärung. Ihre Nichteinhaltung<br />

bewirkt die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung.<br />

Zwar kann der Lauf der vorstehenden Ausschlussfrist während<br />

eines betriebsverfassungsrechtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens<br />

gemäß § 103 BeWG gehemmt sein. Sind solche<br />

Verfahren erforderlich, bleibt eine Kündigung nach Ablauf<br />

der Frist von § 626 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB nur zulässig, wenn die<br />

Fristwahrung wegen der durch das Zustimmungsverfahren<br />

ausgelösten Verzögerung für den Arbeitgeber unmöglich<br />

war. Nach Erteilung bzw. Rechtskraft des Zustimmungsersetzungsbeschlusses<br />

muss der Arbeitgeber die Kündigung<br />

104 02/08<br />

aber in entsprechender Anwendung des § 91 Abs. 5 SGB IX<br />

unverzüglich aussprechen (BAG, vom 09.07.1998 AP Nr. 36<br />

zu § 103 BetrVG 1972). Der Eintritt der formellen Rechtskraft<br />

bestimmt sich nach allgemeinen Regeln. Wurde die Rechtsbeschwerde<br />

gegen den die Zustimmung ersetzenden Beschluss<br />

des Landesarbeitsgerichts nicht zugelassen, tritt die formelle<br />

Rechtskraft mit dem Ablauf der Monatsfrist für die Einlegung<br />

der Nichtzulassungsbeschwerde oder mit der Ablehnung der<br />

Nichtzulassungsbeschwerde durch das BAG ein.<br />

Im Streitfall wurde dem unterliegenden Betriebsrat der Beschluss<br />

des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 25.05.2007 am<br />

09.08.2007 zugestellt. Die formelle Rechtskraft des Beschlusses<br />

trat am 09. September 2007 ein. Abgestellt auf dieses Datum<br />

wäre im Streitfall die Kündigung unverzüglich <strong>und</strong> damit<br />

rechtzeitig ausgesprochen worden.<br />

Indessen kam es auf das Datum der formellen Rechtskraft des<br />

Zustimmungsersetzungsbeschlusses im Streitfall nicht an. Die<br />

Beklagte war nicht gehalten, diesen Zeitpunkt abzuwarten,<br />

nach dem der Kläger sein Betriebsratsamt am 30.05.2007 niedergelegt<br />

hat. Von diesem Zeitpunkt an war der Lauf der Ausschlussfrist<br />

des § 626 Abs. 2 BGB nicht mehr gehemmt. Spätestens<br />

mit der Bekanntgabe der Niederlegung des Betriebsratsamtes<br />

mit Schreiben vom 28.06.2007 an die Beklagte, die<br />

dieses Schreiben ausweislich ihres Antwortschreibens vom<br />

03.07.2007 erhalten hat, musste die Beklagte die beabsichtigte<br />

außerordentliche Kündigung unverzüglich erklären. Dieses<br />

ist nicht geschehen. Vielmehr ließ die Beklagte nahezu<br />

2 1/2 Monate verstreichen, bevor sie die Kündigung erklärte.<br />

Dieses ist nicht mehr unverzüglich i. S. d. § 121 BGB.<br />

Eine Umdeutung der nach alledem rechtsunwirksamen außerordentlichen<br />

Kündigung in eine ordentliche fristgerechte Kündigung<br />

wäre zwar nach § 140 BGB möglich; indessen wäre<br />

eine solche fristgerechte ordentliche Kündigung wegen des<br />

nachwirkenden Kündigungsschutzes des Klägers gemäß § 15<br />

Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, denn auch vorzeitig aus dem<br />

Amt ausscheidende Mandatsträger genießen den nachwirkenden<br />

Kündigungsschutz. Dieser hängt im Falle des Rücktritts<br />

nicht davon ab, ob das bisherige Mitglied der Arbeitnehmervertretung<br />

für seinen Rücktritt anerkennenswerte Gründe<br />

anführt.<br />

Der zum Teil vertretenen Auffassung, den nachwirkenden<br />

Schutz für vorzeitig ausgeschiedene Betriebsratsmitglieder sei<br />

auf sechs Monate zu verkürzen, wenn sie ihr Amt während<br />

des ersten Jahres der Amtszeit niederlegen, wird von der<br />

wohl herrschenden Meinung, der sich auch das erkennende<br />

Gericht anschließt, nicht gefolgt (vgl. zu dem Meinungsstreit<br />

Fiebig-HaKo, § 15, Rn 81 m.w.N.). Die tatsächliche Dauer der<br />

Amtstätigkeit des Klägers musste im Streitfall daher nicht<br />

aufgeklärt werden.<br />

Erweist sich nach alledem die angefochtene Kündigung<br />

als rechtsunwirksam, musste dem auf Weiterbeschäftigung<br />

des Klägers gerichteten Antrag auf der Gr<strong>und</strong>lage der Entscheidung<br />

des Großen Senats des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

vom 27.02.19<strong>85</strong> (DB 19<strong>85</strong>, 2191) ebenfalls stattgegeben


werden. Danach hat der gekündigte Arbeitnehmer einer<br />

allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch über den Kündigungszeitpunkt<br />

hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss<br />

des Kündigungsschutzprozesses, auch wenn die Kündigung<br />

unwirksam ist <strong>und</strong> überwiegende schutzwerte Interessen<br />

des Arbeitgebers der Beschäftigung nicht entgegenstehen.<br />

In der Regel überwiegt das Beschäftigungsinteresse des<br />

Arbeitnehmers. Nach einem der Kündigungsschutzklage<br />

stattgebenden Urteil müssen jetzt zu der Ungewissheit<br />

des Prozessausgangs zusätzliche Umstände hinzutreten, aus<br />

denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des<br />

Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.<br />

Zu denken ist hierbei an solche Umstände, die auch im<br />

streitlos bestehenden Arbeitsverhältnis den Arbeitgeber zur<br />

vorläufigen Suspendierung des Arbeitnehmers berechtigen.<br />

Weiter kann sich ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers<br />

an der Nichtbeschäftigung auch aus der Stellung des<br />

gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb <strong>und</strong> der Art seines<br />

Arbeitsbereiches sowie bei wirtschaftlicher Unzumutbarkeit<br />

geben.<br />

Gründe für ein überwiegendes Interesse der Beklagten an einer<br />

Nichtbeschäftigung des Klägers sind von der Beklagten<br />

weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Die Unzumutbarkeit<br />

der Beschäftigung des Klägers ergibt sich weder<br />

aus seiner Stellung im Betrieb, noch aus der Art seines Arbeitsbereiches,<br />

noch aus einer wirtschaftlichen Unzumutbarkeit<br />

seiner Beschäftigung.<br />

Eine einseitige Suspendierung des Klägers wäre nur dann gerechtfertigt,<br />

wenn eine erhebliche Gefährdung für die Ordnung<br />

des Betriebes oder die Gefahr einer schweren Vertragsverletzung<br />

bestünde. Zwar ist die Beklagte der Auffassung,<br />

eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei unzumutbar. Indessen<br />

hat sie hierfür keine nachvollziehbaren Tatsachen vorgetragen,<br />

wie durch das nachfolgende Zitat aus dem Schriftsatz<br />

der Beklagten vom 21.02.2008 (Bl. 65 d. A.) belegt wird:<br />

„Die bei der Beklagten in der Ausbildung sich befindenden<br />

Krankenpflegeschülerinnen haben Angst vor dem Kläger. Sie<br />

befürchten weitere sexuelle Belästigungen.<br />

Eine geordnete Ausbildung ist – soweit der Kläger weiterbeschäftigt<br />

wird – bzgl. der in der Ausbildung befindlichen<br />

Pflegeschülerinnen im Betrieb der Beklagten nicht möglich.“<br />

Die Beklagte benennt nicht eine einzige Krankenpflegeschülerin,<br />

die Angst vor dem Kläger hat. Eine solche Schülerin<br />

könnte auch keine „weitere“ sexuelle Belästigung befürchten.<br />

In dem Zustimmungsersetzungsverfahren wurde der Kläger<br />

von Schülerinnen „nach Abschluss ihres Einsatzes bzw. Ablegung<br />

des Examens“ (s. S. 2 des Beschlusses des LAG Hamm<br />

vom 25.05.2007) belastet. Neue, über die in dem Zustimmungsersetzungsverfahren<br />

genannten Vorfälle (auch gegenüber<br />

anderen Personen), hat die Beklagte indessen nicht vorgetragen.<br />

Es ist auch nicht nachvollziehbar, inwieweit eine geordnete<br />

Ausbildung der in der Ausbildung befindlichen Pflegeschülerinnen<br />

nicht möglich sein soll, solange die Einbindung des<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

Klägers in das Ausbildungswesen nicht substantiiert dargelegt<br />

wird.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 27.02.2008, 1 Ca 2043/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann, Von-Scheibler-<br />

Straße 10, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/835555,<br />

Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

71. Kündigungserklärung, Zurückweisung, mangels Vollmacht,<br />

Inkenntnissetzung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... 2. Der Angestellte Herr X ist weder gesetzlicher Vertreter<br />

im Sinne einer Organstellung noch generalbevollmächtigt. Er<br />

ist als örtlicher Betriebsleiter in einem Hotel mit insgesamt 17<br />

Beschäftigten nicht in einer Position, von der angenommen<br />

werden kann, dass damit regelmäßig die Befugnis zu Kündigungen<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Der Hotelbetrieb mit insgesamt 17 Angestellten<br />

ist nicht vergleichbar mit einem größeren Betrieb<br />

oder einer größeren Verwaltung mit einer eigenen Personalabteilung.<br />

Eine solche gibt es im Hotelbetrieb der Beklagten<br />

nicht. Ob ein Angestellter in einer Stellung ist, mit der in<br />

der Regel das Kündigungsrecht verb<strong>und</strong>en ist, hängt von den<br />

jeweils vorliegenden konkreten Umständen ab (vgl. BAG, vom<br />

29.06.1999, 2 AZR 482/88). Im Streitfall kann nicht angenommen<br />

werden, dass der örtliche Betriebsleiter X eine Stellung<br />

innehatte, mit der regelmäßig auch die Kündigungsbefugnis<br />

verb<strong>und</strong>en ist. Unbehelflich ist der Vortrag der Beklagten; aus<br />

der Vollmacht vom 04.05.2005 (Anlage zum Schriftsatz vom<br />

27.06.2006) <strong>und</strong> dem Gesellschafterbeschluss vom 14.03.2006<br />

ergebe sich die Berechtigung des Herrn X zu Einstellungen<br />

<strong>und</strong> Kündigungen, da aus dieser dem Angestellten Herrn X<br />

gegenüber erteilten Vollmacht nach Außen nicht ersichtlich<br />

ist, dass er zu Einstellungen <strong>und</strong> Entlassungen berechtigt ist.<br />

Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, bei der Zurückweisung<br />

nach § 174 BGB gehe es nicht darum, ob der Handelnde<br />

tatsächlich bevollmächtigt gewesen ist, da auch dem<br />

Bevollmächtigten gegenüber nach § 174 BGB die Zurückweisung<br />

erfolgen kann, wenn weder eine Originalvollmachtsurk<strong>und</strong>e<br />

vorgelegt wurde noch der gekündigte Arbeitnehmer<br />

von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt war. Da der Kläger<br />

weder gesondert in Kenntnis gesetzt war noch der örtliche<br />

Betriebsleiter eine Stellung innehatte, mit der regelmäßig das<br />

Kündigungsrecht verb<strong>und</strong>en ist, war die Zurückweisung der<br />

Kündigung durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers<br />

mit Schreiben vom 21.03.2006 wirksam. Dem steht nicht entgegen,<br />

dass der Kläger in der Klageschrift ausgeführt hatte, er<br />

sei am 17.03.2006 zum örtlichen Geschäftsführer gerufen worden.<br />

Der Kläger hat damit den Begriff Geschäftsführer übernommen<br />

aus dem Kündigungsschreiben, das der Angestellte<br />

Herr X mit dem Zusatz „Geschäftsführer“ unterzeichnete. Dies<br />

ersetzt nicht die Inkenntnissetzung durch den Arbeitgeber im<br />

Sinn des § 174 S. 2 BGB.<br />

105


Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

■ Landesarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 13.11.2007, 2 Sa 838/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Franz Geus, Manggasse 18a,<br />

97421 Schweinfurt, Tel.: 09721/716160, Fax: 09721/716171<br />

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72. Kündigung Ehepartner, Scheinvertrag<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. 1. Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis im<br />

Sinne von § 1 Abs. 1 KSchG.<br />

a. Ihrer insoweit bestehenden Darlegungslast ist die Klägerin<br />

durch die Vorlage der abgeschlossenen Arbeitsverträge nachgekommen.<br />

b. Der Einwand der Beklagten, bei den Arbeitsverträgen<br />

handele es sich um Scheingeschäfte im Sinne von § 117 Abs. 1<br />

BGB, greift nicht durch. Insoweit liegt die Darlegungslast<br />

bei der Beklagten. Nach Würdigung der vorgetragenen<br />

Umstände konnte sich bei der Kammer nicht die Überzeugung<br />

bilden, die Parteien hätten die Arbeitsverträge nicht<br />

abredegemäß durchgeführt, sondern lediglich zum Schein<br />

aufrechterhalten.<br />

aa. Ein nichtiges Scheingeschäft nach § 117 Abs. 1 BGS liegt<br />

vor, wenn die Beteiligten ein Ziel durch den bloßen Schein eines<br />

wirksamen Rechtsgeschäftes erreichen, aber die mit dem<br />

betreffenden Rechtsgeschäft verb<strong>und</strong>enen Rechtswirkungen<br />

nicht eintreten lassen wollen. Ob die Vertragsparteien für ihr<br />

Ziel die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäftes benötigen <strong>und</strong> es<br />

deshalb ernstlich gemeint oder nur zum Schein abgeschlossen<br />

ist, ist durch Auslegung der Willenserklärungen unter Berücksichtigung<br />

der Umstände des Einzelfalles gem. §§ 133,<br />

157 BGB zu ermitteln (Küttner/Röller, Personalbuch 2006, Stichwort:<br />

Arbeitsvertrag, Rn 62).<br />

bb. Zwar sind die geringe Arbeitsleistung der Klägerin, das<br />

dazu im krassen Missverhältnis stehende Monatsentgelt <strong>und</strong><br />

die erklärte Absicht, für die Klägerin die Leistungen der gesetzlichen<br />

Sozialversicherung aufrecht zu erhalten, Indizien für<br />

ein Scheingeschäft (vgl. dazu BAG, Urteil vom 09.02.1995 – 2<br />

AZR 389/94 – EzA § 1 KSchG personenbedingte Kündigung<br />

Nr. 12).<br />

Jedoch ist ein bestehendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis<br />

begründende Voraussetzung einer Mitgliedschaft in<br />

der Sozialversicherung. Das von den Parteien übereinstimmend<br />

angestrebte Ziel verlangt ein wirksames Arbeitsverhältnis.<br />

Dem waren die Parteien sich auch bewusst. Denn nur so<br />

erklärt sich die monatliche Abführung der anfallenden Beiträge<br />

an die Einzugsstelle der Sozialversicherungsträger. Darüber<br />

hinaus ist die Historie des Arbeitsverhältnisses der Klägerin<br />

zu berücksichtigen. Das Arbeitsverhältnis ist gerade nicht<br />

im Zuge der Heirat des Geschäftsführers begründet worden.<br />

Vielmehr bestand es zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre<br />

<strong>und</strong> ist auch als solches „gelebt“ <strong>und</strong> durchgeführt worden.<br />

Beendet worden ist dieses Arbeitsverhältnis zu keiner Zeit. Es<br />

sind lediglich in Form von Nachträgen die wechselseitigen<br />

106 02/08<br />

Leistungspflichten neu festgelegt worden. Worin bei dieser<br />

Entwicklung der übereinstimmende Parteiwillen liegen soll,<br />

fortan das wirksam begründete <strong>und</strong> gelebte Arbeitsverhältnis<br />

in ein nichtiges Scheingeschäft umzuwandeln, bleibt schleierhaft.<br />

Der Umstand der geringen zeitlichen Heranziehung zur<br />

Arbeitsleistung genügt jedenfalls nicht. Es ist ausschließlich<br />

Sache des Arbeitgebers, durch Zuweisung von Arbeit den<br />

vertraglichen Leistungsrahmen auszuschöpfen.<br />

cc. Besteht danach ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien,<br />

ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage ihre Tätigkeit erbracht hat. Solange der Arbeitsvertrag<br />

bestand, spricht alles dafür, dass er auch erfüllt werden<br />

sollte. Sonstige Umstände, die eine andere Rechtsgr<strong>und</strong>lage<br />

zulassen, etwa Mitarbeit auf Gr<strong>und</strong> familiärer Verpflichtung,<br />

liegen nicht vor.<br />

2. Die Kündigung vom 21.09.2006 ist weder aus verhaltensnoch<br />

aus personenbedingten Gründen heraus sozial gerechtfertigt.<br />

a. Allein die Zerrüttung der Ehe der Klägerin <strong>und</strong> des<br />

(Mit-)Geschäftsführers der Beklagten ist für sich genommen<br />

kein Kündigungsgr<strong>und</strong>. Nur wenn sich die ehelichen Auseinandersetzungen<br />

nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles<br />

dergestalt auf das Arbeitsverhältnis auswirken, dass<br />

der Arbeitgeber Gründe zu der Annahme hat, der Arbeitnehmer<br />

werde seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mit der<br />

geschuldeten Sorgfalt <strong>und</strong> Loyalität erfüllen bzw. es werde im<br />

Arbeitsverhältnis zu einer Fortsetzung der ehelichen Streitigkeiten<br />

<strong>und</strong> damit zu einer Störung des Betriebsfriedens kommen,<br />

kann eine Kündigung gern, § 1 Abs. 2 sozial gerechtfertigt<br />

sein. Ohne konkrete nachteilige Auswirkungen auf das<br />

Arbeitsverhältnis ist die Zerrüttung bzw. das Scheitern der<br />

Ehe für die Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung<br />

ohne Aussagekraft (so BAG, Urteil vom 09.02.1995 –2AZR<br />

389/94, a.a.O. unter Hinweis auf Arbeitsgericht Berlin, Urteil<br />

vom 20.03.1990 – 27 Ca 14/90 – EzA § 1 KSchG personenbedingte<br />

Kündigung Nr. 4). ... b. Diese Voraussetzungen liegen<br />

hier nicht vor.<br />

aa. Der Vorfall vom 29.09.2006 kann zur Rechtfertigung der<br />

Kündigung bereits deshalb nicht herangezogen werden, weil<br />

er sich nach dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung<br />

vom 21.09.2006 ereignete.<br />

bb. Auch die behauptete vorsätzliche Schädigung des Firmenvermögens<br />

im Anschluss an eine Auseinandersetzung<br />

der Ehepartner genügt nicht. Jedenfalls vermag die Kammer<br />

nach dem Vortrag der Beklagten eine solche Vertragspflichtverletzung<br />

der Klägerin nicht festzustellen. Allein aus der<br />

Beschädigung des Firmenfahrzeuges kann auf eine vorsätzliche<br />

Handlung nicht geschlossen werden. Die Klägerin hat<br />

vorgebracht, das Firmenfahrzeug beim Ausparken versehentlich<br />

touchiert zu haben. Entsprechend der abgestuften Darlegungslast<br />

im Kündigungsschutzprozess hätte die Beklagte<br />

diesen Einwand durch geeigneten Tatsachenvortrag widerlegen<br />

müssen. Dem ist sie jedoch nicht nachgekommen. Über


die reine Behauptung hinausgehende, den Vorsatz begründende,<br />

Tatsachen konnte sie nicht vortragen.<br />

Zudem könnte nur im Falle einer vorsätzlichen Schädigung<br />

auf eine Abmahnung als Vorstufe zur Kündigung verzichtet<br />

werden.<br />

■ Arbeitsgericht Oldenburg<br />

vom 23.05.2007, 3 Ca 451/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen, Schwachhauser<br />

Heerstraße 25, 28211 Bremen, Tel.: 0421/200730,<br />

Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de, www.dasgesetz.de<br />

73. Abmahnung, Bestimmtheit<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... a. Eine Abmahnung im Sinne des kündigungsschutzrechtlichen<br />

ultima-ratio-Prinzips liegt vor, wenn das Verhalten, das<br />

dem Arbeitnehmer zum Vorwurf gemacht wird, genau bezeichnet<br />

ist. Dazu ist erforderlich, dass das gerügte Verhalten<br />

exakt nach Art <strong>und</strong> Zeitpunkt beschrieben wird. Schlagwortartige<br />

Bezeichnungen, Pauschalurteile oder übertriebene<br />

Darstellungen der Folgen des Verhaltens verbieten sich (vgl.<br />

Arbeitsgericht Wetzlar, DB 1990, 2480; Bertram, Praxis Arbeitsrecht,<br />

Teil III Rn 19, 21). Werden in einer Abmahnung mehrere<br />

Pflichtverletzungen gerügt, so müssen alle Vorwürfe diesen<br />

Anforderungen entsprechen (vgl. BAG, NZA 1991, 768).<br />

b. Diesen Anforderungen genügt das Schreiben vom<br />

06.08.2007 nicht.<br />

Mit diesem Schreiben rügt die Beklagte lediglich pauschal die<br />

Art <strong>und</strong> Weise, wie der Kläger die Pflegedokumentation <strong>und</strong><br />

die Pflegeprozessplanung handhabt. Inwieweit welche Pflegedokumentationen<br />

mangelhaft <strong>und</strong> welche Pflegeprozessplanung<br />

schlecht gewesen sein soll, führt die Beklagte in diesem<br />

Schreiben nicht aus.<br />

Durch diese pauschalen Formulierungen kann die „Abmahnung“<br />

vom 06.08.2007 nicht ihre Funktion erfüllen, als Teil der<br />

Personalakte einem Dritten ohne weitere Informationen ein<br />

zutreffendes <strong>und</strong> objektives Bild der Persönlichkeit <strong>und</strong> der<br />

Leistung des Klägers zu vermitteln. Sie ist auch nicht geeignet,<br />

dem Kläger <strong>und</strong> gegebenenfalls einem künftigen, in das<br />

jetzige Verfahren nicht involvierten Personalverantwortlichen<br />

konkret vor Augen zu führen, welches Fehlverhalten im Wiederholungsfall<br />

zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen<br />

soll.<br />

c. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger<br />

sich nicht durch eine deutliche Abmahnung zu einem ordnungsgemäßen<br />

Verhalten anleiten ließe. Es liegt auch kein<br />

so schwerwiegendes Fehlverhalten vor, dass dem Kläger von<br />

vornherein klar sein musste, dass die Beklagte dieses unter<br />

keinen Umständen akzeptieren könnte.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 14.02.2008, 4 Ca 2505/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann, Von-Scheibler-<br />

Straße 10, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/835555,<br />

Fax: 02371/835556<br />

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74. Konzernweite Beschäftigungspflicht<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht konzernbezogen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 15.11.2007, 4 Sa 154/07<br />

75. Kündigungsschutzrecht, Änderungskündigung zur<br />

Kosteneinsparung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Klage ist begründet, da die mit der Änderungskündigung<br />

der Beklagten vom 3. Februar 2006 angebotene Änderung der<br />

Arbeitsbedingungen nicht sozial gerechtfertigt ist, §§ 2 Satz 1,<br />

1 Abs. 2 KSchG.<br />

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, sie habe die arbeitsvertragliche<br />

Lage nur der tariflichen Lage, namentlich der tatsächlichen<br />

Rechtslage nach dem Gehaltstarifvertrag für den<br />

Einzelhandel- <strong>und</strong> Versandhandel Hessen, angepasst, reicht<br />

dies allein nicht für die Wirksamkeit der mit der Änderungskündigung<br />

verb<strong>und</strong>enen Herabgruppierung aus.<br />

Der Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses erfasst den vertraglich<br />

vereinbarten Lohn, auch wenn er übertariflich ist.<br />

Zur Rückgruppierung auf den tariflichen Lohn müssen daher<br />

Gründe im Sinne des § 1 KSchG vorliegen (KR-Etzel, 8. Aufl.,<br />

§ 2 KSchG, Rn 108).<br />

Dementsprechend ist eine, wie hier ausgesprochene, betriebsbedingte<br />

Änderungskündigung statthaft, wenn das Änderungsangebot<br />

durch dringende betriebliche Erfordernisse<br />

(§ 1 Abs. 2 KSchG), die ein entsprechendes unternehmerisches<br />

Konzept voraussetzen, bedingt ist <strong>und</strong> der Arbeitgeber ein<br />

Änderungsangebot unterbreitet hat, das der Arbeitnehmer<br />

billigerweise hinnehmen muss. Die ein Änderungsangebot<br />

bedingende unternehmerische Entscheidung ist auch bei<br />

Ausspruch einer Änderungskündigung vom Gericht nur auf<br />

offensichtliche Ungeeignetheit, Unsachlichkeit oder Willkür<br />

überprüfbar (etwa BAG, Urteil vom 12. November 1998, AP<br />

Nr. 51 zu § 2 KSchG 1969). Soweit dadurch das Bedürfnis<br />

entfällt, einen Arbeitnehmer zu den bisherigen Bedingungen<br />

oder im bisherigen Umfang weiterzubeschäftigen, kann<br />

<strong>und</strong> muss diesem ein anderweitiger Arbeitsplatz oder eine<br />

reduzierte Beschäftigungsmöglichkeit angeboten werden,<br />

wenn keine anderweitige, den Arbeitnehmer weniger beeinträchtigende<br />

Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung besteht<br />

(BAG, Urteil vom 21. Juli 1995, AP Nr. 36 zu § 15 KSchG 1969).<br />

Hier kann sich die Beklagte allerdings nicht auf betriebliche<br />

Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2<br />

KSchG berufen. Diese können sich aus innerbetrieblichen Umständen<br />

oder durch außerbetriebliche Gründe ergeben. Sie<br />

müssen „dringend“ sein <strong>und</strong> eine Kündigung im Interesse<br />

des Betriebes notwendig machen. Diese weitere Voraussetzung<br />

ist erfüllt, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist,<br />

der betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen auf tech-<br />

107


Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

nischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als<br />

durch eine Kündigung zu entsprechen. Die Kündigung muss<br />

wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein (BAG, Urteil<br />

vom 17. Juni 1990, EZA § 1 KSchG, betriebsbedingte Kündigung<br />

Nr. 102).<br />

Bei Kündigungen aus innerbetrieblichen Gründen muss der<br />

Arbeitgeber darlegen, welche organisatorischen oder technischen<br />

Maßnahmen er angeordnet hat <strong>und</strong> wie sich die<br />

behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die<br />

Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer<br />

auswirken (BAG, Urteil vom 24. Oktober 1979, EZA § 1<br />

KSchG betriebsbedingte Kündigung Nr. 13). Der Vortrag des<br />

Arbeitgebers muss erkennen lassen, ob durch eine betriebliche<br />

Maßnahme oder durch einen externen Anlass das Bedürfnis<br />

einer Tätigkeit des gekündigten Arbeitnehmers wegfällt.<br />

Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige<br />

unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt.<br />

Aus dem Vortrag der Beklagten ist jedoch nicht ersichtlich,<br />

dass der bisherige Arbeitsplatz des Klägers als Teamleiter für<br />

die Warenannahme weggefallen ist, da nach ihren eigenen<br />

Ausführungen weiterhin eine Leitungsfunktion gegenüber<br />

den Mitarbeitern der Warenannahme bestehen bleibt. Insoweit<br />

reicht es nicht aus, wenn diese Führungsaufgaben nur<br />

zum Teil infolge der behaupteten unternehmerischen Entscheidung<br />

entfallen. Aus dem Vortrag der Beklagten ist auch<br />

nicht ersichtlich, wie sich der von ihr behauptete sukzessive<br />

Wegfall der Feinkontrolle <strong>und</strong> die sukzessive Einführung des<br />

elektronischen Lieferscheins, die wesentliche Aufgaben der<br />

Sachbearbeiter <strong>und</strong> Lagerarbeiter in erheblichem Umfang<br />

entfallen lassen haben sollen, auf das Beschäftigungsvolumen<br />

des Klägers auswirken.<br />

Die von der Beklagten im Rahmen der Änderungskündigung<br />

offenbar beabsichtigte Senkung der Lohnkosten kann daher<br />

nur erfolgen, wenn die Unrentabilität bei unveränderten<br />

Lohnkosten zur Stilllegung des Betriebes oder eines Betriebsteils<br />

führen müsste (BAG, vom 12. Januar 2006, EZA § 2<br />

KSchG Nr. 56). Aufgr<strong>und</strong> eines Sanierungskonzepts, das die<br />

Unternehmerentscheidung darstellt, muss nachvollziehbar<br />

sein, dass die angestrebten Einsparungen unumgänglich sind<br />

(BAG, vom 23. Juni 2005, AP Nr. 81 zu § 2 KSchG 1969).<br />

Derartiges wird von der Beklagten indessen nicht dargelegt.<br />

■ Arbeitsgericht Darmstadt<br />

vom 26.03.2008, 5 Ca 468/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Lodzik, Rheinstraße 30,<br />

64283 Darmstadt, Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

76. Kündigungsschutzgesetz, Geltungsbereich, Beweislast<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. ... Dabei war zum Einen davon auszugehen, dass<br />

nach einer im Vordringen befindlichen Rechtsansicht, die<br />

u.a. in mehreren Entscheidungen des LAG Berlin (Urteile<br />

vom 28.10.1994 –6Sa95/94, LAGE § 23 KSchG Nr. 11, vom<br />

18.05.1999 – 18 Sa 56/99 n.v. <strong>und</strong> vom 30.01.2001 – 3 Sa<br />

108 02/08<br />

2125/00, n.v.) <strong>und</strong> vom Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz<br />

(vgl. KR-Weigand, 8. Aufl., § 23 KSchG<br />

Rz 54a ff.) vertreten wird, die Beweislast für den Tatbestand,<br />

dass die Ausnahmeregelungen für Kleinbetriebe gemäß § 23<br />

Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong> 3 KSchG greifen, entgegen der bisherigen<br />

Rechtsprechung des BAG, die dem Arbeitnehmer diesbezüglich<br />

die Beweislast zuwies (ständige Rechtsprechung des BAG<br />

seit der Entscheidung vom 04.07.1957, BAGE 4, S. 203, 207),<br />

der Arbeitgeber trägt.<br />

Das BAG hat es im Urteil vom 24.02.2005 (EzA § 23 KSchG<br />

Nr. 28) ausdrücklich offen gelassen, ob an der von ihm bisher<br />

vertretenen Verteilung der Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast im<br />

Hinblick auf gewichtige Stellungnahmen in der arbeitsrechtlichen<br />

Literatur oder etwa im Hinblick auf die gesetzlichen<br />

Änderungen durch das Arbeitsmarktreformgesetz<br />

vom 24.12.2003 noch festgehalten wird. Zum Anderen hat<br />

sich das BAG in dieser Entscheidung unter Bezugnahme<br />

auf verfassungsrechtliche Vorgaben nochmals für eine abgestufte<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast ausgesprochen. Dazu<br />

hat es ausgeführt, der Arbeitnehmer müsse regelmäßig<br />

zumindest angeben, welche mehr als fünf Arbeitnehmer im<br />

Kündigungszeitpunkt im Betrieb tätig seien, danach müsse<br />

der nunmehr sachnähere Arbeitgeber die Tatsachen <strong>und</strong><br />

Umstände substantiiert darlegen, aus denen sich ergeben<br />

solle, dass regelmäßig weniger Beschäftigte im Betrieb<br />

tätig waren bzw. wieder sein werden. Angaben dazu, dass<br />

der Arbeitnehmer von vorneherein auch die regelmäßige<br />

Wochenarbeitszeit <strong>und</strong> den Zeitpunkt des Beginns der<br />

Beschäftigung der im Kündigungszeitpunkt beschäftigten<br />

Arbeitnehmer angeben müsse, werden auch nach dieser<br />

Rechtsprechung des BAG vom Arbeitnehmer offenbar nicht<br />

erwartet. Geht man hingegen mit den zitierten Stimmen<br />

in Literatur <strong>und</strong> Rechtsprechung von der Beweislast des<br />

Arbeitgebers aus, erscheint es jedenfalls vertretbar, vom<br />

Arbeitnehmer zunächst sogar nur die Angabe der Anzahl der<br />

regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer zu verlangen <strong>und</strong><br />

nähere Ausführungen zu den Personen der Arbeitnehmer<br />

einschließlich ihrer Wochenarbeitszeit <strong>und</strong> Beschäftigungsdauer<br />

erst vom Arbeitgeber zu fordern, wenn er nämlich die<br />

kündigungsschutzrechtlich erhebliche Arbeitnehmerzahl in<br />

Abrede stellt. Dies dürfte auch dem Umstand entsprechen,<br />

dass der Arbeitgeber diesbezüglich regelmäßig mit sachnäheren<br />

Informationen ausgestattet ist als der Arbeitnehmer, der<br />

nur Kenntnisse aus seiner eigenen Wahrnehmung hat, indes<br />

nicht über die vertraglichen Absprachen mit den jeweiligen<br />

Arbeitnehmern verfügt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 20.03.2008, 5 Ta 226/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Rolf Krügermeyer-Kalthoff, Rösrather<br />

Straße 568, 51107 Köln, Tel.: 0221/8804060,<br />

Fax: 0211/88040629<br />

eisenbeis-koeln@etl.de, www.eisenbeis-rechtsanwaelte.de


77. Krankheitsbedingte Kündigung, außerordentliche<br />

Kündigung, Unkündbarkeit, Schwerbehinderung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Die Klage ist zulässig <strong>und</strong> begründet. Das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien wird nicht aufgr<strong>und</strong> der Kündigung vom<br />

06.03.2007 mit dem 30.09.2007 sein Ende finden.<br />

Die krankheitsbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit<br />

der Klägerin <strong>und</strong> die in der Vergangenheit aufgetretenen<br />

Fehlzeiten genügen nicht den Anforderungen, die an eine<br />

außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung mit sozialer<br />

Auslauffrist zu stellen sind.<br />

1. Die Erkrankung eines Arbeitnehmers stellt in der Regel<br />

gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nur einen personenbedingten<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> für eine ordentliche Kündigung dar. Lediglich<br />

in eng begrenzten Ausnahmefällen kommt gemäß § 626<br />

Abs. 1 BGB auch eine außerordentliche Kündigung in Betracht,<br />

wenn für den Arbeitgeber wegen der Fehlzeiten die<br />

Fortführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar geworden<br />

ist. Dieser Fall kann insbesondere dann eintreten, wenn<br />

die ordentliche Kündigung tarifvertraglich oder vertraglich<br />

ausgeschlossen ist (vgl. BAG, vom 12.01.2006 – 2 AZR 242/05,<br />

NZA 2006, 512; BAG, vom 13.05.2004 – 2 AZR 36/04, NZA<br />

2004, 1271; BAG, vom 27.11.2003 – 2 AZR 601/02, NZA<br />

2004, 1118; BAG, vom 18.01.2001 – 2 AZR 616/99, NZA 2002,<br />

455; BAG, vom 16.09.1999 – 2 AZR 123/99 NZA 2000, 141).<br />

Dem Arbeitnehmer ist dann im Falle der außerordentlichen<br />

Kündigung aber eine Auslauffrist zu gewähren, die in der<br />

Länge der sonst einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist<br />

entspricht.<br />

Wie bei der ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung<br />

hat auch im Falle der krankheitsbedingten außerordentlichen<br />

Kündigung die Prüfung des Kündigungsgr<strong>und</strong>es in drei Stufen<br />

zu erfolgen (negative Prognose; erhebliche Beeinträchtigungen<br />

der betrieblichen Interessen; Interessenabwägung. Vgl.<br />

insoweit hinsichtlich der ordentlichen krankheitsbedingten<br />

Kündigung: BAG, vom 01.03.2007 – 2 AZR 217/06, DB 2007,<br />

1702; BAG, vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655;<br />

BAG, vom 07.11.2002 – 2 AZR 599/01, EzA § 1 KSchG Krankheit<br />

Nr. 50; BAG, vom 29.04.1999 – 2 AZR 431/98, AP Nr. 36 zu § 1<br />

KSchG 1969 Krankheit; BAG, vom 12.12.1996 – 2 AZR 7/96,<br />

EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41; BAG, vom 29.07.1993 – 2<br />

AZR 155/93, AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG,<br />

vom 14.01.1993 – 2 AZR 343/92, NZA 1994, 309; BAG, vom<br />

21.05.1992 – 2 AZR 399/91, AP Nr. 30 zu § 1 KSchG 1969<br />

Krankheit). Bei einer außerordentlichen krankheitsbedingten<br />

Kündigung ist der schon bei einer ordentlichen Kündigung<br />

zu beachtende strenge Prüfungsmaßstab auf allen drei<br />

Prüfungsstufen erheblich verschärft, um den hohen Anforderungen<br />

gerecht zu werden, die an einen außerordentlichen<br />

Kündigungsgr<strong>und</strong> zu stellen sind (vgl. BAG, vom 18.01.2001 –<br />

2 AZR 616/99, NZA 2002, 455; BAG, vom 16.09.1999 – 2 AZR<br />

123/99, NZA 2000, 141).<br />

Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung mit<br />

Auslauffrist ist insbesondere dann möglich, wenn der Ar-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

beitnehmer krankheitsbedingt dauernd unfähig ist, seine<br />

vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen (vgl. BAG, vom<br />

27.11.2003 – 2 AZR 601/02 a.a.O.). Hier ist das Arbeitsverhältnis<br />

als Austauschverhältnis durchgehend umfassend gestört.<br />

Weil auf Gr<strong>und</strong> der Erkrankung des Arbeitnehmers auf nicht<br />

absehbare Zeit kein Leistungsaustausch mehr erfolgen wird,<br />

kann in der Regel ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung<br />

der betrieblichen Interessen angenommen werden<br />

(vgl. BAG, vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06, NZA 2007, 1041;<br />

BAG, vom 22.09.2005 – 2 AZR 519/04, NZA 2006, 486; BAG,<br />

vom 12.04.2002 – 2 AZR 148/01, NZA 2002, 1081; BAG, vom<br />

29.01.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709).<br />

Vor einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung<br />

hat der Arbeitgeber nach dem ultima-ratio-Prinzip zunächst<br />

zu versuchen, durch andere Maßnahmen (Umsetzung, leidensgerechte<br />

Gestaltung des Arbeitsplatzes, andere Aufgabenverteilung<br />

etc.) eine anderweitige Beschäftigung des<br />

Arbeitnehmers zu ermöglichen. Bei einer außerordentlichen<br />

Kündigung eines tariflich unkündbaren Arbeitnehmers sind<br />

insoweit verschärfte Anforderungen zu stellen. Der Arbeitgeber<br />

muss mit allen zumutbaren Mitteln eine Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers im Betrieb versuchen. Ein leidensgerechter<br />

Arbeitsplatz ist für den erkrankten Arbeitnehmer ggf.<br />

durch Ausübung des Direktionsrechtes freizumachen (vgl.<br />

BAG, vom 24.06.2004 – 2 AZR 215/03, ZTR 2005, 157; BAG,<br />

vom 18.01.2002 – 2 AZR 616/99 a.a.O.; BAG, vom 05.02.1998 –<br />

2 AZR 227/97, NZA 1998, 771; BAG, vom 06.11.1997 – 2 AZR<br />

253/97, NZA 1998, 833; BAG, vom 29.01.1997 – 2 AZR 9/96,<br />

NZA 1997,709).<br />

Ob die Weiterbeschäftigungspflicht gegenüber dem tariflich<br />

unkündbaren Arbeitnehmer so weit geht, dass ein anderer<br />

Arbeitsplatz auch freizukündigen ist, oder ob nur im Rahmen<br />

eines Ringtausches eine Weiterbeschäftigungspflicht besteht,<br />

hat das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht noch nicht abschließend entschieden.<br />

Der 2. Senat hat eine Freikündigungspflicht bisher<br />

nur im Rahmen des § 15 Abs. 5 KSchG anerkannt, aber auch<br />

dort offen gelassen, ob nicht eine Abwägung zwischen den<br />

Interessen des unkündbaren <strong>und</strong> des betroffenen kündbaren<br />

Arbeitnehmers vorgenommen werden muss (vgl. BAG, vom<br />

18.05.2006 – 2 AZR 207/05, NZA-RR 2007, 272; BAG, vom<br />

18.10.2000 – 2 AZR 494/99, BAGE 96, 78). Die Freikündigungspflicht<br />

wird aus dem besonderen Zweck des § 15 Abs. 5<br />

KSchG abgeleitet, der die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates<br />

sicherstellen soll (vgl. BAG 18.10,2000 – 2 AZR 494/99 a.a.O.).<br />

Der 2. Senat hat in einer weiteren Entscheidung vom 17.<br />

Mai 1984 (vgl. BAG, vom 17.05.1984 – 2 AZR 161/83, AP<br />

BAT § 55 Nr. 3) eine generelle Freikündigungspflicht nicht<br />

angenommen, sondern ausgeführt, es müsse entsprechend<br />

der Vorgabe des § 54 BAT (§ 626 BGB) eine Abwägung vorgenommen<br />

werden. Das Interesse des Arbeitgebers an der Weiterbeschäftigung<br />

des kündbaren Arbeitnehmers könne nicht<br />

schlechthin außer Acht bleiben. Dies wirke sich dahingehend<br />

aus, dass dem unkündbaren Angestellten gr<strong>und</strong>sätzlich ein<br />

Arbeitsplatz zu den bisherigen Bedingungen jedenfalls dann<br />

vorbehalten werden kann, wenn er von einem kündbaren<br />

109


Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

Angestellten besetzt sei, der nach einer Zurückstufung um<br />

eine Vergütungsgruppe ebenfalls weiter beschäftigt werden<br />

könne. Einer generellen Pflicht zur Freikündigung stehe auch<br />

entgegen, dass sie stets einen Eingriff in die Rechte eines<br />

Dritten mit sich bringt, der an sich von den betrieblichen<br />

Kündigungsgründen nicht betroffen ist (Bröhl, Die außerordentliche<br />

Kündigung mit notwendiger Auslauffrist S. 152 ff.,<br />

159; Schleusener, DB 1998, 2368). Dies muss nach Auffassung<br />

des 2. Senates des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichtes jedenfalls dann<br />

gelten, wenn es sich um Arbeitnehmer handelt, die den<br />

Kündigungsschutz nach dem KSchG genießen (vgl. BAG, vom<br />

18.05.2006 – 2 AZR 207/05 a.a.O.).<br />

Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG trägt der Arbeitgeber die<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für die Voraussetzungen einer<br />

krankheitsbedingten Kündigung. Dies gilt erst recht hinsichtlich<br />

der krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung<br />

mit Auslauffrist, da diese noch strengeren Voraussetzungen<br />

als die krankheitsbedingte ordentliche Kündigung unterliegt.<br />

Insbesondere hinsichtlich der negativen Ges<strong>und</strong>heitsprognose<br />

<strong>und</strong> der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

ist jedoch von einer abgestuften Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast<br />

auszugehen.<br />

Im Rahmen der negativen Ges<strong>und</strong>heitsprognose hat der Arbeitgeber<br />

zunächst die Krankheitszeiten vorzutragen, die aufgr<strong>und</strong><br />

ihres Verlaufes <strong>und</strong> ihrer Höhe eine negative Indizwirkung<br />

für die Zukunft entfalten. Sodann hat der Arbeitnehmer<br />

gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzutun, weshalb die ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Prognose positiv sein soll <strong>und</strong> dass mit einer baldigen<br />

Genesung zu rechnen ist. Da der Arbeitnehmer in der<br />

Regel medizinischer Laie ist, genügt er dieser prozessualen<br />

Mitwirkungspflicht bereits dadurch, dass er die Behauptung<br />

des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt,<br />

die ihn behandelnden Ärzte hätten die ges<strong>und</strong>heitliche<br />

Entwicklung als positiv beurteilt. Zusätzlich hat er die ihn<br />

behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden.<br />

Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis für das<br />

Vorliegen einer negativen Ges<strong>und</strong>heitsprognose zu führen<br />

(vgl. BAG, vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 a.a.O.; BAG, vom<br />

27.11.2003 – 2 AZR 601/02, NZA 2004, 1118; BAG, vom<br />

07.11.2002 – 2 AZR 599/01 a.a.O.; BAG, vom 09.05.1993 – 2<br />

AZR 539/92, RzK I 5g Nr. 53). Nicht ausreichend ist hingegen<br />

ein Vortrag des Arbeitnehmers, aus dem sich lediglich ergibt,<br />

dass er sich erst durch die Berufung auf die behandelnden<br />

Ärzte die fehlende Kenntnis über den weiteren Verlauf seiner<br />

Erkrankung verschaffen will.<br />

Die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast dafür, dass die Kündigung<br />

nicht durch eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen<br />

Arbeitsplatz vermieden werden kann, trägt gemäß § 1 Abs. 2<br />

Satz 4 KSchG ebenfalls zunächst der Arbeitgeber. Der Umfang<br />

der Darlegungslast des Arbeitgebers hängt hinsichtlich einer<br />

möglichen <strong>und</strong> zumutbaren Weiterbeschäftigungspflicht aber<br />

davon ab, wie sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die<br />

Kündigung einlässt. Bestreitet der Arbeitnehmer nur seine<br />

dauernde Leistungsunfähigkeit, genügt der allgemeine Vortrag<br />

des Arbeitgebers, eine Weiterbeschäftigung auf einem<br />

110 02/08<br />

anderen leidensgerechten Arbeitsplatz sei nicht möglich. Es<br />

obliegt dann dem Arbeitnehmer konkret darzustellen, wie<br />

er sich eine andere Beschäftigung vorstellt, an welche Art<br />

der Beschäftigung er denkt, falls die Weiterbeschäftigung<br />

auf seinem bisherigen Arbeitsplatz tatsächlich nicht mehr<br />

möglich sein sollte. Erst nach einem solchen konkreten Sachvortag<br />

des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber im Einzelnen<br />

darzulegen <strong>und</strong> zu beweisen, aus welchen wirtschaftlichen,<br />

organisatorischen oder technischen Gründen eine solche anderweitige<br />

Beschäftigung nicht durchführbar ist (vgl. BAG,<br />

vom 29.10.1998 – 2 AZR 666/97, NZA 1999, 377; KR-Griebeling,<br />

§ 1 KSchG Rn 346).<br />

Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX ist im Rahmen der<br />

Prüfung der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen<br />

zusätzlich eine gesteigerte Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers<br />

zu beachten.<br />

Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte<br />

Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern einen Anspruch auf<br />

Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse<br />

möglichst voll verwerten <strong>und</strong> weiterentwickeln können. Der<br />

Arbeitgeber erfüllt diesen Anspruch regelmäßig dadurch,<br />

dass er dem Arbeitnehmer die im Arbeitsvertrag vereinbarte<br />

Arbeit zuweist. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Tätigkeiten aber wegen seiner Behinderung<br />

nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach<br />

der Konzeption der §§ 81 ff. SGB IX nicht ohne weiteres zum<br />

Wegfall des Beschäftigungsanspruches. Der Arbeitnehmer<br />

kann einen Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung<br />

haben <strong>und</strong>, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit<br />

nicht abdeckt, eine entsprechende<br />

Vertragsänderung verlangen (vgl. BAG, vom 14.03.2006 – 9<br />

AZR 411/05, NZA 2006, 1214; BAG, vom 04.10.2005 – 9 AZR<br />

632/04, NZA 2006, 442; BAG, vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04,<br />

NZA 2006, 155; BAG, vom 28.04.1998 – 9 AZR 348/97, NZA<br />

1999, 152).<br />

Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des<br />

schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung<br />

gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX unzumutbar ist<br />

oder sie nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen<br />

realisiert werden kann. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet,<br />

für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen<br />

Arbeitsplatz einzurichten (vgl. BAG, vom 14.03.2006 –<br />

9 AZR 411/05 a.a.O.; BAG, vom 04.10.2005 – 9 AZR 632/04<br />

a.a.O.; BAG, vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, a.a.O.).<br />

Macht der schwerbehinderte Arbeitnehmer den schwerbehinderten<br />

rechtlichen Beschäftigungsanspruch nach § 81 Abs. 4<br />

Satz 1 Nr. 1 SGB IX geltend, so hat er nach den allgemeinen<br />

Regeln gr<strong>und</strong>sätzlich die Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast für<br />

die anspruchsbegründenden Voraussetzungen. Dagegen hat<br />

der Arbeitgeber die anspruchshindernden Umstände vorzutragen.<br />

Dazu gehören insbesondere diejenigen, aus denen<br />

sich die Unzumutbarkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers<br />

ergeben soll (vgl. BAG, vom 10.05.2005 – 9 AZR 230/04,<br />

a.a.O.).


2. Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist der Beklagten eine Weiterbeschäftigung<br />

der Klägerin auch über den 30.09.2007 hinaus<br />

zumutbar.<br />

Zwar hat die Beklagte in der Vergangenheit bereits sehr viel<br />

Geduld mit der Klägerin gezeigt. Dennoch verstößt die Kündigung<br />

vom 06.03.2007 aufgr<strong>und</strong> der hier gegebenen Besonderheiten<br />

gegen das oben geschilderte ultima-ratio-Prinzip.<br />

a) Selbst wenn der Einsatz in dem Amt für Soziales <strong>und</strong> Wohnen<br />

als gescheitert zu betrachten ist, ist die Beklagte wegen<br />

des gemäß § 34 Abs. 1 TVöD bestehenden besonderen Kündigungsschutzes<br />

<strong>und</strong> dem sich zusätzlich aus § 81 Abs. 4 Satz 1<br />

Nr. 1 SGB IX ergebenden besonderen Beschäftigungsanspruches<br />

verpflichtet, die Klägerin auf einer anderen Stelle weiterzubeschäftigen.<br />

Nach den oben dargestellten Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

der abgestuften Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast hat die Klägerin<br />

mit der Benennung der Stelle in der VHS eine konkrete Vorstellung<br />

hinsichtlich einer anderen Beschäftigung vorgetragen,<br />

die ihren ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen Rechnung<br />

trägt. Die von der Beklagten gegen den Einsatz in der VHS<br />

erhobenen Einwände greifen demgegenüber nicht durch.<br />

Zwar ist der Arbeitgeber nach den oben geschilderten Prinzipien<br />

nicht verpflichtet, zur Vermeidung einer krankheitsbedingten<br />

Kündigung eine neue Stelle zu schaffen. Dies gilt auch<br />

im Rahmen der erweiterten Beschäftigungspflicht des § 81<br />

Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX.<br />

Dementsprechend wendet die Beklagte auch ein, dass für<br />

einen Einsatz der Klägerin in der VHS eine Planstelle nicht<br />

vorhanden sei. Dies allein kann einer Weiterbeschäftigung der<br />

Klägerin aber nicht entgegen gehalten werden. Mit dem Einsatz<br />

in der VHS wird die Beklagte nicht verpflichtet, hier eine<br />

Planstelle für die Klägerin einzurichten. Das Fehlen einer Planstelle<br />

stand selbst aus Sicht der Beklagten bereits seit r<strong>und</strong> 7<br />

Jahren einer Beschäftigung der Klägerin nicht entgegen. Die<br />

Klägerin wird seit dem X außerplanmäßig geführt. Zunächst<br />

war dies in der Registratur des Jugendamtes der Fall. Später<br />

erfolgte dann der überplanmäßige Einsatz in der Rechtsstelle<br />

des Amtes für Soziales <strong>und</strong> Wohnen. Ob ein Einsatz erfolgt<br />

<strong>und</strong> zumutbar ist oder nicht, richtet sich demnach nicht danach,<br />

ob es eine entsprechende Planstelle gibt. Maßgebend<br />

dürfte vielmehr sein, dass ein Einsatz auch für die Beklagte<br />

sinnvoll gestaltet werden kann. Dies wird wiederum nicht<br />

von dem Stellenplan der Beklagten abhängen, sondern richtet<br />

sich danach, ob es einen konkreten Beschäftigungsbedarf für<br />

die Mitarbeiterin gibt. In der VHS kann dieser angenommen<br />

werden, denn die Beklagte trägt mit am 26.06.2007 bei dem<br />

Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Seite 3 (Bl. 177 d.<br />

A.) selbst vor, dass der Einsatz in der VHS dringend erforderlich<br />

war. Darüber hinaus hatte die Beklagte zunächst selbst beabsichtigt,<br />

die Klägerin ab dem 08.01.2007 in der VHS einzusetzen,<br />

obwohl hier eine Planstelle fehlte. Nachdem die Beklagte<br />

von dieser Absicht aufgr<strong>und</strong> der erneuten Krankmeldung der<br />

Klägerin abgerückt ist, blieb die Stelle dennoch nicht frei,<br />

sondern wurde trotz fehlender Planstelle mit einer anderen<br />

Arbeitskraft besetzt.<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

Die derzeitige Besetzung der Stelle in der VHS mit einer anderen<br />

Kraft führt ebenfalls nicht zu einer Unzumutbarkeit<br />

der Weiterbeschäftigung der Klägerin. Es bedurfte hier keiner<br />

Entscheidung der oben unter 1a geschilderten Rechtsfrage,<br />

ob der Arbeitgeber verpflichtet sein kann, nötigenfalls<br />

einen anderen Arbeitsplatz für den unkündbaren Arbeitnehmer<br />

frei zukündigen. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin in<br />

der VHS kann bereits durch einen Ringtausch herbeigeführt<br />

werden, ohne dass die jetzige Stelleninhaberin oder der jetzige<br />

Stelleninhaber gekündigt werden müsste. Die Beklagte,<br />

die gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG nach den oben geschilderten<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen auch im Rahmen der außerordentlichen<br />

krankheitsbedingten Kündigung sich zu einer substantiiert<br />

von dem Arbeitnehmer behaupteten Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />

konkret einzulassen hat, behauptet nicht einmal,<br />

dass der jetzt in der VHS eingesetzten Kraft gekündigt werden<br />

müsste, wenn die Klägerin nun dorthin wechseln würde. Dies<br />

erscheint auch wenig wahrscheinlich, denn ursprünglich sollte<br />

in der VHS die Klägerin <strong>und</strong> nicht die jetzt dort eingesetzte Arbeitkraft<br />

beschäftigt werden. Hätte die Beklagte an ihrem ursprünglichem<br />

Plan festgehalten, wäre die andere Arbeitskraft<br />

auf ihrem bis dahin inne gehabten Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen<br />

gewesen. Die Beklagte behauptet nicht, dass dieser<br />

Arbeitplatz entfallen ist oder aus anderen Gründen nicht mehr<br />

zur Verfügung steht. Dies kann auch kaum der Fall sein, denn<br />

dann hätte die Beklagte die nun in der VHS tätige Kraft längst<br />

für eine Kündigung vorsehen müssen. Der Einsatz in der VHS<br />

hatte sich nämlich erst sehr überraschend für die andere Kraft<br />

ergeben. Die Beklagte wusste erst am 08.01.2007, dass die<br />

Stelle in der VHS nicht von der Klägerin besetzt werden wird.<br />

Die Klägerin hatte sich erst sehr kurzfristig zum Dienstantritt<br />

krank gemeldet.<br />

Da die Beklagte insgesamt über 9035 Mitarbeiter verfügt,<br />

hätte sie näher zur Stellensituation ausführen müssen <strong>und</strong><br />

darlegen müssen, warum allein die nun eingetretene zeitliche<br />

Verzögerung der ursprünglich in der VHS geplanten<br />

Beschäftigung der Klägerin jetzt diesen Einsatz wegen der<br />

zwischenzeitlichen Stellenbesetzung nicht mehr zumutbar<br />

erscheinen lässt. Aufgr<strong>und</strong> der hohen Beschäftigtenzahl der<br />

Beklagten <strong>und</strong> wegen der ursprünglich in der VHS beabsichtigten<br />

Tätigkeit der Klägerin kann mangels gegenteiligem<br />

Vortrag der Beklagten davon ausgegangen werden, dass<br />

die jetzt in der VHS beschäftigte Arbeitskraft im Wege des<br />

Ringtausches auf ihre ursprüngliche Stelle oder einen ab dem<br />

Zeitpunkt des 08.01.2007 für sie ursprünglich vorgesehenen<br />

Arbeitsplatz versetzt werden kann.<br />

■ Arbeitsgericht Essen<br />

vom 29.08.2007, 6 Ca 969/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Joachim Sturm, Hansastraße 18-<br />

20, 46236 Bottrop, Tel.: 02041/22197, Fax: 02041/27405<br />

sturm@rechtsanwalt.com, www.sturm-tietze.de<br />

111


Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

78. Kündigungsfrist, Massenentlassungsanzeige<br />

Im Fall einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1<br />

KSchG wird die Kündigungsfrist erst mit Ablauf der Sperrfrist<br />

des § 18 Abs. 1 KSchG in Lauf gesetzt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 21.12.2007, 6 Sa 1846/07<br />

79. Kündigungsschutzklage, nachträgliche Zulassung, Zugang<br />

der Kündigungserklärung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. Auf die gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 KSchG statthafte, form<strong>und</strong><br />

fristgerecht erhobene Beschwerde der Klägerin vom<br />

07.01.2008 war der Beschluss des Arbeitsgerichts München –<br />

35 Ca 13145/07 – ersatzlos aufzuheben, da die Klägerin ihre<br />

Klage vom 24.09.2007 gegen die Kündigung der Beklagten<br />

vom 31.08.2007 wegen deren Zugang bei der Klägerin erst<br />

am 01.09.2007 rechtzeitig innerhalb der Dreiwochenfrist<br />

gemäß § 4 S. 1 KSchG beim Arbeitsgericht erhoben hat,<br />

§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 S. 1, 193 BGB; der letzte Tag der<br />

Dreiwochenfrist, der 22.09.2007, war ein Sonnabend, der<br />

nächste Werktag Montag, der 24.09.2007.<br />

Die Kündigung der Beklagten vom 31.08.2007 ist der Klägerin<br />

erst am 01.09.2007 zugegangen, weil sie von dem Boten der<br />

Beklagten erst am 31.08.2007 um 15.40 Uhr in deren Briefkasten<br />

eingelegt worden ist. Insoweit folgt das Landesarbeitsgericht<br />

der im Übrigen sorgfältig <strong>und</strong> zutreffend begründeten<br />

Entscheidung des Erstgerichts nicht, sondern schließt sich der<br />

weiter unten zitierten Rechtsprechung des BAG zu § 130 BGB<br />

an.<br />

Die Frage, wann ein Kündigungsschreiben der abwesenden<br />

Empfängerin im Sinne von § 130 BGB zugeht, ist in Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> Schrifttum nach wie vor äußerst streitig, vgl. etwa<br />

die Darstellung bei Palandt, BGB, 67. Auflage München 2008,<br />

§ 130 BGB (Heinrichs) Rn 6. Unter Hinweis auf schwankende<br />

Zustellzeiten der Deutsche Post AG, die über den gesamten<br />

Tag gestreuten Zustellzeiten anderer privater Zustellunternehmen<br />

<strong>und</strong> den Umstand, dass vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmerinnen<br />

ohne Personen, die tagsüber zuhause weilen,<br />

erst abends den Briefkasten zu leeren pflegen, wenn sie von<br />

der Arbeit heimkehren, sowie ausgehend von der Ansicht, ein<br />

in den Briefkasten eingeworfenes Schriftstück gehe dem Empfänger<br />

zu dem Zeitpunkt zu, zu dem noch mit der nächsten<br />

Entnahme zu rechnen sei <strong>und</strong> der These, die Vorstellung, nach<br />

der nur vormittags mit Briefzustellungen zu rechnen sei, sei<br />

überholt, es sei nicht auf die individuellen Verhältnisse des<br />

Empfängers abzustellen, sondern im Interesse der Rechtssicherheit<br />

zu generalisieren, wird mehrfach in der Literatur <strong>und</strong><br />

Rechtsprechung die Meinung vertreten, Briefe gingen den<br />

Empfängern zu, wenn sie bis 18.00 Uhr abends in deren Briefkasten<br />

eingeworfen würden. Dabei bezieht sich die Literatur<br />

im Wesentlichen auf eine Entscheidung des BayVerfGH vom<br />

15.10.1992 – Vf. 117-VI – 91 = NJW 1993, 518-520 <strong>und</strong> des LG<br />

Stuttgart vom 20.12.2001 – Az. 20 O 467/01 = BB 2002, 380.<br />

Der Entscheidung des LG Stuttgart, das sich im Übrigen wenig<br />

112 02/08<br />

tiefgründig <strong>und</strong> auch noch in abfälliger Weise mit der Rechtsprechungspraxis<br />

der Gerichte für Arbeitssachen zu § 130 BGB<br />

befasst, lag ein Einwurf eines Kündigungsschreiben an einem<br />

Donnerstag, dem 30.09.1999 gegen 14.00 Uhr zugr<strong>und</strong>e, einem<br />

Zeitpunkt, zu dem man an Werktagen noch mit Postzustellungen<br />

rechnen müsste, vgl. LAG Berlin 22.01.1999 6 Sa<br />

106/98 = AuA 1999, 326, der Entscheidung des BayVerfGH<br />

bei Zustellung eines Widerspruchs gegen 18.00 Uhr abends<br />

ein Fall, in dem die Empfänger nach Auffassung des Gerichts<br />

mit dem Eingang des Widerspruchs unter voller Ausschöpfung<br />

der zur Verfügung stehenden Frist rechnen mussten <strong>und</strong><br />

somit eine Nachschau am Abend veranlasst gewesen wäre;<br />

außerdem hatte der BayVerfGH nur zu entscheiden, ob die<br />

Entscheidung des Landgerichts willkürlich gewesen ist <strong>und</strong><br />

das Gr<strong>und</strong>recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör<br />

gemäß Art. 91 Abs. 1 BayVerf. verletzt hatte. Der BayVerfGH<br />

geht in seiner Entscheidung auch davon aus, dass nach der<br />

vorhandenen Rechtsprechung zu § 130 BGB die Gr<strong>und</strong>sätze,<br />

dass ein Schreiben an dem Tag zugeht, an dem nach den<br />

Gepflogenheiten des Verkehrs mit einer Leerung des Briefkastens<br />

noch zu rechnen ist, regelmäßig gelten <strong>und</strong> dass es auf<br />

eine Prüfung des Einzelfalles ankommt. Das Landesarbeitsgericht<br />

Berlin stellt in seiner bereits oben genannten Entscheidung<br />

vom 22.01.1999 – Az. 6 Sa 106/98 = AuA 1999, 326<br />

fest, in größeren Städten ende die Briefzustellung der Post-AG<br />

gegen 14.00 Uhr, so dass ein durch einen Boten um 14.00 Uhr<br />

in einen Briefkasten eingelegtes Kündigungsschreiben dem<br />

Empfänger noch am selben Tag zugegangen sei, da mit seiner<br />

Entnahme durch den Empfänger zu rechnen sei.<br />

Das erkennende Gericht orientiert sich an der Rechtsprechung<br />

des BAG. In seiner Entscheidung vom 08.12.1983 AP Nr. 12 zu<br />

§ 130 BGB hält das BAG fest, dass von einem sich während<br />

einer Krankheit oder einer sonstigen Arbeitsfreistellung<br />

gewöhnlich zuhause aufhaltenden Arbeitnehmer nach der<br />

Verkehrsanschauung nicht zu erwarten sei, dass er nach den<br />

allgemeinen Postzustellzeiten seinen Wohnungsbriefkasten<br />

nochmals überprüfe. Werde ein Kündigungsschreiben erst<br />

erhebliche Zeit nach der allgemeinen Postzustellung in<br />

seinen Wohnungsbriefkasten geworfen (im entschiedenen<br />

Fall gegen 16.30 Uhr), gehe ihm die Kündigung erst am<br />

nächsten Tag zu.<br />

Mit Urteil vom 16.03.1988 AP Nr. 16 zu § 130 BGB führt das<br />

BAG aus, eine Kündigung gehe einem Arbeitnehmer auch<br />

dann nach den allgemeinen Gr<strong>und</strong>sätzen gemäß § 130 BGB<br />

zu, wenn er urlaubsabwesend sei <strong>und</strong> der Arbeitgeber dies<br />

wisse. Unter l. 5. der Entscheidungsgründe heißt es, da den<br />

Feststellungen des LAG nicht entnommen werden könne,<br />

dass der Einwurf des Kündigungsschreibens vor oder zu<br />

den normalen Postzustellzeiten erfolgt sei, gehe der Senat<br />

zugunsten des Klägers davon aus, dass der Zugang erst am<br />

nächsten Tag erfolgt sei.<br />

Aus diesen beiden Entscheidungen, denen das erkennende<br />

Gericht folgt, ergibt sich, dass auch bei einem urlaubsabwesenden<br />

Arbeitnehmer der Zeitpunkt des Einwurfs des Kündigungsschreibens<br />

maßgeblich für dessen Zugang ist. Sofern es


zu einem Zeitpunkt – hier um 15.40 Uhr – in den Briefkasten<br />

der Arbeitnehmerin eingeworfen wird, zu dem nach der Verkehrsanschauung<br />

nicht mehr mit dessen Leerung gerechnet<br />

werden kann, geht das Kündigungsschreiben der Arbeitnehmerin<br />

erst am nächsten Werktag – hier also am Sonnabend,<br />

dem 01.09.2007 – zu.<br />

München ist eine größere Stadt im Sinne der Rechtsprechung<br />

des LAG Berlin vom 22.01.1999 (a.a.O.), so dass mit Postzustellungen<br />

bis 14.00 Uhr gerechnet werden muss. Die Klägerin<br />

ist eine geringfügig beschäftigte Arbeitnehmerin mit einer<br />

Arbeitszeit von lediglich acht St<strong>und</strong>en wöchentlich (vgl. Arbeitsvertrag<br />

ohne Datum Bl. 5/7 d.A.), so dass sie nicht erst<br />

abends von der Arbeit heimkehrt oder aber weit vor oder erst<br />

nach dem Postzustellungszeitraum zur Arbeit geht, so dass sie<br />

ihren Briefkasten zeitnah nach Ende der normalen Postzustellungszeit<br />

entleeren dürfte; jedenfalls musste die Beklagte als<br />

Kündigungserklärende damit rechnen, dass die Klägerin ihren<br />

Briefkasten derart zeitig nach Ende des Postzustellungszeitraumes<br />

leert.<br />

Diese Entscheidung, die gemäß § 78 ArbGG durch den Kammervorsitzenden<br />

allein <strong>und</strong> ohne mündliche Verhandlung ergeht,<br />

ist unanfechtbar. Die Rechtsbeschwerde ist nach Auffassung<br />

des BAG wegen des in § 5 KSchG normierten eigenständigen<br />

Verfahrensweges generell unzulässig, vgl. BAG,<br />

20.08.2002 – 2 AZB 16/02 – AP Nr. 14 zu § 5 KSchG sowie BAG,<br />

15.09.2005 – 3 AZB 48/05 – NZA-RR 2006, 211<br />

■ Landesarbeitsgericht München<br />

vom 06.03.2008, 7 Ta 2/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Fritz Maier, Jakob-Klar-Straße<br />

14, 80796 München, Tel.: 089/2737290, Fax: 089/27372929<br />

info@FachanwaltMaier.de, www.FachanwaltMaier.de<br />

80. Betriebsratsanhörung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

1. Die von dem Beklagten mit Schreiben vom 28.09.2006<br />

ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist unwirksam.<br />

Sie verstößt gegen § 102 Abs. 1 BetrVG. Der bei dem Beklagten<br />

bestehende Betriebsrat ist zu der mit Schreiben vom<br />

28.09.2006 ausgesprochenen Kündigung nicht ordnungsgemäß<br />

angehört worden.<br />

a) Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

ist die Kündigung des Arbeitnehmers nicht nur dann<br />

unwirksam, wenn der Betriebsrat überhaupt nicht angehört<br />

worden ist, sondern auch dann, wenn der Betriebsrat nicht<br />

ordnungsgemäß angehört wurde. Insbesondere wenn der<br />

Arbeitgeber seine Mitteilungspflicht gegenüber dem Betriebsrat<br />

nicht ausreichend erfüllt hat, unabhängig davon,<br />

ob <strong>und</strong> wie der Betriebsrat zu der mangelhaften Anhörung<br />

Stellung genommen hat (vgl. BAG, 16.09.1993, AP Nr. 62 zu<br />

§ 102 BetrVG 1972).<br />

Jedoch führt nicht die Unrichtigkeit der Arbeitgeberangaben<br />

als solche notwendigerweise zur Unrichtigkeit des Anhörungsverfahrens.<br />

Der Arbeitgeber braucht nur seine subjektiv<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

determinierten Gründe hinsichtlich der beabsichtigten Kündigung<br />

mitzuteilen (BAG, 29.01.1986, EzA § 102 BetrVG 1972,<br />

Nr. 64; BAG, 24.02.2000, NZA 2000; 764).<br />

Dieser Gr<strong>und</strong>satz der subjektiven Determination bei der Unterrichtung<br />

des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG findet<br />

seine Grenzen an der Pflicht des Arbeitgebers zur wahrheitsgemäßen<br />

Information. Der Arbeitgeber darf damit dem Betriebsrat<br />

nicht Informationen geben bzw. nicht vorenthalten,<br />

aufgr<strong>und</strong> derer bzw. ohne die bei ihm ein falsches Bild über<br />

den Kündigungssachverhalt entsteht. Dies gebietet schon der<br />

Gr<strong>und</strong>satz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§§ 2, 74<br />

BetrVG). Eine bewusst oder gewollt unrichtige Mitteilung,<br />

der für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers maßgebenden<br />

Kündigungsgründe <strong>und</strong> damit eine Irreführung des<br />

Betriebsrats führt zu einem fehlerhaften <strong>und</strong> damit unwirksamen<br />

Anhörungsverfahren (BAG, 11.07.1991, EzA § 102 BetrVG<br />

1972). Auch die bewusst unrichtige <strong>und</strong> unvollständige<br />

Sachdarstellung, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat bewusst<br />

ihm bekannte oder seine Kündigungsgründe bestimmenden<br />

Tatsachen vorenthält, führen zur Unwirksamkeit des<br />

Anhörungsverfahrens (BAG, 09.03.1995, NZA 1995, 678; BAG,<br />

22.09.1994, EzA § 102 BetrVG 1972, Nr. 86; Fitting, BetrVG,<br />

23, Auflage, § 102, Rz 45; DKK-Kittner/Bachner, BetrVG § 102,<br />

Rn 79).<br />

Damit sich der Betriebsrat ein genaues, zutreffendes <strong>und</strong><br />

vollständiges Bild von den Kündigungsgründen des Arbeitgebers<br />

machen kann, ist der Betriebsrat daher vollständig <strong>und</strong><br />

wahrheitsgemäß über die Gründe zu unterrichten (vgl. BAG,<br />

16.09.1993, AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972; BAG, 29.01.1997,<br />

AP Nr. 131 zu § 626 BGB).<br />

b) Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts,<br />

geht die Kammer davon aus, dass der<br />

Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 20.09.2006 <strong>und</strong><br />

der damit verb<strong>und</strong>enen Aktennotiz vom 15.09.2006, nicht<br />

ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG angehört<br />

hat.<br />

Im Anhörungsschreiben heißt es, dass das vorgef<strong>und</strong>ene Geld<br />

sich nicht im dafür vorgesehenen Safe, sondern in Geldtaschen<br />

<strong>und</strong> Geldkassetten, die aber nicht im Safe deponiert<br />

waren, bef<strong>und</strong>en habe. Diese Sachdarstellung ist nur teilweise<br />

richtig <strong>und</strong> damit unvollständig. Mit dieser Sachdarstellung<br />

wird der Eindruck erweckt, dass der Kläger überhaupt kein<br />

Geld in dem dafür vorgesehenen Safe aufbewahrt hat. Der<br />

Beklagte geht jedoch selbst davon aus, dass sich zumindest<br />

ein Teil des Bargeldbestandes in Höhe von € 1.8<strong>85</strong>,56 in dem<br />

Safe im Haus Am Blink bef<strong>und</strong>en hat.<br />

Im Anhörungsschreiben vom 20.09.2006 heißt es weiter, dass<br />

der Kläger keine Angaben zum Verbleib des Geldes machen<br />

konnte. Auch in diesem Zusammenhang wird der Sachverhalt<br />

unvollständig dargestellt. Der Kläger hat bei seiner Befragung<br />

durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Beklagten unstreitig<br />

erklärt, es befände sich noch Bargeld in der unteren<br />

rechten Schublade seines Schreibtisches. Aufgr<strong>und</strong> dieser Angabe<br />

wurde dort ein weiterer Bargeldbetrag in einer Tasche in<br />

113


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Höhe von € 1.162,19 gef<strong>und</strong>en. Dies ergibt sich auch aus der,<br />

der Anhörung beigefügten Aktennotiz vom 15.09.2006. Die<br />

widersprüchlichen Angaben im Anhörungsschreiben einerseits<br />

<strong>und</strong> der Aktennotiz andererseits, führen zur Irreführung<br />

des Betriebsrats. Er kann sich damit kein genaues, zutreffendes<br />

<strong>und</strong> vollständiges Bild von dem Sachverhalt machen, der<br />

die Kündigung begründen soll.<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 22.02.2007, 10 Ca 10321/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen, Schwachhauser<br />

Heerstraße 25, 28211 Bremen, Tel.: 0421/200730,<br />

Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de, www.dasgesetz.de<br />

81. Änderungskündigung, Änderung des Arbeitszeitvolumens<br />

Sieht eine unternehmerische Konzeption vor, zur Vermeidung<br />

weiterer Verluste das aufgewandte Arbeitsentgelt für Löhne<br />

<strong>und</strong> Gehälter um 15% zu kürzen, dann ist eine dahingehende<br />

Änderungskündigung unverhältnismäßig, wenn im<br />

Kündigungszeitpunkt schon ersichtlich ist, dass allein wegen<br />

des endgültigen Ausscheidens weiterer Arbeitnehmer (hier<br />

mindestens 8 von 107), die Kürzung der Arbeitzeit aller<br />

verbleibenden Arbeitnehmer um 15% nicht mehr in dieser<br />

Höhe notwendig ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 05.12.2007, 15 Sa 1546/07<br />

Betriebsverfassungs-/<br />

Personalvertretungsrecht<br />

82. Einigungsstelle, Aussetzung des Einsetzungsverfahrens<br />

1. Eine Vermittlung durch die B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit kann<br />

nicht gegen den Willen eines der Betriebspartner stattfinden,<br />

wenn es um einen Interessenausgleichsversuch geht.<br />

2. Eine Aussetzung des Einigungsstelleneinsetzungsverfahrens<br />

bis zur Erledigung eines mit der beabsichtigten Betriebsänderung<br />

im Zusammenhang stehenden Strafverfahrens widerspricht<br />

regelmäßig dem Sinn <strong>und</strong> Zweck des Einigungsstellenverfahrens,<br />

die schnelle Wiederaufnahme der vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit der Betriebspartner zu gewährleisten.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 30.01.2007, 1 TaBV 106/06<br />

83. Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten,<br />

Versetzung, Unterrichtsumfang<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. 2. a) Ein Arbeitgeber muss zur Ingangsetzung des Verfahrens<br />

nach § 99 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats<br />

zu einer personellen Maßnahme nicht zwingend ausdrück-<br />

114 02/08<br />

lich beantragen. Es genügt, wenn seine Absicht, ein Zustimmungsverfahren<br />

einzuleiten, für den Betriebsrat aus den Umständen<br />

erkennbar ist (BAG, 05. April 2001 – 2 AZR 580/99 –<br />

BAGE 97/267, zu II 2c bb). Die Unterrichtung gemäß § 99<br />

Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BetrVG ist ebenso wie der Widerspruch<br />

des Betriebsrats nach § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG (hierzu BAG,<br />

11. Juni 2002 – ABR 43/01 – BAGE 101/298, zu B IV 1b) eine<br />

rechtsgeschäftsähnliche Handlung, die bei Unklarheiten nach<br />

dem Maßstab von § 133 BGB auszulegen ist (vgl. LAG Düsseldorf,<br />

01. Februar 2002 – 10 Sa 1628/01 – LAGE BGB § 620,<br />

Personalrat Nr. 6, zu l 2). Bei der Auslegung ist daher nicht am<br />

buchstäblichen Sinn des Erklärten zu haften, sondern der wirkliche<br />

Wille des Erklärenden zu erforschen. Das bedeutet, dass<br />

zunächst vom Wortlaut der Erklärung auszugehen ist. Dieser<br />

beschränkt die Auslegung jedoch nicht. Vielmehr ist der wirkliche<br />

Wille des Erklärenden anhand der dem Erklärungsempfänger<br />

bekannten <strong>und</strong> der aus seiner Perspektive erkennbaren<br />

Umstände zu erforschen (BAG, 14. Juli 2005 – 8 AZR 392/02 –<br />

AP BGB § 611 Ruhen des Arbeitsverhältnisses Nr. 4, zu 2a; 12.<br />

September 2006 – 9 AZR 686/05 – AP TzBfG § 8 Nr. 17, zu B II<br />

3d aa; BGH, 05. Oktober 2006 -III ZR 166/05, NJW 2006/3777,<br />

zu 3). Haben der Erklärende <strong>und</strong> der Erklärungsempfänger die<br />

Erklärung in gleicher Weise verstanden, ist dieses gemeinsame<br />

Verständnis für die Auslegung maßgeblich. In einem solchen<br />

Fall bedarf es keiner weiteren Auslegung (BGH, 26. Oktober<br />

1983 – IVa ZR 80/82 – LM BGB § 133 (B) Nr. 22, zu II; 20.<br />

November 1997 – IX ZR 152/96 – LM BGB § 135 Nr. 7, zu II<br />

2; 07. Dezember 2001 – V ZR 65/01 – NJW 2002/1038, zu<br />

II 3b aa).<br />

Nach diesem Maßstab ist das Schreiben vom 17. Oktober<br />

2006 nicht nur als Unterrichtung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1<br />

BetrVG über die vorläufige Durchführung der Versetzung zu<br />

verstehen, sondern auch als erneute Anhörung nach § 99<br />

Abs. 1 Satz 1, 2 BetrVG. Richtig ist zwar, dass in einer Mitteilung<br />

über die vorläufige Durchführung einer personellen<br />

Maßnahme nicht ohne weiteres eine weitere Beteiligung hinsichtlich<br />

der dauerhaften Maßnahme nach § 99 BetrVG liegt,<br />

wenn der Arbeitgeber eine solche Anhörung bereits vorher in<br />

zeitlichem Zusammenhang durchgeführt <strong>und</strong> der Betriebsrat<br />

widersprochen hatte. Dasselbe kann gelten, wenn der Arbeitgeber<br />

nach einem Widerspruch versucht, den Betriebsrat<br />

noch umzustimmen (vgl. LAG Bremen, 13. September 2001 –<br />

4 TaBV 6/01 – EzA-SD 1/02 S. 12, zu IIB 1b).<br />

Das Schreiben vom 17. Oktober 2006 hatte indessen einen<br />

davon abweichenden Erklärungswert. Zunächst spricht der<br />

Wortlaut dieses Schreibens für die Absicht der Arbeitgeberin,<br />

erneut ein Verfahren nach § 99 BetrVG in Gang zu setzen.<br />

Bereits die Überschrift des Schreibens enthält u.a. die Angabe<br />

„Mitteilung nach § 99 BetrVG“. In den Zwischenüberschriften<br />

ist u.a. der Begriff „Versetzung“ angekreuzt. Am Ende<br />

von Seite 1 findet sich eine Belehrung über die Frist von<br />

§ 99 Abs. 3 BetrVG. In der ersten Hälfte der Begründung<br />

ist wiederum von einer Versetzung <strong>und</strong> von einer neuen<br />

Eingruppierung die Rede, also von nach § 99 BetrVG mit-


estimmungspflichtigen Maßnahmen. Auch bei Berücksichtigung<br />

der weiteren Umstände hatte das Schreiben vom 17.<br />

Oktober 2006 aus der Perspektive des Betriebsrats – bei all<br />

seinen vom Arbeitsgericht zutreffend aufgezeigten Ungenauigkeiten<br />

– keinen anderen Erklärungswert. Dafür ist zunächst<br />

wesentlich, dass Gegenstand des Schreibens eine gegenüber<br />

der mit Schreiben vom 20. September 2007 angekündigten<br />

zeitlich abgeänderte Maßnahme war. Versetzung <strong>und</strong> Umgruppierung<br />

sollten danach nicht bereits zum 01. Oktober,<br />

sondern erst zum 01. November 2006 durchgeführt werden.<br />

Da der Zeitraum, in der eine personelle Maßnahme durchgeführt<br />

werden soll, deren Gegenstand mitbestimmt (vgl. Hess.<br />

LAG, 31. Juli 2007 – 4 TaBV 35/07 – BeckRS 2007/48717, zu<br />

II3), brachte die Arbeitgeberin mit dem Schreiben vom 17. Oktober<br />

2006 zum Ausdruck, die zunächst geplante Maßnahme<br />

modifiziert durchführen zu wollen. In einem solchen Fall liegt<br />

der Wille zur Durchführung eines erneuten Beteiligungsverfahrens<br />

nach § 99 BetrVG nicht fern. Dies gilt umso mehr,<br />

als vor der Unterrichtung vom 20. September 2006 eine<br />

Ausschreibung nach § 93 BetrVG unterb<strong>liebe</strong>n war <strong>und</strong> die<br />

Arbeitgeberin aus diesem Gr<strong>und</strong> damit rechnen musste, dass<br />

der Widerspruch des Betriebsrats vom 22. September 2006<br />

daher jedenfalls nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG begründet war.<br />

Entschließt sich ein Arbeitgeber in einer solchen Situation,<br />

zunächst von der geplanten Maßnahme Abstand zu nehmen,<br />

liegt es nahe, dass er nach der Nachholung der Ausschreibung<br />

ein erneutes Beteiligungsverfahren durchzuführen beabsichtigt.<br />

Ausschlaggebend ist jedenfalls, dass der Betriebsrat das<br />

Schreiben vom 17. Oktober 2006 gemäß seinem Widerspruch<br />

vom 19. Oktober 2006 ebenso wie die Arbeitgeberin als<br />

erneute Beteiligung nach § 99 BetrVG verstanden hat <strong>und</strong><br />

daher ein übereinstimmendes Verständnis der Beteiligten<br />

vorlag. Der Betriebsrat nahm mit seinem Widerspruch zu<br />

einer Maßnahme im Sinne von § 99 BetrVG Stellung, <strong>und</strong> zwar<br />

ohne einen Vorbehalt dahingehend zu machen, dass er der<br />

Maßnahme nur vorsorglich für den Fall des Vorliegens einer<br />

erneuten Anhörung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BetrVG<br />

widerspreche. Soweit er Mängel des Beteiligungsverfahrens<br />

rügte, betraf dies nicht eine Unklarheit darüber, ob überhaupt<br />

ein Verfahren nach § 99 BetrVG eingeleitet werden sollte. Er<br />

rügte vielmehr Unklarheiten in Zusammenhang mit der<br />

Umgruppierung <strong>und</strong> kam unter Ziffer 1a zu dem Ergebnis,<br />

dass vermutlich über eine Versetzung <strong>und</strong> deren vorläufige<br />

Durchführung unterrichtet werden sollte. Dies deckt sich<br />

jedenfalls soweit mit den Intentionen der Arbeitgeberin, wie<br />

es nicht um die Umgruppierung ging. Abger<strong>und</strong>et wird der<br />

Eindruck, dass der Betriebsrat u.a. auch eine erneute Stellungnahme<br />

gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG abgeben wollte,<br />

durch den Umstand, dass er mit § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG<br />

gegenüber seiner ersten Stellungnahme einen zusätzlichen<br />

Widerspruchsgr<strong>und</strong> gegen die Versetzung geltend machte.<br />

Dies wäre in einer allein auf die vorläufige Durchführung<br />

der Maßnahme beschränkten Stellungnahme gemäß § 100<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Abs. 2 Satz 2 BetrVG ohne Sinn gewesen. Die Beteiligten<br />

haben damit übereinstimmend zumindest hinsichtlich der<br />

Versetzung ein weiteres Beteiligungsverfahren nach § 99<br />

BetrVG durchgeführt.<br />

b) Die Anträge sind zurückzuweisen, da die Arbeitgeberin<br />

den Betriebsrat weder mit dem Schreiben vom 20. September<br />

2006 noch mit dem vom 17. Oktober 2006 dem Maßstab von<br />

§ 99 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BetrVG entsprechend unterrichtet<br />

hat. Die Zustimmung eines Betriebsrats zu einer personellen<br />

Maßnahme kann unabhängig davon, aus welchen Gründen<br />

der Betriebsrat widersprochen hat, nur ersetzt werden, wenn<br />

die Stellungnahmefrist von § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Gang<br />

gesetzt wurde. Dies setzt eine den gesetzlichen Anforderungen<br />

entsprechende Unterrichtung des Betriebsrats voraus<br />

(BAG, 14. Dezember 2004 – 1 ABR 55/03 – BAGE 113/109, zu<br />

B II 2a; 28. Juni 2005 – 1 ABR 26/04 – AP BetrVG 1972 § 99<br />

Einstellung Nr. 49, zu B II 2a). Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG<br />

ist der Betriebsrat vor jeder Versetzung über die Maßnahme<br />

zu unterrichten. Nach der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

dient die Unterrichtungspflicht dazu, dem Betriebsrat<br />

eine Gr<strong>und</strong>lage für eine sachgerechte Stellungnahme gemäß<br />

§ 99 Abs. 2, Abs. 3 BetrVG zu geben. Der Arbeitgeber<br />

muss den Betriebsrat so unterrichten, dass dieser in die Lage<br />

versetzt wird zu prüfen, ob ein Verweigerungsgr<strong>und</strong> im Sinne<br />

von § 99 Abs. 2 BetrVG vorliegt (BAG, 14. Dezember 2004,<br />

a.a.O., zu B II 2 bbb (2); 28. Juni 2005, a.a.O., zu B II 2b aa<br />

(1)).<br />

Hier fehlten zumindest Angaben über die Gründe der Auswahl<br />

von Herrn X für die Versetzung. Damit kann dahinstehen,<br />

ob auch die weiteren Unklarheiten im Rahmen der Unterrichtungsschreiben<br />

insbesondere im Zusammenhang mit<br />

der Umgruppierung <strong>und</strong> deren Vereinbarkeit etwa mit § 14<br />

Ziffer 4, 5c, d GMTV der Annahme einer gesetzmäßigen Unterrichtung<br />

entgegenstehen. Die Arbeitgeberin hat unter Zurückweisung<br />

der Rüge des Betriebsrats, sie habe keine Sozialauswahl<br />

durchgeführt, auf Seite 9 der Antragsschrift ausdrücklich<br />

das Gegenteil behauptet. Sie hat dazu jedoch weder<br />

in den Unterrichtungsschreiben noch auf die bezeichnete<br />

Rüge des Betriebsrats irgendwelche näheren Angaben zu<br />

Inhalt <strong>und</strong> Gründen ihrer Auswahlentscheidung gemacht.<br />

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin waren die Gründe<br />

der Sozialauswahl nicht ausschließlich im individualrechtlichen<br />

Verhältnis zu Herrn X relevant. Sie haben im Gegenteil<br />

zumindest auch für die Widerspruchsgründe von § 99 Abs. 2<br />

Nr. 2, 3 <strong>und</strong> 4 BetrVG erhebliche Relevanz <strong>und</strong> gehören daher<br />

zu den nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zwingend mitzuteilenden<br />

Informationen über eine Versetzung. Zutreffend<br />

ist zwar, dass im Rahmen des Widerspruchsgr<strong>und</strong>es von § 99<br />

Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die individualrechtliche Zulässigkeit einer<br />

Maßnahme nicht relevant ist (vgl. BAG, 10. August 1993 – 1<br />

ABR 22/93 – NZA 1994/187, zu B II 2; 02. April 1996 – 1 AZR<br />

743/95 – AP BetrVG 1972 § 95 Nr. 34, zu l 1). Die Widerspruchsgründe<br />

von § 99 Abs. 2 Nr. 3, 4 BetrVG dienen dagegen der<br />

Wahrung der Interessen einerseits des von einer personel-<br />

115


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

len Maßnahme unmittelbar betroffenen Arbeitnehmers <strong>und</strong><br />

andererseits der der übrigen Mitglieder der Belegschaft des<br />

Betriebes. Der individualrechtliche Schutz der Arbeitnehmer<br />

soll kollektivrechtlich ergänzt werden. Eine Benachteiligung<br />

im Sinne dieser Normen kann sich daher nicht nur aus bloßen<br />

tatsächlichen Nachteilen, sondern gerade auch aus dem Verlust<br />

individualrechtlicher Rechtspositionen ergeben (vgl. etwa<br />

BAG, 30. August 1995 – 1 ABR 11/95 – AP BetrVG 1972 § 99<br />

Versetzung Nr. 5, zu A II 2; 02. April 1996 – 1 ABR 31/95 – AP<br />

BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 9, zu B l 2a, 3a; 18. September<br />

2002 – 1 ABR 56/01 – AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung<br />

Nr. 31, zu B l 2a; 25. Januar 2005 – 1 ABR 61/03 – AP BetrVG<br />

1972 § 99 Einstellung Nr. 48, zu B II 4c bb). Widersprüche gemäß<br />

§ 99 Abs. 2 Nr. 3 <strong>und</strong> Nr. 4 BetrVG können insbesondere<br />

auch mit der Argumentation begründet werden, der Arbeitgeber<br />

habe bei der Maßnahme soziale Auswahlgesichtspunkte<br />

nicht berücksichtigt. Liegt einer Versetzung wie die Herrn X<br />

betreffende eine Änderungskündigung zugr<strong>und</strong>e, kann ein<br />

Widerspruch nach § 99 Abs. 2 Nr. 3, 4 BetrVG in Anlehnung an<br />

§ 1 Abs. 3 KSchG auf einer fehlerhafte Sozialauswahl gestützt<br />

werden. Diese Widerspruchsgründe sollen eine Stärkung der<br />

kündigungsschutzrechtlichen Position des betroffenen Arbeitnehmers<br />

bewirken (BAG, 30. August 1995, a.a.O., zu A II 3a;<br />

02. April 1996, a.a.O., zu B l 3b).<br />

Damit ist die Kenntnis des Betriebsrats über die Beweggründe<br />

einer Auswahlentscheidung des Arbeitgebers unerlässlich zur<br />

sachgerechten Ausübung dieser Widerspruchsrechte. Gilt zudem<br />

eine Auswahlrichtlinie im Betrieb, ist eine Unterrichtung<br />

über die Auswahlgründe auch für die Prüfung des Widerspruchsgr<strong>und</strong>es<br />

von § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG erforderlich.<br />

Die Unterrichtung des Betriebsrats über eine Einstellung<br />

oder Versetzung umfasst daher zwingend die Gründe einer<br />

Auswahlentscheidung des Arbeitgebers. Gegebenenfalls sind<br />

gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die Bewerbungsunterlagen<br />

aller Bewerber sowie vom Arbeitgeber gefertigte Niederschriften<br />

von Bewerbungsgesprächen vorzulegen, um dem<br />

Betriebsrat eine Überprüfung der Auswahl des Arbeitgebers<br />

zu ermöglichen (BAG, 14. Dezember 2004, a.a.O., zu B II 2b;<br />

28. Juni 2005, a.a.O., zu B II 2b). Mangels Mitteilung der<br />

Auswahlgründe der Arbeitgeberin fehlt es daher an einer<br />

gesetzmäßigen Einleitung des Beteiligungsverfahrens.<br />

Der Berücksichtigung dieses Mangels steht das Gebot zur vertrauensvollen<br />

Zusammenarbeit von § 2 Abs. 1 BetrVG nicht<br />

entgegen. Der Betriebsrat hat in seinem Widerspruch vom<br />

19. Oktober 2006 ausdrücklich eine fehlende Sozialauswahl<br />

gerügt. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er die<br />

Gründe der Sozialauswahl im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 4<br />

BetrVG für relevant hält <strong>und</strong> mangels anderweitiger Unterrichtung<br />

vom Fehlen einer solchen ausgeht. Spätestens hier<br />

hätte die Arbeitgeberin ihre Auswahlgründe benennen müssen.<br />

Angesichts der Reaktion des Betriebsrats, die der Arbeitgeberin<br />

eine sachgerechte Reaktion ermöglicht hätte, besteht<br />

kein Anlass, nach der einschlägigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

(14. Dezember 2004, a.a.O., zu B II 2a aa,<br />

116 02/08<br />

bb; 28. Juni 2005 a.a.O., zu B II 3a b) von einem unzulässig<br />

widersprüchlichen Verhalten des Betriebsrats auszugehen.<br />

Da damit die Zustimmung des Betriebsrats zu der Versetzung<br />

von Herrn X nicht zu ersetzen ist, kommt auch eine Ersetzung<br />

seiner Zustimmung zur Umgruppierung von Herrn X nicht<br />

in Betracht. Die Umgruppierung soll gerade auf der mit der<br />

Versetzung angestrebten Tätigkeitsänderung beruhen. Ist die<br />

Versetzung unzulässig, fehlt jede Gr<strong>und</strong>lage für die Umgruppierung.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 16.10.07, 4 TaBV 136/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Lodzik, Rheinstraße 30,<br />

64283 Darmstadt, Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

84. Einigungsstelle, keine offensichtliche Unzuständigkeit<br />

bei Arbeitsschutz<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. ... Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle,<br />

wenn die Tatbestandsvoraussetzungen einer betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Norm, welche die Konfliktlösung durch<br />

Spruch der Einigungsstelle vorsieht, ohne jeden Zweifel nicht<br />

gegeben sind (GMP/Matthes, Rn 11; GK-ArbGG/Leinemann,<br />

Rn 23; ErfK/Eisemann, § 98 ArbGG Rz 3; ArbGV/Koch, Rn 17).<br />

Für den häufigsten Fall der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte<br />

bedeutet dies, dass der Antrag unbegründet ist, wenn<br />

offensichtlich das vom Betriebsrat in Anspruch genommene<br />

Mitbestimmungsrecht nicht besteht (BAG, 06.12.1983 AP<br />

BetrVG 1972 § 87 – Überwachung – Nr. 7), d.h. wenn bei<br />

fachk<strong>und</strong>iger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar<br />

ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der<br />

streitigen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen<br />

Gesichtspunkt in Frage kommt (LAG Berlin, 18.2.1980, AP<br />

ArbGG 1979, § 98 Nr. 1; LAG Düssetdorf, 4.11.1988, NZA 89,<br />

146; Fitting u.a., 23. Aufl., § 76 Rz 21).<br />

Im vorliegenden Fall will der Antragsteller eine Regelung erzielen<br />

in einer Angelegenheit, für die ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht<br />

besteht, d.h. in einem Fall, in dem der Spruch<br />

der Einigungsstelle die Einigung zwischen. Arbeitgeber <strong>und</strong><br />

Betriebsrat ersetzt, §§ 76 Abs. 5, 87 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 7<br />

BetrVG. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat, soweit<br />

eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen<br />

bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen<br />

<strong>und</strong> Berufskrankheiten sowie über den Ges<strong>und</strong>heitsschutz<br />

im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften <strong>und</strong> Unfallverhütungsvorschriften.<br />

Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG setzt<br />

voraus, dass eine Regelung im Rahmen einer gesetzlichen Vorschrift<br />

oder einer Unfallverhütungsvorschrift ergeht. Es muss<br />

danach eine Vorschrift vorliegen, die Maßnahmen der Unfallverhütung<br />

bzw. des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes erfordert, dabei<br />

aber einen ausfüllungsfähigen <strong>und</strong> ausfüllungsbedürftigen<br />

Rahmen vorgibt, innerhalb dessen den Betriebsparteien ein<br />

Regelungsspielraum bleibt. Als solche Rahmenregelungen,


die einen Gestaltungsspielraum für das Mitbestimmungsrecht<br />

des Betriebsrats geben, kommen § 3 <strong>und</strong> § 4 Arbeitsschutzgesetz<br />

in Betracht (vgl. Fitting, a.a.O., § 87 Rz 295, 299), wobei<br />

das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sich nicht nur<br />

auf kollektive Regelungen in Bezug auf das Verhalten der<br />

Arbeitnehmer bezieht, sondern auch auf organisatorische<br />

Maßnahmen, vgl. § 3 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz, die Sicherheit<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit der Arbeitnehmer bei der Arbeit<br />

beeinflussen (vgl. Fitting, a.a.O. Rz 279, 295).<br />

Der Begriff des Ges<strong>und</strong>heitsschutzes ist weit zu verstehen.<br />

Betroffen sind Maßnahmen, die dazu dienen, die physische<br />

<strong>und</strong> psychische Integrität des Arbeitnehmers zu erhalten, der<br />

arbeitsbedingten Beeinträchtigungen ausgesetzt ist, die zu<br />

medizinisch feststellbaren Verletzungen oder Erkrankungen<br />

führen oder führen können. Erfasst werden danach auch vorbeugende<br />

Maßnahmen (vgl. Fitting, a.a.O., Rz 262).<br />

Der Inhalt der Betriebsanweisung Nr. 11/2006 der Beteiligten<br />

zu 2 beziehungsweise ihrer Nachfolgerin dient auch der<br />

Verhütung von Arbeitsunfällen <strong>und</strong> dem Ges<strong>und</strong>heitsschutz.<br />

Bei stürmischen Winden <strong>und</strong> Sturm ist die sichere Funktionsfähigkeit<br />

der Geräte, auf die sich die Betriebsanweisung<br />

bezieht, nicht gewährleistet. Es besteht die Gefahr, dass sie<br />

unkontrollierbar werden, unter Umständen sogar umkippen,<br />

was die Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung der die Geräte bedienenden<br />

Arbeitnehmer offenbar macht. Die Beteiligte zu 2 als Arbeitgebern<br />

ist daher gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 verpflichtet, die erforderlichen<br />

Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen, <strong>und</strong><br />

gemäß § 3 Abs. 2 ArbSchG zur Planung <strong>und</strong> Durchführung<br />

der Maßnahmen für eine geeignete Organisation zu sorgen<br />

<strong>und</strong> Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen bei allen<br />

Tätigkeiten beachtet werden. Da aber auch insoweit die<br />

durchzuführenden Maßnahmen <strong>und</strong> Vorkehrungen nicht konkret<br />

durch das Gesetz bereits festgelegt worden, besteht ein<br />

Spielraum für die Mitbestimmung des Betriebsrats. Eine offensichtliche<br />

Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist daher nicht<br />

anzunehmen.<br />

Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle<br />

ergibt sich auch dann nicht, wenn davon auszugehen wäre,<br />

dass hinsichtlich des Gegenstands der Betriebsanweisung<br />

Nr. 11/2006 eine Regelungsabrede zwischen den Beteiligten<br />

getroffenen worden ist. Infolge der durch den Antragsteller<br />

mit Schreiben vom 23.5.07 erklärten Kündigung, endet<br />

eine solche Regelungsabrede dann unter Berücksichtigung<br />

der in § 77 Abs. 5 BetrVG bestimmten Kündigungsfrist von<br />

drei Monaten, sodass nach Ablauf der Kündigungsfrist die<br />

zwischen den Beteiligten strittige Materie einer Neuregelung<br />

zugänglich ist<br />

■ Arbeitsgericht Hamburg<br />

vom 28.06.2007, 5 BV 12/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dorothea Goergens, Koppel<br />

78, 20099 Hamburg, Tel.: 040/249836, Fax: 040/2801806<br />

info@alex-goergens-theal.de, www.alex-goergens-theal.de<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

<strong>85</strong>. Einigungsstelle, keine offensichtliche Unzuständigkeit<br />

bei Ges<strong>und</strong>heitsschutz<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren um die Einrichtung<br />

einer Einigungsstelle mit dem ... Gegenstand „Sicherung<br />

... des ... Fußgängerübergangs ... am ... Zebrastreifen<br />

am Sozialgebäude“ bei der Beteiligten zu 2.<br />

Die Beteiligte zu 2. betreibt am Tollerort Terminal einen<br />

Betrieb zum Containerumschlag. Wegen des zunehmenden<br />

Containerumschlags <strong>und</strong> der damit zusammenhängenden<br />

An- <strong>und</strong> Abfahrt der Lkws kommt es zu Staus auf dem<br />

Betriebsgelände der Beteiligten zu 2., unter anderem auch<br />

am so genannten Sozialgebäude, in dem sich die Kantine<br />

<strong>und</strong> die Umkleideräume befinden. Um zum Sozialgebäude<br />

zu gelangen, müssen die Beschäftigten der Beteiligten zu 2.<br />

die Straße mit dem Lkw-Verkehr queren. Die Straße ist an<br />

dieser Stelle mit einem Zebrastreifen versehen. Es kommt vor,<br />

dass die sich stauenden Lkws mit den langen Aufliegern für<br />

den Containertransport den Zebrastreifen blockieren, d.h. ihn<br />

nicht zum Queren freilassen.<br />

Der Beteiligte zu 1. legte mit Schreiben vom 21. Februar 2007<br />

den Entwurf einer Betriebsvereinbarung „Sicherung Zebrastreifen<br />

am Sozialgebäude“ vor (Anlage As 2). Nachdem die<br />

zwischen den Betriebsparteien geführte Korrespondenz nicht<br />

zu einer Einigung führte, schlug der Beteiligte zu 1. mit Schreiben<br />

vom 29. März 2007 die Bildung einer Einigungsstelle vor.<br />

Da die Beteiligte zu 2. den Vorschlag nicht unterstützte, hat<br />

der Beteiligte zu 1. das vorliegende Beschlussverfahren in die<br />

Wege geleitet.<br />

II. ... Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG kann ein Antrag auf<br />

Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden <strong>und</strong> auf Festsetzung<br />

der Zahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit<br />

der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn<br />

die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich<br />

unzuständig ist die Einigungsstelle nur, wenn bei fachk<strong>und</strong>iger<br />

Beurteilung durch das Gericht sofort <strong>und</strong> ohne Weiteres<br />

erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats<br />

in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen<br />

Gesichtspunkt in Frage kommt <strong>und</strong> sich die beizulegende<br />

Streitigkeit zwischen Arbeitgeber <strong>und</strong> Betriebsrat erkennbar<br />

nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des<br />

BetrVG subsumieren lässt (ErfK/Eisemann, 7. Aufl., § 98 ArbGG<br />

Rn 3; GK-ArbGG/Leinemann, § 98 Rn 32; BAG, vom 06.12.1983,<br />

AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung).<br />

Sofern eine strittige Mitbestimmungsfrage noch nicht höchstrichterlich<br />

entschieden wurde <strong>und</strong> in der instanzgerichtlichen<br />

Rechtsprechung bzw. in der Literatur umstritten ist,<br />

ob für den streitigen Regelungsgegenstand ein Mitbestimmungsrecht<br />

besteht, kann gerade nicht von einer offensichtlichen<br />

Unzuständigkeit der Einigungsstelle ausgegangen<br />

werden (LAG Schleswig-Holstein, vom 19.12.2006 – 6 TaBV<br />

14/06 – DB 2007, 924; LAG Niedersachsen, vom 11.11.1993 –<br />

1 BV59/93 – LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 27).<br />

117


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

Das Gericht hat im Bestellungsverfahren nicht die Aufgabe,<br />

die Zuständigkeit der Einigungsstelle abschließend zu prüfen<br />

<strong>und</strong> positiv oder negativ festzustellen. Sinn der Regelung<br />

in § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist es, in Zweifelsfällen der Einigungsstelle<br />

die Prüfung ihrer Zuständigkeit zu überlassen<br />

<strong>und</strong> so eine beschleunigte Durchführung des Einigungsstellenverfahrens<br />

zu ermöglichen (ErfK/Eisemann a.a.O.).<br />

Unter Zugr<strong>und</strong>elegung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist im vorliegenden<br />

Fall die Einigungsstelle nicht offensichtlich für den beabsichtigten<br />

Regelungsinhalt unzuständig.<br />

Rechtlicher Ansatz für ein denkbares Mitbestimmungsrecht<br />

des Beteiligten zu 1. ist § 87 l Nr. 7 BetrVG.<br />

Nach dieser Norm hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen<br />

über den Ges<strong>und</strong>heitsschutz mitzubestimmen, die<br />

der Arbeitgeber zwar aufgr<strong>und</strong> einer öffentlich-rechtlichen<br />

Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm<br />

aber Handlungsspielräume verbleiben (BAG, vom 15.1.2002 –<br />

1 ABR 13/01 – BAGE 100, 173). Mitzubestimmen hat der<br />

Betriebsrat bei der Ausfüllung dieses Spielraums. Dadurch<br />

soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst<br />

effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes<br />

im Betrieb erreicht werden. Das Mitbestimmungsrecht setzt<br />

ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht<br />

<strong>und</strong> wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche<br />

Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel<br />

des Arbeits- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsschutzes zu erreichen. Ob die<br />

Rahmenvorschrift dem Ges<strong>und</strong>heitsschutz mittelbar oder unmittelbar<br />

dient, ist unerheblich. Keine Rolle spielt auch, welchen<br />

Weg oder welche Mittel die dem Ges<strong>und</strong>heitsschutz<br />

dienende Rahmenvorschrift vorsieht. Ebenso wenig kommt<br />

es auf eine subjektive Regelungsbereitschaft des Arbeitgebers<br />

an (BAG, a.a.O.; BAG, vom 8.6.2004 – 1 ABR 4/03 – BAGE 111,<br />

48).<br />

Als öffentlich-rechtliche Rahmenvorschrift für die Sicherung<br />

des Fußgängerüberganges kommt im vorliegenden Fall zum<br />

einen § 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in Betracht, zum anderen<br />

§ 3 der Verordnung über Arbeitsstätten (ArbStättV) in<br />

Verbindung mit 1.8 des Anhangs – Anforderungen an Arbeitsstätten<br />

nach § 3 Abs. 1 der ArbStättV –. Regeln für Arbeitsstätten<br />

gemäß § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 4 der ArbStättV existieren<br />

zurzeit noch nicht, wie sich aus den Internet-Informationen<br />

der B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeitsschutz <strong>und</strong> Arbeitsmedizin ergibt.<br />

Ein wesentliches Hilfsmittel für die praktische Umsetzung<br />

der ArbStättV sind die zunächst weiter bestehenden<br />

Arbeitsstätten-Richtlinien (ASR). Diese gelten zunächst fort,<br />

jedoch nicht länger als 6 Jahre nach Inkrafttreten der<br />

Verordnung. Bezüglich der Verkehrswege existiert die ASR<br />

17/1-2 vom 6. November 1987, die jedoch für die vorliegende<br />

Konstellation keine Anhaltspunkte bietet.<br />

Die Regelung 1.8 im Anhang zur ArbStättV vom 12.08.2004<br />

regelt:<br />

„Verkehrswege, einschließlich Treppen (...) müssen so angelegt<br />

<strong>und</strong> bemessen sein, dass sie je nach ihrem Bestimmungs-<br />

118 02/08<br />

zweck leicht <strong>und</strong> sicher begangen oder befahren werden können<br />

<strong>und</strong> in der Nähe Beschäftigte nicht gefährdet werden.“<br />

„Werden Transportmittel auf Verkehrswegen eingesetzt, so<br />

muss für Fußgänger ein ausreichender Sicherheitsabstand<br />

gewahrt werden.“<br />

Es ... ist ... zumindest ... nicht ... offensichtlich, ... dass<br />

... die ... vorliegende ... Konstellation ... . am Fußgängerübergang<br />

nicht unter diese Regelung subsumiert werden<br />

kann.<br />

Im Übrigen bleibt als rechtlicher Ansatz zumindest § 3<br />

ArbSchG.<br />

Dass es sich insoweit um eine taugliche Rahmenvorschrift für<br />

§ 87l Nr. 7 BetrVG handelt, ist inzwischen allgemein anerkannt<br />

(BAG, vom 16.6.1998 – 1 ABR 68/97 – BAGE 89, 139; Richardi,<br />

BetrVG, 10. Aufl., § 87 Rn 554; GK-Wiese, BetrVG, 8. Aufl., § 87<br />

Rn 602). Allerdings handelt es sich insoweit um eine Generalklausel<br />

des öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzes, wie der inzwischen<br />

aufgehobene § 120a Gewerbeordnung (GewO). Das<br />

BAG hatte bereits zu § 120a GewO darauf hingewiesen, dass<br />

die Mitbestimmung bei Regelungen, die auf diese weiten<br />

Generalklauseln gestützt sind, eine unmittelbare objektive<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefahr voraussetzt (BAG, vom 02.04.1996 – 1 ABR<br />

47/95 – BAGE 82, 349). Die Literatur betont, der Rückgriff<br />

auf eine Generalklausel dürfe nicht bewirken, dass der für<br />

die Mitbestimmung des Betriebsrats wesentliche Unterschied<br />

zwischen dem gesetzlichen <strong>und</strong> autonomen Arbeitsschutz<br />

derogiert wird. Im letzteren Fall habe der Betriebsrat nicht<br />

nach § 87l Nr. 7 BetrVG, sondern nach § 91 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht.<br />

Eine Generalklausel sei daher nur dann eine<br />

ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift im Sinne des § 87l<br />

Nr. 7 BetrVG, wenn sie den Arbeitgeber öffentlich-rechtlich<br />

zu einer Regelung verpflichtet, weil eine konkrete Ges<strong>und</strong>heitsgefahr<br />

vorliegt (GK-Wiese, a.a.O, Rn 604; Richardi, a.a.O.<br />

Rn 555).<br />

In der Entscheidung vom 8. Juni 2004 (a.a.O.) weist das<br />

BAG zwar darauf hin, das Mitbestimmungsrecht bei der Gefährdungsbeurteilung<br />

setze nicht voraus, dass eine konkrete<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefahr bereits hinreichend bestimmbar wäre. Für<br />

den Fall der reinen Anwendbarkeit der Generalklausel des<br />

§ 3 ArbSchG macht es jedoch Einschränkungen im Sinne der<br />

Entscheidung vom 2. April 1996 (a.a.O.).<br />

Wie bereits die Kammer 8 des LAG Hamburg im Beschluss<br />

vom 1. Februar 2007 – 8 TaBV 18/06 – festgestellt hat, muss<br />

es im Rahmen des Einsetzungsverfahrens nach § 98 ArbGG<br />

wegen des anzuwendenden Offensichtlichkeitsmaßstabs ausreichen,<br />

dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorgetragen<br />

hat, bei dem die Möglichkeit einer Handlungspflicht<br />

des Arbeitgebers nach § 3 ArbSchG jedenfalls ernsthaft in<br />

Betracht kommt. Die Kammer 8 des LAG hat die Einsetzung<br />

der Einigungsstelle im dortigen Fall zwar abgelehnt, jedoch<br />

handelte es sich um eine gänzlich andere Konstellation als<br />

die im vorliegenden Verfahren. Es ging dort um eine mögliche<br />

Ges<strong>und</strong>heitsgefährdung von Arbeitnehmern, die die Arbeit<br />

von Betriebsratsmitgliedern wegen deren Ausschussar-


eit mit erledigen sollten. Es fehlte an Angaben über die<br />

konkrete Arbeitssituation an den Arbeitsplätzen.<br />

Im vorliegenden Fall hat der Beteiligte zu 1. zunächst in genereller<br />

Form die Gefährdungssituation am Fußgängerübergang<br />

geschildert, die dadurch entsteht, dass die sich stauenden<br />

Lkws mit den langen Aufliegern den Zebrastreifen blockieren.<br />

Hierdurch werden die Beschäftigten veranlasst, vor oder hinter<br />

dem Lkw die Straße zu überqueren, was bei plötzlichem<br />

Anfahren des Lkws zu gefährlichen Situationen führen kann.<br />

Der Beteiligte zu 1, hat darüber hinaus eine konkrete Situation<br />

für den 22. Juni 2007 dargelegt, in der der stellvertretende<br />

Betriebsratsvorsitzende effektiv beim Anfahren eines Lkw in<br />

Gefahr geraten ist.<br />

Hinsichtlich der Argumentation der Beteiligten zu 2., die<br />

Arbeitnehmer könnten schlicht das Freiwerden des Zebrastreifens<br />

abwarten, bleibt zu klären, wie oft <strong>und</strong> mit welcher<br />

Dauer es zu den entsprechenden Situationen kommt. Im Übrigen<br />

würde auch ein eventuelles unvernünftiges Verhalten<br />

der Beschäftigten, provoziert durch die Gr<strong>und</strong>situation, eine<br />

Handlungspflicht der Beteiligten zu 2. nicht ausschließen.<br />

Da eine Verpflichtung der Beteiligten zu 2. gemäß § 3<br />

ArbSchG somit durchaus in Betracht kommt, war die<br />

Einigungsstelle zunächst in Funktion zu setzen; sie wird<br />

letztlich über ihre Zuständigkeit <strong>und</strong> ggf. die zu treffenden<br />

Maßnahmen entscheiden müssen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamburg<br />

vom 17.08.07, 6 TaBV 9/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dorothea Goergens, Koppel<br />

78, 20099 Hamburg, Tel.: 040/249836, Fax: 040/2801806<br />

info@alex-goergens-theal.de, www.alex-goergens-theal.de<br />

86. Mitwirkung des Personalrats, Schulschließung<br />

Sachverhalt: Lehrerhauptpersonalrat <strong>und</strong> Kultusministerium<br />

stritten um die Mitwirkung des Lehrerhauptpersonalrats bei<br />

einer Schulschließung. Die Schulschließung selbst sollte zum<br />

31.07.2001 erfolgen. Der Schulträger, die Kommune, hatte<br />

durch Stadtratsbeschluss vom 29.06.2000 die Aufhebung<br />

des Gymnasiums beschlossen, aber anscheinend die Schulbehörde<br />

hierüber nicht in Kenntnis gesetzt. Die Schulbehörde<br />

informierte den Hauptpersonalrat mit am 22.05.2001<br />

eingehenden Schreiben <strong>und</strong> forderte zur Mitwirkung auf.<br />

Zu diesem Zeitpunkt, knapp eine Woche vor Beginn der<br />

Sommerferien, war die Schulschließung de facto bereits<br />

realisiert, insbesondere auch das Lehrerkollegium in andere<br />

Schulen versetzt. Der Lehrerhauptpersonalrat sah keinen<br />

Gestaltungsspielraum mehr. Seine Feststellungsanträge,<br />

mit denen er die Verletzung seines Mitwirkungsrechts <strong>und</strong><br />

allgemeiner Informations- <strong>und</strong> Erörterungsrechte rügte, wurden<br />

vom Verwaltungsgericht <strong>und</strong> Oberverwaltungsgericht<br />

abgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde mit<br />

ausführlicher Begründung zurückgewiesen. Ob allerdings das<br />

Verfahren, wie der Tenor nahe legen könnte, tatsächlich für<br />

den Lehrerhauptpersonalrat verloren wurde, kann angesichts<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

des Leitsatzes 2 <strong>und</strong> der inhaltlichen Begründung durchaus<br />

zweifelnd betrachtet werden. (gr)<br />

Das BVerwG hat die Entscheidung mit folgenden Leitsätzen<br />

zur Veröffentlichung in der Fachpresse gegeben:<br />

1. Beabsichtigt ist eine Maßnahme erst dann, wenn der Willensbildungsprozess<br />

beim Dienststellenleiter abgeschlossen<br />

ist.<br />

2. Das Verfahren der Mitwirkung des Lehrerhauptpersonalrats<br />

bei der Zustimmung des Staatsministeriums für Kultus<br />

zum Aufhebungsbeschluss des Schulträgers muss sinnvoller<br />

Weise stattfinden, bevor die Schließung der fraglichen Schule<br />

faktisch vollzogen ist.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung<br />

der Rechtsbeschwerde durch das Oberverwaltungsgericht gemäß<br />

§ 88 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG in Verbindung mit § 92a<br />

Satz 1 ArbGG hat keinen Erfolg.<br />

1. Die Gr<strong>und</strong>satzrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1<br />

Satz 2 ArbGG greift nicht durch. Die in der Beschwerdebegründung<br />

aufgeworfenen Rechtsfragen haben entweder<br />

keine gr<strong>und</strong>sätzliche Bedeutung oder sind nicht entscheidungserheblich.<br />

a) Der Antragsteller will zunächst geklärt wissen, „ob es für<br />

den Zeitpunkt der Unterrichtung der Personalvertretung erst<br />

darauf ankommt, dass nach Einschätzung der Dienststelle<br />

der Willensbildungsprozess abgeschlossen ist <strong>und</strong> sich die<br />

Planung zu einem Entschluss verdichtet hat“. Diese Frage ist<br />

in der Senatsrechtsprechung geklärt.<br />

Nach § 76 Abs. 1 SächsPersVG setzt die Einleitung des<br />

Mitwirkungsverfahrens – ebenso wie diejenige des Mitbestimmungsverfahrens<br />

nach § 79 Abs. 2 Satz 1 SächsPersVG – voraus,<br />

dass der Dienststellenleiter beabsichtigt, eine Maßnahme<br />

zu erlassen. Beabsichtigt ist eine Maßnahme erst dann,<br />

wenn der Willensbildungsprozess beim Dienststellenleiter<br />

abgeschlossen ist (vgl. Beschlüsse vom 6. Dezember 1978 –<br />

BVerwG 6 P 2.78 – BVerwGE 57, 151 = Buchholz<br />

238.3 A § 75 BPersVG Nr. 6 S. 39 <strong>und</strong> vom 3. Mai 1999 –<br />

BverwG 6 P 2.98 – Buchholz 250 § 108 BPersVG Nr. 3 S. 3).<br />

Dies ist auch einhellige Meinung in der personalvertretungsrechtlichen<br />

Kommentarliteratur (vgl. Gerhold, in: Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber,B<strong>und</strong>espersonalvertretungsgesetz,<br />

§ 69 Rn 29; Ilbertz/Widmaier, B<strong>und</strong>espersonalvertretungsgesetz,<br />

10. Aufl. 2004, § 69 Rn 7; Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler,B<strong>und</strong>espersonalvertretungsgesetz,<br />

5. Aufl. 2004, § 69 Rn 24; Fischer/Goeres/Gronimus,<br />

in: GKÖD, Bd. V, K § 69 Rn 6; Rehak, in: Vogelgesang/Bieler/<br />

Kleffner/Rehak, Landespersonalvertretungsgesetz für den<br />

Freistaat Sachsen, G § 76 Rn 21).<br />

b) Ferner will der Antragsteller geklärt wissen, „ob es bei<br />

Schließung einer Schule zum 31.07. eines Jahres ausreicht,<br />

wenn der mitwirkungsberechtigte Lehrerpersonalrat erst<br />

etwa zwei Monate zuvor vom Dienststellenleiter unterrichtet<br />

wird“. Diese Frage bezieht sich darauf, dass der<br />

Lehrerhauptpersonalrat, der Antragsteller, gemäß § 77 Nr. 2<br />

119


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

SächsPersVG bei der Zustimmung des Staatsministeriums für<br />

Kultus, des Beteiligten, mitwirkt, welcher der Beschluss des<br />

Schulträgers über die Aufhebung einer öffentlichen Schule<br />

gemäß § 24 Abs. 1,3 Satz 1 SchulG bedarf (vgl. Beschluss vom<br />

24. Februar 2006 – BVerwG 6 P 4.05 – Buchholz 251.91 § 77<br />

SächsPersVG Nr. 1 Rn 8 ff.). Die Frage zielt darauf ab, dass<br />

das Beteiligungsverfahren sinnvoller Weise stattfinden muss,<br />

bevor die Schließung der fraglichen Schule faktisch vollzogen<br />

ist. In diesem Sinne ist die Frage mit dem Antragsteller<br />

offensichtlich zu bejahen, ohne dass es einer Klärung im<br />

Rechtsbeschwerdeverfahren bedarf. Denn der Antragsteller<br />

ist in seiner ihm nach § 77 Nr. 2 SächsPersVG obliegenden<br />

Entscheidung über die Zustimmung zur Schulschließung<br />

nicht mehr frei, wenn insbesondere durch Unterlassung<br />

eines Anmeldeverfahrens <strong>und</strong> Verteilung von Schülern <strong>und</strong><br />

Lehrern auf andere Schulen bereits weitgehend vollendete<br />

Tatsachen geschaffen sind. Die nach § 76 Abs. 1 SächsPersVG<br />

gebotene rechtzeitige, eingehende <strong>und</strong> auf Verständigung<br />

angelegte Erörterung muss ergebnisoffen sein <strong>und</strong> darf<br />

nicht durch Vollzugsmaßnahmen mit Wirkung auf die<br />

beteiligungspflichtige Maßnahme entwertet werden.<br />

Abgesehen von ihrer eindeutigen Beantwortbarkeit ist die<br />

Frage nach dem hier festgestellten Sachverhalt für sich betrachtet<br />

nicht entscheidungserheblich. Der Beteiligte hat das<br />

Mitwirkungsverfahren unverzüglich eingeleitet, nachdem er<br />

sich entschlossen hatte, der Schulschließung zuzustimmen.<br />

Das dies erst zweieinhalb Monate vor dem in Aussicht genommenen<br />

Schließungstermin, dem 31. Juli 2001, geschehen<br />

ist, beruht darauf, dass die Stadt Zwickau ihren Aufhebungsbeschluss<br />

vom 29. Juni 2000 dem Beteiligten erst so spät<br />

zur Zustimmung vorgelegt hat. Angesichts dessen kann die<br />

späte Einleitung des Mitwirkungsverfahrens allein nicht zum<br />

Erfolg des streitigen Begehrens auf Feststellung führen, dass<br />

der Beteiligte das Mitwirkungsrecht des Antragstellers verletzt<br />

hat. Hinzu kommen muss vielmehr, dass die Verspätung dem<br />

Beteiligten personalvertretungsrechtlich zuzurechnen ist.<br />

c) Dies ist freilich Gegenstand der dritten Fragestellung.<br />

Danach will der Antragsteller geklärt wissen, „ob der Dienststellenleiter<br />

zur Erfüllung der rechtzeitigen Unterrichtungs<strong>und</strong><br />

Informationsverpflichtung gehalten ist, bei sich aufdrängenden,<br />

absehbaren Entscheidungen, ohne dass bereits ein<br />

Entschluss vorliegt, die notwendigen Informationen – etwa<br />

von anderen Behörden – so rechtzeitig einzuholen, dass der<br />

Personalrat noch Einfluss auf die Entscheidung des Dienststellenleiters<br />

nehmen kann“.<br />

Die Frage ist allgemein formuliert. Doch bezieht sie sich, wie<br />

die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung<br />

zeigen, auf die hier in Rede stehende Fallkonstellation, nämlich<br />

die Mitwirkung des Antragstellers bei der Zustimmung<br />

des Beteiligten zum Beschluss des Schulträgers über die Aufhebung<br />

einer Schule.<br />

Soweit der Antragsteller eine Ermittlungspflicht des Beteiligten<br />

unabhängig vom Vorliegen eines Aufhebungsbeschlusses<br />

behauptet, trifft sein Vorbringen offenk<strong>und</strong>ig nicht zu.<br />

120 02/08<br />

Das Mitwirkungsrecht des Antragstellers gemäß § 77 Nr. 2<br />

SächsPersVG bezieht sich auf die Zustimmungsentscheidung<br />

des Beteiligten, für welche ihrerseits nur Raum ist, wenn der<br />

Schulträger die Aufhebung der Schule beschlossen hat. Erst<br />

dieser Beschluss kann personalvertretungsrechtliche Pflichten<br />

des Beteiligten auslösen, die der Sicherstellung einer effizienten<br />

Beteiligung des Antragstellers dienen.<br />

Angesichts dessen kann eine Ermittlungspflicht des Beteiligten<br />

allenfalls postuliert werden, wenn der Aufhebungsbeschluss<br />

des Schulträgers bereits ergangen ist, aber noch<br />

nicht zur Zustimmung gemäß § 24 Abs. 1 <strong>und</strong> 3 Satz 1 SchulG<br />

vorgelegt wurde. Der Senat sieht die Konstellation als von der<br />

Fragestellung des Antragstellers erfasst an, zumal im vorliegenden<br />

Fall der Aufhebungsbeschluss der Stadt Zwickau bereits<br />

ein Jahr vor dem in Aussicht genommenen Schließungstermin<br />

ergangen war. Den Maßstab für eine etwaige Ermittlungspflicht<br />

des Beteiligten hat der Antragsteller in der<br />

Beschwerdebegründung – in der Sache zutreffend – selbst<br />

formuliert, indem er von „sich aufdrängenden, absehbaren<br />

Entscheidungen“ spricht. Eine etwaige Pflicht des Beteiligten,<br />

sich den Aufhebungsbeschluss nebst dazugehörigen Unterlagen<br />

zwecks Durchführung des Mitwirkungsverfahrens frühzeitig<br />

vorlegen zu lassen, setzt demnach voraus, dass sich<br />

dem Beteiligten die Existenz eines solchen Beschlusses aufdrängt.<br />

Für eine weitergehende Verpflichtung des Beteiligten<br />

etwa dahin, dass er jeden denkbaren Schließungsfall ständig<br />

unter Kontrolle halten müsste, liefert das Personalvertretungsrecht<br />

– auch mit Blick auf die im Schulrecht vorgesehene<br />

Aufteilung kommunaler <strong>und</strong> staatlicher Kompetenzen<br />

keinen Anhalt. Legt der Schulträger seinen Aufhebungsbeschluss<br />

– wie dies in § 24 Abs. 3 SchulG als selbstverständlich<br />

vorausgesetzt ist – dem Beteiligten umgehend zur Zustimmung<br />

vor, so sind damit in aller Regel zugleich die Voraussetzungen<br />

für eine effiziente Mitwirkung des Antragstellers unter<br />

zeitlichen Aspekten gegeben. In Fällen der vorliegenden Art<br />

kommt demnach eine Verletzung des Mitwirkungsrechts nach<br />

§ 77 Nr. 2 SächsPersVG nur dann in Betracht, wenn der Beteiligte<br />

untätig bleibt, obschon er den Aufhebungsbeschluss des<br />

Schulträgers kennt oder sich ihm dessen Existenz aufdrängen<br />

muss.<br />

Ob eine Ermittlungspflicht des Beteiligten unter den beschriebenen<br />

Voraussetzungen besteht, kann auf sich beruhen. Die<br />

Frage ist nicht entscheidungserheblich, weil von ihrer Beantwortung<br />

die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts<br />

nicht abhängt. Nach dessen Tatsachenfeststellungen, die mit<br />

zulässigen <strong>und</strong> begründeten Rügen nicht angegriffen werden,<br />

ist für die Annahme, dem Beteiligten hätte sich die<br />

Existenz des Aufhebungsbeschlusses vom 29. Juni 2000 aufdrängen<br />

müssen, kein Raum. Die dem Beteiligten bekannten<br />

Planungen der Stadt Zwickau hatten für die Schließung des<br />

Gymnasiums ursprünglich einen weitaus späteren Termin ins<br />

Auge gefasst. Auch wenn der Beteiligte für die Schuljahre<br />

1999/2000 <strong>und</strong> 2000/2001 hinsichtlich der Klassenstufe 5<br />

des Gymnasiums die staatliche Mitwirkung am Unterhalt der


Schule gemäß § 24 Abs. 3 Satz 2 SchulG widerrufen hatte, so<br />

lag es für ihn in der Zeit bis April 2001 nicht auf der Hand,<br />

dass sich die Stadt Zwickau inzwischen für die endgültige<br />

Schließung der Schule bereits zum 31. Juli 2001 entschieden<br />

hatte. Dass er bis zu diesem Zeitpunkt nicht „bösgläubig“ war,<br />

belegt sein Anhörungsschreiben an den Schulträger vom 29.<br />

März 2001. Unter diesen Umständen ist kein Raum für die Annahme,<br />

der Beteiligte sei in der Zeit vor April 2001 verpflichtet<br />

gewesen, sich zwecks Durchführung des Mitwirkungsverfahrens<br />

nach einem etwa ergangenen Mitwirkungsbeschluss des<br />

Schulträgers zu erk<strong>und</strong>igen.<br />

2. Die Abweichungsrüge gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 2, § 92<br />

Abs. 1 Satz 2 ArbGG bleibt gleichfalls ohne Erfolg. Der<br />

angefochtene Beschluss weicht nicht von den in der Beschwerdebegründung<br />

zitierten Entscheidungen des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts<br />

ab.<br />

a) Nach dem Beschluss vom 11. Oktober 1972 – BVerwG<br />

7 P 2.72 – (BVerwGE 41, 30 = Buchholz 238.3 § 31<br />

PersVG Nr. 13 S. 11) soll die Beteiligung des Personalrats<br />

möglichst frühzeitig einsetzen, damit Vorentscheidungen, die<br />

später kaum noch zu ändern sind <strong>und</strong> die deshalb den<br />

Personalrat in der wirksamen Ausübung seiner Rechte mehr<br />

oder weniger stark beschränken, nicht zu einer vorzeitigen<br />

Auswahl <strong>und</strong> Festlegung der Bewerber für ein bestimmtes<br />

Amt führen. Damit ist die Thematik angesprochen, dass die<br />

Beteiligungsrechte des Personalrats nicht durch vermeintlich<br />

beteiligungsfreie Vorentscheidungen eingeschränkt <strong>und</strong><br />

weitgehend ausgehöhlt werden dürfen (vgl. Beschluss vom<br />

8. Dezember 1999 – BVerwG 6 P 10.98 – Buchholz 250 § 76<br />

BPersVG Nr. 39 S. 4). Im vorliegenden Fall geht es jedoch<br />

nicht um die Beteiligung bei Vorentscheidungen, sondern<br />

darum, ob <strong>und</strong> gegebenenfalls unter welchen Umständen<br />

die Dienststelle gehalten ist, zwecks Sicherstellung einer effizienten<br />

Beteiligung Erk<strong>und</strong>igungen bei anderen Dienststellen<br />

einzuholen. Dazu verhält sich der zitierte Beschluss vom<br />

11. Oktober 1972 nicht.<br />

b) In Abschnitt 4.2 der Beschwerdebegründung (S. 9 f.) zitiert<br />

der Antragsteller aus dem Senatsbeschluss vom 24. Februar<br />

2006 (a.a.O. Rn 17). Danach er schöpfen sich die Aufgaben<br />

der Personalvertretung nicht darin, den ihr zugestandenen<br />

rechtlichen oder tatsächlichen Einfluss in sachlich abgrenzbaren<br />

Zusammenhängen oder gar nur in Einzelfällen zur<br />

Geltung zu bringen. Vielmehr hat sie als Kollektivorgan der<br />

Beschäftigten dafür Sorge zu tragen, dass die gemeinsamen<br />

rechtlichen <strong>und</strong> sozialen Belange nach Recht <strong>und</strong> Billigkeit<br />

gewahrt werden. Über Einzelinformationen hinaus benötigt<br />

die Personalvertretung daher Kenntnisse über alle Fakten <strong>und</strong><br />

Vorhaben, die diese Belange berühren, um Rechtsverstößen<br />

<strong>und</strong> Unbilligkeiten bereits im Vorfeld entgegenwirken zu können.<br />

Die zitierte Passage beschreibt nicht den Umfang des Auskunftsanspruchs<br />

des Personalrats (§ 73 Abs. 2 SächsPersVG)<br />

unabhängig von der jeweils wahrzunehmenden Aufgabe. Sie<br />

bezieht sich vielmehr auf seinen Informationsanspruch, wenn<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

er gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 Nr. 2 SächsPersVG<br />

seine allgemeine Aufgabe wahrnimmt, die Einhaltung des<br />

Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satzes sowie der zugunsten der Beschäftigten<br />

geltenden Regelwerke zu überwachen (vgl. die im<br />

Senatsbeschluss vom 24. Februar 2006, a.a.O., Rn 17 zitierten<br />

Beschlüsse vom 22. Dezember 1993 – BVerwG 6 P 15.92 –<br />

Buchholz 250 § 68 BPersVG Nr. 14 S. 16 f., vom 22. April<br />

1998 – BVerwG 6 P 4.97 – Buchholz 251.91 § 73 SächsPersVG<br />

Nr. 1 S. 2 <strong>und</strong> 6 f. sowie vom 23. Januar 2002 – BVerwG 6<br />

P 5.01 – PersR 2002, 201 , insoweit bei Buchholz 250<br />

§ 68 BPersVG Nr. 17 nicht abgedruckt). Das Oberverwaltungsgericht<br />

hat aber das Feststellungsbegehren des Antragstellers<br />

zu 2 dahin verstanden, dass sich der damit geltend gemachte<br />

Informationsanspruch allein auf das hier relevante Mitwirkungsrecht<br />

nach § 77 Nr. 2 SächsPersVG beziehen sollte (BA<br />

S. 10); zulässige <strong>und</strong> begründete Rügen gegen diese Wertung<br />

erhebt der Antragsteller nicht. Zum Informationsanspruch<br />

des Beteiligten im Zusammenhang mit seiner Aufgabe nach<br />

§ 77 Nr. 2 SächsPersVG verhält sich der Senatsbeschluss vom<br />

24. Februar 2006 erst mit seinen Ausführungen im Anschluss<br />

an die zitierte Passage (a.a.O. Rn 18 ff.). Dem dort hervorgehobenen<br />

Gesichtspunkt der überörtlichen Betrachtungsweise<br />

hat sich das Oberverwaltungsgericht nicht verschlossen (BA<br />

S. 10 f.). Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Antragsteller<br />

zur effektiven Wahrnehmung seines Mitwirkungsrechts nach<br />

§ 77 Nr. 2 SächsPersVG auch Angaben zum künftigen Einsatz<br />

des Lehrerpersonals der zu schließenden Schule benötigt,<br />

enthält der Senatsbeschluss vom 24. Februar 2006 weder<br />

ausdrücklich noch sinngemäß.<br />

■ B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

vom 18.03.2008, 6 PB 19.07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig, Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de, www.advo-gross.de<br />

87. Betriebsratswahl, Wahlbehinderung<br />

1. Die Wahlbeobachtung durch vor dem Wahllokal postierte<br />

Mitarbeiter der Personalabteilung des Arbeitgebers ist keine<br />

Behinderung der Betriebsratswahl.<br />

2. Der Betriebsrat besitzt kein Interesse daran, rückwirkend<br />

feststellen zu lassen, dass ein Verhalten des Arbeitgebers eine<br />

nicht angefochtene Betriebsratswahl behindert hat.<br />

3. Der Betriebsrat ist antragsbefugt, soweit er geltend<br />

macht, ein Verhalten des Arbeitgebers im Rahmen einer<br />

Betriebsratswahl stelle eine groben Verstoß im Sinne von<br />

§ 23 Abs. 3 BetrVG dar.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 07.05.2007, 9 TaBV 80/06<br />

88. Sozialplan<br />

Wenn ein Sozialplan für eine Betriebsänderung (hier Stilllegung<br />

zum 31.12.2010) schon mehr als 7 Jahre im Voraus vereinbart<br />

wird, hat ein Arbeitnehmer auch bei einer Eigenkün-<br />

121


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

digung zu einem Termin mehr als 4 Jahre vor Ende der Betriebsänderung<br />

schon Anspruch auf die Sozialplanabfindung.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 20.08.2007, 10 Sa 1164/07<br />

89. Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten,<br />

Personalgespräche, Personalakten, Persönlichkeitsschutz<br />

des Arbeitnehmers<br />

Der Arbeitgeber hat es zu unterlassen, an Personalgesprächen<br />

außerhalb mitbestimmungspflichtiger Angelegenheiten<br />

gegen den Willen des betroffenen Arbeitnehmers Mitglieder<br />

des Betriebsrates bzw. Personalausschusses teilnehmen zu lassen.<br />

Bei der gebotenen Güterabwägung genießt der Schutz<br />

des Persönlichkeitsrechtes Vorrang vor den kollektivrechtlich<br />

vorgesehenen Beteiligungsrechten des Betriebsrats.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 22.01.2007, 11 Sa 614/04<br />

90. Betriebsrat, Informationsanspruch, Personalstatistik<br />

Wird in einem Unternehmen eine monatliche Personalstatistik<br />

geführt, die einen Abgleich des Soll-Personalstandes mit dem<br />

Ist-Stand vornimmt, hat der Betriebsrat einen Anspruch aus<br />

§ 80 II S. 2 BetrVG <strong>und</strong> aus § 92 BetrVG auf Vorlage dieser<br />

Statistik.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 04.06.2007, 12 TaBV 56/06<br />

91. Betriebsratsschulung, Erforderlichkeit, Strafrecht <strong>und</strong><br />

Betriebsverfassung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) <strong>und</strong><br />

des Beteiligten zu 2) ist begründet. Antragsgemäß war daher<br />

festzustellen, dass die Erforderlichkeit der konkreten Schulung<br />

gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG gegeben war.<br />

1. Der Antrag ist zulässig. Mit Recht hat das Arbeitsgericht<br />

festgehalten, dass das Rechtsschutzinteresse an der Feststellung<br />

der Erforderlichkeit der Schulung nicht schon deshalb<br />

entfallen ist, weil die Schulungsveranstaltung zwischenzeitlich<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat. Denn die Rechtsfrage wird auch in Zukunft<br />

zwischen den Parteien wieder streitig werden, insbesondere<br />

da es sich um eine zukünftig wiederkehrende gleiche Schulungsveranstaltung<br />

an demselben Ort handelt <strong>und</strong> die Beteiligten<br />

zu 1) <strong>und</strong> 2) ein fortbestehendes Interesse an einer<br />

Teilnahme <strong>und</strong> damit an der Klärung der zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Rechtsfrage haben.<br />

2. Der Antrag ist auch begründet. Die Erforderlichkeit einer<br />

Schulungsveranstaltung dieser Thematik ist im Sinne des § 37<br />

Abs. 6 Satz 1 BetrVG gegeben.<br />

a. Nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 37 Abs. 2 BetrVG<br />

ist der Betriebsrat berechtigt, Betriebsratsmitglieder zu<br />

Schulungs- <strong>und</strong> Bildungsveranstaltungen zu entsenden, soweit<br />

diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats<br />

erforderlich sind. Erforderlich ist dabei all das, was<br />

122 02/08<br />

zum Aufgabenbereich des Betriebsrats gehört <strong>und</strong> dessen<br />

Tätigkeit betrifft. Es handelt sich bei der Erforderlichkeit um<br />

einen unbestimmten Rechtsbegriff, der dem Betriebsrat einen<br />

gewissen Beurteilungsspielraum lässt. Er bezieht sich auf den<br />

Inhalt der Veranstaltung, deren Dauer <strong>und</strong> die Teilnehmerzahl<br />

(siehe BAG, Beschluss vom 07.06.1989 – 7 ABR 26/88 –, NZA<br />

1990, S. 149; Erfurter Kommentar-Eisemann, § 37 BetrVG, Rz<br />

17; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 37 Rz 114).<br />

Unumstritten ist in Rechtsprechung <strong>und</strong> Literatur darüber<br />

hinaus, dass die Intensität der notwendigen Darlegung der<br />

Erforderlichkeit davon abhängt, ob Gr<strong>und</strong>kenntnisse oder<br />

Spezialkenntnisse vermittelt werden sollen. Die Vermittlung<br />

von Gr<strong>und</strong>kenntnissen im Betriebsverfassungsrecht <strong>und</strong><br />

allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit<br />

oder Unfallverhütung gehört zum gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

erforderlichen Gr<strong>und</strong>lagenwissen.<br />

Dem gegenüber bedarf es, soweit es um die Vermittlung<br />

von Spezialkenntnissen geht, konkretere Darlegungen, weshalb<br />

ein solcher Schulungsinhalt betrieblich erforderlich ist<br />

(siehe BAG, Beschluss vom 19.09.2001 – 7 ABR 32/00 –, AP<br />

Nr. 9 zu § 25 BetrVG 1972 mit zustimmender Anmerkung von<br />

Bengelsdorf; Erfurter Kommentar/Eisemann, § 37 BetrVG, Rz 17;<br />

Wlotzke/Preis, § 37 BetrVG, Rz 49; Fitting, § 37 BetrVG, Rz 143).<br />

So gehört beispielsweise die Vermittlung allgemeiner Gr<strong>und</strong>kenntnisse<br />

des Sozial- <strong>und</strong> Sozialversicherungsrechts nur<br />

dann zu den erforderlichen Schulungsinhalten gemäß § 37<br />

Abs. 6 BetrVG, wenn dafür ein konkreter betriebsbezogener<br />

Anlass besteht, weil dieses Themengebiet im Gegensatz zum<br />

Betriebsverfassungsgesetz <strong>und</strong> allgemeinen Arbeitsrecht<br />

keine engen Bezüge zu den Aufgaben des Betriebsrats<br />

aufweist (so BAG, Beschluss vom 04.06.2003 – 7 ABR 42/02 –,<br />

NZA 2003, S. 1284).<br />

b. Gemessen an diesen Gr<strong>und</strong>sätzen kann vorliegend<br />

die Betriebsratsentscheidung über die Erforderlichkeit der<br />

Schulungsinhalte nicht beanstandet werden. Schulungsinhalt<br />

sind Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes. Das<br />

Betriebsverfassungsgesetz ist die Gr<strong>und</strong>lage des Handelns<br />

der Betriebsräte. Kenntnisse über die Rechtsgr<strong>und</strong>lage dieses<br />

Handelns gehören daher zum Gr<strong>und</strong>lagenwissen. Die Strafrechtsvorschriften,<br />

die nach der Seminarankündigung behandelt<br />

werden sollen, sind Teil des Betriebsverfassungsgesetzes.<br />

Es handelt sich dabei um § 119 BetrVG, der die Strafbarkeit<br />

des Arbeitgebers regelt sowie um § 120 BetrVG, der die<br />

Strafbarkeit der Betriebsräte regelt, <strong>und</strong> zwar in § 120 Abs. 1<br />

in Bezug auf die Verletzung von Arbeitgeberinteressen <strong>und</strong> in<br />

§ 120 Abs. 2 BetrVG in Bezug auf die Arbeitnehmerinteressen.<br />

c. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 besteht eine Strafbarkeit des Arbeitgebers<br />

dann, wenn er die Wahl des Betriebsrats oder einer<br />

anderen Arbeitnehmervertretung behindert oder durch Zufügung<br />

oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung<br />

oder Versprechen von Vorteilen beeinflusst. § 119 Abs. 1 Nr. 2<br />

stellt die Störung der Amtstätigkeit der Arbeitnehmervertretungen<br />

unter Strafe. Nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 macht sich ein<br />

Arbeitgeber strafbar, der Mitglieder einer Arbeitnehmervertre-


tung um ihrer Tätigkeit willen benachteiligt oder begünstigt.<br />

Allen Strafvorschriften des § 119 Abs. 1 BetrVG ist gemeinsam,<br />

dass seitens des Betriebsrats oder einer anderen Arbeitnehmervertretung<br />

oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft<br />

ein Strafantrag gestellt wird.<br />

Die Strafvorschrift gehört zum Gr<strong>und</strong>lagenwissen für Betriebsräte.<br />

Insbesondere die Bestimmung des § 119 Abs. 1 Nr. 2<br />

BetrVG weist einen unauflöslichen Bezug zu der zentralen<br />

Vorschrift des Betriebsverfassungsgesetzes über die Amtstätigkeit<br />

der Betriebsräte in § 37 Abs. 1 BetrVG auf. Danach ist<br />

das Amt des Betriebsrates ein privatrechtliches Ehrenamt. Es<br />

muss in äußerer <strong>und</strong> innerer Unabhängigkeit wahrgenommen<br />

werden. Insbesondere dürfen Betriebsratsmitglieder in keiner<br />

Weise Vergütungen zufließen, auch nicht in mittelbarer oder<br />

versteckter Form (siehe Fitting, 23. Aufl., § 37 BetrVG Rz 6 ff. m.<br />

u. w. N.). Weil die Sicherung der Unabhängigkeit der Amtstätigkeit<br />

ein solch hohes Gewicht hat, untersagt die Strafrechtsbestimmung<br />

des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG die Begünstigung<br />

von Betriebsratsmitgliedern um ihrer Tätigkeit willen. Diese<br />

Begünstigung darf auch nicht in mittelbarer oder versteckter<br />

Form stattfinden. Unzulässig sind zum Beispiel die Gewährung<br />

von Entgelt für nicht notwendige Arbeitsversäumnis,<br />

die Zuweisung einer besonders verbilligten Werkswohnung,<br />

die Einräumung besonders günstiger Konditionen bei<br />

einem Firmendarlehen, die Gewährung eines längeren Urlaubs,<br />

die Zahlung von Sitzungsgeldern zusätzlich zum fortgezahlten<br />

Entgelt, die Freistellung von der Arbeit, ohne dass<br />

dies zur Erfüllung der Betriebsratsarbeit erforderlich wäre, die<br />

ungerechtfertigte Beförderung oder Höhergruppierung von<br />

Betriebsratsmitgliedern, die zur Verfügungstellung von sonstigen<br />

Firmenleistungen, zum Beispiel die Bevorzugung bei der<br />

Gestellung von Firmenwagen oder Gewährung von Personalrabatten.<br />

Der Umfang der Kommentarliteratur zu § 37 Abs. 1<br />

BetrVG macht deutlich, dass es vielfältige <strong>und</strong> subtile Formen<br />

der Begünstigung gibt, <strong>und</strong> die Grenzziehung zwischen erlaubter<br />

Behandlung <strong>und</strong> verbotener Vorzugsbehandlung im<br />

Einzelfall schwer zu bestimmen ist. Angesichts dessen muss<br />

es als erforderlich angesehen werden, dass Betriebsräte über<br />

die Ausprägung dieser Grenzziehung durch Rechtsprechung<br />

<strong>und</strong> Literatur informiert sind.<br />

In diesem Zusammenhang dürfen die Anforderungen an<br />

die Darlegung der Erforderlichkeit nicht überspannt werden.<br />

Eine Erforderlichkeit der Kenntnis ist nicht erst dann<br />

gegeben, wenn der Arbeitgeber einen konkreten strafbaren<br />

Begünstigungsversuch unternommen hat. Vielmehr muss der<br />

Betriebsrat schon im Vorfeld wissen, was als unerlaubter<br />

<strong>und</strong> strafbarer Begünstigungsversuch anzusehen ist <strong>und</strong><br />

wie darauf reagiert werden kann. Dies gilt insbesondere<br />

angesichts des Strafantragserfordernisses für den Betriebsratsvorsitzenden,<br />

der in der Lage sein muss, darauf reagieren<br />

zu können, wenn ihm bekannt wird, dass ein Mitglied des<br />

Betriebsrats eine strafbare Begünstigung des Arbeitgebers<br />

angeboten bekommen oder angenommen hat.<br />

Soweit die Beteiligte zu 3) vorträgt, die Erforderlichkeit sei<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

nicht gegeben, weil strafrechtliche Kenntnisse erst erforderlich<br />

seien, wenn der Betriebsrat seine Befugnisse überschreite,<br />

vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Denn Kenntnisse<br />

über die Strafbarkeit <strong>und</strong> das Strafantragsrecht des Betriebsrats<br />

sind bereits dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber die<br />

Strafrechtsvorschrift des § 119 BetrVG verletzt, beispielsweise<br />

durch eine strafbare Benachteiligung. Dasselbe gilt, wenn einzelne<br />

Betriebsratsmitglieder sich unrechtmäßig Vorteile vom<br />

Arbeitgeber zuwenden lassen.<br />

Nicht zu überzeugen vermag auch der Hinweis der Beteiligten<br />

zu 3), anders als bei Suchterkrankungen gebe es im Bereich<br />

von Straftaten keine latente Gefahr, dass diese begangen<br />

würden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Aussage<br />

von Rieble <strong>und</strong> Klebeck, NZA 2006, Seite 758 ff. zu folgen<br />

ist, wonach Rechtstreue <strong>und</strong> Rechtsbewusstsein allgemein<br />

sowohl im Arbeitgeber wie im Arbeitnehmerlager geringer<br />

würden. Jedenfalls zeigen die strafrechtlich relevanten<br />

Vorgänge in den Großunternehmen Siemens <strong>und</strong> VW, in<br />

denen jeweils unrechtmäßige Begünstigungen in Millionenhöhe<br />

in Rede stehen, dass eine erhebliche praktische<br />

Relevanz gegeben ist. Diese Relevanz dokumentiert sich<br />

auch darin, dass gerade größere Unternehmen umfangreiche<br />

Compliance-Regelungen erlassen, die sicherstellen<br />

sollen, dass in Unternehmen gesetzeskonform gehandelt<br />

<strong>und</strong> Straftaten vermieden werden. Hierzu werden in Unternehmen<br />

Compliance-Systeme eingeführt <strong>und</strong> so genannte<br />

Compliance-Officer bestellt (siehe im Einzelnen ausführlich<br />

hierzu Mengel/Hagemeister, Betriebsberater, 2006, S. 2466 ff.<br />

<strong>und</strong> Betriebsberater 2007, S. 1386 ff.).<br />

d. Die Strafvorschrift des § 120 BetrVG muss durch ihren<br />

Bezug zu § 79 BetrVG im vorliegenden Fall ebenfalls zu<br />

den erforderlichen Schulungsinhalten gezählt werden. § 120<br />

BetrVG schützt in Satz 1 die Geheimhaltungsinteressen des<br />

Arbeitgebers, in Abs. 2 die Vertraulichkeitsinteressen anderer<br />

Arbeitnehmer. Was geheimhaltungsbedürftig ist, richtet sich<br />

vor allem nach § 79 BetrVG. Dabei handelt es sich um keine<br />

einfache Rechtsmaterie, wie die umfangreiche Literatur zu<br />

§ 79 BetrVG ausweist (siehe Fitting, § 79 BetrVG, Rz 3 ff.;<br />

Henssler/Willemsen/Kalb, § 79 BetrVG, Rz 4 ff.; Wlotzke/Preis,<br />

§ 79 BetrVG, Rz 1 ff., jeweils m.w.N.).<br />

Von Bedeutung ist vor allem, dass neben dem Erfordernis,<br />

das der Arbeitgeber geheimhaltungsbedürftige Umstände<br />

ausdrücklich als solche bezeichnet haben muss, es zusätzlich<br />

erforderlich ist, dass es sich jeweils auch um ein materielles<br />

Geheimnis handelt. Der Arbeitgeber muss ein berechtigtes Interesse<br />

an der Geheimhaltung haben, es muss jeweils objektiv<br />

feststellbar sein, ob ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis<br />

vorliegt oder nicht. Besteht kein objektives Geheimhaltungsinteresse,<br />

so kann eine Angelegenheit nicht willkürlich –<br />

etwa durch ihre Bezeichnung als vertrauliche Mitteilung –<br />

zum Geschäftsgeheimnis gemacht werden (siehe Fitting, §79<br />

BetrVG, Rz 3; Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar,<br />

2. Aufl., § 79 BetrVG, Rz 4). Unlautere oder gesetzeswidrige<br />

Vorgänge, zum Beispiel Steuerhinterziehungen genießen<br />

123


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

keinen Geheimschutz (siehe Erfurter Kommentar/Kania, §79<br />

BetrVG, Rz 6). Die dafür maßgeblichen Abgrenzungskriterien<br />

sowie auch die Bedingungen des Aussagerechts gegen den<br />

Arbeitgeber im Strafverfahren zu kennen (siehe dazu Beschluss<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts, vom 02.07.2001 – 1<br />

BVR 2049/00 –, NJW 2001, S. 3474 ff.), muss als erforderliches<br />

Gr<strong>und</strong>lagenwissen angesehen werden. Dies gilt auch vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong>, dass beispielsweise § 89 Satz 1 Satz 2 BetrVG<br />

der Betriebsrat bei der Bekämpfung von Unfall- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsgefahren,<br />

die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden<br />

durch Anregung, Beratung <strong>und</strong> Auskunft zu unterstützen<br />

hat, <strong>und</strong> diese Verpflichtungen nicht generell hinter den Geheimhaltungsinteressen<br />

<strong>und</strong> dem Datenschutz zurückstehen<br />

können (BAG, Beschluss vom 03.06.2003 – 1 ABR 19/02 –, AP<br />

Nr. 1 zu § 89 BetrVG 1972).<br />

All diese Fragen sind zudem in einem Großunternehmen wie<br />

dem der Beteiligten zu 3), das in besonderer Weise im Blickpunkt<br />

der Öffentlichkeit steht, von erheblich größerer Relevanz<br />

als in einem kleinen oder mittleren Unternehmen. Die<br />

Entscheidung des Beteiligten zu 1) über die Erforderlichkeit<br />

der Schulungsinhalte kann daher auch im Hinblick auf die<br />

diese Umstände nicht in Frage gestellt werden.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

Vom 21.01.08, 14 TaBV 44/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dr. Nathalie Oberthür, Im Medienpark<br />

6, 50670 Köln, Tel.: 0221/35505150,<br />

Fax: 0221/35505135<br />

oberthuer@rpo-rechtsanwaelte.de,<br />

www.rpo-rechtsanwaelte.de<br />

92. Sozialplan, Gleichbehandlung, Altersdiskriminierung<br />

Tatbestand:<br />

Die Beklagte vereinbarte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat<br />

einen Sozialplan. Gem. § 1 Abs. 1 gilt der Sozialplan<br />

für alle unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis<br />

auf Veranlassung der Beklagten aufgr<strong>und</strong> der<br />

Ankündigung der betrieblichen Maßnahmen u.a. aufgr<strong>und</strong><br />

Aufhebungsvertrags beendet haben. Weiter heißt es dort:<br />

㤠5 Abfindungen<br />

(1) Die Abfindung setzt sich aus (a) einem Gr<strong>und</strong>betrag <strong>und</strong><br />

(b) etwaigen Zuschlägen für Kinder <strong>und</strong> Schwerbehinderung<br />

zusammen.<br />

(a) Gr<strong>und</strong>betrag<br />

• Bis zu 59-jährige Mitarbeiter erhalten eine Abfindung nach<br />

folgender Berechnungsformel:<br />

Faktor 1,36 x vollendete Beschäftigungsjahre x (Jahresbruttoeinkommen<br />

2005/12) [...]<br />

• Arbeitnehmer, die älter als 59 Jahre sind, erhalten für jeden<br />

dieser bis zum 63. Lebensjahr noch fehlenden Monaten,<br />

abzgl. der (ggf. fiktiven) Verweildauer in der Transfergesellschaft,<br />

einen Betrag von 1.700,00 EUR zzgl. einer Zahlung<br />

von 20.000,00 EUR. [...]<br />

124 02/08<br />

• Stichtag für die Berechnung des Alters <strong>und</strong> der Beschäftigungsjahre<br />

ist der 30. Juni 2006. [...]<br />

§ 8 [...]<br />

(1) Der Anspruch auf die Abfindung gem. §§ 5, 6 dieses Sozialplans<br />

entsteht zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses [...]<br />

(2) Der Anspruch wird mit der auf den Monat des Ausscheidens<br />

folgenden Lohn- bzw. Gehaltsabrechnung fällig. Auf<br />

Wunsch des Arbeitnehmers kann die Auszahlung zu einem<br />

späteren Zeitpunkt im Jahre 2007 erfolgen. Dieser Wunsch<br />

muss bis zum 15. November 2006 bei der Personalabteilung<br />

eingegangen sein. [...]“<br />

Im Übrigen begrenzt der Sozialplan in § 5 Abs. 4 die Höhe der<br />

Abfindung auf 120.000,00 EUR pro Arbeitnehmer.<br />

Neun der 333 vom Sozialplan insgesamt erfassten Arbeitnehmer<br />

sind älter als 59 Jahre, darunter auch der Kläger.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... 3. Die Regelung im Sozialplan bei der Beklagten vom<br />

Oktober 2006 in § 5 Abs. 1a zum 1., 2. <strong>und</strong> 3. Unterpunkt ist<br />

nicht rechtsunwirksam, jedenfalls gem. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG<br />

gerechtfertigt.<br />

3.1. Das Berufungsgericht geht mit der klägerischen Rechtsauffassung<br />

<strong>und</strong> zu seinen Gunsten davon aus, dass das AGG<br />

auf die Regelungen des vorliegenden Sozialplans Anwendung<br />

findet <strong>und</strong> diese daher insbesondere am Benachteiligungsverbot<br />

gem. § 7 i.V.m. § 3 <strong>und</strong> § 1 AGG zu messen sind <strong>und</strong><br />

unter den Voraussetzungen von § 10 AGG gerechtfertigt sein<br />

können.<br />

Zwar beruht die Regelung in § 5 Abs. 1a des Sozialplans vom<br />

Oktober 2006 wenn auch nicht wortgleich, so doch im Wesentlichen<br />

auf der Regelung in Ziffer 6 der Vereinbarung vom<br />

01.06.2006. Es kann dahinstehen, wie die Vereinbarung vom<br />

01.06.2006 rechtlich zu qualifizieren ist. Insbesondere bedarf<br />

es keiner Entscheidung, ob die Betriebsparteien <strong>und</strong> jedenfalls<br />

die Beklagte sich mit der Vereinbarung vom 01.06.2006 verpflichtet<br />

haben, einen diesen Bestimmungen entsprechenden<br />

Sozialplan zeitnah zu schaffen. Denn das AGG ist zwar erst<br />

am 18.08.2006 in Kraft getreten, enthält jedoch für die hier<br />

anwendbaren Vorschriften <strong>und</strong> den hier zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Sachverhalt keine Übergangsvorschriften. Mithin sind §§ 7, 3,<br />

1, i.V.m. § 10 AGG für die Sozialplanregelungen im Sozialplan<br />

vom Oktober 2006 auch dann anwendbar, wenn der rechtliche<br />

Geltungsgr<strong>und</strong> des § 5 Abs. 1a des Sozialplans vom Oktober<br />

2006 auf den 01.06.2006 wegen der zu diesem Zeitpunkt<br />

abgeschlossenen dreiseitigen Vereinbarung vorzuverlegen ist.<br />

Ob die Vereinbarung in diesem Fall als sog. „Altfall“ zu einem<br />

besonderen Vertrauensschutz des beklagten Arbeitgebers<br />

führt, wie die Beklagte eingewandt hat, bedarf in diesem<br />

Zusammenhang keiner Entscheidung. Ggf. wäre ein erhöhter<br />

Vertrauensschutz der Beklagten bei der Rechtsfolgenanordnung,<br />

nämlich der analogen Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1a<br />

erst, 1. Unterpunkt der Sozialplanregelung vom Oktober 2006<br />

zu beachten.<br />

3.2. Entgegen der klägerischen Rechtsansicht ist es schon


fraglich, ob der Kläger gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG infolge einer<br />

Altersdiskriminierung eine weniger günstige Behandlung<br />

durch die angefochtene Sozialplanregelung erfährt, als eine<br />

andere Person in einer vergleichbaren Situation. Eine konkrete<br />

Person, mit der der Kläger vergleichbar wäre, hat er nicht<br />

benannt.<br />

Allerdings hätte der Kläger, wenn er zum Stichtag noch nicht<br />

59 Jahre alt gewesen wäre, Anspruch auf eine nahezu doppelt<br />

so hohe Abfindungssumme gehabt. Da er aus Altersgründen<br />

die Stichtagsregelung verfehlte, wurde er zweifellos anders<br />

behandelt als eine jüngere Person. Zweifellos ist der Kläger<br />

durch die Stichtagsregelung auch benachteiligt. Der Anspruch<br />

auf die geringere Abfindungshöhe ist ungünstiger als der von<br />

ihm zu erzielende maximale „Deckelungsbetrag“ in Höhe von<br />

120.000,00 EUR, der ihm zugestanden hätte, wäre er zum<br />

Stichtag noch nicht 59 Jahre alt gewesen.<br />

Fraglich ist indessen, ob er dadurch gegenüber einer anderen<br />

Person in einer vergleichbaren Situation weniger günstig<br />

durch die Regelung behandelt worden ist.<br />

Nach Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es schon an der<br />

Möglichkeit, eine andere Person in einer vergleichbaren Situation<br />

des Klägers zu bestimmen. Da es an einer konkret zu<br />

benennenden Person fehlt, b<strong>liebe</strong> lediglich der Rückgriff auf<br />

die Personengruppe, die dem 1. Unterpunkt der angefochtenen<br />

Sozialplanregelung unterfällt, also jünger als 59 Jahre ist.<br />

Diese Gruppe ist indessen nicht mit dem Kläger vergleichbar.<br />

Dies gilt schon deswegen, weil darunter nach der Sozialplanregelung<br />

Personen fallen können, die abgesehen vom Alter,<br />

andere Betriebszugehörigkeiten haben als der Kläger, andere<br />

Familienverhältnisse haben als der Kläger, andere finanzielle<br />

Belastungen tragen müssen als der Kläger <strong>und</strong> schließlich<br />

aufgr<strong>und</strong> ihres Alters, ihres konkret ausgeübten Berufes <strong>und</strong><br />

ihrer persönlichen Situation gänzlich andere Chancen auf dem<br />

Arbeitsmarkt haben können als der Kläger. Selbst wenn man<br />

die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer einzig durch die<br />

Kriterien der Betriebszugehörigkeit <strong>und</strong> des Alters definiert, ist<br />

keine Gruppe von Arbeitnehmern, die jünger als 59 Jahre alt<br />

sind, erkennbar, die mit dem Kläger vergleichbar wäre.<br />

Selbst innerhalb der Gruppe von neun Arbeitnehmern, die<br />

unter den 2. Unterpunkt der angegriffenen Regelung fallen<br />

<strong>und</strong> der der Kläger angehört, ist nach den Kriterien Betriebszugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> Alter nicht ohne weiteres mit dem Kläger<br />

zu vergleichen, wie er selbst eingeräumt hat. Zu der Gruppe<br />

könnten beispielsweise Arbeitnehmer zählen, die zum Stichtag<br />

62 Jahre alt sind <strong>und</strong> erst über eine 5-jährige Betriebszugehörigkeit<br />

verfügen. Sie mögen im Hinblick auf den Zweck des<br />

Sozialplans, die finanziellen Nachteile wegen des Verlustes des<br />

Arbeitsplatzes bis zur Erlangung einer staatlichen Altersvorsorge<br />

auszugleichen, noch mit dem Kläger vergleichbar sein,<br />

wenn man auf das Kriterium Alter abstellt. Nicht vergleichbar<br />

sind sie, dies rügt auch der Kläger, hinsichtlich des Kriteriums<br />

der Betriebszugehörigkeit.<br />

Nach alledem neigt die Kammer mit der Beklagten dazu, im<br />

vorliegenden Fall bereits eine Vergleichbarkeit mit einer ande-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

ren Person gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG zu verneinen. Infolgedessen<br />

fehlte es bereits an einer festzustellenden Benachteiligung<br />

des Klägers im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes,<br />

weil nicht festgestellt werden kann, dass er<br />

durch die angefochtene Regelung im Sozialplan eine weniger<br />

günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer<br />

vergleichbaren Situation.<br />

Letztlich bedarf aber auch diese Rechtsfrage nach Auffassung<br />

des Berufungsgerichts im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.<br />

3.3. Auch wenn zugunsten des Klägers <strong>und</strong> entsprechend seiner<br />

Rechtsauffassung eine Benachteiligung des Klägers gem.<br />

§§ 7 Abs. 1, 3 Abs. 1 AGG durch die angegriffene Sozialplanregelung<br />

gegenüber solchen Mitarbeitern unterstellt wird, die<br />

zum Stichtag jünger als 59 Jahre waren, ist diese unterschiedliche<br />

Behandlung gem. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt.<br />

Gem. § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung<br />

wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv <strong>und</strong> angemessen<br />

<strong>und</strong> durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur<br />

Erreichung dieses Zieles müssen angemessen <strong>und</strong> erforderlich<br />

sein, § 10 Satz 2 AGG. Die besondere Rechtfertigung der unterschiedlichen<br />

Behandlung des Klägers wegen seines Alters<br />

ergibt sich vorliegend aus § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG, der Differenzierungen<br />

von Leistungen in Sozialplänen erlaubt, wenn die<br />

Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte<br />

Abfindungsregelung geschaffen haben. Dazu müssen die<br />

wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />

durch eine verhältnismäßig starke Betonung des<br />

Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sein <strong>und</strong> die<br />

gesetzliche Regelung erlaubt sogar den Ausschluss von Leistungen<br />

des Sozialplans, wenn die Beschäftigten wirtschaftlich<br />

abgesichert sind, weil sie, ggf. unterbrochen durch eine Phase<br />

des Bezugs von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind, § 10<br />

Satz 3 Nr. 6 AGG.<br />

§ 10 AGG beruht wesentlich auf Art. 6 der Richtlinie 200/78/EG<br />

vom 27.11.2000 <strong>und</strong> soll der Umsetzung dieser Richtlinie dienen<br />

(BT – Drucksache 16/1780, S. 36). Bereits daraus ergibt<br />

sich ohne weiteres, dass § 10 AGG richtlinienkonform auszulegen<br />

ist.<br />

Art. 6 der genannten Richtlinie stellt im Wesentlichen Regelbeispiele<br />

auf <strong>und</strong> gewährt jedenfalls den Mitgliedstaaten<br />

im Übrigen einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl<br />

der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Sozialpolitik (EuGH, Beschl. v. 16.10.2007, C-<br />

411/05, Rn 68; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz,<br />

München 2007, S. 172 Rn 419 f.). Zwar ist dem Kläger<br />

einzuräumen, dass sich eine dem § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG<br />

vergleichbare Regelung in Art. 6 der genannten Richtlinie<br />

nicht findet.<br />

Insoweit hat die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland mit ihrer Regelung<br />

in Nr. 6 nur den ihr zustehenden weiten Ermessensspielraum<br />

ausgeübt, was auch darauf beruht, dass Sozialplanregelungen<br />

wie die vorliegende eine große Bedeutung bei<br />

arbeitsrechtlichen Sanierungsfällen in deutschen Unterneh-<br />

125


Rechtsprechung<br />

Betriebsverfassungsrecht<br />

men haben. Darüber hinaus beruht die Regelung in Nr. 6<br />

auf der langjährigen <strong>und</strong> überwiegend akzeptierten Rechtsprechung<br />

des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts, wonach es nicht gegen<br />

§ 75 BetrVG verstößt, wenn die Betriebspartner solche Arbeitnehmer<br />

von Sozialplanleistungen ausnehmen, die zum Zeitpunkt<br />

der Auflösung des Arbeitsverhältnisses die Vorraussetzungen<br />

für ein vorgezogenes Altersruhegeld erfüllen (vgl. nur<br />

Urteile vom 26.07.1988 – 1 AZR 156/87, NZA 1989, 25 ff.; vom<br />

31.07.1996 – 10 AZR 45/96, NZA 1997, 165 ff.; vom 19.10.1999,<br />

1 AZR 838/98, NZA 2000,732; vom 30.03.2000 – 6 AZR 645/98,<br />

NZA – RR 2001, 203 ff.). Nr. 6 des § 10 AGG greift teilweise<br />

wortgleich diese Rechtsprechung auf (ebenso Urteil des LAG<br />

Köln, vom 04.06.2007 – 14 Sa 201/07, juris).<br />

Entgegen verschiedentlich in der Literatur geäußerter Bedenken<br />

verstößt der Gesetzgeber mit der Regelung in Nr. 6 auch<br />

nicht gegen übergeordnete europarechtliche Gr<strong>und</strong>sätze<br />

<strong>und</strong> insbesondere nicht gegen die Richtlinie 2000/78 EG vom<br />

27.11.2000 (anderer Ansicht hinsichtlich des Ausschlusses von<br />

Leistungen aus dem Sozialplan gem. der letzten Alternative in<br />

Ziffer 6 z.B. Erfurter Kommentar/Schiachter, § 10 AGG Rn 10;<br />

wie hier dagegen z.B. Mohr, BB 2007, 2574 ff.).<br />

3.4. Wie das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht erst kürzlich <strong>und</strong> wiederholt<br />

entschieden hat (Beschluss vom 19.06.2007 – 1<br />

AZN 1043/06, n.v.; vom 02.10.2007 – 1 AZN 793/07, n.v.),<br />

ist das europarechtliche Verbot der unmittelbaren oder<br />

mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters durch § 75<br />

Abs. 1 Satz 2 BetrVG in den auch für diesen Rechtsstreit<br />

streitgegenständlichen Rechtsfragen bereits umgesetzt <strong>und</strong><br />

die Frage der Zulässigkeit von durch Alter <strong>und</strong> Betriebszugehörigkeit<br />

definierten Höchstgrenzen in Sozialplänen<br />

durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt <strong>und</strong> vor<br />

Erlass der Richtlinie 200/78/EG nicht anders zu beurteilen als<br />

hinterher. Da der deutsche Gesetzgeber mit § 10 Satz 3 Nr. 6<br />

AGG sich ersichtlich an der ständigen höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechung des BAG orientiert hat (vgl. BT – Drucks<br />

16/1780 Seite 36) <strong>und</strong> sich die Formulierung in Nr. 6 an die<br />

Entscheidung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts vom 31.07.1996 – 10<br />

A2R 45/96, AP Nr. 103 zu § 112 BetrVG 1972) anlehnt, kann<br />

ein Verstoß der Nr. 6 in § 10 Satz 3 AGG gegen die Richtlinie<br />

2000/78/EG oder sonstige europarechtliche Gr<strong>und</strong>sätze nicht<br />

festgestellt werden.<br />

3.5. § 5 Abs. 1a des streitgegenständlichen Sozialplans berechnet<br />

die Abfindungszahlung für bis zu 59-jährige Mitarbeiter<br />

mit einem Gr<strong>und</strong>betrag <strong>und</strong> etwaigen Kinderzuschlägen<br />

<strong>und</strong> Zuschlägen für Schwerbehinderung in Abhängigkeit<br />

von den zurückgelegten, vollendeten Beschäftigungsjahren.<br />

Damit hält sich die Regelung des Sozialplans an die Vorgaben<br />

der Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts, wonach<br />

die Betriebsparteien bei der Aufstellung eines Sozialplans<br />

einen weiten Spielraum für die Bestimmung des angemessenen<br />

Ausgleichs der mit der Betriebsänderung verb<strong>und</strong>enen<br />

Nachteile haben <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich frei darüber<br />

entscheiden können, ob, in welchem Umfang <strong>und</strong> in welcher<br />

Weise sie die wirtschaftlichen Nachteile ausgleichen oder<br />

126 02/08<br />

mildern wollen. Sie können nämlich von einem Nachteilsausgleich<br />

auch gänzlich absehen <strong>und</strong> bei ihrer Regelung nach<br />

der Vermeidbarkeit der Nachteile unterscheiden (BAG, vom<br />

14.08.2001 – 1 AZR 760/00, AP Nr. 142 zu § 112 BetrVG 1972).<br />

Sie haben im Hinblick auf den Normzweck von § 112 Abs. 1<br />

Satz 2 BetrVG u.a. auch den Gleichbehandlungsgr<strong>und</strong>satz zu<br />

beachten, der verlangt, dass im Hinblick auf zu erwartende<br />

Nachteile in gleicher Weise betroffene Arbeitnehmer gleich,<br />

in ungleicher Weise betroffene Arbeitnehmer ungleich behandelt<br />

werden. Insofern ist auch die Beschäftigungsdauer,<br />

an die der Sozialplan vorliegend anknüpft, ein gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

zulässiges Kriterium für die Bemessung einer Abfindung, da<br />

es nicht auszuschließen ist, dass sich die Qualifikation eines<br />

Arbeitnehmers mit der Dauer der Beschäftigung auf die spezifischen<br />

Bedürfnisse des bisherigen Arbeitsplatzes verengt <strong>und</strong><br />

damit eine Minderung seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />

einhergeht (BAG, vom 14.08.2001 – 1 AZR 760/00, a.a.O.). Nach<br />

diesen Gr<strong>und</strong>sätzen war es den Betriebsparteien auch nicht<br />

verwehrt, den für die Abfindung zu zahlenden Höchstbetrag<br />

auf 120.000,- EUR gem. § 5 Abs. 4 des Sozialplans festzusetzen<br />

(vgl. BAG, vom 19.10.1999 – 1 AZR 838/98, a.a.O.).<br />

Nach ebenso gefestigter Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

wird der Kläger durch den streitgegenständlichen<br />

Sozialplan auch nicht dadurch altersdiskriminiert behandelt,<br />

dass für Arbeitnehmer, die älter als 59 Jahre sind, für jeden<br />

bis zum 63. Lebensjahr noch fehlenden Monat ein Betrag von<br />

1.700,00 EUR zzgl. einer Zahlung von 20.0000,00 EUR, abzgl.<br />

der ggf. fiktiven Verweildauer in der Transfergesellschaft gezahlt<br />

wird. „Es verstößt nicht gegen Gr<strong>und</strong>sätze von Recht <strong>und</strong><br />

Billigkeit, wenn die Betriebspartner in einem Sozialplan Ausgleichsleistungen<br />

für ältere Arbeitnehmer nach den mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit zu erwartenden tatsächlichen Nachteilen<br />

bemessen <strong>und</strong> für jüngere Arbeitnehmer einen pauschalen<br />

Ausgleich in Form von Abfindungszahlungen vorsehen, deren<br />

Höhe sich an der Dauer der bisherigen Betriebszugehörigkeit<br />

bemisst“ (BAG, vom 14.02.1984 – 1 AZR 574/82, AP Nr. 21 zu<br />

§ 112 BetrVG 1972; bestätigt u.a. durch BAG, vom 28.10.1992 –<br />

10 AZR 489/91, a.a.O.). Gr<strong>und</strong> für die Differenzierung ist nämlich<br />

nicht das Alter der Arbeitnehmer schlechthin, sondern<br />

der sich aus dem Alter ergebende Umstand, dass bei älteren<br />

Arbeitnehmern, die Nachteile aus dem Verlust des Arbeitsplatzes<br />

bis zum Rentenbeginn abgeschätzt werden können <strong>und</strong><br />

anders ausgeglichen werden sollen als bei jüngeren Arbeitnehmern.<br />

Die Betriebspartner können daher berücksichtigen,<br />

dass zu entlassende Arbeitnehmer schon oder bald das vorgezogene<br />

Altersruhegeld in Anspruch nehmen können (BAG,<br />

vom 28.10.1992 – 10 AZR 489/91, a.a.O.).<br />

Legitimes Ziel solcher Regelungen wie der vorliegenden Sozialplanregelung<br />

ist es, mit einem begrenzten finanziellen Volumen<br />

für möglichst alle betroffenen Arbeitnehmer eine verteilungsgerechte<br />

Überbrückungshilfe bis zu einem Ungewissen<br />

neuen Arbeitsverhältnis oder längstens bis zum Bezug der<br />

Altersrente zu ermöglichen (BAG, vom 19.10.1999 – 1 AZR<br />

838/98, a.a.O.).


3.6. Wie das Berufungsgericht bereits in einem vergleichbaren<br />

Fall entschieden hat (LAG, Berlin-Brandenburg, vom<br />

15.05.2007 – 9 Sa 211/07), ist es weder willkürlich noch<br />

sachwidrig, wenn die Betriebspartner die Sozialplanleistungen<br />

nicht durchgängig an mit einiger Sicherheit tatsächlich zu<br />

erwartenden Nachteilen ausrichten, sondern für die Gruppe<br />

der jüngeren Arbeitnehmer davon ausgehen, dass der Verlust<br />

des Arbeitsplatzes auch für sie Nachteile zur Folge haben<br />

wird oder haben kann, die auszugleichen <strong>und</strong> zu mildern<br />

sind. Die Höhe der Ausgleichsleistung für diese Personengruppe<br />

kann sich dann naturgemäß nicht an der Größe ihres<br />

Nachteils orientieren. Denn die Betriebspartner können die<br />

tatsächlich entstehenden wirtschaftlichen Nachteile im Voraus<br />

nicht exakt einschätzen <strong>und</strong> abschließend beurteilen. Genau<br />

deshalb wird in Sozialplänen üblicherweise die Abfindung<br />

pauschaliert, wie das auch hier in § 5 des Sozialplans geschehen<br />

ist. Je jünger der ausscheidende Arbeitnehmer ist, umso<br />

schwerer ist abzuschätzen, ob der Verlust des Arbeitsplatzes<br />

für ihn zu einem Nachteil führt <strong>und</strong> ggf. in welcher Weise<br />

<strong>und</strong> damit in welcher Höhe sich dieser Nachteil bemerkbar<br />

machen wird. Der Nachteil der älteren Arbeitnehmer für<br />

den Verlust ihres Arbeitsplatzes kann hingegen relativ exakt<br />

bestimmt werden, wenn man die Zeit der Arbeitslosigkeit als<br />

Gr<strong>und</strong>lage nimmt für die Ausgleichszahlung, ausgehend vom<br />

Austrittsdatum aus dem Unternehmen <strong>und</strong> dem Beginn der<br />

Zahlung eines vorgezogenen Altersruhegeldes. So haben es<br />

die Betriebsparteien im vorliegenden Fall gehalten. Mithin<br />

ist die Regelung in § 5 Abs. 1 des Sozialplans nicht zu<br />

beanstanden.<br />

4. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Sozialplanregelung<br />

auch nicht deswegen rechtswidrig, weil Arbeitnehmer,<br />

die 59 Jahre <strong>und</strong> einen Tag alt sind, schlechter behandelt<br />

würden als Arbeitnehmer, die 58 Jahre <strong>und</strong> 364 Tage alt sind.<br />

Diese Stichtagsregelung im streitgegenständlichen Sozialplan<br />

ist zulässig, allgemein üblich <strong>und</strong> führt zu einer sachgerechten<br />

Differenzierung.<br />

Nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts zu<br />

Stichtagsregelungen in Sozialplänen sind solche Regelungen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Wahl des Zeitpunktes<br />

am gegebenen Sachverhalt orientiert ist <strong>und</strong> sachlich<br />

vertretbar ist (Urteil vom 06.08.1997 – 10 AZR 66/97, AP<br />

Nr. 116 zu § 112 BetrVG 1972 <strong>und</strong> öfter). Dem schließt sich das<br />

erkennende Berufungsgericht an.<br />

Da nach ständiger Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts,<br />

wie dargestellt, rentennahe Jahrgänge Abfindungsbeträge<br />

nach einer anderen Berechnung erhalten können als<br />

jüngere <strong>und</strong> rentenferne Jahrgänge, <strong>und</strong> auch eine Deckelung<br />

der Abfindungsbeträge zulässig ist, kann eine Sachwidrigkeit<br />

der hier vorliegenden Regelung nicht festgestellt werden.<br />

Wie die Beklagte zu Recht ausgeführt hat, war die Wahl des<br />

59. Lebensjahres auch nicht willkürlich. Ältere Arbeitnehmer<br />

konnten für 12 Monate in die Beschäftigungsgesellschaft<br />

wechseln, sie hatten regelmäßig auch einen Arbeitslosengeldanspruch<br />

von 18 Monaten. Damit waren sie für mind. 30<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Personalvertretungsrecht<br />

Monate abgesichert. Für die Überbrückung der restlichen 18<br />

Monate bis zum Rentenbeginn mit dem 63. Lebensjahr ist<br />

als Ausgleich für etwaige Kürzungen des Rentenanspruchs<br />

aufgr<strong>und</strong> des vorzeitigen Rentenbeginns eine einmalige<br />

Sockelbetragszahlung von 20.000,00 EUR vorgesehen. Eine<br />

weitergehende Absicherung konnte der Kläger nicht verlangen.<br />

Entgegen seiner Ansicht haben die Vorschriften des AGG an<br />

der Zulässigkeit solcher Stichtagsregelungen nichts geändert.<br />

Dies ergibt sich im Übrigen schon aus dem Wortlaut der<br />

Nr. 6 des § 10 Satz 3 AGG, der sogar davon ausgeht, dass Beschäftigte<br />

von den Leistungen des Sozialplans gänzlich ausgeschlossen<br />

werden können, wenn sie wirtschaftlich abgesichert<br />

sind z.B. weil sie nach Bezug von Arbeitslosengeld rentenberechtigt<br />

sind.<br />

5. Der Zahlungsanspruch des Klägers ist auch unbegründet,<br />

soweit er seinen Anspruch auf den Gr<strong>und</strong>satz gleichen Entgelts<br />

im Sinne von § 8 Abs. 2 AGG stützt.<br />

Diese Anspruchsgr<strong>und</strong>lage ist schon deswegen nicht gegeben,<br />

weil der Kläger als älterer Arbeitnehmer nicht mit den<br />

Arbeitnehmern vergleichbar ist, die unter § 5 Abs. 1a, 1. Unterpunkt<br />

fallen. Eine solche Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern<br />

in einer vergleichbaren Situation ist jedoch nach ständiger<br />

Rechtsprechung des EuGH Voraussetzung für den geltend gemachten<br />

Anspruch (vgl. EuGH, Beschl. vom 26.06.2001 – C-<br />

381/99, NZA 2001, 883 ff.).<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 20.11.2007, 19 Sa 1416/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ralf Duprè, Drewitzer Straße 10,<br />

13467 Berlin, Tel.: 030/4050810, Fax: 030/40508111<br />

info@rae-dupre.de, www@rae-dupre.de<br />

93. Betriebsratsschulung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Der zu 1) beteiligte Betriebsrat teilte der Beteiligten zu 2) (im<br />

Folgenden: Arbeitgeberin), die in Berlin ein Spielcasino mit ca.<br />

100 Mitarbeitern betreibt, mit dem Schreiben vom 16.11.2006<br />

mit, dass er die Entsendung des – damaligen – Betriebsratsvorsitzenden<br />

X zum Seminar „18. Jahrestagung des Fachverbandes<br />

Glücksspielsucht e.V. vom 07.12. bis 08.12.2006 in Berlin“<br />

beschlossen habe <strong>und</strong> um Kostenübernahme bitte. Die Arbeitgeberin<br />

lehnte am 17.11.2006 schriftlich eine Freistellung<br />

<strong>und</strong> Kostenübernahme ab, weil das Seminar zur Ausübung<br />

der Betriebsratstätigkeit nicht erforderlich sei, da die Thematik<br />

der Spielsucht nicht zu den Obliegenheiten des Betriebsrats<br />

gehöre.<br />

II. ... 2. ... 2.2.3. 2.1 Zu den vom Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1<br />

BetrVG zu tragenden Kosten, die durch die Betriebsratstätigkeit<br />

entstehen, gehören auch solche, die anlässlich der Teilnahme<br />

eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungs- oder<br />

Bildungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden<br />

sind, sofern das dort vermittelte Wissen für die Betriebsrats-<br />

127


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

arbeit erforderlich ist (st. Rspr. des BAG, vgl. nur Beschl. v.<br />

08.03.2000 – 7 ABR 11/98 – zu Bld.Gr.).<br />

Die Vermittlung von Kenntnissen ist nach § 37 Abs. 6 BetrVG<br />

erforderlich, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten<br />

Verhältnisse im Betrieb <strong>und</strong> im Betriebsrat notwendig sind,<br />

damit der Betriebsrat seine gegenwärtigen oder in naher Zukunft<br />

anstehenden Aufgaben sach- <strong>und</strong> fachgerecht erfüllen<br />

kann. Dazu bedarf es der Darlegung eines aktuellen oder<br />

absehbaren betrieblichen oder betriebsratsbezogenen Anlasses,<br />

aus dem sich der Schulungsbedarf ergibt (BAG, Beschl. v.<br />

04.06.2003 – 7 ABR 42/02 – B l. d. Gr. m.w.N.).<br />

2.2 Bei Anwendung dieser Gr<strong>und</strong>sätze ist vorliegend eine<br />

Erforderlichkeit der Teilnahme an der genannten Tagung zur<br />

sachgerechten Wahrnehmung der dem Betriebsrat gesetzlich<br />

zugewiesenen Aufgaben nicht ersichtlich.<br />

2.2.1 Soweit der Betriebsrat in seiner Argumentation einen<br />

Bogen schlägt zwischen der Problematik der Spielsucht <strong>und</strong><br />

der sich für die Arbeitgeberin nach der Rechtsprechung ergebenden<br />

Obliegenheiten, deren Verletzung Schadensersatzansprüche<br />

auslösen können einerseits <strong>und</strong> den allgemeinen<br />

Aufgaben des Betriebsrates nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 <strong>und</strong> Nr. 8<br />

BetrVG, vermag dies eine Erforderlichkeit der Teilnahme an<br />

der Tagung nicht zu begründen. Gleiches gilt für die sich aus<br />

dem im Dezember 2007 ratifizierten Glücksspielstaatsvertrag<br />

ergebenden Pflichten der Arbeitgeberin als Spielbankbetreiberin.<br />

Dass hohe Regressforderungen oder ein Verlust der Konzession<br />

„die Beschäftigung im Betrieb nicht fördern <strong>und</strong><br />

sichern“ mag zutreffen. Allein die Folgen der Verletzung<br />

von Vertragspflichten mit Spielern oder der Missachtung<br />

von ordnungsrechtlichen Vorschriften begründen keine<br />

allgemeine Aufgabe des Betriebsrats, deren Einhaltung zu<br />

überwachen. § 80 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG enthält die Beschäftigungssicherung<br />

als Aufgabe des Betriebsrates. Damit sind<br />

Maßnahmen gemeint, wie sie in § 92a BetrVG aufgeführt<br />

sind. Aufgabe des Betriebsrates ist es jedoch in keinem Fall,<br />

den Arbeitgeber zu kontrollieren, ob er Konzessionsauflagen<br />

einhält <strong>und</strong> Spielsperrverträge verletzt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg<br />

vom 08.02.2008, 22 TaBV 1900/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Gisbert Seidemann, Budapester<br />

Straße 40, 10557 Berlin, Tel.: 030/2545910,<br />

Fax: 030/ 25459111<br />

arbeitsrecht@advocati.de, www.advocati.de<br />

94. Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten,<br />

Antragsauslegung Eingruppierung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zustimmung des<br />

Betriebsrates zu ersetzen wäre. Denn dessen Zustimmung gilt<br />

als erteilt.<br />

Will der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern, so hat er<br />

dies unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach<br />

128 02/08<br />

Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen.<br />

Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung<br />

seiner Zustimmung nicht innerhalb dieser Frist schriftlich<br />

mit, so gilt die Zustimmung als erteilt (§ 99 Abs. 3 BetrVG).<br />

Vorliegend hat die Arbeitgeberin den Betriebsrat mit Eingang<br />

des Schreibens vom 08.09.2005 am 13.09.2005 unterrichtet.<br />

Die Einwochenfrist endete somit mit Ablauf des 20.09.2005<br />

(§§ 186, 187 Abs. l, 188 Abs. 2 1. Alternative BGB).<br />

Innerhalb dieser Frist ging bei der Arbeitgeberin keine Stellungnahme<br />

des Betriebsrats ein. Das Zustimmungsverweigerungsschreiben<br />

vom 20.09.2005 ging erst am 21.09.2005 <strong>und</strong><br />

damit zu spät ein. Dass der Betriebsrat innerhalb der Einwochenfrist<br />

erneut moniert hätte, er sei wiederum nicht hinreichend<br />

informiert worden, ist nicht ersichtlich.<br />

Damit gilt die Zustimmung des Betriebsrates als erteilt.<br />

In einem solchen Fall hat das Arbeitsgericht auch ohne<br />

entsprechenden ausdrücklichen Antrag der Arbeitgeberin<br />

statt auf Ersetzung der Zustimmung auf die Feststellung zu<br />

erkennen, dass die Zustimmung als erteilt gilt (BAG, vom<br />

18.10.1988).<br />

Die Zustimmung war mit Wirkung ab 15.03.2005 zu ersetzen.<br />

Zwar enthält der Antrag der Arbeitgeberin vom 08.09.2005<br />

kein entsprechendes Datum. Offenbar gibt es aber bereits<br />

vorangegangenen Schriftwechsel, der der Kammer allerdings<br />

nicht vorliegt. Das Schreiben der Arbeitgeberin vom<br />

08.09.2005 knüpft an den vorangegangenen Schriftwechsel<br />

an. Selbst wenn im Rahmen dieses Schriftverkehrs das Datum<br />

15.03.2005 nicht genannt worden sein sollte, so war es<br />

doch aufgr<strong>und</strong> der entsprechenden Stellenanhebungen zum<br />

15.03.2005 <strong>und</strong> der Zustimmung des Betriebsrates hierzu<br />

(Anlage AS 1) sowie aufgr<strong>und</strong> der in Parallelfällen auf den<br />

15.03.2005 lautenden Zustimmungsanträge der Arbeitgeberin<br />

für den Betriebsrat ersichtlich.<br />

■ Arbeitsgericht München<br />

vom 15.11.2007, 32 BV 23/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Stephan Dunkhorst, Nymphenburger<br />

Straße 113, 80636 München, Tel.: 089/1215260,<br />

Fax: 089/12152633<br />

www.klein-partner-muc.de<br />

Tarifrecht<br />

95. Eingruppierungsfeststellungsantrag, Bezugnahmeklausel,<br />

konstitutive Bedeutung Pflegehelfer, Stationshelfer,<br />

BAT, kirchlich-diakonische Vertragsordnung (KDAVO)<br />

des Diakonischen Werkes<br />

Entscheidungsgründe ...<br />

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Zu Recht hat<br />

das Arbeitsgericht der Eingruppierungsfeststellungsklage <strong>und</strong><br />

der Zahlungsklage stattgegeben.<br />

I. Urteilstenor <strong>und</strong> Klageantrag sind allerdings auslegungsbedürftig.<br />

Die von ihnen angesprochene Verpflichtung der


Beklagten, die Klägerin in eine bestimmte Vergütungsgruppe<br />

einzugruppieren, verlangt etwas Unmögliches, da<br />

die Eingruppierung keine vom Arbeitgeber vorzunehmende<br />

Handlung ist, sondern sich aus der von dem Arbeitnehmer<br />

auszuübenden Tätigkeit von selbst ergibt. In § 28 der KDAVO<br />

ist nämlich der Gr<strong>und</strong>satz der „Tarifautomatik“ geregelt, d.h.,<br />

die Arbeitnehmer sind nach der Arbeitsvertragsordnung<br />

ihrer auszuübenden Tätigkeit entsprechend ohne weitere<br />

gestaltende Akte der Arbeitgeberin eingruppiert. Gemessen<br />

am Klagebegehren der Klägerin geht es um die Feststellung,<br />

dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem<br />

01. Dezember 2005 eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe<br />

E III zu zahlen.<br />

II. Mit diesem Inhalt ist der Eingruppierungsfeststellungsantrag<br />

zulässig <strong>und</strong> begründet. Entgegen der Auffassung der<br />

Beklagten kann die Klägerin eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe<br />

E III Stufe 5 der Eingruppierungsordnung Anlage<br />

1 zur KDAVO beanspruchen.<br />

1. Eine Umgruppierung gemäß § 6 Abs. 2 der Arbeitsvertragsordnung<br />

für Angestellte im kirchlich-diakonischen<br />

Dienst des Diakonischen Werkes in Hessen <strong>und</strong> Nassau<br />

(AngAVO/DW) in die Entgeltgruppe II der Eingruppierungsordnung<br />

ist nicht gerechtfertigt. Die Voraussetzungen der<br />

Vorschrift liegen nicht vor, da die Klägerin gerade nicht<br />

niedriger einzugruppieren ist, als es die Überleitungstabelle<br />

vorsieht. Der Klägerin steht eine Vergütung nach der<br />

Entgeltgruppe III zu, auch wenn man den Sachvortrag der<br />

Beklagten als zutreffend unterstellt, dass sie tatsächlich<br />

lediglich Tätigkeiten einer Stationshilfskraft verrichtet hat.<br />

Die einschlägige Vergütungsgruppe bemisst sich nicht nach<br />

der vom Arbeitnehmer tatsächlich ausgeübten, sondern<br />

nach der von ihm auszuübenden Tätigkeit. Bei ihr handelt<br />

es sich im Falle der Klägerin um alle zumutbaren Aufgaben,<br />

welche die Anforderungen der arbeitsvertraglich vereinbarten<br />

Vergütungsgruppe erfüllen.<br />

a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet die Arbeitsvertragsordnung<br />

– KDAVO <strong>und</strong> AngVO/DW – vom 20. Juli<br />

2005 in der Fassung vom 20. Juni 2007 Anwendung, da sie<br />

nach § 2 des Arbeitsvertrages in das Arbeitsverhältnis transformiert<br />

wird.<br />

aa) Der BAT nebst Änderungen <strong>und</strong> zusätzlichen Regelungen<br />

in der Fassung des Diakonischen Werkes ist ein aufgr<strong>und</strong><br />

kirchlichen Rechts geschaffenes Regelwerk, das lediglich auf<br />

den Bestimmungen <strong>und</strong> der Systematik des BAT aufbaut. Auf<br />

das Arbeitsverhältnis finden demgemäß kirchenrechtliche Regelungen,<br />

nicht aber der BAT <strong>und</strong> die ihn ergänzenden Tarifverträge<br />

Anwendung (vgl. BAG, 06.11.1996 – 10 AZR 287/96<br />

– NZA 1996, 659 [660]). Kirchlich-diakonische Einrichtungen<br />

fallen nicht einmal unter den Geltungsbereich des BAT.<br />

Das Regelwerk ist durch die kirchlich-diakonische Vertragsordnung<br />

(KDAVO) abgelöst worden. Nach § 1 des Art. 5<br />

der Arbeitsrechtsregelung zur Einführung der kirchlichdiakonischen<br />

Vertragsordnung gilt die arbeitsrechtliche<br />

Regelung, wenn das Arbeitsverhältnis vor dem 01. Oktober<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

2005 begonnen hat (Nr. 1) <strong>und</strong> im Arbeitsvertrag bestimmt<br />

wurde, dass die Arbeitsvertragsordnung für Angestellte im<br />

kirchlich-diakonischen Dienst des Diakonischen Werkes in<br />

Hessen <strong>und</strong> Nassau (AngAVO/DW) in der jeweils geltenden<br />

Fassung Anwendung findet (Nr. 2). In § 2 des Art. 5 ist als<br />

Zeitpunkt für die Anwendung der 01. Oktober 2005 bestimmt.<br />

bb) Durch die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel findet<br />

die Neufassung der Arbeitsvertragsordnung im Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien Anwendung.<br />

Nach § 2 des Arbeitsvertrages richtet sich das Arbeitsverhältnis<br />

nach den jeweiligen für Angestellte geltenden Bestimmungen<br />

des Dienstvertragsrechts des Diakonischen Werkes<br />

in Hessen <strong>und</strong> Nassau (DVR/DWHN). Damit wird auf die von<br />

der arbeitsrechtlichen Kommission beschlossenen Arbeitsvertragsordnungen<br />

zeit- <strong>und</strong> inhaltsdynamisch Bezug genommen.<br />

Dies ergibt eine Auslegung des Arbeitsvertrags.<br />

(1) Der Inhalt von Willenserklärungen ist nach §§ 133,<br />

157 BGB objektiv unter Berücksichtigung der Umstände<br />

des Einzelfalles aus Sicht des Empfängers zu bestimmen.<br />

Ausgehend vom Wortlaut der Klausel ist der objektive<br />

Bedeutungsgehalt der Erklärung zu ermitteln, wobei der<br />

allgemeine Sprachgebrauch unter Berücksichtigung des<br />

vertraglichen Regelungszusammenhangs maßgebend ist. In<br />

die Auslegung einzubeziehen sind auch die den Parteien<br />

erkennbaren Begleitumstände der Erklärung, soweit sie<br />

einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Die<br />

tatsächliche Handhabung des Arbeitsverhältnisses ermöglicht<br />

ebenfalls Rückschlüsse auf dessen Inhalt. Von Bedeutung<br />

für das Auslegungsergebnis sind schließlich auch die Entstehungsgeschichte,<br />

der von den Vertragsparteien verfolgte<br />

Regelungszweck sowie die Interessenlage der Beteiligten<br />

(vgl. BAG, 24.09.2002 – 10 AZR 34/33 – Rn 38, juris; BAG,<br />

20.04.2005 – 4 AZR 292/04 – Rn 18 juris).<br />

(2) Durch die Bezugnahmeklausel sollen erkennbar die Regelwerke<br />

der arbeitsrechtlichen Kommission erfasst werden,<br />

die die Arbeits- <strong>und</strong> Entgeltbedingungen der Arbeitsverhältnisse<br />

festlegen. Der Wortlaut der Klausel ist durch den Begriff<br />

„Dienstvertragsrecht des Diakonischen Werkes“ weit gefasst<br />

<strong>und</strong> erstreckt sich nach dem Sprachgebrauch auf alle Regelungen,<br />

die sich mit dem Abschluss, der Einhaltung <strong>und</strong> der Beendigung<br />

des Arbeitsvertrages sowie seiner inhaltlichen Ausgestaltung<br />

befassen <strong>und</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage des Kirchenrechts zu<br />

Stande gekommen sind. Da die Regelung einschränkungslos<br />

formuliert ist – es sollen die „jeweiligen für Angestellte geltenden<br />

Bestimmungen“ erfasst werden –, handelt es sich um<br />

eine zeit- <strong>und</strong> inhaltsdynamisch ausgestaltete Verweisungsklausel.<br />

Es soll nicht nur die übliche Tarifentwicklung des ursprünglich<br />

zugr<strong>und</strong>e gelegten BAT <strong>und</strong> der ihn ergänzenden<br />

Tarifverträge mit vollzogen werden. Auch ein Tarifwechsel ist<br />

möglich, sodass die Abkopplung der Arbeitsvertragsordnung<br />

von den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes auf das Arbeitsverhältnis<br />

der Parteien durchschlägt.<br />

Inhaltliche Einschränkungen lassen sich nicht aus Satz 2 der<br />

Bezugnahmeklausel herleiten. Die Regelung gibt insoweit nur<br />

129


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

Auskunft darüber, welche Bestimmungen im Zeitpunkt des<br />

Abschlusses des Arbeitsvertrages maßgebend waren <strong>und</strong> seinerzeit<br />

Geltung beansprucht haben. Dies folgt aus dem Zusammenspiel<br />

von Satz 1 <strong>und</strong> Satz 2 der Regelung. Satz 1 enthält<br />

den Geltungsbefehl <strong>und</strong> verweist diesbezüglich auf die<br />

kirchenrechtlichen Bestimmungen. Durch sie wird festgelegt,<br />

welches Regelungswerk Geltung beanspruchen kann. Demgegenüber<br />

teilt der beschreibend formulierte Satz 2 nur die<br />

seinerzeit geltende Rechtslage mit.<br />

(3) Damit ist die bislang geltende <strong>und</strong> ihrem materiellen<br />

Gehalt nach dem BAT entsprechende Arbeitsvertragsordnung<br />

durch die Neufassung abgelöst worden. Eine Nachwirkung<br />

vergleichbar dem § 4 Abs. 5 TVG ist im Streitfall nicht vorgesehen.<br />

Die Neufassung der Arbeitsvertragsordnung hat ab<br />

dem 01. Oktober 2005 ihre Vorgängerregelung aufgehoben.<br />

Bei ihr handelt es sich seitdem nicht mehr um „geltende Bestimmungen<br />

des Dienstvertragsrechts im Sinne des § 2 des<br />

Arbeitsvertrages.“ Durchgreifende Bedenken unter dem Gesichtspunkt<br />

der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen<br />

gemäß §§ 305 ff. BGB bestehen nicht (vgl. dazu Kammerurteil<br />

vom 27. Juli 2007 – 3/5 Sa 171/07 S. 12 ff.). Auch die Klägerin<br />

hat ihre ursprünglichen Bedenken im Berufungsverfahren<br />

nicht mehr weiterverfolgt.<br />

b) Nach § 6 Abs. 1 AngVO/DW findet die Eingruppierung<br />

der Klägerin auf der Gr<strong>und</strong>lage der bisherigen Einreihung<br />

gemäß der Überleitungstabelle mit dem Ergebnis statt, dass<br />

nach der Anlage zur KDO/AngAVO/ArbVO für den in § 4<br />

des Arbeitsvertrages vereinbarten Einzelgruppenplan 70 Fallgruppe<br />

1 die Entgeltgruppe III der Eingruppierungsordnung<br />

Anlage 1 zur KDAVO vorgesehen ist. Dies gilt unabhängig davon,<br />

die Eingruppierungsvoraussetzungen der Entgeltgruppe<br />

III vorliegen.<br />

aa) Auf der Gr<strong>und</strong>lage des § 6 Abs. 2 AngAVO/DW ist eine<br />

Herabgruppierung der Klägerin entgegen der Auffassung der<br />

Beklagten nicht gerechtfertigt.<br />

Zwar ist nach dieser Bestimmung eine Überprüfung der Eingruppierung<br />

aufgr<strong>und</strong> der Stellenbeschreibung vorgesehen.<br />

Daraus lässt sich indessen nicht herleiten, dass die Klägerin<br />

niedriger eingruppiert ist, als es sich aus der Überleitungstabelle<br />

ergibt. Die Beklagte hat die Stellenbeschreibung ausschließlich<br />

anhand der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit gefertigt.<br />

Richtigerweise wäre sie anhand der auszuübenden Tätigkeit<br />

zu erstellen gewesen. Dies folgt aus § 28 Abs. 1 KDAVO.<br />

Nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung ist – wie bei<br />

der insoweit gleich lautenden Vorgängerregelung des § 22<br />

Abs. 2 Unterabs. 2 BAT/DW – nicht die von der Angestellten<br />

tatsächlich ausgeübte, sondern die von ihr „auszuübende Tätigkeit“<br />

maßgebend. In Folge dessen kann Gr<strong>und</strong>lage für eine<br />

Prüfung der Einreihung auch nur eine Stellenbeschreibung<br />

sein, die die auszuübende Tätigkeit dokumentiert. Die auszuübende<br />

Tätigkeit ist der gr<strong>und</strong>legende Bestimmungsfaktor für<br />

die Eingruppierung.<br />

(1) Welche Tätigkeiten die Angestellte auszuüben hat,<br />

bestimmt sich nach dem Arbeitsvertrag. Im Streitfall haben<br />

130 02/08<br />

die Parteien im Arbeitsvertrag die Vergütungsgruppe zur<br />

Umschreibung der auszuübenden Tätigkeit angegeben. Die<br />

Klägerin ist nicht für die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit<br />

eingestellt, sondern für den allgemein umschriebenen Arbeitsbereich,<br />

der durch die Nennung der Vergütungsgruppe<br />

konkretisiert wird. Der Arbeitgeber ist aufgr<strong>und</strong> seines Direktionsrechts<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich befugt, der Angestellten jede zumutbare<br />

Tätigkeit, ... welche ... die ... Anforderungen ... der<br />

... arbeitsvertraglich ... vereinbarten Vergütungsgruppe<br />

erfüllt, zur Ausübung zu übertragen (vgl. BAG, 23.06.1993 –<br />

5 A2R 337/92 – Rn 21, zitiert nach juris; BAG, 21.11.2002 – G<br />

AZR 82/01 Rn 19, zitiert nach juris).<br />

(2) Die Angabe der Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag der<br />

Klägerin hat auch nicht nur deklaratorische, sondern konstitutive<br />

Bedeutung. Dies ergibt eine Auslegung des Arbeitsvertrages<br />

gemäß §§ 133, 157 BGB.<br />

Wird in einem Arbeitsvertrag umfassend auf die Bestimmungen<br />

des Dienstvertragsrecht des Diakonischen Werks<br />

verwiesen kann die Angabe der Vergütungsgruppe im<br />

Arbeitsvertrag im Regelfall zwar nicht so verstanden werden,<br />

dass dem Angestellten ein eigenständiger, von den Eingruppierungsvorschriften<br />

unabhängiger arbeitsvertraglicher<br />

Anspruch auf eine bestimmte Vergütung zustehen soll. Durch<br />

die Angabe der Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag soll vielmehr<br />

nur wiedergegeben werden, welche Vergütungsgruppe<br />

der Arbeitgeber nach dem Gr<strong>und</strong>satz der Tarifautomatik als<br />

zutreffend angesehen hat (vgl. BAG, 16.04.1997 – 4 AZR<br />

463/95 – Rn 15 zitiert nach juris; BAG, 16.2.2000 – 4 AZR<br />

62/99 – Rn 47 zitiert nach juris). Gr<strong>und</strong>sätzlich ist davon<br />

auszugehen, dass die Parteien eines Arbeitsvertrages, die<br />

die Arbeitsvertragsordnungen in ihrer jeweiligen Fassung<br />

vereinbaren, damit nur widerspiegeln wollen, was nach den<br />

Arbeitsvertragsordnungen rechtens ist (BAG, 26.10.1994, NZA<br />

1995, 635; BAG, 06.08.1997 – AZR 195/96 – NZA 1998 263,<br />

[264]; BAG, 18.06.1997 – 4 AZR 747/95 -). Wenn dann im<br />

Anschluss an eine solche Vereinbarung die Vergütung nach<br />

einer bestimmten Vergütungsgruppe der Arbeitsvertragsordnung<br />

festgelegt wird – wie hier in § 4 des Arbeitsvertrages –<br />

ist ohne anderweitige Anhaltspunkte anzunehmen, dass die<br />

Arbeitsvertragsparteien die Bestimmungen der Arbeitsvertragsordnung<br />

widerspiegeln, d.h., nur zum Ausdruck bringen<br />

wollen, welche Vergütungsgruppe nach ihrer Auffassung<br />

aufgr<strong>und</strong> der getroffenen Vereinbarung über die Anwendung<br />

der Arbeitsvertragsordnung zutreffend ist. Gestützt wird die<br />

Annahme dadurch, dass die Arbeitsvertragsparteien in § 4<br />

des Arbeitsvertrages durch den Verweis auf § 22 BAT/DW<br />

ausdrücklich die Gr<strong>und</strong>sätze der Tarifautomatik arbeitsvertraglich<br />

übernommen haben, d. h., die Arbeitnehmer sind<br />

nach der Arbeitsvertragsordnung ihrer Tätigkeit entsprechend<br />

eingruppiert.<br />

Im Streitfall liegen aber Besonderheiten vor, die für eine konstitutive<br />

Vereinbarung der Vergütungsgruppe KR l sprechen.<br />

Im Arbeitsvertrag wird durch Fettdruck besonders hervorgehoben,<br />

dass sich der Arbeitnehmerstatus ändere, <strong>und</strong> die Klä-


gerin einen Arbeitsvertrag als Angestellte erhalte, der sich an<br />

den Arbeitsvertrag als Arbeiterin anschließe. Diese Bewertung<br />

vermittelt den Eindruck, dass eine der Bedeutung des Statuswechsels<br />

entsprechende besonders sorgfältige Prüfung der<br />

Beklagten stattgef<strong>und</strong>en hat. Dem korrespondiert auf Arbeitnehmerseite<br />

die Annahme einer entsprechend hohen Richtigkeitsgewähr<br />

des Prüfungsergebnisses. Bietet der Arbeitgeber<br />

vor diesem Hintergr<strong>und</strong> dem Arbeitnehmer den Abschluss<br />

eines Arbeitsvertrags an, in dem die niedrigste Vergütungsgruppe<br />

eines Tarifwerks für Angestellte angegeben ist, so<br />

kann der Arbeitnehmer berechtigterweise erwarten, dass es<br />

sich um eine bewusste Zubilligung einer bestimmten Vergütungsgruppe<br />

handelt <strong>und</strong> eine verbindliche Mindestvergütung<br />

vereinbart werden soll. Nach §§ 1 <strong>und</strong> 2 des Arbeitsvertrages<br />

sollte die Klägerin als Angestellte weiterbeschäftigt<br />

werden <strong>und</strong> im Übrigen auch nur das jeweils für Angestellte<br />

geltende Dienstvertragsrecht des Diakonischen Werkes<br />

in Hessen <strong>und</strong> Nassau maßgeblich sein. Demgemäß hat sich<br />

die Tarifautomatik auch nur auf das Vergütungssystem für<br />

Angestellte erstreckt. Die Tarifautomatik gilt nicht tarifwerksübergreifend,<br />

sondern nur im Rahmen des Tarifwerks, für welches<br />

sie vereinbart ist. Das Vergütungssystem für Arbeiter<br />

hat die arbeitsvertraglich vereinbarte Tarifautomatik infolge<br />

dessen nicht umfasst. Für die gegenteilige Annahme gibt es<br />

im Arbeitsvertrag keine Gr<strong>und</strong>lage, da die Arbeitsvertragsparteien<br />

seinerzeit gerade nicht auf den BMT-G II <strong>und</strong> das dazugehörende<br />

Lohngruppenverzeichnis HLT in der Fassung des<br />

Diakonischen/ Werkes Bezug genommen haben.<br />

Entgegen ihrer Auffassung war die Beklagte im Zeitpunkt des<br />

Vertragsschlusses keineswegs gezwungen, die Klägerin in die<br />

Vergütungsgruppe Kr l einzureihen. Wenn die Klägerin – wie<br />

die Beklagte behauptet – von Anbeginn an tatsächlich als<br />

Stationshelferin eingesetzt <strong>und</strong> mit einfachen Tätigkeiten befasst<br />

worden ist, wäre sie nicht gemäß der Vergütungsgruppe<br />

Kr l, sondern nach der Vergütungsgruppe HLT II – die nach<br />

dem Umklappkatalog der Entgeltgruppe E II entspricht – eingruppiert<br />

gewesen. Die Eingruppierung nach der Vergütungsgruppe<br />

Kr l setzt zunächst voraus, dass es sich bei den betreffenden<br />

Tätigkeiten um Angestelltentätigkeiten handelt. Sie<br />

liegen nicht vor, wenn die Arbeitsaufgaben denjenigen von<br />

sog. Stationshelfern entsprechen. Stationshelfer sind das Stationspersonal<br />

oder das Hauspersonal in Kranken-, Heil- oder<br />

Pflegeanstalten im Sinne der Lohngruppen l <strong>und</strong> II des Lohngruppenverzeichnisses<br />

zum HLT. Die Aufgaben dieses Personenkreises<br />

bestehen aus überwiegend gewerblichen Tätigkeiten<br />

wie dem Reinigen von Zimmern <strong>und</strong> Räumen, dem<br />

Besorgen von Gegenständen oder Materialien, die bei der<br />

Pflege benötigt werden, der Hilfe bei der Essensausgabe, Botengänge<br />

u. ä. (vgl. BAG, 11.11.1998 – 5 AZR 119/98 – Rn 17 zit.<br />

nach juris). Demgegenüber ist Pflegehelfer, wer eine überwiegend<br />

pflegerische Tätigkeit ausübt. Pflegerische Tätigkeiten<br />

sind solche, die im unmittelbaren Kontakt mit den Patienten<br />

auf dessen ges<strong>und</strong>heitliches Wohl gerichtet sind. Pflegehelfer<br />

sind ungeprüfte Kräfte, die die ausgebildeten Pflegefach-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

kräfte bei deren gesamter Tätigkeit unterstützen. Wie sie die<br />

erforderlichen Qualifikationen für ihre Tätigkeiten erwerben,<br />

ist nicht gesondert geregelt. Typische Aufgaben sind Pflegedokumentation,<br />

die Vitalzeichenkontrolle, die Prophylaxe<br />

gegen Pneumonie, Contractur, Soor, Dekubitus <strong>und</strong> Thrombose,<br />

die Mobilisation (Umbettung, Gehunterstützung) der<br />

Kranken, die Anleitung zur Eigenhygiene <strong>und</strong> Weiteres (vgl.<br />

BAG, 11.11.1998 – 5 AZR119/98 – Rn 18 zit. nach juris). Nach<br />

diesen Maßstäben wäre die Klägerin nach der Behauptung der<br />

Beklagten tatsächlich nach der Vergütungsgruppe HLT II zu<br />

entlohnen gewesen.<br />

bb) Der von der Klägerin auszuübenden Tätigkeit muss sonach<br />

eine Wertigkeit zukommen, die der Vergütungsgruppe<br />

Kr l entspricht. Nur so bleibt gewährleistet, dass der gesamte<br />

Arbeitsvertrag auf eine Angestelltentätigkeit mit entsprechender<br />

Vergütung zugeschnitten ist. Der Umstand, dass die<br />

Unterscheidung zwischen Arbeiter <strong>und</strong> Angestellten in der<br />

neuen Arbeitsvertragsordnung entfallen ist, vermag daran<br />

nichts zu ändern. Die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung<br />

bleibt davon unberührt, da sie konstitutiv ist. Inwieweit<br />

die Beklagte eine Abänderung der Vergütungsgruppe über<br />

eine Änderungskündigung zu erreichen vermag, bedarf im<br />

Streitfall keiner Entscheidung.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 19.10.07, 3 Sa 777/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Werner Mansholt, Rheinstraße<br />

30, 64283 Darmstadt, Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

96. Tarifvertrag, Auslegung<br />

Verweist ein Arbeitsvertrag pauschal auf die Vergütungsregelungen<br />

im Bereich des BAT <strong>und</strong> ergeben sich im Nachhinein<br />

für den Bereich des B<strong>und</strong>es, der Länder sowie der Vereinigung<br />

kommunaler Arbeitgeber unterschiedliche tarifliche Regelungsinhalte,<br />

entsteht nachträglich eine Vertragslücke, die<br />

im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist.<br />

Dabei spricht die Tatsache, dass es sich bei dem Arbeitgeber<br />

um ein Unternehmen handelt, das b<strong>und</strong>esweit tätig ist, dafür,<br />

dass die Parteien auf die im Bereich des B<strong>und</strong>es geltenden<br />

Regelungen verwiesen hätte, wenn sie ein Auseinanderfallen<br />

der entsprechenden Vergütungsregelungen vorausgesehen<br />

hätten.<br />

■ Landesarbeitsgericht Niedersachsen<br />

vom 06.07.07, 3 Sa 1790/07<br />

97. Direktionsrecht, Anhörung gemäß § 7 Arbeitsvertragsrichtlinien<br />

des diakonischen Werkes der evangelischen<br />

Kirchen in Deutschland (AVR), Versetzung, Beschäftigungsanspruch,<br />

einstweilige Verfügung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... Die einstweilige Regelung eines Beschäftigungsanspruchs<br />

kommt trotz der notwendigerweise befriedigenden Wirkung<br />

in Frage als Leistungsverfügung (hier auch genannt: Befriedigungsverfügung),<br />

die zwar in den §§ 935, 940 ZPO (anwend-<br />

131


Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

bar i.V.m. § 62 Abs. 2 ArbGG) nicht ausdrücklich erwähnt, jedoch<br />

dann möglich <strong>und</strong> zu erlassen ist, wenn Verfügungsanspruch<br />

<strong>und</strong> -gr<strong>und</strong> nach Maßgabe dieser Vorschriften gegeben<br />

sind (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., § 940 Rn 8).<br />

Der Gläubiger eines Beschäftigungsanspruchs hat also darzulegen<br />

<strong>und</strong> glaubhaft zu machen, dass ihm ein solcher Anspruch<br />

zusteht (Verfügungsanspruch) <strong>und</strong> dass er auf die sofortige<br />

Erfüllung dringend angewiesen ist (Verfügungsgr<strong>und</strong>).<br />

Einer näheren Abgrenzung der Vorschriften der §§ 935 <strong>und</strong><br />

940 ZPO voneinander bedarf es nicht, da eine Verfügung<br />

in Bezug auf den Streitgegenstand i.S.d. § 935 ZPO, welche<br />

die Verwirklichung eines Beschäftigungsanspruchs sicherstellen<br />

soll, zugleich als Regelung eines einstweiligen Zustandes<br />

gemäß § 940 ZPO hinsichtlich der zwischen den Parteien umstrittenen<br />

Frage der Beschäftigung anzusehen ist. Auch kann<br />

der in § 940 ZPO vorausgesetzte wesentliche Nachteil in der<br />

nach § 935 ZPO erforderlichen Vereitelung oder Erschwerung<br />

des Rechts auf eine bestimmte Beschäftigung erblickt werden<br />

(Sachs. LAG, Urteil vom 08.03.1996 –3Sa77/96 -; siehe auch:<br />

Leopoldt, Gr<strong>und</strong>lagen des einstweiligen Rechtsschutzes, 1971,<br />

S. 101).<br />

Ein Verfügungsanspruch ist dann gegeben, wenn dem Kläger<br />

aus einem mit dem Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnis<br />

ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung in Schkeuditz<br />

zusteht. Davon ist hier auszugehen.<br />

Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Vereinbarung<br />

des Rettungsdienstes in Schkeuditz als Dienstort in § 2<br />

des Arbeitsvertrages vom 29.02.2000 das Direktionsrecht des<br />

Beklagten dahingehend einschränkt, dass jedwede Versetzung<br />

an einen anderen Dienstort unwirksam ist. Selbst wenn<br />

man davon ausgeht, dass diese Vereinbarung der streitigen<br />

Versetzung nicht entgegensteht, so entspricht sie jedenfalls<br />

nicht den Bestimmungen des § 7 der kraft arbeitsvertraglicher<br />

Bezugnahme Anwendung findenden Arbeitsvertragsrichtlinien<br />

des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche<br />

in Deutschland (AVR) (BAG, Urteil vom 20.03.2002 – 4 AZR<br />

101/01 – BAGE 101, 9). Diese sind nach den für Tarifverträge<br />

geltenden Maßstäben auszulegen (BAG, Urteil vom<br />

17.11.2005 – 6 AZR 160/05 – zitiert nach juris). Normative<br />

Bestimmungen eines Tarifvertrages sind nach Beachtung<br />

ihres Wortlautes, ihres systematischen Zusammenhangs, ihrer<br />

Entstehungsgeschichte sowie des hiermit verfolgten Zwecks<br />

auszulegen, wobei der Wille der Tarifparteien nur insoweit<br />

Berücksichtigung finden kann, wie er auch in dem Wortlaut<br />

einen für Dritte erkennbaren Ausdruck gef<strong>und</strong>en hat (BAG,<br />

Urteil vom 22.01.1960 – 1 AZR 449/57 – AP Nr. 96 zu § 1 TVG<br />

Auslegung; BAG, Urteil vom 11.03.1982 – 2 AZR 233/81 –<br />

BAGE 39, 1 bis 16 m. w. N.).<br />

Im Rahmen der nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen vorzunehmenden<br />

Auslegung ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass<br />

der Beklagte seiner Verpflichtung, den Kläger vor Anordnung<br />

der Versetzung anzuhören, nicht in ausreichendem Maß nachgekommen<br />

ist. Diese Anhörung soll den Beklagten in die<br />

Lage versetzen, in Kenntnis sämtlicher – auch seitens des<br />

132 02/08<br />

Arbeitnehmers für relevant gehaltener -Tatsachen <strong>und</strong> Umstände<br />

eine Entscheidung im Rahmen des ihm gemäß § 315<br />

BGB i.V.m. § 7 AVR zugebilligten Entscheidungsspielraums zu<br />

treffen. Er soll in die Lage versetzt werden, auch persönliche<br />

<strong>und</strong> familiäre Gesichtspunkte des betroffenen Arbeitnehmers<br />

in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen (vgl. § 7 Abs. 2<br />

AVR). In diese Lage wird er aber dann nicht versetzt, wenn er<br />

die Entscheidung erst zu einem späteren Zeitpunkt mit dem<br />

betroffenen Arbeitnehmer bespricht oder auf eine mehrere<br />

Monate zuvor erfolgte Unterredung – die hier im Übrigen<br />

streitig geb<strong>liebe</strong>n ist – zurückgreift. Gerade persönliche <strong>und</strong><br />

familiäre Aspekte sind einem ständigen Wandel unterworfen,<br />

der eine zeitnahe Anhörung nach den Maßstäben des § 7 AVR<br />

unabdingbar erscheinen lässt.<br />

Da die vom 14.06.2007 datierende Versetzung bereits aufgr<strong>und</strong><br />

der vorstehenden Überlegungen nicht den arbeitsvertraglichen<br />

Vereinbarungen der Parteien entspricht, bedarf es<br />

keiner Entscheidung, ob diese bereits mangels ordnungsgemäßer<br />

Anhörung der bei dem Beklagten bestehenden Mitarbeitervertretung<br />

unwirksam ist.<br />

Die begehrte einstweilige Verfügung ist in dem zugesprochenen<br />

zeitlichen Umfang auch „notwendig“ i. S. des § 940 ZPO<br />

(Verfügungsgr<strong>und</strong>).<br />

Die „Notwendigkeit“ ergibt sich bereits daraus, dass anderenfalls<br />

wegen Zeitablaufs für jeden weiteren Tag der Nichtbeschäftigung<br />

in Schkeuditz ein endgültiger Rechtsverlust<br />

drohte. Die Eigenart des Beschäftigungsanspruchs besteht<br />

darin, dass er für eine vergangene Zeit nicht nachholbar ist.<br />

Auf diesen Rechtsverlust wirkt es sich nicht entscheidend aus,<br />

dass der Kläger anderweitig (in Torgau) beschäftigt würde<br />

(vgl. Sachs. LAG, Urteil vom 08.03.1996 –3Sa77/96 –).<br />

■ Sächsisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 09.08.2007, 6 SaGa 10/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig, Tel: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de; www.advo-gross.de<br />

98. Altersteilzeit, billiges Ermessen<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages<br />

gegenüber der Beklagten nicht zu.<br />

Eine gesetzliche Anspruchsgr<strong>und</strong>lage aus denen, etwa vergleichbar<br />

mit dem TzBfG, ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber<br />

den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages zu beanspruchen<br />

vermag, ist nicht ersichtlich.<br />

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus der Altersteilzeitordnung<br />

der Beklagten, dort insbesondere § 2. Mit Änderung der Altersteilzeitordnung<br />

im Jahr 2006 wurde der bis dato normierte<br />

Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages ab<br />

Vollendung des 60. Lebensjahres eines Arbeitnehmers durch<br />

eine Kann-Regelung ersetzt.<br />

Nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 1 der Altersteilzeitordnung<br />

kann die Beklagte mit Arbeitnehmern, die das 55. Lebensjahr


vollendet haben, die Änderung des Arbeitsverhältnisses in ein<br />

Altersteilzeitarbeitsverhältnis vereinbaren. Mit der Formulierung<br />

„kann“ wird regelmäßig ausgedrückt, dass dem Berechtigten<br />

die Entscheidung überlassen wird, ob er tätig wird oder<br />

nicht. Für die Auslegung der Altersteilzeitordnung gilt nichts<br />

anderes. Die Beklagte ist danach nicht verpflichtet, dem Antrag<br />

eines Arbeitnehmers auf Änderung des Arbeitsvertrages<br />

allein deshalb zu entsprechen, weil dieser die in der Vorschrift<br />

genannten Voraussetzungen erfüllt. Die Entscheidung über<br />

die vom Arbeitnehmer verlangte Vertragsänderung ist allein<br />

in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt. Zu einer tariflichen<br />

Altersteilzeitordnung, die eine mit der vorliegenden vergleichbaren<br />

Kann-Regelung enthält, hat das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in<br />

der Entscheidung vom 12. Dezember 2000 (BAGE 96, 363 –<br />

371, auf die Entscheidung haben sich beide Parteien bezogen),<br />

die vorgenannten Gr<strong>und</strong>sätze, denen sich das Gericht<br />

anschließt, aufgestellt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen,<br />

dass in der bis 2006 geltenden Altersteilzeitordnung die Beklagte<br />

ausschließlich dringende dienstliche oder betriebliche<br />

Gründe berücksichtigen konnte bei der Ablehnung; eines auf<br />

die Vereinbarung eines Altersteilzeitvertrages gerichteten Antrags.<br />

Diese Beschränkung ist durch die Neufassung der Altersteilzeitordnung<br />

ausdrücklich aufgehoben worden. Durch die<br />

Streichung der (alten) Absätze 2 <strong>und</strong> 3 von § 2 der Altersteilzeitordnung<br />

besteht hier eine Verpflichtung der Beklagten auf<br />

Abschluss eines Altersteilzeitvertrages generell nicht mehr.<br />

Die Beklagte hatte auch nicht lediglich dringende dienstliche<br />

bzw. betriebliche Gründe die gegen den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages<br />

sprechen bei der Ablehnung zu berücksichtigen<br />

bzw. vorzutragen.<br />

Aber auch unter Berücksichtigung der sich aus § 315 BGB zu<br />

entnehmenden Gesichtspunkte ist ein Anspruch der Klägerin<br />

auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages zu verneinen. Zwar<br />

ist bei der bestehenden Kann-Regelung der Altersteilzeitordnung<br />

die Beklagte nicht frei in der Ausübung ihres Ermessens.<br />

Die Beklagte vermag nicht nach freiem Be<strong>liebe</strong>n zu entscheiden,<br />

ob sie einen Altersteilzeitvertrag abschließt. Sie ist vielmehr<br />

verpflichtet, die wesentlichen Umstände des Einzelfalls<br />

zu würdigen <strong>und</strong> die beiderseitigen Interessen angemessen<br />

zu wahren.<br />

Dabei ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass die<br />

Beklagte mangels entsprechender Tatsachenkenntnis, die<br />

im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits von der Klägerin<br />

vorgetragenen ges<strong>und</strong>heitlichen Beeinträchtigungen ihrer<br />

Person im Hinblick auf die zu verrichtende Tätigkeit zum<br />

Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages<br />

nicht bekannt gewesen sind. Die Klägerin<br />

hat den entsprechenden Vortrag der Beklagten hinsichtlich<br />

ihrer insoweit bestandenen Unkenntnis nicht bestritten, so<br />

dass von einem Zugestehen auszugehen ist.<br />

Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin unter Berücksichtigung<br />

der Gr<strong>und</strong>sätze von Recht <strong>und</strong> Billigkeit abgelehnt.<br />

Insbesondere die von der Beklagten vorgetragenen Kostengesichtspunkte,<br />

die demographische Entwicklung mit dem da-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Tarifrecht<br />

mit verb<strong>und</strong>enen Fachkräftemangel sowie die von der Beklagten<br />

nicht bestrittene wirtschaftliche Lage des Betriebes stellen<br />

auch im Rahmen von § 315 BGB maßgebliche Gesichtspunkte<br />

dar, die die Beklagte zulässigerweise anzuführen vermag, um<br />

den Antrag der Klägerin auf ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis<br />

abzulehnen. Die Beklagte hat im Rahmen des Rechtsstreits<br />

ihre negative wirtschaftliche Lage bezogen auf 2006 <strong>und</strong> 2007<br />

dargelegt <strong>und</strong> mitgeteilt, dass es nahezu ausgeschlossen sei,<br />

Zuschüsse für den Altersteilzeitvertrag zu erlangen. Da der<br />

Abschluss eines weiteren Altersteilzeitvertrages die Beklagte<br />

nicht unerheblich wirtschaftlich belastet, vermag dieser Gesichtspunkt<br />

im Rahmen ihrer Ablehnungsentscheidung Berücksichtigung<br />

zu finden.<br />

■ Arbeitsgericht Kassel<br />

vom 01.06.07, 7 Ca 114/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Jacqueline Greinert, Wilhelmshöher<br />

Allee 270, 34131 Kassel, Tel.: 0561/3166124,<br />

Fax: 0561/3166123<br />

J.Greinert@dwaz.eu<br />

99. Tarifautomatik<br />

Aus § 67 des Tarifvertrages über Arbeitsbedingungen für Angestellte,<br />

Arbeiter <strong>und</strong> Auszubildende des Deutschen Roten<br />

Kreuzes (DRK-TV) vom 31. Januar 1984 ergibt sich nicht, dass<br />

eine Kündigung inhaltsgleicher BAT-Normen dazu führt, dass<br />

die entsprechenden Normen des DRK-TV ebenfalls als gekündigt<br />

gelten. Eine entsprechende „Tarif-Automatik“ gibt es<br />

nicht.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 31.05.2007, 9 Sa 128/07<br />

100. Altersteilzeit, rückwirkende Begründung<br />

1. Der tarifliche Anspruch auf Begründung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses<br />

nach § 2 TV ATZ richtet sich auf ein<br />

Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach dem Altersteilzeitarbeitsmodell<br />

I <strong>und</strong> nicht auf ein solches im sog. Blockmodell.<br />

2. „Betrieb“ im Sinne des § 3 TV ATZ (Überforderungsschutz)<br />

ist nur ein selbständiger Betrieb im Sinne des BetrVG, nicht<br />

jedoch ein Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 BetrVG.<br />

3. Die rückwirkende Begründung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses<br />

als Folge einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung<br />

ist rechtlich möglich (im Anschluss an BAG, Urteil vom<br />

23.01.2007 – 9 AZR 393/06).<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 26.06.2007, 9 Sa 920/06<br />

101. Rufbereitschaft, § 8 Abs. 3 S. 4 TVöD<br />

1. Soweit gemäß § 8 Abs. 3 S. 4 TVöD „für die Arbeitsleistung<br />

innerhalb der Rufbereitschaft ... jede angefangene St<strong>und</strong>e auf<br />

eine volle St<strong>und</strong>e ger<strong>und</strong>et“ wird, ist anzunehmen, dass die<br />

Formulierung „jede angefangene St<strong>und</strong>e“ keine Bedeutung<br />

beizumessen wäre, wenn zunächst sämtliche Einsätze inner-<br />

133


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

halb einer Rufbereitschaft addiert werden müssten. Denn<br />

dann gibt es immer nur eine angefangene St<strong>und</strong>e, so dass<br />

die Formulierung „jede angefangene St<strong>und</strong>e“ ins Leere läuft.<br />

2. Hätten die Tarifvertragsparteien die Regelung treffen wollen,<br />

dass eine St<strong>und</strong>ungsr<strong>und</strong>ung nur einmal pro Rufbereitschaft<br />

mit mehreren Einsätzen vorzunehmen sei, hätte es einer<br />

ausdrücklichen Regelung im Tarifvertrag bedurft.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 14.06.2007, 11 Sa 57/07<br />

Sonstiges<br />

102. Annahmeverzug, Lohnausfallprinzip<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.<br />

Die mit ihr verfolgten Zahlungsansprüche ergeben sich als<br />

Verzugslohn aus § 615 BGB.<br />

In der Freistellung von der Arbeitspflicht ist regelmäßig die<br />

Erklärung des Arbeitgebers zu sehen, die Annahme der vom<br />

Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung werde abgelehnt.<br />

Durch diese Erklärung gerät der Arbeitgeber in Annahmeverzug.<br />

In diesem Fall bedarf es keines wörtlichen Angebotes der<br />

Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer, denn der Arbeitgeber<br />

lässt erkennen, unter keinen Umständen zur Weiterbeschäftigung<br />

des Arbeitnehmers bereit zu sein.<br />

Die Beklagte hat auch erkannt, dass sie während der Freistellungszeit<br />

in Annahmeverzug geraten ist, wie die Tatsache der<br />

Weiterzahlung der Gr<strong>und</strong>vergütung an den Kläger zeigt.<br />

Das im Annahmeverzug fortzuzahlende Entgelt ist nach dem<br />

Lohnausfallprinzip zu bemessen. Der Arbeitgeber hat die Vergütung<br />

zu zahlen, die der Arbeitnehmer bei Weiterarbeit erzielt<br />

hätte. Dabei sind alle Entgeltbestandteile zu berücksichtigen.<br />

Hierzu gehören auch Zuschläge, soweit diese Teil der vereinbarten<br />

Vergütung sind <strong>und</strong> Entgeltcharakter haben. Damit<br />

hat der Arbeitgeber auch die tariflichen Spät- <strong>und</strong> Nachtzuschläge<br />

zu vergüten. Hätte der Arbeitnehmer bei Weiterarbeit<br />

auch Überst<strong>und</strong>en geleistet, schuldet der Arbeitgeber auch<br />

die Überst<strong>und</strong>envergütung.<br />

Nur wenn die „Zuschläge“ eine bestimmte tatsächliche Mehrbelastung<br />

abgelten sollen, wie etwa Schmutzzulagen, sind sie<br />

bei der Vergütungsfortzahlung im Annahmeverzug nicht zu<br />

bezahlen.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 26.03.2008, 1 Ca 1159/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann, Von-Scheibler-<br />

Straße 10, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/835555,<br />

Fax: 02371/835556<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

103. Befangenheitsantrag, rechtliches Gehör<br />

Die Beklagte hat bei dem Arbeitsgericht Iserlohn gegen<br />

den Beschluss dieses Gerichts vom 23.10.2007 „sofortige<br />

134 02/08<br />

Beschwerde“ eingelegt. Das Arbeitsgericht hat das Verfahren<br />

der zuständigen Beschwerdekammer des Landesarbeitsgerichts<br />

vorgelegt. Nach Durchsicht der Akte ist auf folgende<br />

Sachlage hinzuweisen:<br />

Das Arbeitsgericht hat über den Befangenheitsantrag der<br />

Beklagten entschieden, ohne zuvor die dienstliche Äußerung<br />

des Vorsitzenden der 5. Kammer vom 15.10.2007 den Parteien,<br />

insbesondere der Beklagten, zur Stellungnahme zugänglich<br />

zu machen. Die dienstliche Äußerung ist der Beklagten<br />

vielmehr zusammen mit dem angefochtenen Beschluss<br />

übersandt worden. Damit liegt ein Verstoß gegen den<br />

Gr<strong>und</strong>satz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) vor<br />

(vgl. BVerfG, v. 25.06.1968 – AP Nr. 25 zu Art. 103 GG; v.<br />

08.06.1993 – NJW 1993, 2229). Ein Rechtsmittel gegen den<br />

Beschluss ist allerdings nicht statthaft (§ 49 Abs. 3 ArbGG).<br />

Der Rechtsmittelzug wird auch nicht durch die Verletzung<br />

eines Verfahrensgr<strong>und</strong>rechts eröffnet (BVerfG, v. 02.03.1982 –<br />

NJW 1982, 1454). Eine Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG<br />

dürfte nach § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG ausscheiden; ebenso –<br />

gerade wegen der Neuregelung in § 78a ArbGG – eine<br />

„außerordentliche“ Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit<br />

(vgl. BAG, v. 08.08.2005 – NJW 2005, 3231;<br />

Hessisches LAG, v. 14.08.2002 – LAGE § 48 ArbGG 1979 Nr. 15).<br />

In Betracht kommt allein noch eine Auslegung der Beschwer<br />

der Beklagten als Gegenvorstellung, die dem Arbeitsgericht<br />

zur Vermeidung einer Verfassungsbeschwerde eine Selbstkorrektur<br />

seiner Entscheidung ermöglicht (BGH, v. 07.03.2002 –<br />

NJW 2002, 1577; Hessisches LAG, v. 14.08.2002, a.a.O.; OLG<br />

Gelle, v. 24.09.2002 – NJW 2002, 3715). In diesem Fall wäre<br />

u.U. die Sache an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

richterlicher Hinweis vom 19.11.2007, 1 Ta 739/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann, Von-Scheibler-<br />

Straße 10, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/835555,<br />

Fax: 02371/776690<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

104. Schwerbehinderte, Ladung zu Vorstellungsgespräch<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... I. Die Parteien streiten zuletzt noch über die Frage, ob nach<br />

§ 82 S. 2 SGB IX im öffentlichen Dienst auch bei interner Ausschreibung<br />

ein schwerbehinderter Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch<br />

zu laden ist, sofern die fachliche Eignung<br />

nicht offensichtlich fehlt.<br />

Der Antragsteller (Beteiligter zu 1.) ist Hauptvertrauensmann<br />

der schwerbehinderten Menschen beim früheren Ministerium<br />

für Inneres, Familie, Frau <strong>und</strong> Sport, das im September 2007<br />

neu ressortiert wurde zum Ministerium für Inneres <strong>und</strong> Sport<br />

(Antragsgegner <strong>und</strong> Beteiligter zu 2.). ...<br />

II. Zuftreffend hat das Arbeitsgericht die Antragsbefugnis des<br />

Antragtellers mit überzeugender, lesenwerter Begründung<br />

bejaht. Das Beschwerdegericht schließt sich dem an. Die<br />

Antragsbefugnis ergibt sich aus §§ 95 II Ziff. 2 SGB IX/2a


Ziff. 3a ArbGG. Danach sind zuständige Stellen, bei denen<br />

Maßnahmen für schwerbehinderte Menschen zu beantragen<br />

sind, auch die Gerichte für Arbeitssachen, wenn es darum<br />

geht, die Einhaltung von Schutzmaßnahmen zu überwachen.<br />

III. Nach § 82 S. 1 SGB IX „melden die Dienststellen der öffentlichen<br />

Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende<br />

<strong>und</strong> neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze<br />

(§ 73)“. § 82 S. 2 SGB IX besagt: „Haben schwerbehinderte<br />

Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder<br />

sind sie von der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit oder einem von dieser<br />

beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden,<br />

werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.“<br />

Der Streit der Beteiligten besteht nun darüber, ob im konkreten<br />

Fall KHK X angesichts der internen Ausschreibung vom<br />

18.1.2007 zu einem Vorstellungsgespräch im Rahmen des Auswahlverfahrens<br />

einzuladen war oder nicht.<br />

Einig sind sich die Parteien darüber, dass die Ausnahmeregelung<br />

des § 82 S. 3 SGB IX hier nicht greift, wonach „eine<br />

Einladung entbehrlich ist, wenn die fachliche Eignung offensichtlich<br />

fehlt“.<br />

Da die Ausnahmeregelungen des § 73 II SGB IX hier nicht<br />

einschlägig sind, geht es um Arbeitsplätze im Sinne des Teil 2<br />

des SGB IX, also auch um die unter § 82 SGB IX erwähnten<br />

Arbeitsplätze. Darunter fällt auch die hier ausgeschriebene<br />

Stelle.<br />

Es stellt sich jedoch die Frage, ob sie als neu zu besetzender<br />

Arbeitsplatz auch der Agentur für Arbeit zu melden war. Dies<br />

verneint der Antragsgegner zu Recht, da der Arbeitsplatz<br />

gemäß der Ausschreibung nur von einem internen <strong>und</strong> nicht<br />

externen Bewerber besetzt werden sollte. Hierfür hat der<br />

Antragsgegner vertretbare Gründe angeführt, nämlich zum<br />

einen haushaltsrechtliche Gegebenheiten <strong>und</strong> zum anderen<br />

fachliche Erwägungen, eingearbeitete, bestens ausgebildete<br />

<strong>und</strong> qualifizierte Bewerber zu bekommen. Im Gegensatz zum<br />

Arbeitsgericht hat das Beschwerdegericht gegen eine interne<br />

Ausschreibung keine rechtlichen Bedenken.<br />

Die vom Antragsteller vertretene Auffassung, für den Öffentlichen<br />

Arbeitgeber bestehe auch die Verpflichtung, intern neu<br />

zu besetzende Stellen der Agentur für Arbeit zu melden<br />

(so auch Schimanski/GK-SGB, IX § 82 Rn 22), überzeugt<br />

nicht. § 81 SGB IX gibt zum einen den schwerbehinderten<br />

Menschen konkrete Rechtspositionen, legt den Arbeitgebern<br />

zum anderen spezielle Pflichten auf um die Chancengleichheit<br />

schwerbehinderter Menschen <strong>und</strong> ihnen Gleichgestellter im<br />

Arbeits- <strong>und</strong> Berufsleben zu verbessern <strong>und</strong> die Arbeitslosigkeit<br />

schwerbehinderter Menschen abzubauen. So hat<br />

der Arbeitgeber gemäß § 81l 1-3 SGB IX zu prüfen, ob ein<br />

freier Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen,<br />

insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos<br />

gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden<br />

kann. Die Prüfung ist nicht abstrakt, sondern konkret für den<br />

zu besetzenden Arbeitsplatz vorzunehmen. Hierzu hat der<br />

Arbeitgeber frühzeitig Kontakt mit der Agentur für Arbeit<br />

aufzunehmen.<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Für den öffentlichen Arbeitgeber bestehen erweiterte Pflichten.<br />

Er hat nach § 82 S. 1 SGB IX auch alle künftig frei werdenden<br />

Arbeitsplätze der Agentur für Arbeit zu melden <strong>und</strong><br />

gemäß Satz 2 alle schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch<br />

einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung<br />

des Bewerbers fehlt offensichtlich. Die Meldung macht<br />

jedoch nur Sinn, wenn der frei werdende <strong>und</strong> neu zu besetzende<br />

oder neue Arbeitsplatz auch möglicherweise von einem<br />

Externen besetzt werden kann oder soll. Kommen nur beim<br />

Arbeitgeber oder Dienstherrn schon beschäftigte Mitarbeiter<br />

in Betracht, wäre der Zweck der Meldung verfehlt, nämlich<br />

schwerbehinderten Menschen bevorzugt einen Arbeitsplatz<br />

zu vermitteln, um somit ihren hohen Stand an Arbeitslosen<br />

abzubauen <strong>und</strong> ihnen verstärkte Chancen zu bieten, um ihre<br />

behindertenbedingte Benachteiligung zu kompensieren. Es<br />

stellt sich nun die Frage, ob unter einem „solchen“ Arbeitsplatz<br />

nach § 82 S. 2 SGB IX, der den öffentlichen Arbeitgeber<br />

zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet, lediglich ein neu<br />

zu besetzender oder neuer Arbeitsplatz zu verstehen ist oder<br />

einer, der darüber hinaus der Agentur für Arbeit zu melden<br />

ist, ob also die Verweisung auf „solche“ die Meldung an die<br />

Agentur mit umfasst.<br />

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts bezieht sich das „solche“<br />

auf den gesamten ersten Satz von § 82 SGB IX. Dieser<br />

spricht nicht nur von freien oder neuen Arbeitsplätzen i. S. v.<br />

§ 73 SGB IX, sondern darüber hinaus von zu meldenden Arbeitsplätzen.<br />

Mit dem Wort „solchen“ wird diese Einschränkung<br />

erfasst <strong>und</strong> wiederholt. Diese Auslegung drängt sich<br />

auch aus dem Sinnzusammenhang der einzelnen Sätze <strong>und</strong><br />

Normen des § 82 SGB IX auf. Es geht um die Vermittlung<br />

von schwerbehinderten Menschen auf freie Arbeitsplätze, um<br />

sie aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen oder sie davor zu<br />

bewahren. Damit soll ihren schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt<br />

aufgr<strong>und</strong> ihrer Behinderung Rechnung getragen<br />

werden. Hierzu hat der Gesetzgeber insbesondere den öffentlichen<br />

Arbeitgeber in die Pflicht genommen. Er soll eng mit<br />

der Arbeitsvermittlung zusammenarbeiten <strong>und</strong> bei der Auswahl<br />

der Bewerber auch mit den Schwerbehinderten ein Vorstellungsgespräch<br />

führen, wenn die fachliche Eignung nicht<br />

offensichtlich ausgeschlossen ist. Dadurch soll sich der Arbeitgeber<br />

einen persönlichen Eindruck von dem schwerbehinderten<br />

Bewerber verschaffen, wodurch eventuelle Vorbehalte<br />

oder gar Vorurteile ausgeräumt werden können <strong>und</strong> Hilfskriterien<br />

stärker zur Geltung gebracht oder anders gewichtet werden.<br />

Der Arbeitgeber soll die Persönlichkeit des Schwerbehinderten<br />

näher kennen lernen, wodurch die Einstellungschance<br />

eventuell gesteigert wird <strong>und</strong> seine Auswahl eher in Betracht<br />

kommt. Über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus<br />

soll sich der Arbeitgeber ein Bild von der Persönlichkeit des<br />

schwerbehinderten Bewerbers, seinem Auftreten, seiner Leistungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> seiner Eignung machen.<br />

Diese Erwägungen sind bei dem schon beschäftigten Schwerbehinderten<br />

jedoch nicht anzustellen, da er dem Arbeitgeber<br />

oder Dienstherrn schon – in der Regel viele Jahre – persönlich<br />

135


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

bekannt ist, ebenso seine Leistungen aufgr<strong>und</strong> seiner Beschäftigung<br />

<strong>und</strong> seiner Beurteilungen. Es geht in diesen Fällen auch<br />

nicht um die Förderung von arbeitslosen Schwerbehinderten,<br />

sondern meistens lediglich um ihre Umsetzung, die allerdings<br />

häufig mit Verbesserungen verb<strong>und</strong>en ist. Dem Antragsteller<br />

ist zwar beizupflichten, wenn er darauf hinweist, dass § 81<br />

II SGB IX den Bezug zum AGG herstellt, das wiederum die<br />

Umsetzung der europarechtlichen Richtlinien zur Verwirklichung<br />

des Gr<strong>und</strong>satzes der Gleichbehandlung enthält. Es ist<br />

auch richtig, dass der Anwendungsbereich des AGG sich nicht<br />

nur auf die Neubegründung eines Dienstverhältnisses durch<br />

externe Bewerber bezieht, sondern auch auf die interne Besetzung<br />

von Stellen beim beruflichen Aufstieg (§ 2l Nr. 1 AGG).<br />

Hier hat der Gesetzgeber jedoch über § 81 SGB IX hinaus<br />

eine konkrete Pflicht lediglich für den öffentlichen Arbeitgeber<br />

begründet, die im Zusammenhang mit der Bewerbung<br />

<strong>und</strong> Einstellung von externen schwerbehinderten Menschen<br />

steht <strong>und</strong> keine Förderung interner schwerbehinderter Arbeitnehmer<br />

oder Beamter beinhaltet, da es um die Beseitigung<br />

von Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen geht. Dem<br />

öffentlichen Arbeitgeber wird hier eine Vorbildfunktion auferlegt.<br />

Der Antragsgegner geht daher zu Recht davon aus, dass<br />

er zu einem Vorstellungsgespräch mit dem schwerbehinderten<br />

Bewerber X nicht verpflichtet war.<br />

Dieser gr<strong>und</strong>sätzlichen Ansicht war offensichtlich auch der<br />

Antragsteller einmal, wie aus der im Vermerk vom 12.7.2004<br />

festgehaltenen Abrede zu entnehmen ist, die allerdings keinen<br />

bindenden Charakter hat. Schließlich beinhalten auch<br />

die vom Antragsteller zitierten Entscheidungen (Bay. VGH,<br />

7.10.2004, Br 2005, 174 ff.; VG Düsseldorf, 6.5.2005, Br 2005,<br />

176 ff.; ArbG Berlin, 10.10.2003, LAGE § 82 SGB IX Nr. 1) Fälle,<br />

in denen es um externe Ausschreibungen bzw. externe Bewerber<br />

ging.<br />

Der noch im Streit befindliche Feststellungsantrag war somit<br />

als unbegründet zurückzuweisen unter Abänderung der erstinstanzlichen<br />

Entscheidung.<br />

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.<br />

Da die strittige Rechtsfrage von gr<strong>und</strong>sätzlicher Bedeutung<br />

ist <strong>und</strong> anscheinend noch nicht höchstrichterlich entschieden<br />

wurde, war die Rechtsbeschwerde gemäß §§ 92, 72l 2, II<br />

ArbGG zuzulassen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Saarland<br />

vom 13.02.08, 1 TaBV 15/07<br />

eingereicht von Rechtsanwältin Dr. Judith Gessner, Berliner<br />

Prommenade 16, 66111 Saarbrücken, Tel.: 0681/936390,<br />

Fax: 0681/9363911<br />

kanzlei@gessnerlaw.de, www.gessnerlaw.de<br />

105. Rechtsweg, Arbeitnehmerstatus<br />

Entscheidungsgründen:<br />

... 1. Das Gericht erklärt den Rechtsweg zu den ordentlichen<br />

Gerichten für unzulässig, da die Parteien Ansprüche aus einem<br />

Arbeitsverhältnis gegeneinander geltend machen. Für diese<br />

136 02/08<br />

Ansprüche sind gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG die Gerichte<br />

für Arbeitssachen ausschließlich zuständig.<br />

2. Entscheidend ist in der Zusammenschau aller Angaben<br />

der Beteiligten, dass der Kläger von seiner Anmeldung zur<br />

Sozialversicherung <strong>und</strong> Krankenkasse wusste, dies auch durch<br />

Abgabe seiner Lohnsteuerkarte <strong>und</strong> der Bekanntgabe der Sozialversicherungsnummer<br />

mit förderte <strong>und</strong> über ein Jahr hinweg<br />

die Nettozahlungen als monatliches Gehalt entgegengenommen<br />

hat, ohne gegen die Art der Entlohnung zu protestierten.<br />

Schließlich widerspricht sich der Kläger auch, wenn<br />

er vortragen lässt, dass er ausschließlich für das Projekt der<br />

Firma X angestellt war. Denn wie er selbst hat vortragen<br />

lassen, hat er auch EDV-Arbeiten für eine Firma Y gemacht<br />

<strong>und</strong> will hierfür eine Entlohnung von 3.250,00 €. Auch dies<br />

spricht dagegen, dass ein Werkvertrag zwischen den Parteien<br />

vorgelegen hat, da nämlich dann nach Durchführung des Auftrags<br />

X hinsichtlich des Auftrags der Firma Y ein neuer Werkvertrag<br />

hätte abgeschlossen werden müssen. Außerdem hat<br />

der Kläger der Beklagten nach Abschluss der Arbeiten für die<br />

Firma X keine Rechnung gestellt. Somit ist das Gericht davon<br />

überzeugt, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis<br />

bestanden hat, sodass zur Entscheidung des Rechtsstreits die<br />

Arbeitsgerichte ausschließlich zuständig sind.<br />

■ Landgericht Ansbach<br />

vom 03.03.08, 2 O 1412/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Bertram Bauer, Reitbahn 3,<br />

91522 Ansbach, Tel.: 0981/9712700, Fax: 0981/97127030<br />

info@rae-pbw.de, www.rae-pbw.de<br />

106. Zwangsvollstreckung, Einstellung, nicht zu ersetzender<br />

Nachteil, Rechtsmittelaussichten<br />

Entscheidungsgründe:<br />

II. ... Nach § 62 Abs. 1 ArbGG kann auch in den Fällen des<br />

§ 719 Abs. 1 ZPO die Zwangsvollstreckung aus einem nicht<br />

rechtskräftigen Urteil nur dann eingestellt werden, wenn die<br />

Beklagte glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihr einen<br />

nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Bei der Beurteilung,<br />

ob ein nicht zu ersetzender Nachteil für die Beklagte<br />

gegeben ist, ist gr<strong>und</strong>sätzlich ein strenger Maßstab anzulegen,<br />

wobei das Sicherungsbedürfnis des Gläubigers <strong>und</strong> die<br />

Belange des Schuldners sowie die Gefahr nicht zu ersetzender<br />

Nachteile gegeneinander abzuwägen sind (ständige Rechtsprechung<br />

des LAG Bremen seit EzA § 62 ArbGG 1979 Nr. 9;<br />

Dütz, DB 80 S. 1069, Vollkommer, in: Anmerkung zu LAG Bremen<br />

a.a.O.).<br />

Ein nicht zu ersetzender Nachteil im Sinne von § 62 Abs. 1<br />

ArbGG liegt vor, wenn die Wirkungen der Zwangsvollstreckung<br />

nicht wieder rückgängig gemacht werden können,<br />

die Zwangsvollstreckung mithin zu irreparablen Beeinträchtigungen<br />

beim Beklagten führen würde (vgl. LAG Düsseldorf,<br />

EzA § 62 ArbGG 1979 Nr. 1, 2 <strong>und</strong> 3; LAG Bremen, a.a.O.; Dütz<br />

a.a.O.). Bei der Geldvollstreckung ist dies der Fall, wenn der<br />

mit der Titelaufhebung bestehende Rückforderungsanspruch


nach § 717 Abs. 2 ZPO nicht realisierbar ist <strong>und</strong> damit die<br />

„vorläufige“ Vollstreckung gegebenenfalls bereits zu einem<br />

endgültigen Vermögensverlust führt. Aus dem Erfordernis<br />

der Glaubhaftmachung, § 62 Abs. 1 Satz 2 <strong>und</strong> 3 ArbGG,<br />

folgt, dass die den Nachteil begründenden Umstände mit<br />

überwiegender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen (vgl.<br />

dazu allgemein Stein/Jonas/Leipoldt, ZPO, 21. Aufl., § 294<br />

Rn 6; Vollkommer, a.a.O.). Es reicht nicht aus, dass eine<br />

gewisse Wahrscheinlichkeit für Schwierigkeiten bei einer<br />

Rückforderung gegeben ist (vgl. Vollkommer, a.a.O.).<br />

Das Berufungsgericht ist in ständiger Rechtsprechung der<br />

Auffassung, dass die Erfolgsaussicht eines Rechtsmittels im<br />

Rahmen des Begriffs „des nicht zu ersetzenden Nachteils“ nur<br />

eingeschränkt zu berücksichtigen ist. Der Begriff „des nicht<br />

zu ersetzenden Nachteils“ ist im Gr<strong>und</strong>satz vom Erfolg oder<br />

Misserfolg eines Rechtsmittels unabhängig. Lediglich dann,<br />

wenn feststeht, dass ein Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg<br />

haben wird, kann auch angenommen werden, dass bei einer<br />

Vollstreckung kein nicht zu ersetzender Nachteil eintreten<br />

würde (vgl. LAG Bremen, Beschluss v. 19.04.1992 – Az.: 2 Sa<br />

102-103/93 -; LAG Bremen, Beschluss v. 09.06.1995 – Az.: 1 Sa<br />

88/95 -; LAG Bremen, Beschluss v. 11.05.1998 – Az.; 1 Ta 29/98<br />

-; LAG Bremen, Beschluss v. 24.06.2002 – Az.: 2 Ta 43/03 –).<br />

Hier steht ohnehin nicht fest, dass die Berufung <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

in welchem Umfang Aussicht auf Erfolg hat. Mit<br />

Rücksicht auf den umfangreichen Tenor des erstinstanzlichen<br />

Urteils ist unklar, gegen welche erstinstanzlich tenorierten Ansprüche<br />

sich die Beklagte mit ihrer Berufung im Einzelnen<br />

wenden will. Der Antrag, unter Abänderung des Urteils die<br />

Klage abzuweisen, soweit über den 31.12.2006 hinaus Ansprüche<br />

zugesprochen worden sind, ist unklar; es ist nicht erkennbar,<br />

ob damit auch solche Ansprüche gemeint sind, die keine<br />

Zählungsansprüche bis Dezember 2006 darstellen. In dem Antrag<br />

auf Einstellung der Zwangsvollstreckung wird nicht Ziffer<br />

6) des Tenors des erstinstanzlichen Urteils erwähnt. Auch<br />

in der Berufungsbegründung finden sich keine Ausführungen<br />

hierzu. Angesichts der Formulierung des Berufungsantrages<br />

bleibt auch unklar, ob sich die Beklagte weiterhin gegen den<br />

Antrag bezüglich der fristlosen Kündigung wenden will.<br />

■ Landesarbeitsgericht Bremen<br />

vom 16.07.2007, 2 Sa 115/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen, Schwachhauser<br />

Heerstraße 25, 28211 Bremen, Tel.: 0421/200730,<br />

Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de, www.dasgesetz.de<br />

107. Örtliche Zuständigkeit, Erfüllungsort, ständiger Einsatz,<br />

Bedeutung einer örtlichen Vorgesetztenposition<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Bremen-<br />

Bremerhaven ist gegeben.<br />

Dies ergibt sich vorliegend aus § 29 ZPO.<br />

Nach dieser Vorschrift ist für Streitigkeiten aus einem Ver-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

tragsverhältnis <strong>und</strong> über dessen Bestehen das Gericht des<br />

Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen<br />

ist. Bei Arbeitsverhältnissen ist dabei regelmäßig von<br />

einem einheitlichen gemeinsamen Erfüllungsort auszugehen<br />

(ErfK/Preis, 7. Aufl., § 61 1 Rz 806). Dies ist der Ort, an dem<br />

der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat, d.h.<br />

der tatsächliche Mittelpunkt seiner Berufstätigkeit (ErfK/Koch,<br />

a.a.O., § 48 ArbGG Rz 20). Für die Feststellung dieses Ortes<br />

sind alle Umstände des Einzelfalles heranzuziehen, etwa der<br />

Ort des Vertragsschlusses, der Ort von dem aus die Einsätze<br />

gesteuert werden <strong>und</strong> wo Berichtspflichten <strong>und</strong> Zahlungspflichten<br />

zu erfüllen waren. Voraussetzung ist, dass am Ort der<br />

tatsächlichen Arbeitsleistung oder des Schwerpunktes eine<br />

betriebliche Organisation mit eigener auf das Arbeitsverhältnis<br />

bezogener Funktion besteht (vgl. Germelmann u.a., ArbGG,<br />

5. Aufl. 2004, § 2 Rz 163 ff.).<br />

Der Kläger war hier tatsächlich allein im Warenhaus in<br />

Bremen eingesetzt. Nach der Art der Beschäftigung im<br />

Gebäudereiniger-Handwerk ist für das Vorliegen einer betrieblichen<br />

Organisation ausreichend, wenn vor Ort eine<br />

Person (etwa eine Vorarbeiterin) eingesetzt wird, welcher<br />

die Ausübung von Direktions- <strong>und</strong> Weisungsrechten übertragen<br />

ist <strong>und</strong> die die notwendigen Einsatzplanungen (z.B.<br />

Berücksichtigung von Urlaubs- <strong>und</strong> Arbeitsunfähigkeitszeiten)<br />

vornimmt. Insofern kann sich die Beklagte auch nicht darauf<br />

zurückziehen, die in Bremen bei X existente Vorarbeiterin<br />

fungiere gleichsam „nur“ als Bote. Es dürfte den tatsächlichen<br />

Gegebenheiten nicht entsprechen, dass die unmittelbar die<br />

Arbeitsleistungen betreffenden Arbeitgeberentscheidungen<br />

insofern maßgeblich am Sitz des Unternehmens getroffen<br />

werden. Dort findet allenfalls eine Kontrolle statt, ob beispielsweise<br />

der Urlaubsanspruch bereits ausgeschöpft war<br />

<strong>und</strong> dort werden die notwendigen verwaltungstechnischen<br />

Maßnahmen ausgeführt. Die Disposition <strong>und</strong> maßgebliche<br />

Bewilligung obliegt vielmehr dem unmittelbaren Vorgesetzten,<br />

da nur er entscheiden kann, ob der erforderliche<br />

Arbeitskräftebedarf konkret abgedeckt wird oder werden<br />

kann. Auch der Arbeitsvertrag selbst wurde vom Kläger in<br />

Bremen geschlossen <strong>und</strong> abgegeben. Für ihn gab es keinen<br />

Kontakt zu einem Mitarbeiter der Beklagten in Magdeburg.<br />

Im Übrigen kommt dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes im<br />

Arbeitsverhältnis eine gewichtige soziale Funktion zu. Da es<br />

keine Kostenerstattung in der ersten Instanz gibt, wäre der<br />

Arbeitnehmer, dem der Gerichtsstand des Erfüllungsortes genommen<br />

wird, als der in der Regel Schwächere im Konflikt um<br />

seinen Arbeitsplatz gezwungen, ggf. erhebliche Mittel aufzuwenden,<br />

um sein Rechtsbegehren am Sitz des Arbeitgebers<br />

durchzusetzen. Ist er auf Prozesskostenhilfe angewiesen, wird<br />

der Mehraufwand etwa durch Einschaltung eines Korrespondenzanwaltes<br />

oder durch Reisen an den allgemeinen Gerichtsstand<br />

des Arbeitgebers unter Umständen nicht erstattet (vgl.<br />

dazu LAG Bremen, vom 03.09.2003, NZA-RR 2004, 323; siehe<br />

auch Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven vom 19.10.2006 Az.<br />

11 Ca 1153/06). Dies führt dazu, dass auch aus diesem Ge-<br />

137


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

sichtspunkt von einem (einheitlichen) Erfüllungsort in Bremen<br />

auszugehen ist.<br />

Gemäß § 17a GVG, § 48 ArbGG war vorab über die Zuständigkeit<br />

zu entscheiden. Die Entscheidung konnte ohne mündliche<br />

Verhandlung ergehen, <strong>und</strong> zwar durch die Vorsitzende<br />

allein (§ 48 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 17a Abs. 4 GVG<br />

sowie § 55 Abs. 1 Nr. 2, l ArbGG). Die Entscheidung ist unanfechtbar<br />

(§ 48 Abs. 1 Ziffer 1 ArbGG).<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 16.07.2007, 3 Ca 3114/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen, Schwachhauser<br />

Heerstraße 25, 28211 Bremen, Tel.: 0421/200730,<br />

Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de, www.dasgesetz.de<br />

108. Gleichbehandlung, Altersdiskriminierung, Sozialplanabfindung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.<br />

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin<br />

hat keinen Anspruch auf Zahlung einer weitergehenden<br />

Sozialplanabfindung.<br />

1. Ein derartiger Anspruch folgt zunächst nicht aus dem<br />

zwischen der Beklagten <strong>und</strong> dem Betriebsrat am 11.04.2005<br />

vereinbarten Sozialplan. Zwar hat ein jeder Sozialplan<br />

gemäß § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung<br />

<strong>und</strong> schafft damit für die einzelnen<br />

Mitarbeiter unmittelbar einklagbare Ansprüche (BAG, Urteil<br />

vom 17.10.1989 – 1 ABR 75/88 – DB 1990, 486). Vorliegend<br />

scheitert jedoch der geltend gemachte Zahlungsanspruch an<br />

der in § 5 Nr. 2 des Sozialplans enthaltenen Höchstbegrenzungsklausel.<br />

Danach beträgt der Abfindungsanspruch eines<br />

jeden Mitarbeiters maximal 70.000,00 € brutto. Derartige<br />

Höchstbegrenzungsklauseln für Abfindung in Sozialplänen<br />

sind nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

rechtswirksam (BAG, Urteil vom 19.10.1999 –1AZR<br />

838/98 – NZA 2000, 732; BAG, Urteil vom 25.03.2003 – 1<br />

AZR 335/02 – EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 5; zuletzt BAG,<br />

Beschluss vom 02.10.2007 – 1 AZN 793/07 – DB 2008, 69). Sie<br />

verstoßen nicht gegen § 75 Abs. 1 BetrVG <strong>und</strong> stellen keine<br />

altersmäßige Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer dar.<br />

Dieser Rechtsprechung schließt sich die erkennende Kammer<br />

an.<br />

a) Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber <strong>und</strong> Betriebsrat<br />

darauf zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen ihres<br />

Alters benachteiligt werden. Damit ist aber nicht jegliche unterschiedliche<br />

Behandlung von älteren <strong>und</strong> jüngeren Arbeitnehmern<br />

ausgeschlossen. Zulässig bleibt die sachlich begründete<br />

Differenzierung. Dies gilt immer dann, wenn sich die<br />

Betriebsparteien am Zweck der Sozialplanleistung ausrichten,<br />

der darin besteht, mit einem begrenzten Volumen möglichst<br />

allen von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte<br />

Überbrückungshilfe bis zu einem Ungewis-<br />

138 02/08<br />

sen neuen Arbeitsverhältnis oder längstens bis zum Bezug<br />

von Altersrente zu ermöglichen (BAG, Urteil vom 23.08.1988 –<br />

1 AZR 284/87 – BAGE 59, 255, 262 f.). Hierfür bedarf es in aller<br />

Regel des Gebrauchs von Pauschalierungen, da die einzelnen<br />

zu erwartenden Nachteile meist nicht konkret voraussehbar<br />

sind (BAG, Urteil vom 19.10.1999 – 1 AZR 838/98 – NZA 2000,<br />

732).<br />

b) Ausgehend von diesen Gr<strong>und</strong>sätzen enthält die in § 5<br />

des Sozialplans vereinbarte Kappungsgrenze weder eine unmittelbare,<br />

noch eine mittelbare Benachteiligung der Klägerin<br />

wegen ihres Alters.<br />

aa) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt immer dann vor,<br />

wenn eine Person wegen ihres Alters in einer vergleichbaren<br />

Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als<br />

eine andere Vergleichsperson. Eine solche Benachteiligung<br />

enthält § 5 des Sozialplans nicht. Im Gegenteil steigt die Abfindung<br />

nach der Berechnungsformel in § 5 Nr. 2 des Sozialplans<br />

mit steigendem Lebensalter. Damit werden letztlich<br />

ältere Arbeitnehmer gegenüber jüngeren Arbeitnehmern sogar<br />

privilegiert. Die Höchstbetragsklausel selbst knüpft überhaupt<br />

nicht an das Alter der Mitarbeiter an. Sie ist allein betragsabhängig<br />

ausgestaltet <strong>und</strong> begrenzt mögliche, sich nach<br />

der Abfindungsformel rechnerisch ergebende Abfindungsbeträge<br />

auf maximal 70.000,00 €. Dies geschieht unabhängig<br />

von sämtlichen einzelnen Berechnungsfaktoren.<br />

bb) Auch eine mittelbare Benachteiligung der Klägerin wegen<br />

ihres Alters erfolgt durch die in § 5 des Sozialplans festgelegte<br />

Kappungsgrenze nicht. Eine solche mittelbare Benachteiligung<br />

liegt immer dann vor, wenn sich dem Anschein<br />

nach neutrale Vorschriften bei Personen eines bestimmten<br />

Alters im Vergleich mit anderen Personen in besonderer Weise<br />

benachteiligend auswirken können, ohne dass dies sachlich<br />

gerechtfertigt ist. Auch hierfür fehlen vorliegend jegliche Anhaltspunkte.<br />

Zunächst scheidet bereits im Gr<strong>und</strong>satz eine Benachteiligung<br />

als solche aus, wie das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen<br />

des erstinstanzlichen Urteils zutreffend ausgeführt<br />

hat. Denn, wie oben dargestellt, kann eine Benachteiligung<br />

nur vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer gegenüber Vergleichspersonen<br />

eine ungünstigere Behandlung erfährt. Genau dies<br />

geschieht aber im vorliegenden Fall nicht, da die Klägerin die<br />

höchstmögliche Abfindung erhalten hat. Kein Arbeitnehmer<br />

wird ihr gegenüber bezogen auf den Abfindungsanspruch<br />

besser gestellt. Das bloße Vorenthalten eines lediglich fiktiv<br />

berechenbaren, aber nicht zu beanspruchenden Vorteils ist<br />

insoweit rechtlich ohne Relevanz.<br />

Doch auch selbst wenn man, mit der Argumentation der Klägerin,<br />

von einer möglichen Benachteiligung ausgehen wollte,<br />

stellt die in § 5 des Sozialplans enthaltene Höchstbetragsklausel<br />

jedenfalls keine mittelbare altersmäßige Benachteiligung<br />

dar. Zum einen ist das Lebensalter nach der Berechnungsformel<br />

in § 5 Nr. 2 des Sozialplans in gleicher Weise zu gewichten<br />

wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit. Beide Faktoren wirken<br />

sich auf die Abfindungshöhe in gleicher Weise aus <strong>und</strong>


würden damit durch eine Kappungsgrenze naturgemäß auch<br />

beide gleichermaßen mittelbar beeinträchtigt. Eine besondere<br />

altersmäßige Benachteiligung kann daher auch mittelbar<br />

nicht entstehen.<br />

Zum anderen wäre aber jedenfalls eine unterstellte mittelbare<br />

Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Alters nicht<br />

sachwidrig. Wie das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht in seinem gr<strong>und</strong>legendem<br />

Urteil vom 19.10.1999 (1 AZR 838/98 – NZA 2000,<br />

732) zutreffend ausgeführt hat, ist es nicht zu beanstanden,<br />

wenn die Betriebspartner für das verbleibende Risiko der Arbeitslosigkeit<br />

den auszugleichenden wirtschaftlichen Schaden<br />

mit einer Höchstgrenze der Sozialplanabfindung bewerten.<br />

Dies ist insbesondere vor dem Hintergr<strong>und</strong> des insgesamt<br />

begrenzten Sozialplanvolumens zu sehen (LAG Niedersachsen,<br />

Urteil vom 20.02.2007 –9Sa1373/06 – LAGE § 75 BetrVG<br />

2001 Nr. 5). Hätten die Betriebspartner eine derartige<br />

Höchstbegrenzungsklausel nicht in den Sozialplan aufgenommen,<br />

so hätte sich dies bei einem ansonsten gleich bleibenden<br />

Sozialplanvolumen zwingend zu Lasten derjenigen Arbeitnehmer<br />

mit geringeren Abfindungsansprüchen auswirken<br />

müssen. Damit wären deren mit der Entlassung verb<strong>und</strong>ene<br />

wirtschaftliche Nachteile in noch geringerem Maße als bislang<br />

<strong>und</strong> damit also schlechter als von den Betriebspartnern als angemessen<br />

angesehen ausgeglichen worden. Letztlich würde<br />

sich damit die Argumentation der Klägerin gegen sie selbst<br />

wenden, da ein Fehlen der sachgerechten Kappungsgrenze<br />

in gleicher Weise als Benachteiligung der jüngeren Arbeitnehmer<br />

wegen ihres geringeren Alters gesehen werden könnte.<br />

Diese Überlegung macht deutlich, dass die Betriebspartner<br />

auch weiterhin bei der Vereinbarung eines Sozialplans hinsichtlich<br />

der Entscheidung frei bleiben müssen, welche Nachteile<br />

der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer<br />

in welchem Umfang <strong>und</strong> auf welche Weise ausgeglichen<br />

oder gemindert werden sollen (vgl. hierzu BAG, Urteil vom<br />

19.10.1999 – 1 AZR 838/98 – NZA 2000, 732 m.w.N.).<br />

2. Aus den vorgenannten Gründen hat die Klägerin gegen<br />

die Beklagte aus § 75 Abs. 1 BetrVG in Verbindung mit Art. 3<br />

GG in richtlinienkonformer Auslegung auf Basis der Richtlinie<br />

2000/78/EG auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung<br />

„nach oben“. Zwar ist es zutreffend, dass bei einem Gleichbehandlungsverstoß<br />

regelmäßig eine Anpassung dahingehend<br />

erfolgt, dass der benachteiligte Arbeitnehmer die Leistung<br />

erhält, die ihm unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bislang<br />

vorenthalten wurde. Ein derartiger Anspruch scheitert<br />

hier jedoch an der fehlenden, ungerechtfertigten Benachteiligung,<br />

wie oben im Einzelnen dargestellt worden ist.<br />

Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin liegen auch die<br />

Voraussetzungen des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG vor. Danach<br />

scheidet eine Altersdiskriminierung immer dann aus,<br />

wenn die Ungleichbehandlung objektiv <strong>und</strong> angemessen ist<br />

<strong>und</strong> im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes<br />

Ziel gerechtfertigt ist <strong>und</strong> die Mittel zur Erreichung dieses<br />

Ziels angemessen <strong>und</strong> erforderlich sind. Dabei haben nach der<br />

neuesten Rechtsprechung des EuGH der Gesetzgeber <strong>und</strong> die<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

Sozialpartner auf nationaler Ebene einen weiten Ermessensspielraum<br />

(EuGH, Urteil vom 16.10.2007 – C- 411/05; Palacios,<br />

NZA 2007, 1219). Das muss in gleicher Weise für die ebenfalls<br />

kollektivrechtliche Ebene der Betriebsverfassung mit ihren<br />

normativ wirkenden Regelungen gelten. Legt man diesen<br />

Maßstab zugr<strong>und</strong>e, so stellt die Verwirklichung des Sozialplanzwecks,<br />

der darin besteht, das begrenzte Sozialplanvolumen<br />

möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern als verteilungsgerechte<br />

Überbrückungshilfe zur Verfügung zu stellen, ein legitimes<br />

Ziel im oben genannten Sinn dar.<br />

3. Im Übrigen scheitert selbst bei einer unterstellten Rechtsunwirksamkeit<br />

der Höchstbetragsklausel in § 5 Nr. 2 des Sozialplans<br />

der geltend gemachte Zahlungsanspruch der Klägerin<br />

an der in diesem Fall bestehenden Gesamtnichtigkeit des Sozialplans<br />

vom 11.04.2005.<br />

Nach der ständigen Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

sind zwar Korrekturen einzelner Sozialplanbestimmungen,<br />

die Arbeitnehmer unter Verstoß gegen Recht <strong>und</strong> Billigkeit<br />

benachteiligen, gr<strong>und</strong>sätzlich möglich. Dabei ist jedoch<br />

immer das Gesamtvolumen des Sozialplans zu berücksichtigen.<br />

Denn die mit einer derartigen Korrektur des Sozialplans<br />

mittelbar verb<strong>und</strong>ene Ausdehnung des vereinbarten Finanzvolumens<br />

ist immer nur so lange hinzunehmen, wie nur einzelne<br />

Arbeitnehmer benachteiligt werden <strong>und</strong> die Mehrbelastung<br />

des Arbeitgebers durch die Korrektur im Verhältnis zum<br />

Gesamtvolumen des Sozialplans nicht „ins Gewicht fällt“ (BAG,<br />

Urteil vom 26.06.1990 – 1 AZR 263/88 – EzA § 112 BetrVG 1972<br />

Nr. 55; BAG, Urteil vom – 1 AZR 58/02 – EzA § 112 BetrVG 2001<br />

Nr. 3; BAG, Urteil vom – 1 AZR 407/02 – EzA § 112 BetrVG<br />

2001 Nr. 9). Dabei kommt es letztlich entscheidend nicht auf<br />

die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer, sondern allein auf das<br />

Verhältnis der finanziellen Mehrbelastung zum Gesamtvolumen<br />

an (BAG, a.a.O.).<br />

Diese Grenzen wären im vorliegenden Fall bei einer unterstellten<br />

Unwirksamkeit der Höchstbetragsklausel in § 5 des<br />

Sozialplans deutlich überschritten. Das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht<br />

hat in der vorgenannten Entscheidung eine Erhöhung des Gesamtvolumens<br />

um 1,7 % als „noch hinnehmbar“ angesehen.<br />

Nach einer jüngeren Entscheidung des Landesarbeitsgerichts<br />

Hamburg aus dem Jahr 2006 ist dies bei einer Erhöhung von<br />

6,91 % nicht mehr der Fall <strong>und</strong> führt zu einer Gesamtnichtigkeit<br />

des Sozialplans (LAG Hamburg, Urteil vom 30.06.2006 – 6<br />

Sa 18/06 – LAGE § 75 BetrVG 2001 Nr. 3). Im vorliegenden Fall<br />

hätte die Streichung der Kappungsgrenze eine Ausdehnung<br />

des Sozialplanvolumens um r<strong>und</strong> 16 % zur Folge. Eine derartige<br />

Erhöhung des Finanzvolumens ist nach den dargestellten<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen als „ins Gewicht fallend“ anzusehen <strong>und</strong> hätte<br />

damit in jedem Fall die Gesamtnichtigkeit des Sozialplans zur<br />

Folge.<br />

III. Nach allem war somit die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.<br />

Da die Klägerin das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt<br />

hat, ist sie gemäß §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO<br />

verpflichtet, die Kosten der Berufung zu tragen.<br />

Die Kammer hat die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG<br />

139


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

auf ausdrückliche Anregung beider Parteien im Hinblick auf<br />

die Frage der Altersdiskriminierung zugelassen. Dabei war der<br />

Kammer der Beschluss des I. Senats des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts<br />

vom 02.10.2007 (1 AZN 793/07 – DB 2008, 69) zum Zeitpunkt<br />

der Urteilsverkündung noch nicht bekannt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Köln<br />

vom 07.11.07, 3 Sa 203/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dr. Stephan Pauly, Kurt-<br />

Schumacher-Straße 16, 53113 Bonn, Tel.: 0228/6209010,<br />

Fax: 0228/6209091<br />

pauly@pauly-rechtsanwaelte, www.pauly-rechtsanwaelte.de<br />

109. Mobbing, Begriffsbestimmung, Darlegungs- <strong>und</strong><br />

Beweislast<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf<br />

Schmerzensgeld gemäß §§ 280, 278, 253, 823 Abs. 1, 831, 847<br />

BGB.<br />

Dabei kann offen bleiben, ob sich der geltend gemachte Anspruch<br />

auf die Verletzung vertraglicher Pflichten, §§ 280, 278,<br />

253 BGB, im Hinblick auf Handlungen der Vorgesetzten X,<br />

oder aus deliktischer Haftung, §§ 823, 831, 847 BGB, im Hinblick<br />

auf Handlungen des <strong>Kollegen</strong> Y ergeben. Die Klägerin<br />

hat keine Tatsachen hinreichend dargelegt <strong>und</strong> unter Beweis<br />

gestellt, die geeignet sind, einen Schmerzensgeldanspruch<br />

auf Gr<strong>und</strong> einer Vertragspflichtverletzung oder einer deliktischen<br />

Handlung durch einen Verrichtungsgehilfen zu begründen.<br />

1. Der Arbeitgeber haftet dem Arbeitnehmer gemäß §§ 180,<br />

278, 253 BGB für schuldhaft begangene Persönlichkeitsrechtsoder<br />

Ges<strong>und</strong>heitsverletzungen durch von ihm als Erfüllungsgehilfen<br />

eingesetzte andere Arbeitnehmer oder Vorgesetzte.<br />

Notwendig ist dann, dass die schuldhafte Handlung in einem<br />

inneren sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben<br />

steht, die der Arbeitgeber dem Erfüllungsgehilfen im Hinblick<br />

auf die Vertragserfüllung zugewiesen hat. Eine deliktische<br />

Haftung für Verhaltensweisen anderer Arbeitnehmer<br />

trifft den Arbeitgeber, wenn deren Verhalten nicht aus dem<br />

Kreis der anvertrauten Aufgaben herausfällt (vgl. dazu BAG,<br />

vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/0).<br />

Dabei ist Mobbing zu definieren als das systematische Anfeinden,<br />

Schikanieren <strong>und</strong> Diskriminieren eines Arbeitnehmers,<br />

das durch Stresssituationen am Arbeitsplatz begünstigt wird.<br />

Vom arbeitsrechtlichen Mobbingbegriff werden fortgesetzte,<br />

aufeinander aufbauende <strong>und</strong> ineinander übergreifende,<br />

der Anfeindung, Schikane <strong>und</strong> Diskriminierung dienende<br />

Verhaltensweisen erfasst, die nach ihrer Art <strong>und</strong> ihrem Ablauf<br />

im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung<br />

nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind <strong>und</strong> in ihrer<br />

Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Ehre<br />

oder die Ges<strong>und</strong>heit des Betroffenen verletzen. Dabei ist<br />

eine Abgrenzung zu dem in einem Betrieb im Allgemeinen<br />

üblichen oder rechtlich erlaubten <strong>und</strong> deshalb hinzunehmen-<br />

140 02/08<br />

den Verhalten erforderlich. Nicht jede Auseinandersetzung<br />

oder Meinungsverschiedenheit zwischen <strong>Kollegen</strong> <strong>und</strong>/oder<br />

Vorgesetzten <strong>und</strong> Untergebenden erfüllt den Begriff des<br />

Mobbings. Kurzfristigen Konfliktsituationen mit Vorgesetzten<br />

oder <strong>Kollegen</strong> fehlt in der Regel schon die notwendige systematische<br />

Vorgehensweise. Soweit die handelnden Personen<br />

vom Weisungsrecht des Arbeitgebers in rechtmäßiger Weise<br />

Gebrauch machen, liegt kein Mobbing vor. Ein solches hat<br />

der Arbeitnehmer hinzunehmen (vgl. BAG, vom 15.01.1997 –<br />

7 AZR 17/96 -; BAG, vom 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 –; LAG<br />

Berlin, vom 25.06.2002 – 18 (11) Sa 1295/01 –; LAG Berlin,<br />

vom 14.11.2002 – 16 Sa 970/02 –).<br />

2. Die Darlegungen der Klägerin zu den angeblichen Schikanen<br />

<strong>und</strong> Anfeindungen durch den <strong>Kollegen</strong> Y <strong>und</strong> die Vorgesetzte<br />

X reichen nicht aus, um das Vorliegen einer einen<br />

Schmerzensgeldanspruch auslösenden Mobbingsituation zu<br />

bejahen.<br />

Der schriftsätzliche Vortrag der Klägerin beschränkt sich auf<br />

pauschale Behauptungen, ohne diese näher zu beschreiben<br />

<strong>und</strong> örtlich <strong>und</strong> zeitlich einzuordnen. Dieser fehlende Vortrag<br />

kann nicht durch die Bezugnahme auf die handschriftlichen<br />

Aufzeichnungen der Klägerin ersetzt werden. Diese stellen<br />

zum Teil tagebuchähnliche Aufzeichnungen, zum Teil scheinbar<br />

Schreiben an die Vorgesetzte dar. Allerdings sind diese<br />

Aufzeichnungen nur bedingt lesbar. Es hätte zur Einbeziehung<br />

in den Rechtsstreit ihrer schriftsätzlichen Aufbereitung<br />

bedurft.<br />

■ Arbeitsgericht Iserlohn<br />

vom 31.01.2008, 4 Ca 1984/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann, Von-Scheibler-<br />

Straße 10, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/835555,<br />

Fax: 02371/776690<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

110. Gleichbehandlung, Bewerbungsverfahren, Diskriminierung<br />

1. Eine unzulässige Benachteiligung i.S. des AGG kommt nur<br />

bei solchen Bewerbern <strong>und</strong> Bewerberinnen in Frage, die sich<br />

subjektiv ernsthaft beworben haben <strong>und</strong> objektiv für die zu<br />

besetzende Stelle in Betracht kommen.<br />

2. Dem Entschädigungsanspruch (des § 15 Abs. 2 AGG) kann<br />

der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengesetzt werden,<br />

falls eine Bewerbung erweislich nur<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 11.01.2008, 6 Sa 522/07<br />

111. Abfindung, Steuerabzug<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... I. 1. Die Zwangsvollstreckung aus dem Prozessvergleich<br />

ist nach § 767 ZPO für unzulässig zu erklären. Die Klägerin<br />

erfüllte die Forderung aus Nr. 2 des Prozessvergleichs durch<br />

Zahlung von 7.200 EUR <strong>und</strong> 5.723,90 EUR unmittelbar <strong>und</strong>


durch Zahlung von 1.076,10 EUR mittelbar an die Klägerin<br />

(§ 362 BGB).<br />

1.1. Nach Nr. 2 des Prozessvergleichs ist die Abfindung „ohne<br />

Abzüge“, damit ohne Geltendmachung zivilrechtlicher Gegenansprüche,<br />

jedoch nach Maßgabe des steuerrechtlich gebotenen<br />

Einbehalts zu zahlen. Dies ergibt die Auslegung des<br />

Prozessvergleichs.<br />

1.1.1. Auszugehen ist von dem Gr<strong>und</strong>satz, dass die vom<br />

Arbeitgeber dem Arbeitnehmer geschuldete Vergütung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich eine Bruttovergütung ist. Das bedeutet, dass<br />

der Arbeitgeber die Lohnsteuer ermitteln muss <strong>und</strong> den<br />

entsprechenden Betrag von der Bruttovergütung einzubehalten<br />

<strong>und</strong> mittels Lohnsteueranmeldung an das Finanzamt<br />

abzuführen hat (§§ 38 Abs. 3, 41a EStG). Er haftet gem.<br />

§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die von ihm einzubehaltende <strong>und</strong><br />

abzuführende Lohnsteuer (LAG Schleswig-Holstein 05.12.2007<br />

– 6 Sa 358/06). Wird eine Abfindung unter Hinweis auf die<br />

§§ 9, 10 KSchG vereinbart, dann stellen die Parteien damit klar,<br />

dass die Abfindung zulasten des Arbeitnehmers zu versteuern<br />

ist, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, die für eine<br />

„Nettoabfindung“ sprechen. Vom Arbeitgeber ist hingegen<br />

die Steuerschuld zu tragen, wenn die Parteien ausdrücklich<br />

vereinbart haben, der Abfindungsbetrag sei „netto“ zu zahlen.<br />

(BAG, 21.11.19<strong>85</strong> – 2 AZR 6/<strong>85</strong>).<br />

1.1.2. Im Streitfall haben die Parteien unter Nr. 2 Satz 1 auf<br />

die §§ 9, 10 KSchG verwiesen. Daraus wird deutlich, dass die<br />

Steuerschuld von der Beklagten zu tragen ist. Eben dies wird<br />

durch Nr. 2 Satz 2 zum Ausdruck gebracht. Aus der Formulierung,<br />

die Beklagte habe die anfallenden Steuern zu tragen,<br />

wird zudem verdeutlicht, dass der Einbehalt durch die Klägerin<br />

vorzunehmen sein sollte. Die Beklagte sollte die darauf<br />

entfallenden Steuern „tragen“, nicht jedoch „zahlen“. Dies entspricht<br />

der steuerrechtlichen Lage, wonach der Arbeitgeber<br />

die Einkommensteuer für Rechnung des Arbeitnehmers von<br />

der Vergütung einbehält (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG).<br />

Eine Anwendung der Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB;<br />

nicht § 5 AGBG – vgl. auch § 23 AGBG), ihre gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Anwendbarkeit auf Prozessvergleiche unterstellt, scheidet<br />

im Streitfall aus. Die Unklarheitenregel ist nur anzuwenden,<br />

wenn nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden<br />

Auslegungsmöglichkeiten ein nicht behebbarer Zweifel bleibt<br />

<strong>und</strong> mindestens zwei Auslegungen rechtlich vertretbar sind<br />

(BAG, 08.09.1998 – 9 AZR 255/97). Diese Voraussetzungen<br />

sind hier nicht gegeben.<br />

1.1.3. Zivilrechtlich stellt sich die Abführung zudem nicht als<br />

„Abzug“ im Sinne einer Kürzung dar, sondern als Erfüllung<br />

nach § 362 BGB. Die Abführung an das Finanzamt nach § 41a<br />

EStG erfolgt zugunsten des Arbeitnehmers als Vorauszahlung<br />

auf dessen zu erwarten de Einkommensteuerschuld. Materiell<br />

handelt es sich um eine Leistung an den Arbeitnehmer, die<br />

nur aus formellen Gründen des Steuerrechts vom Arbeitgeber<br />

unmittelbar an das Finanzamt erbracht wird. Führt der Beschäftigungsgeber<br />

die Einkommensteuer ab, wird hierdurch<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

die Bruttoforderung des Beschäftigten teilweise erfüllt (BAG<br />

GS v. 07.03.2001 – GS 1/00).<br />

1.1.4. Dahinstehen kann, ob die Vornahme der Besteuerung<br />

letztendlich der steuerrechtlichen Prüfung, standhält. Die Klägerin<br />

durfte sich auf die Auskunft des Finanzamtes verlassen.<br />

Wenn der Arbeitgeber sich auf eine Anrufungsauskunft verlässt<br />

<strong>und</strong> danach – wie geschehen – die Einkünfte der Einkommensteuer<br />

unterwirft, so hat er die Einkommensteuer<br />

auch dann vorschriftsmäßig einbehalten, wenn die Auskunft<br />

unrichtig war (BAG, 11.10.1989 – 5 AZR 5<strong>85</strong>/88; LAG Hamm,<br />

15.09.1999 – 18 Sa 378/99). Im Streitfall erfolgte der Einbehalt<br />

nach Maßgabe der vom Finanzamt erteilten Anrufungsauskunft.<br />

Hierauf durfte die Klägerin vertrauen. Im Falle einer<br />

unzulässigen Versteuerung ist die Beklagte auf das steuerliche<br />

Veranlagungsverfahren für die Geltendmachung eines Rückzahlungsanspruchs<br />

zu verweisen.<br />

1.2. Der Prozessvergleich ist herauszugeben. Der Schuldner,<br />

der den titulierten Anspruch vollständig erfüllt hat, kann von<br />

dem Gläubiger in entsprechender Anwendung des BGB § 371<br />

die Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung des Titels<br />

verlangen, wenn die Zwangsvollstreckung aufgr<strong>und</strong> einer<br />

Klage aus ZPO § 767 bereits für unzulässig erklärt worden ist<br />

(BHG, 22.09.1994 – IX ZR 165/93).<br />

■ Landesarbeitsgericht Hamm<br />

vom 19.03.2008, 6 Sa 1975/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Ingo Graumann, Von-Scheibler-<br />

Straße 10, 58636 Iserlohn, Tel.: 02371/835555,<br />

Fax: 02371/776690<br />

GM.Arbeitsrecht@t-online.de<br />

112. Gleichbehandlung, Altersdiskriminierung, gesetzliche<br />

Kündigungsfrist<br />

1. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB verstößt gegen die Gr<strong>und</strong>sätze<br />

der Gleichbehandlung wie sie auch in der Richtlinie<br />

2000/78/tG des Rates vom 27.11.2000 niedergelegt sind.<br />

2. Verstößt § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen das europarechtliche<br />

Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, ist diese<br />

Vorschrift bei der Berechnung der maßgeblichen Kündigungsfrist<br />

nicht anzuwenden<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 24.07.2007, 7 Sa 561/07<br />

113. Rechtswegzuständigkeit<br />

1. Die Vorschrift des § 13 Abs. 1 UWG regelt im Verhältnis<br />

„Amtsgericht/Landgericht“ die ausschließliche sachliche Zuständigkeit<br />

des Landgerichts.<br />

2. Die Vorschrift des § 13 Abs. 1 UWG betrifft im Verhältnis<br />

„Arbeitsgericht/Landgericht“ nicht die Frage, welcher Rechtsweg<br />

eröffnet ist.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 05.12.2007, 7 Ta 238/07<br />

141


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

114. Abmahnung, unklarer Erklärungswille, Abmahnungsschreiben<br />

ohne Unterschrift<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... 3. Die Beklagte ist verpflichtet, die Abmahnung vom<br />

27.11.2006 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen<br />

(vgl. allg. zum Entfernungsanspruch des Arbeitnehmers:<br />

B<strong>und</strong>esarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2001, 9 AZR 464/00,<br />

NZA 2002 S. 966 f.).<br />

Ein Anspruch aus Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte<br />

<strong>und</strong> deren Vernichtung ergibt sich vorliegend schon<br />

daraus, dass nicht mit hinreichender Sicherheit erkennbar ist,<br />

ob die Beklagte die Abmahnung tatsächlich aussprechen <strong>und</strong><br />

aufrechterhalten wollte. Die Beklagte hat diese Abmahnung<br />

ebenso wenig wie die Kündigung unterschrieben. Es wird<br />

deswegen nicht deutlich, ob sich die Beklagte bzw. deren<br />

Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter die Abmahnung tatsächlich<br />

zu Eigen machen will oder ob es sich lediglich um<br />

einen Entwurf gehandelt hat. Dies gilt insbesondere vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong>, da sich die Beklagte bei der Kündigung <strong>und</strong><br />

bei der Abmahnung vom 27.11.2006 auf einen identischen<br />

Sachverhalt stützt, sodass für die Klägerin nicht erkennbar ist,<br />

weiche Sanktion gegen das ihr vorgeworfene Fehlverhalten<br />

nun gelten solle. Auch wenn sich die Beklagte im Prozess<br />

zumindest mit ihrem Klageabweisungsantrag die Abmahnung<br />

zu Eigen gemacht hat, so fehlt doch die im Interesse der<br />

Rechtssicherheit <strong>und</strong> der Rechtswirkungen einer Abmahnung<br />

erforderliche hinreichende deutliche Dokumentation des Willens<br />

der Beklagten aus dem Schriftstück selbst.<br />

Aus den genannten Gründen kann dahinstehen, ob die der<br />

Klägerin mit der Abmahnung vorgeworfene Pflichtverletzung<br />

tatsächlich vorlag.<br />

■ Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven<br />

vom 11.04.2007, 9 Ca 9605/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Klaus-Dieter Franzen, Schwachhauser<br />

Heerstraße 25, 28211 Bremen, Tel.: 0421/200730,<br />

Fax: 0421/2007399<br />

franzen@dasgesetz.de, www.dasgesetz.de<br />

115. Urlaubsanspruch, Elternzeit, Übertragungsanspruch<br />

Ist der Urlaubsanspruch vor dem Beginn der Elternzeit nicht<br />

vollständig erfüllt worden, so hat der Arbeitgeber nach § 17<br />

Abs. 2 BEEG den Resturlaub nach dem Ende der Elternzeit<br />

im laufenden oder spätestens im folgenden Urlaubsjahr zu<br />

gewähren. Der so übertragene Urlaub verfällt auch dann mit<br />

Ablauf des nächsten Urlaubsjahres, wenn der Urlaub wegen<br />

der Inanspruchnahme einer zweiten Elternzeit nicht genommen<br />

werden konnte.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 13.12.2007, 10 Sa 500/07<br />

142 02/08<br />

116. Elternzeit, dringender betrieblicher Gr<strong>und</strong><br />

1. Ein formwirksames Elternteilzeitverlangen i. S. d. § 15<br />

Abs. 7 BEEG/BErzGG kann auch in der Klageschrift enthalten<br />

sein.<br />

2. Die Elternteilzeit kann erst dann verlangt werden, wenn<br />

der/die Arbeitnehmer/in verbindlich festgelegt hat, für welche<br />

Zeiträume Elternzeit begehrt wird.<br />

3. Zweckmäßigkeits- u. Praktikabilitätsüberlegungen reichen<br />

nicht aus, um einen dringenden betrieblichen Gr<strong>und</strong> i.<br />

S. d. § 15 Abs. 7 Nr. 4 BEEG/BErzGG anzunehmen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 13.09.2007, 11 Sa 244/07<br />

117. Passivrubrum, Berichtigung, Bezeichnungsirrtum,<br />

Partnerschaftsgesellschaft statt GbR, Verbraucherinsolvenz,<br />

Aktivlegimitation<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. 1. Die Zahlungsklage ist zulässig.<br />

a) Trotz des bereits seit dem Jahr 2002 im Hinblick auf das<br />

Vermögen der Klägerin betriebenen Verbraucherinsolvenzverfahrens<br />

<strong>und</strong> trotz der Abtretung des pfändbaren Teils der<br />

Lohnansprüche der Klägerin an ihren Treuhänder ist die Klägerin<br />

in vollem Umfang zur Verfolgung ihres geltend gemachten<br />

Zahlungsanspruchs aus dem Arbeitsverhältnis mit<br />

der Beklagten zu 1 prozessführungsbefugt. Ihre Befugnis, die<br />

Zahlungsansprüche im eigenen Namen klageweise geltend zu<br />

machen, ergibt sich im Hinblick auf den unpfändbaren Teil<br />

ihrer Zahlungsansprüche (§§ <strong>85</strong>0c ff. ZPO, §§ 36, 304 InsO)<br />

bereits daraus, dass sie insoweit in ihrer Verfügungsbefugnis<br />

von vornherein nicht beeinträchtigt ist (§§ 80, 36, 304<br />

InsO). Im Hinblick auf den pfändbaren Teil ihrer Ansprüche aus<br />

dem Arbeitsverhältnis liegt eine Erklärung ihres Treuhänders<br />

vor, die als Ermächtigung zur Prozessführung (§ 1<strong>85</strong> Abs. 1<br />

BGB analog) auszulegen ist. Auch das weiter erforderliche<br />

eigene rechtsschutzwürdige Interesse der Klägerin (vgl. Thomas/Putzo,<br />

§ 51 ZPO, Rz 34) ist zu bejahen: Denn für die Klägerin<br />

ist es wesentlich zweckmäßiger, ihre Ansprüche als Ganzes<br />

im Rechtsstreit zu verfolgen.<br />

b) Sämtliche Beklagten sind – entgegen der diesbezüglichen<br />

Bedenken bzw. Widersprüche von deren Bevollmächtigtem –<br />

wirksam in den Prozess mit einbezogen.<br />

Die Beklagte zu 1 wurde zwar ursprünglich als „GbR“ verklagt;<br />

insoweit liegt aber ein unbeachtlicher Bezeichnungsirrtum<br />

vor, der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch<br />

spätere Erklärungen korrigiert wurde, woraufhin dass Passivrubrum<br />

berichtigt wurde (s. Protokoll der Güteverhandlung<br />

vom 27.02.2007 = Bl. 22 d.A.).<br />

Die gewillkürte Parteierweiterung durch Klageerhebung auch<br />

in Bezug auf die Beklagten zu 2 <strong>und</strong> 3 ist jedenfalls sachdienlich<br />

(§ 263 ZPO; vgl. Thomas/Putzo vor § 50, Rz 25). Die<br />

Voraussetzungen der §§ 59 f. ZPO sind gegeben (§ 8 Partnerschaftsgesellschaftsgesetz).


■ Arbeitsgericht München<br />

vom 15.01.2008, 17 Ca 393/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Thomas Keller, Rindermarkt 3 +<br />

4, 80331 München, Tel.: 089/2422300, Fax: 089/24223030<br />

thomas.keller@keller-menz.de<br />

118. Werkvertrag, Abgrenzung zum Dienstvertrag, Arbeitszeugnis<br />

als Abnahme<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />

des vereinbarten Werklohn gemäß § 632 BGB.<br />

Zunächst war bezüglich des geschlossenen Rahmenvertrages<br />

abzugrenzen, ob es sich um einen Dienst- oder Werkvertrag<br />

handelt. Beim Dienstvertrag wird das bloße Wirken, die Arbeitsleistung<br />

als solche geschuldet, beim Werkvertrag dagegen<br />

die Herbeiführung eines vereinbarten, gegenständlich<br />

fassbaren Arbeitsergebnisses. Betrifft der Vertrag daher einen<br />

fest umrissenen Leistungsgegenstand, liegt Werkvertrag vor.<br />

Eine allgemeine, laufende Tätigkeit spricht für einen Dienstvertrag<br />

(Palandt, vor § 31 Rn 8).<br />

Es handelt sich bei dem vorliegenden Vertrag um einen Werkvertrag,<br />

da die Parteien die zu erledigende Aufgabe <strong>und</strong> deren<br />

Umfang im Auftragsschein vom 28.07.2005 konkret festgelegt<br />

haben. Vorliegend ging es insbesondere um die Erstellung<br />

eines den individuellen Bedürfnissen der Beklagten entsprechenden<br />

Notfallhandbuches, sodass ein bestimmter Erfolg geschuldet<br />

<strong>und</strong> damit eine Werkleistung zu erbringen war.<br />

Die vereinbarte Vergütung ist auch fällig, da das Werk gemäß<br />

§§ 641,640 BGB abgenommen wurde.<br />

Vorliegend wurde dem Kläger mit Datum vom 31.08.2006 ein<br />

Arbeitszeugnis von der Beklagten erstellt, in welchem diese<br />

bescheinigte, dass er alle beauftragten Arbeiten „zu unserer<br />

größten Zufriedenheit im vereinbarten Zeitrahmen ausgeführt“<br />

hat. Hierin ist eine Abnahme des Werks zu erblicken.<br />

Hierbei ist es nicht relevant, dass der Streitverkündete der<br />

Ansicht ist, dass das von ihm erstellte Zeugnis keine Abnahme<br />

der Beklagten darstelle, weil er aus dem Unternehmen ausscheiden<br />

sollte <strong>und</strong> bereits von jeglichen Informationen abgeschnitten<br />

gewesen sei.<br />

Der Beklagten ist das Handeln ihres Mitarbeiters, des Streitverkündeten,<br />

welches auf ihrem Briefpapier <strong>und</strong> eindeutig in<br />

ihrem Namen erfolgte, gemäß § 164 BGB zuzurechnen. Anhaltspunkte<br />

für eine fehlende Bevollmächtigung des Herrn X,<br />

der Leiter des IT-Bereiches <strong>und</strong> Mitglied der Geschäftsführung<br />

war, sind nicht ersichtlich.<br />

Der Beklagten steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht<br />

nach § 641 Abs. 3 BGB wegen bestehender Mängel zu, da die<br />

Gewährleistung gemäß § 640 Abs. 2 BGB ausgeschlossen ist.<br />

Die Beklagte trug vor, dass am 08.08.2006 ein von ihr zusammengestelltes<br />

Abnahme-Komitee festgestellt habe, dass das<br />

vom Kläger erstellte Handbuch mangelhaft sei. Am 31.08.2006<br />

erfolgte die Abnahme durch die Beklagte in Form des Arbeitszeugnisses.<br />

Die Beklagte hat somit das Werk in Kenntnis<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

des Mangels vorbehaltlos abgenommen, sodass der Gewährleistungsausschluss<br />

des § 641 Abs. 2 BGB Anwendung findet.<br />

Anmerkung:<br />

Beim Blick über den Gartenzaun muss man die Gefahren<br />

eines gefälligen Arbeitszeugnisses konstatieren. Dies indiziert<br />

die rügelose Abnahme eines mangelhaften Werks. Man sollte<br />

wohl doch besser nicht wegloben. (gr)<br />

■ Landgericht Darmstadt<br />

vom 21.12.2007, 17 O 680/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Michael Lodzik, Rheinstraße 30,<br />

64283 Darmstadt, Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

119. Abfindung, sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen,<br />

keine Berücksichtigung als laufende Einkünfte,<br />

Anspruch auf Einbeziehung in die Familienversicherung<br />

Entscheidungsgründe: ...<br />

I. Streitig ist, ob die Klägerin für die Zeit vom 1.1.1999 bis<br />

30.4.2000 in der knappschaftlichen Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung<br />

familienversichert gewesen ist.<br />

Die Klägerin ist die Ehefrau des bei der Beklagten versicherten<br />

Beigeladenen. Sie war seit September 1974 bei der Deutschen<br />

B<strong>und</strong>espost <strong>und</strong> seit Juli 1998 bei der Deutschen Postbank<br />

AG beschäftigt. Zuletzt erzielte sie ein monatliches Bruttoeinkommen<br />

von 4.931 DM. Das Arbeitsverhältnis wurde auf Veranlassung<br />

der Deutschen Postbank AG aus betriebsbedingten<br />

Gründen mit Aufhebungsvertrag zum 30.11.1998 beendet.<br />

Gemäß § 2 des Aufhebungsvertrages zahlte die Deutsche<br />

Postbank AG auf der Gr<strong>und</strong>lage des zwischen ihr <strong>und</strong> der<br />

Deutschen Postgewerkschaft geschlossenen Abfindungstarifvertrages<br />

vom 18.12.1997 an die Klägerin im Dezember 1998<br />

eine steuerpflichtige Abfindung von brutto 108.000 DM. Die<br />

Abfindungssumme wurde nach Abzug eines Freibetrages von<br />

24.000 DM dem ermäßigten Steuersatz unterworfen <strong>und</strong> als<br />

Einnahme bei der Berechnung der Einkommensteuer der Klägerin<br />

für das Jahr 1998 berücksichtigt (Bescheid des Finanzamtes<br />

Essen-Nord vom 20.5.1999). Einen Teil der Abfindungssumme<br />

legte die Klägerin als Kapitalvermögen an <strong>und</strong> erzielte<br />

hieraus im streitigen Zeitraum monatlich ca. 130 DM Zinsen.<br />

Über weitere Einkünfte verfügte sie nicht.<br />

Die Beklagte sah die Klägerin zunächst in der knappschaftlichen<br />

Kranken- sowie Pflegeversicherung als familienversichert<br />

an, entschied jedoch nach Kenntnis des Abfindungsvertrags,<br />

dass die Abfindung der Familienversicherung entgegenstehe,<br />

weil das Gesamteinkommen der Klägerin dadurch<br />

im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteige<br />

(Bescheid vom 10.12.1998, Widerspruchsbescheid vom<br />

27.7.1999). Die Abfindung rechne in Höhe des bisherigen Monatsbetrages<br />

der Einkünfte zum Gesamteinkommen, sodass<br />

die Einkommensgrenze sowohl für das Jahr 1998 als auch für<br />

das Jahr 1999 überschritten werde. Eine Familienversicherung<br />

sei somit kraft Gesetzes ausgeschlossen. Um die Abfindung<br />

einem Zeitraum zuzuordnen, müsse das berücksichtigungsfähige<br />

Einkommen in Höhe (des zu versteuernden Einkommens)<br />

143


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

von 84.000 DM durch den Monatsbetrag des zuletzt bezogenen<br />

Gehalts in Höhe von 4.931 DM dividiert werden. Ger<strong>und</strong>et<br />

ergebe sich so ein Zeitraum von 17 Monaten, in welchem die<br />

Abfindung als regelmäßiges Einkommen zu berücksichtigen<br />

sei. Daraus errechne sich der Ausschluss der Familienversicherung<br />

für die Zeit vom 1.12.1998 bis 30.4.2000.<br />

Mit Bescheid vom 19.12.1998 nahm die Beklagte die Klägerin<br />

als freiwilliges Mitglied in die Kranken- sowie Pflegeversicherung<br />

auf <strong>und</strong> zog sie mit diesem <strong>und</strong> zahlreichen Folgebescheiden<br />

zur Beitragszahlung heran. Den gegen den Bescheid<br />

vom 19.12.1998 <strong>und</strong> die Folgebescheide gerichteten Widerspruch<br />

der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid<br />

vom 27.7.1999 zurück.<br />

II. Nachdem die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend<br />

für erledigt erklärt haben, so weit dieser die Erstattung<br />

der von der Klägerin entrichteten Beiträge betrifft, hatte<br />

der Senat nur noch darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im<br />

Zeitraum vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 in der knappschaftlichen<br />

Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung familienversichert gewesen<br />

ist. Dies ist zu bejahen. Die Revision der Beklagten ist nicht<br />

begründet.<br />

§ 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der im hier maßgeblichen Zeitraum<br />

geltenden Fassung (vom 16,12.1997- BGBI l 2998) normiert für<br />

die Familienversicherung folgende Voraussetzungen:<br />

„Versichert sind der Ehegatte <strong>und</strong> die Kinder von Mitgliedern,<br />

wenn diese Familienangehörigen<br />

1. ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland<br />

haben,<br />

2. nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 8, 11 oder 12 oder nicht<br />

freiwillig versichert sind,<br />

3. nicht versicherungsfrei oder nicht von der Versicherungspflicht<br />

befreit sind; dabei bleibt die Versicherungsfreiheit<br />

nach § 7 außer Betracht,<br />

4. nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind <strong>und</strong><br />

5. kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat<br />

ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des<br />

Vierten Buches überschreitet; ...“<br />

Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin die Voraussetzungen<br />

der Nr. 1 bis 4 im streitigen Zeitraum erfüllt. Dies<br />

wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt.<br />

Darüber hinaus haben die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1 SGB V vor gelegen. Zwar gehört die<br />

der Klägerin von der Deutschen Postbank AG gewährte Abfindung<br />

zum Gesamteinkommen i.S. dieser Vorschrift, sie lässt<br />

sich aber nicht dem Zeitraum vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 zuordnen.<br />

Die übrigen Einkünfte der Klägerin liegen unterhalb<br />

des hier maßgeblichen Grenzbetrages.<br />

Gesamteinkommen i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1<br />

SGB V ist das in § 16 SGB IV definierte Gesamteinkommen, da<br />

die Vorschriften des SGB IV nach § 1 Abs 1 SGB IV u.a. für die<br />

gesetzliche Krankenversicherung gelten. Nach § 16 SGB IV ist<br />

das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte i.S. des Einkommensteuerrechts<br />

(Halbsatz 1). Es umfasst insbesondere<br />

das Arbeitsentgelt <strong>und</strong> das Arbeitseinkommen (Halbsatz 2).<br />

144 02/08<br />

Mit dem in Halbsatz 1 enthaltenen Verweis auf das Steuerrecht<br />

sind diejenigen Einkünfte gemeint, die der Steuerpflicht<br />

unterliegen, sodass z.B. steuerfreie Beträge oder Werbungskosten<br />

abzuziehen sind (BSGE 91, 83 = SozR 4-2500 § 10 Nr. 2,<br />

jeweils Rn 7 ff., m.w.N. <strong>und</strong> der detaillierten Darstellung der<br />

zu diesem Ergebnis führenden Rechtsprechung sowie der aus<br />

der Anknüpfung an das Gesamteinkommen folgenden Wertungswidersprüche).<br />

Die der Klägerin gezahlte Abfindung gehört zum Gesamteinkommen,<br />

denn sie ist steuerrechtlich eine Einnahme aus<br />

nichtselbständiger Tätigkeit <strong>und</strong> ist als solche einkommensteuerpflichtig.<br />

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG unterliegen u.a.<br />

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Nr. 4) der Einkommensteuer.<br />

Sie zählen abzüglich der Werbungskosten (§ 2<br />

Abs. 2 Nr. 2, §§ 8 bis 9a EStG) zur Summe der Einkünfte i.S. des<br />

Einkommensteuerrechts <strong>und</strong> damit zum Gesamteinkommen<br />

(BSG SozR 4 – 2500 § 10 Nr. 6 Rn 11 m.w.N). Einnahmen aus<br />

nichtselbständiger Tätigkeit i.S. des § 19 EStG sind nicht nur<br />

der laufende Lohn, sondern auch Einmalzahlungen wie z.B.<br />

eine vom Arbeitgeber gezahlte Entlassungsentschädigung.<br />

Dies folgt aus § 24 Nr. 1 EStG. Danach gehören zu den<br />

Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen,<br />

die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen<br />

gewährt worden sind. Die unter § 24 EStG zu subsumierenden<br />

Entschädigungen bilden keine selbständige Einkunftsart (BSG,<br />

a.a.O., Rn 13 m.w.N.).<br />

Die Abfindung ist der Klägerin als Ersatz für künftig entgehende<br />

Einnahmen gewährt worden. Unter Berücksichtigung<br />

von § 2 Nr. 1 des zwischen ihr <strong>und</strong> der Deutschen Postbank<br />

AG geschlossenen Aufhebungsvertrages i.V.m. §§ 3 <strong>und</strong> 4 des<br />

Tarifvertrags über die Zahlung von Abfindungen an Arbeitnehmer<br />

bei der Deutschen Postbank AG, auf die das LSG<br />

Bezug genommen hat, sollte die Klägerin für künftige Einnahmeverluste<br />

entschädigt werden, die ihr wegen der aus betriebsbedingten<br />

Gründen vom Arbeitgeber veranlassten Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses entstehen würden. Als Abfindung<br />

wegen der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses war<br />

die Einnahme der Klägerin lediglich mit einem Freibetrag von<br />

24.000 DM gemäß § 3 Nr. 9 EStG von der Einkommensteuer<br />

befreit; im Übrigen unterlag die Abfindung der Besteuerung.<br />

Da sich das Gesamteinkommen i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5<br />

Halbsatz 1 SGB V seit Geltung des § 16 SGB IV gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

steuerrechtlich bestimmt, ist es ohne Bedeutung, dass Entlassungsabfindungen<br />

nicht zum (beitragspflichtigen) Arbeitsentgelt<br />

i.S. von § 14 SGB IV rechnen. Ebenso ist unmaßgeblich,<br />

ob <strong>und</strong> ggf. wie eine Abfindungszahlung unter Beachtung<br />

der bisherigen Rechtsprechung des BSG als Einnahme i.S. von<br />

§ 240 SGB V bei der Beitragsbemessung in der freiwilligen<br />

Krankenversicherung zu berücksichtigen ist. Denn der Begriff<br />

der Einnahmen zum Lebensunterhalt im Beitragsrecht der freiwilligen<br />

Versicherung stimmt mit dem Begriff des Gesamteinkommens<br />

i.S. von § 16 SGB IV nicht überein (zu allem BSG,<br />

a.a.O., Rn 16 ff.).<br />

Obwohl die der Klägerin gewährte Abfindung demnach zum


Gesamteinkommen i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1<br />

SGB V zählt, steht sie einer Familienversicherung im Zeitraum<br />

vom 1.1.1999 bis 30.4.2000 nicht entgegen. Die Klägerin hat<br />

die Abfindungszahlung nämlich im Dezember 1998 <strong>und</strong> nicht<br />

anteilig in den Monaten des vorgenannten Zeitraums erhalten.<br />

Entgegen der Auffassung des LSG ergibt sich dieses Ergebnis<br />

allerdings nicht aus § 25 Abs. 1 EStG, nach dem Einkommen<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich nach Ablauf des Kalenderjahres veranlagt wird,<br />

in dem es bezogen wurde. Auf § 25 EStG nimmt § 16 SGB IV<br />

keinen Bezug. Die Vorschrift verweist lediglich auf die „Summe<br />

der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts“. Nach<br />

der Systematik des EStG sind die der Einkommensteuer unterliegenden<br />

Einkünfte in Abschnitt II. geregelt, der §§ 2 bis 24c<br />

EStG umfasst, während § 25 dem Abschnitt III. „Veranlagung“<br />

angehört.<br />

Dass die im Dezember 1998 erfolgte Einmalzahlung der Familienversicherung<br />

der Klägerin nicht entgegensteht, ergibt sich<br />

vielmehr aus § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1 SGB V, der<br />

an einen monatlich regelmäßigen Einkommensbezug in dem<br />

maßgeblichen Zeitraum anknüpft (so im Ergebnis auch BSG,<br />

a.a.O., Rn 20); zwischen Januar 1999 <strong>und</strong> April 2000 ist jedoch<br />

keinerlei Abfindungszahlung geflossen. Es existiert auch keine<br />

gesetzliche Bestimmung, die anordnet, dass eine Einmalzahlung,<br />

die dem Begriff des Gesamteinkommens unterfällt, für<br />

nachfolgende Monate als anteilig bezogen gilt. Die Beklagte<br />

selbst weist darauf hin, dass die B<strong>und</strong>esregierung bisher von<br />

der ihr in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IV übertragenen Ermächtigung<br />

keinen Gebrauch gemacht hat, über die zeitliche<br />

Zuordnung des Gesamteinkommens nähere Bestimmungen<br />

zu treffen (vgl. Seewald, in: Kasseler Komm, § 17 SGB IV Rn 4,<br />

Stand August 2004; Werner: in jurisPK, § 17 SGB IV Rn 13, Stand<br />

2006).<br />

Ohne rechtliche Bedeutung für den Anspruch der Klägerin<br />

ist, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen vereinbart<br />

haben, den Zurechnungszeitraum so zu ermitteln, dass die<br />

Abfindungssumme durch die im Monat vor Beendigung des<br />

Beschäftigungsverhältnisses gezahlten Bezüge geteilt wird.<br />

Da die Spitzenverbände der Krankenkassen vom Gesetzgeber<br />

zu einer derartigen Regelung nicht ermächtigt sind, kann<br />

ihre Vereinbarung förmliche Gesetze wie § 10 Abs. 1 Satz 1<br />

Nr. 5 Halbsatz 1 SGB V nicht inhaltlich konkretisieren oder<br />

ergänzen.<br />

Die Beklagte kann schließlich aus der früheren Rechtsprechung<br />

des 3. Senats des BSG nichts zu Gunsten ihrer Rechtsauffassung<br />

herleiten. Zwar hat der 3. Senat ausgeführt, bei<br />

schwankenden Einkommen sei das für den Ausschluss des<br />

Familienhilfeanspruchs i.S. von § 205 Abs. 1 Satz 2 Reichsversicherungsordnung<br />

(RVO) maßgebende „Gesamteinkommen<br />

regelmäßig im Monat“ im Wege einer vorausschauenden<br />

Schätzung zu ermitteln, wobei vom durchschnittlichen<br />

Monatseinkommen der zurückliegenden Zeit auszugehen<br />

sei. Er hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass dies<br />

nicht gelte, wenn sicher vorhersehbare Umstände zu einem<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

anderen regelmäßigen Monatseinkommen im laufenden Jahr<br />

führten (BSG, vom 26.10.1982 – 3 RK 35/81 – juris Rn 21 – SozR<br />

2200 § 205 Nr. 52 S 145). Einmalige Bezüge seien nur dann<br />

berücksichtigungsfähig, wenn eine hinreichende Sicherheit<br />

für ihre künftige Gewährung bestehe (BSG, vom 4.6.1981 –<br />

3 RK 5/80 – juris Rn 24 = SozR 2200 § 205 Nr. 41 S 102 mit<br />

Hinweis u.a. auf BSGE 24, 262, 265 = SozR Nr 50 zu § 165<br />

RVO). Gerade dies ist indes bei der Klägerin nicht der Fall.<br />

Abgesehen davon kann die sich in einem einmaligen Vorgang<br />

erschöpfende Zahlung der Abfindung im Dezember 1998<br />

auch bei großzügiger Betrachtung nicht als „schwankendes<br />

Einkommen“ aufgefasst werden.<br />

§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1 SGB V ist auch nicht im<br />

Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungskonform dahin auszulegen,<br />

dass eine in Form der Einmalzahlung gewährte Abfindung<br />

für mehrere Monate als anteilig bezogen gilt. Es ist<br />

nicht von vornherein verfassungswidrig, dass Einmalzahlungen,<br />

die unmittelbar nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses<br />

entrichtet werden, der Familienversicherung für<br />

spätere Monate nicht entgegenstehen. Verfassungsrechtliche<br />

Bedenken können sich zwar daraus ergeben, dass die Familienversicherung<br />

ausgeschlossen sein kann, wenn die Abfindung<br />

nicht in einem einzigen Betrag, sondern in monatlichen<br />

Teilbeträgen gezahlt wird (hierzu BSG SozR 4-2500 § 10 Nr. 6).<br />

Selbst wenn diese Ungleichbehandlung der beiden Sachverhalte<br />

gegen Art 3 Abs. 1 GG verstieße, wäre der Gesetzgeber<br />

gleichwohl nicht gehindert, die Begünstigung von Einmalzahlungen<br />

aufrechtzuerhalten <strong>und</strong> den etwaigen Verstoß gegen<br />

den Gleichheitssatz durch eine Regelung zu beseitigen, nach<br />

der monatlich in Teilbeträgen gezahlte Abfindungen einer Familienversicherung<br />

ebenfalls nicht entgegenstehen; ihm steht<br />

insoweit Gestaltungsfreiheit zu (vgl. BVerfGE 66, 100, 106 =<br />

SozR 1100 Art. 100 Nr. 2. S. 2; BVerfGE 102, 127, 141 f. = SozR<br />

3-2400 § 23a Nr. 1 S. 3 m.w.N.).<br />

Bei dieser Sachlage besteht kein Anlass, das Verfahren gemäß<br />

Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen <strong>und</strong> eine Entscheidung<br />

des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit des § 10<br />

Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Halbsatz 1 SGB V mit Art. 3 Abs. 1 GG<br />

einzuholen. Denn eine solche Vorlage wäre mangels Entscheidungserheblichkeit<br />

unzulässig. Im Ausgangsverfahren<br />

sind keine Ansprüche der benachteiligten Personengruppe<br />

strittig, sondern der mögliche Verfassungsverstoß begünstigt<br />

die Klägerin, sodass der erkennende Senat durch das verfassungsrechtliche<br />

Gleichheitsgebot nicht gehindert ist, dem<br />

Gesetzesbefehl zu folgen <strong>und</strong> die von der Klägerin begehrte<br />

Familienversicherung festzustellen. Solange das Gesetz einer<br />

Personengruppe ein Recht zuspricht, verlieren die Angehörigen<br />

dieser Gruppe den sich daraus ergebenden gesetzlichen<br />

Anspruch nicht da durch, dass einer anderen Gruppe dasselbe<br />

Recht nicht zusteht. Die an das Gesetz geb<strong>und</strong>enen Gerichte<br />

haben – ebenso wie die vollziehende Gewalt – gemäß Art. 20<br />

Abs. 3 GG die gesetzliche Regelung anzuwenden, solange sie<br />

besteht <strong>und</strong> über ihre Unvereinbarkeit mit dem GG nicht aus<br />

Anlass einer behaupteten Benachteiligung eines Angehörigen<br />

145


Rechtsprechung<br />

Sonstiges<br />

der anderen Gruppe zu entscheiden ist (zum Ganzen BVerfGE<br />

67, 239, 244 = SozR 2200 § 176c Nr. 5 S. 9 f.; s auch BVerfGE<br />

66, 100, 106 = SozR 1100 Art. 100 Nr. 2 S. 2).<br />

Somit trifft der Hinweis der Beklagten zwar zu, Arbeitnehmer<br />

hätten im Zusammenwirken mit ihrem Arbeitgeber die<br />

Möglichkeit, sich durch die Wahl der Auszahlungsform einer<br />

versprochenen Abfindung zu Lasten der Versichertengemeinschaft<br />

einen Vorteil zu sichern. Hieraus lassen sich aber rechtliche<br />

Konsequenzen nicht ableiten. Solange das Gesetz einen<br />

Freiraum eröffnet, den der dazu ermächtigte Verordnungsgeber<br />

nicht einschränkt <strong>und</strong> dem auch verfassungsrechtlich<br />

keine Grenzen gezogen werden können, dürfen die Parteien<br />

eines Abfindungsvertrages den sozialrechtlich vorhandenen<br />

Gestaltungsspielraum nutzen <strong>und</strong> dem Abfindungsempfänger<br />

trotz Abfindung möglichst rasch die kostenlose Familienversicherung<br />

verschaffen.<br />

Im streitigen Zeitraum verfügte die Klägerin nur über Zinseinkünfte<br />

in Höhe von monatlich 130 DM. Hiermit hat sie die<br />

maßgebliche Einkommensgrenze (ein Siebtel der monatlichen<br />

Bezugsgröße nach § 18 SGB IV) nicht überschritten. Diese<br />

betrug 630 DM im Jahr 1999 (§ 2 Abs. 1 Verordnung vom<br />

18.12.1998, BGBI l 3823) <strong>und</strong> 640 DM im Jahr 2000 (§ 2 Abs. 1<br />

Verordnung vom 29.11.1999, BGBI l 2375).<br />

Aus den dargelegten Gründen war die Klägerin gemäß § 25<br />

Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch in den hier<br />

maßgeblichen Fassungen vom 24.7.1995 (BGBI l 962) <strong>und</strong><br />

22.12.1999 (BGBI l 2626), der mit § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V im<br />

Wesentlichen übereinstimmt, auch in der knappschaftlichen<br />

Pflegeversicherung familienversichert.<br />

■ B<strong>und</strong>essozialgericht<br />

vom 09.10.2007, B 5b/8 KN 1/06 KR R<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Horst Fromlowitz, Kettwiger<br />

Straße 20, 45127 Essen, Tel.: 0201/230001, Fax: 0201/230004<br />

info@rae-teigelack.de, www.rae-teigelack.de<br />

120. Sozialversicherungspflicht bei unwiderruflicher<br />

Freistellung, Beschäftigungsverhältnis, beitrags- <strong>und</strong><br />

leistungsrechtlicher Begriff<br />

Es widerspricht dem Schutzzweck des Sozialversicherungsrechts,<br />

eine Beitrags- <strong>und</strong> Versicherungspflicht während Zeiten<br />

der Freistellung von der Arbeit bei fortbestehender Entgeltzahlungspflicht<br />

zu verneinen.<br />

Tatbestand:<br />

Die Beteiligten streiten um das Fortbestehen eines sozialversicherungsrechtlichen<br />

Beschäftigungsverhältnisses des Klägers<br />

in der Renten- <strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung während einer<br />

unwiderruflichen Freistellung von der Arbeit vom 11.9.2004<br />

bis zum 30.6.2005 <strong>und</strong> dessen Mitgliedschaft in der freiwilligen<br />

Krankenversicherung in diesem Zeitraum als freiwillig versicherter<br />

Beschäftigter oberhalb der Krankenversicherungspflichtgrenze.<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Die nach §§ 143f, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zulässige Be-<br />

146 02/08<br />

rufung ist begründet. Der Kläger war in der Zeit vom 11.9.2004<br />

bis zum 30.6.2005 versicherungspflichtig in der Renten- <strong>und</strong><br />

Arbeitslosenversicherung. Außerdem ist antragsgemäß festzustellen,<br />

dass der Kläger in diesem Zeitraum bei der Beklagten<br />

(Mitglied als freiwillig krankenversicherter Beschäftigter<br />

(bei Überschreiten der Beitragsbemessungsgrenze) war.<br />

Die Klage auf Feststellung der Versicherungspflicht in der<br />

Renten- <strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung in der Zeit vom<br />

11.9.2004 bis zum 30.6.2005 ist als (mit einer Anfechtungsklage<br />

kombinierte) Feststellungsklage i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1<br />

SGG zulässig. Auch hinsichtlich der freiwilligen Versicherung<br />

als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung<br />

handelt es sich um eine zulässige (kombinierte Anfechtungs<strong>und</strong>)<br />

Feststellungsklage (§ 55 Abs. 2 SOG).<br />

Für den Kläger bestand in dem genannten Zeitraum Versicherungspflicht<br />

nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI bzw. § 25 Abs. 1 SGB<br />

III. Nach § 7 Abs. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbständige<br />

Arbeit in einem Beschäftigungsverhältnis. Da der Kläger<br />

in der Zeit vom 11.9.2004 bis zum 30.6.2005 in einem solchen<br />

stand, war er in der Renten- <strong>und</strong> Arbeitslosenversicherung<br />

versicherungspflichtig. Die Versicherungspflicht ist nicht deshalb<br />

ausgeschlossen, weil der Kläger in diesem Zeitraum von<br />

der Arbeit freigestellt war.<br />

Das Leistungsrecht des SGB III geht allerdings von einem<br />

anderen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses aus. Danach<br />

setzt ein Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB<br />

III voraus, dass die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht werden<br />

soll. Leistungsrechtlich erscheint es nämlich geboten, eine<br />

Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses trotz bestehenden<br />

Arbeitsverhältnisses anzunehmen, wenn dies nicht der<br />

Fall ist. Deshalb besteht ein Beschäftigungsverhältnis i.S.d.<br />

§ 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht mehr, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien<br />

vergleichsweise darauf einigen, dass der Arbeitnehmer<br />

bei fortbestehender Entgeltzahlungspflicht endgültig<br />

von der Arbeit freigestellt wird, weil der Arbeitgeber<br />

auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet (vgl. BSG 28.9.1993 –<br />

11 RAr 69/92, Juris Rn 14). Bei einer solchen Sachlage kann<br />

trotz Fortbestehens eines Arbeitsverhältnisses im arbeitsrechtlichen<br />

Sinne ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) bestehen,<br />

wobei dieser nach § 143 Abs. 1 SGB III während der Zeit,<br />

für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen<br />

hat, ruht.<br />

Dieser Begriff des Beschäftigungsverhältnisses im leistungsrechtlichen<br />

Sinne des SGB III kann aber nicht auf das Beitragsrecht<br />

der Sozialversicherung – einschließlich des Beitrags zur<br />

Arbeitslosenversicherung – übertragen werden. Im Beitragsrecht<br />

kommt dem Beschäftigungsverhältnis die Funktion zu,<br />

den Versicherungsschutz zu gewährleisten, weshalb es regelmäßig<br />

angemessen ist, die Feststellung des Beschäftigungsverhältnisses<br />

weitgehend an den Merkmalen des Arbeitsverhältnisses<br />

auszurichten (Wissing, in PK-SGB III, 2, Auflage, § 24<br />

Rn 6). Es widerspricht dem Schutzzweck des Sozialversicherungsrechts,<br />

eine Beitrags- <strong>und</strong> Versicherungspflicht während


Zeiten der Freistellung von der Arbeit bei fortbestehender<br />

Entgeltzahlungspflicht zu verneinen.<br />

Dies steht nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des<br />

BSG, sondern vielmehr im Einklang mit dieser (dazu im Einzelnen<br />

Schlegel, NZA 2005,87,89). Nach der Rechtsprechung des<br />

BSG lassen vorübergehende Unterbrechungen der tatsächlichen<br />

Arbeitsleistung den Bestand des Beschäftigungsverhältnisses<br />

unberührt, wenn das Arbeitsverhältnis fortbesteht, z.B.<br />

im Falle des Festhaltens am Arbeitsverhältnis mit Fortzahlung<br />

des Arbeitsentgelts trotz Verhaftung des Arbeitnehmers (BSG<br />

18.4.1991 – 7 RAr 106/90, BSGE 68, 236, 240). Außerdem erlangt<br />

der Arbeitnehmer den Schutz der Sozialversicherung,<br />

wenn ihm noch vor dem erstmaligen Dienstantritt gekündigt<br />

<strong>und</strong> er von der Arbeit unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts<br />

bis zum Wirksamwerden der Kündigung freigestellt wird (SSG<br />

18.9.1973 – 12RK 15/72, BSGE 36, 161, 163). Zu einer Beendigung<br />

des Beschäftigungsverhältnisses kommt es ferner nicht,<br />

wenn im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers eine sofortige<br />

Freistellung der Arbeitnehmer zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

erfolgt <strong>und</strong> es deshalb an einer Ausübung von Weisungsrechten<br />

seitens des Arbeitgebers <strong>und</strong> der Unterordnung<br />

des Arbeitnehmers unter diese fehlt (BSG 26.11.19<strong>85</strong> – 12 RK<br />

51/83, BSGE 59, 183, 1<strong>85</strong>):<br />

Die Urteile des BSG vom 28.9.1993 (11 RAr 69/92) <strong>und</strong><br />

25.4.2002 (B 11 AL 65/01 R) stehen dieser rechtlichen Beurteilung<br />

nicht entgegen. In dem Urteil vom 28.9.1993 hat das BSG<br />

ausdrücklich festgehalten, im beitragsrechtlichen Sinne möge<br />

es regelmäßig angemessen sein, die Feststellung des Beschäftigungsverhältnisses<br />

weitgehend an den Merkmalen des<br />

Arbeitsverhältnisses auszurichten, auch wenn die Arbeitskraft<br />

des Versicherten tatsächlich nicht in Anspruch genommen<br />

wird (a.a.O. juris Rn 13). Aus dem Urteil vom 25.4.2002 (a.a.O.),<br />

das einen Rechtsstreit wegen einer Sperrzeit (§ 144 SGB<br />

III) betraf, lässt sich für die im vorliegenden Rechtsstreit<br />

umstrittene beitragsrechtliche Rechtsfrage nichts herleiten<br />

(ebenso Schlegel, a.a.O., 972 ff.). Die Unterscheidung zwischen<br />

dem beitragsrechtlichen <strong>und</strong> dem leistungsrechtlichen Begriff<br />

des Beschäftigungsverhältnisses entspricht im Übrigen auch<br />

der neuesten Rechtsprechung des für die Arbeitslosenversicherung<br />

zuständigen 11. Senats des BSG (17.11.2005 – B<br />

11a/11AL 69/04 R, juris Rn 10; 12.7.2006 – B 11a AL 69/04 R,<br />

juris Rn 11).<br />

Aus der Regelung des § 7 Abs. 1a SGB IV lässt sich nicht folgern,<br />

dass der Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses<br />

im beitragsrechtlichen Sinne trotz endgültiger Beendigung<br />

der tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers auf die<br />

dort geregelte Fallgruppe der Ansammlung eines Wertguthabens<br />

beschränkt sei (ebenso Schlegel, a.a.O., 975). Diese Bestimmung<br />

bezweckt vielmehr nur, die Fälle der Freistellungsphase<br />

nach Erlangung eines Wertguthabens zu erfassen. Sie<br />

kann nicht als abschließende Regelung des Fortbestehens der<br />

Versicherungspflicht trotz endgültiger Freistellung von der Arbeit<br />

gewertet werden.<br />

Da beim Kläger demnach ein Beschäftigungsverhältnis i.S.d.<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

SGB IV vorlag, war er im streitgegenständlichen Zeitraum in<br />

der Krankenversicherung freiwilliges Mitglied bei der Beklagten<br />

als Beschäftigter oberhalb der Versicherungspflichtgrenze<br />

(vgl. § 29 Abs. 8 Nr. 1 der Satzung der Beklagten).<br />

■ Landessozialgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 21.06.2007, L5KR231/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Thomas Karl, Beethovenerstraße<br />

24, 67061 Ludwigshafen, Tel.: 0621/568031,<br />

Fax: 0621/569905<br />

info@kanzlei-lu.de, www.kanzlei-lu.de<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

121. Streitwert, Eingruppierung<br />

Im Rahmen des § 42 Abs. 4 S. 2 GKG ist bei der Berechnung<br />

der Höhe des dreijährigen Unterschiedsbetrags nicht auf die<br />

zurückliegenden Zeiträume, sondern auf die zukünftige Entwicklung<br />

abzustellen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 26.06.2007, 1 Ta 152/07<br />

122. Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren, allgemeiner<br />

Feststellungsantrag, Vergleichsmehrwert Freistellung,<br />

Rücknahme des Verfahrens vor dem Integrationsamt<br />

1. Der neben dem Kündigungsschutzantrag gestellte allgemeine<br />

Feststellungsantrag ist jedenfalls dann nicht gegenstandswerterhöhend,<br />

wenn die Parteien im Prozess keinen<br />

Streit über einen konkreten weiteren Beendigungstatbestand<br />

geführt haben.<br />

2. a.) Für eine in einem Vergleich vereinbarte Freistellung ist<br />

es, liegt ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers<br />

nicht vor, regelmäßig sachgerecht, einen Wert in<br />

Höhe von 10% des Entgeltes festzusetzen, das der Arbeitgeber<br />

an den Arbeitnehmer für die Zeit der Freistellung zu<br />

bezahlen hat. Bei der Annahme eines besonderen Beschäftigungsinteresses<br />

ist dieser Wert entsprechend den Umständen<br />

des Einzelfalles zu erhöhen.<br />

b.) Die in einem Vergleich vereinbarte Freistellung ist ausnahmsweise<br />

dann nicht gegenstandswerterhöhend, wenn<br />

eine Freistellung bereits im Kündigungsschreiben erfolgte<br />

<strong>und</strong> die Regelung im Vergleich nur für den Fall der Genesung<br />

getroffen wurde.<br />

3. Die in einem Vergleich getroffene Vereinbarung über die<br />

Rücknahme eines gegenstandslos gewordenen Antrags auf<br />

Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt ist nicht<br />

gegenstandswerterhöhend.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 26.06.2007, 1 Ta 156/07<br />

147


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

123. Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren, Vergütungsansprüche<br />

neben Kündigungsschutzantrag<br />

1. Bei wirtschaftlicher Identität zwischen einem Kündigungsschutzantrag<br />

<strong>und</strong> einem Entgeltantrag sind beide Anträge<br />

nicht gesondert zu bewerten, sondern es ist auf den jeweils<br />

höheren abzustellen.<br />

2. Eine wirtschaftliche Identität beider Streitgegenstände ist<br />

dabei dann gegeben, wenn der Erfolg der Entgeltklage von<br />

dem der Kündigungsschutzklage abhängt, also Entgelt für<br />

einen Zeitraum nach dem vermeintlichen Ende des Arbeitsverhältnisses<br />

gefordert wird.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 17.07.2007, 1 Ta 167/07<br />

124. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Änderungskündigung<br />

1. Nimmt der Arbeitnehmer beim Streit um eine Änderungskündigung<br />

im Sinne des § 2 KSchG diese nicht unter Vorbehalt<br />

an, dann wird daraus eine Beendigungskündigung, für<br />

deren Streitwert allein § 42 Abs. 4 S. 1 GKG maßgeblich ist.<br />

2. Nimmt der Arbeitnehmer die Änderungskündigung aber<br />

unter Vorbehalt an <strong>und</strong> zielt die Änderungskündigung auf<br />

eine Reduzierung der Vergütung ab, dann ist in entsprechender<br />

Anwendung der Regelungen in § 42 Abs. 3 <strong>und</strong> Abs. 4 S. 1<br />

<strong>und</strong> 2 GKG bei der Bestimmung des Streitwerts gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

vom dreifachen Jahresbetrag der monatlichen Vergütungsdifferenz<br />

auszugehen, höchstens jedoch vom Vierteljahresverdienst<br />

des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG.<br />

3. Ergibt sich keine Vergütungsdifferenz oder lässt sich diese<br />

nicht ermitteln, dann ist der Streitwert nach § 3 ZPO unter<br />

Berücksichtigung der Spezialregelung des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG<br />

festzusetzen. Von der Obergrenze des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG ist<br />

bei Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ein Abschlag vorzunehmen, weil dann die Existenz<br />

des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in Streit steht, sondern<br />

nur noch einzelne Arbeitsbedingungen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 25.07.2007, 1 Ta 179/07<br />

125. Streitwertbeschluss, Rechtsmittelverzicht<br />

Hat ein Rechtsanwalt bei der Anhörung im Zusammenhang<br />

mit der Festsetzung des Gegenstandswerts erklärt, er sei mit<br />

dem vom Gericht vorgeschlagenen Gegenstandswert einverstanden<br />

<strong>und</strong> verzichte auf Rechtsmittel, dann liegt ein wirksamer<br />

Rechtsmittelverzicht vor.<br />

■ Landesarbeitsarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

Vom 03.09.2007, 1 Ta 203/07<br />

126. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Vergleichsmehrwert<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.<br />

148 02/08<br />

Das Arbeitsgericht hat zutreffend keinen Vergleichsmehrwert<br />

für die in Ziffer 7 des Vergleichs enthaltene Regelung festgesetzt.<br />

Zwar setzt die Veranschlagung eines Vergleichsmehrwerts<br />

nicht notwendigerweise voraus, dass die Parteien über den<br />

entsprechenden Punkt vorher im Verfahren gerichtlich gestritten<br />

haben. Die Veranschlagung eines Mehrwerts kommt<br />

jedoch nur in Betracht, wenn durch die vergleichsweise Regelung<br />

Streit oder Ungewissheit der Parteien in Bezug auf den<br />

Regelungsgegenstand beseitigt wird (LAG Rheinland-Pfalz,<br />

Beschluss vom 06.08.2007 – 1 Ta 181/07; LAG Düsseldorf,<br />

Beschluss vom 08.05.2007 –6Ta99/07; LAG Hamm, Beschluss<br />

vom 17.04.2007 – 6 Ta 145/07). Auch nach Nr. 1000 des<br />

Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG<br />

entsteht eine Einigungsgebühr „für die Mitwirkung beim<br />

Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die<br />

Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt<br />

wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich<br />

auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.“ Daran fehlt es hier.<br />

Die Beschwerdeführer haben trotz mehrfachen Hinweises des<br />

Arbeitsgerichts <strong>und</strong> der erkennenden Kammer keine konkreten<br />

Anhaltspunkte vorgetragen, die erkennen ließen, dass der<br />

Kläger sich gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der<br />

Beklagten wenden wollte. Seine Ausführungen, die Beklagte<br />

hätte die Einleitung eines potentiellen weiteren Rechtsstreits<br />

durch ihn, den Kläger, befürchten können <strong>und</strong> deshalb<br />

habe sie aus Gründen der Rechtssicherheit die unter Ziffer 7<br />

getroffene Regelung in den Vergleich aufnehmen lassen,<br />

bleiben rein abstrakter Natur. Zwar mag dem Kläger eine<br />

solche Möglichkeit rechtlich offen gestanden haben. Allein<br />

die bloße Möglichkeit reicht jedoch noch nicht aus, um die<br />

gesetzlichen Voraussetzungen der Beilegung eines Streites<br />

oder einer Ungewissheit zu bejahen. Ansonsten wären solche<br />

deklaratorischen Regelungen in einem Gesamtvergleich stets<br />

streitwerterhöhend, weil theoretisch über sämtliche darin<br />

aufgenommenen Punkte gestritten werden könnte. Maßgeblich<br />

für eine eigenständige Gegenstandswertfestsetzung sind<br />

nicht die theoretischen rechtlichen Möglichkeiten des Klägers,<br />

sondern das, was er aus ihnen macht <strong>und</strong> ob <strong>und</strong> wie er sie<br />

überhaupt durchzusetzen beabsichtigt. Im Streitfalle hat der<br />

Kläger die ihm am 18.04.2007 gegenüber ausgesprochene<br />

Kündigung seines Dienstverhältnisses als stellvertretender<br />

Geschäftsführer der Beklagten anstandslos hingenommen<br />

<strong>und</strong> noch in seinem Schriftsatz vom 16.08.2007 ausgeführt,<br />

er sei mit Gesellschafterbeschluss vom 17.04.2007 als stellvertretender<br />

Geschäftsführer abberufen worden. Gerichtlich<br />

hat er sich ausschließlich gegen die Beendigung seines<br />

Arbeitsverhältnisses gewandt, was sich sowohl aus den<br />

Klageanträgen wie auch aus den unter Ziffer 1 bis 6 des<br />

Vergleichs getroffenen Regelungen ergibt.<br />

Das Vorbringen der Beschwerdeführer, sowohl die Parteien<br />

wie auch deren Prozessbevollmächtigte hätten „verhandelt,<br />

um eine Regelung zu finden“, vermochte hieran ebenfalls<br />

nichts zu ändern. Weder haben die Beschwerdeführer vor-


getragen, worüber genau verhandelt wurde <strong>und</strong> ob <strong>und</strong> inwieweit<br />

Zweifel an der Wirksamkeit der Abberufung des Klägers<br />

als stellvertretender Geschäftsführer jemals Gegenstand<br />

derartiger Verhandlungen waren, noch wurden die äußeren<br />

Umstände solcher Verhandlungen näher dargelegt. Auch den<br />

Gegenstand der angestrebten Regelung oder das mit dieser<br />

verfolgte Ziel haben die Beschwerdeführer nicht dargelegt.<br />

Mit Verfügung vom 07.12.2007 hat die erkennende Kammer<br />

die Beschwerdeführer noch einmal ausdrücklich auf die Notwendigkeit<br />

einer näheren Substantiierung, ob, wann <strong>und</strong> in<br />

welcher Form sich der Kläger gegen seine Abberufung als<br />

stellvertretender Geschäftsführer gewendet haben soll, hingewiesen,<br />

da dies bislang weder dem Sachvortrag der Parteien<br />

noch aus den zur Gerichtsakte gereichten Unterlagen ersichtlich<br />

war. Gleichwohl haben die Beschwerdeführer lediglich<br />

die vorgenannten abstrakten Ausführungen getätigt, was den<br />

Punkt „Streit oder Ungewissheit“ nicht weiter konkretisieren<br />

konnte.<br />

Daher war die Beschwerde zurückzuweisen.<br />

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren berechnet<br />

sich nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG. Das Beschwerdeverfahren<br />

nach § 33 Abs. 3 RVG ist anders als das<br />

Verfahren nach § 33 Abs. 9 RVG nicht gebührenfrei. Die Gerichtsgebühr<br />

haben die Beschwerdeführer gemäß § 97 Abs. 1<br />

ZPO zu tragen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 20.12.2007, 1 Ta 279/07<br />

127. Streitwert, Vergütungsansprüche<br />

1. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einem gerichtlichen<br />

Vergleich zur ordnungsgemäßen Abrechnung der dem Arbeitnehmer<br />

„zustehenden vergütungsbezogenen Ansprüche, wie<br />

im vorliegenden Verfahren angesprochen“, handelt es sich<br />

dabei nicht um einen Streit um wiederkehrende Leistungen<br />

im Sinne von § 42 Abs. 3 GKG, wenn zwischen den Parteien<br />

lediglich bezifferte Zahlungsansprüche für bestimmte abgelaufene<br />

Zeiträume rechtshängig waren.<br />

2. Soweit eine derartige Vereinbarung künftige Vergütungsansprüche<br />

erfasst, deren Begründetheit die Parteien allein<br />

von der Unwirksamkeit einer in einem weiteren Verfahren<br />

angegriffenen Kündigung abhängig machen, ist für jeden der<br />

beiden Streitgegenstände in Anlehnung an die Regelung des<br />

§ 42 Abs. 4 GKG ein Gegenstandswert von höchstens drei<br />

Bruttomonatsgehältern festzusetzen<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 12.02.2008, 1 Ta 282/07<br />

128. Streitwert im Kündigungsschutzverfahren, Entfristungsklage<br />

<strong>und</strong> Kündigungsschutz<br />

1. Ist nicht erkennbar, wodurch sich ein klageweise geltend<br />

gemachter Hauptantrag von einem weiteren, lediglich anders<br />

formulierten hilfsweise gestellten Antrag inhaltlich unterscheidet,<br />

<strong>und</strong> entscheidet das Gericht nicht über den Hilfsan-<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

trag, so wird dieser bei der Festsetzung des Gegenstandswerts<br />

der anwaltlichen Tätigkeit nicht gesondert bewertet.<br />

2. Greift ein Kläger die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses<br />

mit einer Entfristungsklage an <strong>und</strong> stellt er in zeitlich<br />

nahem Zusammenhang infolge einer zwischenzeitlich ausgesprochenen<br />

Kündigung zudem einen Kündigungsschutzantrag,<br />

so ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des LAG<br />

Rheinland-Pfalz zu mehreren zeitnah ausgesprochenen Kündigungen<br />

ohne identischen Kündigungssachverhalt (vgl. Beschl.<br />

v. 6.6.2007 – 1 Ta 105/07; Beschl. v. 11.6.2007 – 1 Ta 103/07)<br />

der Gegenstandswert hinsichtlich des ersten Beendigungstatbestandes<br />

gem. § 42 Abs. 4 S. 1 GKG mit bis zu drei Bruttomonatsgehältern,<br />

hinsichtlich des zweiten Beendigungstatbestandes<br />

dagegen nur mit maximal einer Monatsvergütung<br />

festzusetzen.<br />

3. Begehrt der Kläger dabei sowohl im Rahmen der Entfristungsklage<br />

als auch im Rahmen des Kündigungsschutzantrags<br />

jeweils Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen,<br />

so ist der Gegenstandswert hierfür infolge wirtschaftlicher<br />

Identität nicht doppelt, sondern lediglich einmal anzusetzen,<br />

wenn <strong>und</strong> weil der Kläger tatsächlich nur einmal zu<br />

unveränderten Bedingungen weiterbeschäftigt werden kann.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 21.01.2008, 1 Ta 284/07<br />

129. Streitwerte im Kündigungsschutzverfahren<br />

Das in § 42 Abs. 4 S. 1 GKG genannte Vierteljahresentgelt stellt<br />

keinen Regelstreitwert dar, sondern lediglich die Obergrenze<br />

für den vom Gericht gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen<br />

festzusetzenden Streit-/Gegenstandswert. Dieser ist in typisierender<br />

Betrachtungsweise bei einem Bestand des Arbeitsverhältnisses<br />

von bis zu sechs Monaten gr<strong>und</strong>sätzlich auf einen<br />

Monatsverdienst, bei einem Bestand von sechs bis 12 Monaten<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich auf zwei Monatsverdienste <strong>und</strong> ab einem<br />

Bestand von mehr als 12 Monaten gr<strong>und</strong>sätzlich auf drei Monatsverdienste<br />

festzusetzen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 20.12.2007, 1 Ta 293/07<br />

130. Streitwert im Beschlussverfahren, Beschwerdeberechtigung<br />

der Partei nur auf Streitwertsenkung, Eingruppierungsstreitigkeit,<br />

mehrere betroffene Arbeitnehmer<br />

Entscheidungsgründe: ...<br />

1. Beteiligte des Verfahrens sind nach Feststellung des Gerichts:<br />

1. Arbeitgeber, 2. Verfahrensbevollmächtigte des Arbeitgebers,<br />

3. Betriebsrat, 4. Verfahrensbevollmächtigte des<br />

Betriebsrats<br />

2. 1. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zu<br />

1./Antragstellerin/Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des<br />

Arbeitsgerichts Leipzig vom 10.01.2007 – 18 BV 33/06 – In<br />

der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses des Arbeitsgerichts<br />

Leipzig vom 02.02.2007 – 18 BV 33/06 – wird als unzulässig<br />

verworfen.<br />

149


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

Gründe:<br />

I. Die Beteiligten stritten im Rahmen eines Zustimmungsersetzungsverfahrens<br />

nach § 99 Abs. 4 BetrVG über die Eingruppierung<br />

von 30 Arbeitnehmern der Beteiligten zu 1. Anlass<br />

hierfür war die Einführung eines neuen Eingruppierungstarifvertrages<br />

bei der Beteiligten zu 1. zum 01.12.2005.<br />

Die Beteiligte zu 1. hatte in allen 30 Fällen jeweils beantragt,<br />

festzustellen, dass die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zur<br />

Eingruppierung des Arbeitnehmers in die jeweilige Vergütungsgruppe<br />

des Haustarifvertrages über die Eingruppierung<br />

der Arbeitnehmer in der Fassung des Änderungstarifvertrages<br />

Nr. 2 vom 01.06.2005 als erteilt gilt.<br />

Hilfsweise beantragte die Beteiligte zu 1. jeweils die Zustimmung<br />

des Beteiligten zu 2. zur Eingruppierung des Arbeitnehmers<br />

in die jeweilige Vergütungsgruppe des Haustarifvertrages<br />

über die Eingruppierung des Arbeitnehmers in der<br />

Fassung des Änderungstarifvertrages Nr. 2 vom 01 .06.2005 zu<br />

ersetzen.<br />

Durch Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 15.06.2006<br />

wurden 5 Verfahren abgetrennt.<br />

Die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Leipzig fand<br />

am 30.05.2006 statt. Am 15.06.2006 kam es zur mündlichen<br />

Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Leipzig.<br />

Bereits vor dem 30.05.2006 hatte die Beteiligte zu 1. die<br />

Anträge betreffend 5 AN zurückgenommen.<br />

Den Antrag betreffend die Arbeitnehmerin X nahm die Beteiligte<br />

zu 1. während des Termins am 15.06.2006 zurück.<br />

In der Güteverhandlung vom 30.05.2006 schlossen die Beteiligten<br />

einen Vergleich betreffend die Zustimmung zur Eingruppierung<br />

von 7 Arbeitnehmern. In dem Vergleich wurde<br />

zudem die Zahlung einer Zulage in Höhe von € 80,00 für den<br />

Monat Dezember 2006 zu Gunsten der Arbeitnehmerin X <strong>und</strong><br />

die Eingruppierung von 3 Arbeitnehmern geregelt. Betreffend<br />

die letztgenannten 3 Arbeitnehmer hatte die Beteiligte zu 1.<br />

zu diesem Zeitpunkt noch kein Zustimmungsersetzungsverfahren<br />

eingeleitet.<br />

Über die Zustimmung des Beteiligten zu 2. betreffend die<br />

Eingruppierung von 12 Arbeitnehmern entschied das Arbeitsgericht<br />

Leipzig durch Beschluss vom 10.03.2006, in dem festgestellt<br />

wurde, dass die Zustimmung des Beteiligten zu 2. zu<br />

der beabsichtigten Umgruppierung der Arbeitnehmer X als<br />

erteilt gilt.<br />

Nachdem der Beschwerdeführer zu 2./Verfahrensbevollmächtigte<br />

der Beteiligten zu 2. mit Schriftsatz vom 26.10.2006, auf<br />

dessen Begründung Bezug genommen wird (BI. 475 bis 478<br />

d. A.), Gegenstandswertfestsetzung beantragt hatte, hat das<br />

Arbeitsgericht nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss<br />

vom 10.01.2007 zunächst den Gegenstandswert der anwaltlichen<br />

Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten<br />

zu 2. auf 83.000,00 € <strong>und</strong> den Mehrwert für den Teilvergleich<br />

vom 30.05.2006, betreffend die Ziffern 10 bis 12 des<br />

Antrages vom 18.04.2006 auf 6.000,00 € festgesetzt.<br />

Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts im Einzelnen im<br />

150 02/08<br />

Beschluss vom 10.01.2007 wird auf Bl. 496 bis 502 d. A. Bezug<br />

genommen.<br />

Gegen den am 16.01.2007 den Verfahrensbevollmächtigten<br />

der Beteiligten zu 1. <strong>und</strong> 2. zugestellten Beschluss haben<br />

diese am 22.01.2007 (Beschwerdeführerin zu 1. /Beteiligte zu<br />

1.) <strong>und</strong> am 30.01.2007 (Beschwerdeführer zu 2. /Verfahrensbevollmächtigter<br />

des Beteiligten zu 2.) sofortige Beschwerde<br />

eingelegt. ...<br />

II. Die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin zu 1/Beteiligten<br />

zu 1. ist unzulässig.<br />

Die namens <strong>und</strong> in Vollmacht der Beteiligten zu 1. eingelegte<br />

Beschwerde ist mangels Beschwer der Beteiligten zu<br />

2 unzulässig bzw. unstatthaft, da das von der Partei eingelegte<br />

Rechtsmittel gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts<br />

vom 10.01.2007 nur eine Streitwertherabsetzung, nicht jedoch<br />

– wie hier beantragt – eine Streitwerterhöhung zum<br />

Ziel haben darf, wobei dies auch bei der Gegenstandswertfestsetzung<br />

nach § 33 RVG (früher: § 10 BRAGO) gilt (Hartung/Römermann/Schons,<br />

RVG, 2. Auflage, § 33 Rz, 47/48).<br />

Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1. hat mit<br />

Schriftsatz vom 22.01.2007 ausdrücklich erklärt, dass die Beschwerde<br />

vom 22.01.2007 namens <strong>und</strong> in Vollmacht der Beteiligten<br />

zu 1. eingelegt werde. Eine Abänderung des Streitwertbeschlusses<br />

des Arbeitsgerichts Leipzig vom 10.01.2007<br />

in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 02.02.2007<br />

zum Vorteil – wie hier erfolgt – ist daher mangels Beschwer<br />

nicht statthaft, so dass die Beklagte zu 1. sich nur über eine<br />

zu hohe, nicht jedoch über eine zu niedrige endgültige Streitwertfestsetzung<br />

beschweren kann (vgl. Peter Hartmann, Kostengesetze,<br />

37. Auflage, § 68 GKG Rn 3 m.w.N.).<br />

III. 1. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2.<br />

ist zulässig.<br />

2. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2. ist<br />

sachlich jedoch nur teilweise begründet.<br />

Die vom Arbeitsgericht bei der Gegenstandswertfestsetzung<br />

nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zu treffende Ermessensentscheidung<br />

erfolgte nicht fehlerfrei. Das Erstgericht hat die<br />

bei der gebührenrechtlichen Bewertung eines i.R.d. § 99 IV<br />

BetrVG geführten Beschlussverfahrens zu berücksichtigenden<br />

Umstände nicht ausreichend gewürdigt.<br />

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Beschwerdegerichts<br />

(vgl. statt vieler; LAG, Beschluss vom 28.08.2006 –4Ta77/06<br />

(1)) <strong>und</strong> des Landesarbeitsgerichts Nürnberg, dem das Beschwerdegericht<br />

in seiner Begründung hier folgt, kann die<br />

Ermessensentscheidung des Erstgerichts nur auf Ermessensfehler<br />

überprüft werden, wohingegen das Beschwerdegericht<br />

keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung<br />

zu treffen hat (so LAG Nürnberg, vom 05.05.1986 -1 Ta 3/<strong>85</strong> –<br />

LAGE Nr. 53 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert, vom 07.04.1999 –<br />

6 Ta 61/99 – NZA 1999, 840; vom 27.11.2003 – 9 Ta 154/03 –<br />

AR-Blattei ES 160.13, Nr. 256; vom 02.12.2003 –9Ta190/03 –<br />

AR-Blattei ES 160.13, Nr. 255; vom 21.05,2005 –9Ta137/05 –<br />

LAGE Nr. 1 zu § 23 RVG).<br />

b) Bei einem Beschlussverfahren im Rahmen des § 99 Abs. 4


BetrVG handelt es sich ebenso wie bei einem Beschlussverfahren<br />

im Rahmen des § 101 BetrVG um eine nichtvermögensrechtliche<br />

Streitigkeit i. S. d. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG <strong>und</strong><br />

ist die gebührenrechtliche Bewertung nach dieser Vorschrift<br />

vorzunehmen. Insoweit kann auch auf die zur Vorgängerregelung<br />

(§ 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO) ergangene Rechtsprechung<br />

zurückgegriffen werden (so LAG Nürnberg vom 30.05.2006 – 4<br />

Ta 73/06 – zur Veröffentlichung vorgesehen; Sächsisches LAG<br />

vom 31.03.2004 –4Ta34/04 (1) – LAGE Nr. 1 zu § 101 BetrVG<br />

2001; vgl. hierzu auch: LAG Nürnberg vom 21.07.2005 –<br />

9 Ta 137/05 – LAGE Nr. 1 zu § 23 RVG; LAG Bremen vom<br />

19.07.2001 – 4 Ta 33/01 – LAGE Nr. 51 zu § 8 BRAGO; LAG<br />

Berlin vom 21.10.2002 – 17 Ta (Kost) 60<strong>85</strong>/02 -NZA-RR 2003,<br />

383; LAG Berlin vom 18.03.2003 – 17 Ta (Kost) 6009/03 – NZA<br />

2004, 342).<br />

In Streit stehen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates<br />

<strong>und</strong> die von ihm herangezogenen Gründe gegen die vom Arbeitsgericht<br />

bereits durchgeführte personelle Maßnahme. Im<br />

vorliegenden Fall dient das Erzwingungsverfahren dazu, das<br />

Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats bei Eingruppierungsentscheidungen<br />

des Arbeitgebers <strong>und</strong> ein diesbezüglich zu<br />

führendes gerichtliches Verfahren im Rahmen des § 99 Abs. 4<br />

BetrVG durchzusetzen. Dieser Anspruch des Betriebsrats stützt<br />

sich auf § 99 Abs. 4 BetrVG (vgl. Sächsisches LAG zu § 101<br />

BetrVG im Beschluss vom 31.03.2004 –4Ta34/04 (1) – LAGE<br />

Nr. 1 zu § 101 BetrVG 2001; Richardi-Thüsing, BetrVG, 10. Aufl.,<br />

§ 101 Rz 11).<br />

In diesem Zusammenhang führt das LAG Nürnberg in seinem<br />

Beschluss vom 27.07.2006 – 4 Ta 100/06 – veröffentlicht in<br />

JURIS –, dem das Sächsische LAG in vollem Umfang hier folgt –<br />

im Einzelnen hierzu aus:<br />

„Dieser Streitgegenstand betreffend den § 99 IV BetrVG ist<br />

nicht unmittelbar abhängig von den in Streit befindlichen<br />

Vergütungsgruppen <strong>und</strong> der Höhe des konkret zu zahlenden<br />

Gehaltes. Aus diesem Gr<strong>und</strong> kann entgegen der Ansicht des<br />

Beschwerdeführers zu 2. <strong>und</strong> der von ihm zitierten Auffassung<br />

des Landesarbeitsgerichts Hamm nicht auf die gebührenrechtliche<br />

Regelung in § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG zurückgegriffen<br />

werden.<br />

c) Bei der Bemessung des Gegenstandswerts gemäß § 23<br />

Abs. 3 Satz 2 RVG sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere<br />

der Umfang <strong>und</strong> die Bedeutung der Sache zu berücksichtigen.<br />

Hierzu zählen auch die wirtschaftlichen Auswirkungen<br />

des Rechtsstreits <strong>und</strong> die rechtlichen <strong>und</strong> tatsächlichen<br />

Besonderheiten des Falles.<br />

Bei einem Beschlussverfahren, das mehrere personelle Einzelmaßnahmen<br />

betrifft, die wiederum auf einer einheitlichen<br />

unternehmerischen Vorgehensweise beruhen <strong>und</strong> im Rahmen<br />

eines gemeinsam durchgeführten Mitbestimmungsverfahrens<br />

vom Betriebsrat behandelt worden sind, kann eine angemessene<br />

Herabsetzung des Wertes für jede einzelne personelle<br />

Maßnahme geboten sein. Alleine durch die Bündelung der<br />

Verfahren <strong>und</strong> die gleich gelagerte Argumentation im Hinblick<br />

auf die einheitliche unternehmerische Vorgehensweise tritt<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

ein Synergieeffekt im Rahmen der Prozessführung auf, der<br />

schon für sich eine erhebliche Reduzierung des Hilfswertes<br />

für jeden Einzelfall rechtfertigt.<br />

All diese Umstände können bei der Ermessensbetätigung des<br />

Gerichts dazu führen, dass der Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2<br />

RVG pro betroffener Einzelmaßnahme auf einen Bruchteil<br />

reduziert wird (z.B. auf 1/8 oder 1/16 wie in der Entscheidung<br />

des LAG Nürnberg, vom 21.07.2005, a.a.O.; vgl. auch LAG<br />

Bremen, vom 19.07.2001, a.a.O.; LAG Berlin, vom 21.10.2002,<br />

a.a.O.). Im Rahmen des dem Arbeitsgericht eingeräumten Ermessens<br />

kann bei einer Mehrzahl von Einzelmaßnahmen auch<br />

nur für einen Fall der volle Hilfswert <strong>und</strong> für jeden weiteren<br />

Fall ein erheblich geringerer Bruchteil in Ansatz gebracht<br />

werden (z. B. 1/40 bei gleichzeitig 55 Aufhebungsanträgen<br />

gem. § 101 BetrVG, so LAG Nürnberg vom 30.05.2006 –4Ta<br />

73/06 – zur Veröffentlichung vorgesehen).“<br />

Das Erstgericht hat in Übereinstimmung mit der zitierten<br />

Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom<br />

31.03.2004 –4Ta34/04 – lediglich einen der 25 Fälle mit dem<br />

vollen Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG von 4.000,00 €<br />

bewertet <strong>und</strong> für jeden weiteren Einzelfall nur einen Bruchteil<br />

dieses Wertes von 1/4 angenommen.<br />

Der Bruchteil von 1/4 erscheint unter Berücksichtigung obiger<br />

Kriterien nicht als unangemessen niedrig, vielmehr bewegt er<br />

sich – wie die Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts<br />

zu § 101 BetrVG zeigt – an der Obergrenze des noch<br />

sachlich vertretbaren.<br />

aa) Insoweit kann ein Ermessensfehler des Arbeitsgerichts<br />

in dem korrigierten Beschluss vom 02.02.2007 bei der Festsetzung<br />

des Gegenstandswertes für die Verfahrensgebühr auf<br />

86.000,00 € nicht festgestellt werden.<br />

bb) Auch die Festsetzung des Gegenstandswertes für die<br />

Terminsgebühr auf 67.000,00 € in dem durch den Nichtabhilfebeschluss<br />

des Arbeitsgerichts vom 02.02.2007 abgeänderten<br />

Beschluss vom 10.01.2007 ist vorliegend zutreffend <strong>und</strong><br />

nicht zu beanstanden.<br />

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass für<br />

die Festsetzung von Verfahrensgebühr, Terminsgebühr <strong>und</strong><br />

Vergleichsgebühr – auch unter Zugr<strong>und</strong>elegung der von dem<br />

Arbeitsgericht Leipzig angewendeten Gr<strong>und</strong>sätze – von unterschiedlichen<br />

Gegenstandswerten auszugehen ist. Der Gegenstandswert<br />

muss nämlich nicht für sämtliche Gebühren<br />

in derselben Angelegenheit derselbe sein. Für jede Gebühr<br />

ist der Gegenstandswert vielmehr gesondert zu ermitteln. Es<br />

kann daher durchaus, wie hier, vorkommen, dass für jede<br />

Gebühr ein anderer Wert maßgebend ist.<br />

Dies hat das Arbeitsgericht nunmehr im Gegensatz zu<br />

dem Beschluss vom 10.01.2007 im Abhilfebeschluss vom<br />

22.02.2007 berücksichtigt. Insoweit ist die jetzige Festsetzung<br />

des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit<br />

des Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2. für die<br />

Verfahrensgebühr auf 86.000,00 € <strong>und</strong> für die Terminsgebühr<br />

auf 67.000,00 € zutreffend. Was die Bewertung der Hilfsanträge<br />

anbelangt, schließt sich die Beschwerdekammer den<br />

151


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Leipzig auf<br />

Seite 5 f. des Beschlusses vom 10.01.2007 an.<br />

cc) Lediglich die seitens des Arbeitsgerichts abgelehnte<br />

Festsetzung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit des<br />

Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2. für den<br />

Teilvergleich vom 30.05.2006 auf 32.000,00 € ist unzutreffend.<br />

Der Teilvergleich vom 30.05.2006 umfasst die Anträge zu<br />

Ziff. 5, 10 bis 12, 13, 27 <strong>und</strong> 30. Die Hauptanträge der Ziff. 10<br />

bis 12 sind wegen des Synergieeffektes jeweils mit 1.000,00 €<br />

zu bewerten. Der Hilfsantrag zu Ziff. 10 ist mit 4,000,00 € zu<br />

bewerten; die Hilfsanträge zu den Ziff. 11 <strong>und</strong> 12 sind wegen<br />

des Synergieeffektes mit jeweils 1.000,00 € zu bewerten. Da<br />

der Vergleich im Termin vom 30.05.2006 geschlossen wurde,<br />

ist dies sowohl für die Verfahrensgebühr, Terminsgebühr als<br />

auch Vergleichsgebühr zu berücksichtigen.<br />

Ziff. 5 der Anträge wurde durch den Vergleich vom 30.05.2006<br />

mitgeregelt. Der Hauptantrag ist hier mit 1.000,00 € zu bewerten.<br />

Weil es sich betreffend der Tätigkeit der Arbeitnehmerin<br />

nicht um einen vergleichbaren Sachverhalt handelt, waren<br />

für den Hilfsantrag 4.000,00 € anzusetzen. Berücksichtigung<br />

finden muss dies für den Gegenstandswert von Verfahrensgebühr,<br />

Terminsgebühr als auch Vergleichsgebühr.<br />

Hinsichtlich der Ziff. 13 der Anträge lässt sich für den Hilfsantrag<br />

ein Synergieeffekt bejahen. Das Verfahren wurde hier<br />

ebenfalls durch Vergleich vom 30.05.2006 beendet. Sowohl<br />

für die Verfahrensgebühr als auch für die Terminsgebühr <strong>und</strong><br />

Vergleichsgebühr sind daher der Hauptantrag mit 1.000,00 €<br />

<strong>und</strong> der Hilfsantrag mit 4.000,00 € zu bewerten.<br />

Im Fall der Ziff. 27 der Anträge lässt sich ein Synergieeffekt<br />

weder für Haupt- noch für Hilfsantrag bejahen. Das Verfahren<br />

wurde in dieser Angelegenheit durch Vergleich vom<br />

30.05.2006 beendet. Haupt- <strong>und</strong> Hilfsantrag sind daher je mit<br />

4.000,00 € zu bewerten <strong>und</strong> für den Gegenstandswert von<br />

Verfahrensgebühr, Terminsgebühr <strong>und</strong> Vergleichsgebühr zu<br />

berücksichtigen.<br />

Die ebenfalls durch Vergleich vom 30.05.2006 mitgeregelte<br />

Ziff. 30 der Anträge war mit 1000,00 € für den Hauptantrag<br />

<strong>und</strong> wiederum 4.000,00 € für den Hilfsantrag zu bewerten<br />

<strong>und</strong> für Verfahrensgebühr, Terminsgebühr <strong>und</strong> Vergleichsgebühr<br />

zu berücksichtigen.<br />

Insgesamt ergibt sich daher für den Teilvergleich vom<br />

30.05.2006 eine Einigungsgebühr in Höhe von 32.000,00 €.<br />

Insoweit war auch entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts<br />

für die im Teilvergleich vom 30.05.2006 geregelten Anträge<br />

<strong>und</strong> mitverglichenen Ansprüche eine Einigungsgebühr zu berücksichtigen.<br />

Die Bezeichnung Vergleichsgebühr ist durch<br />

das RVG überholt. Was bisher Vergleichsgebühr war, nennt<br />

sich jetzt Einigungsgebühr.<br />

Im Gegensatz zur Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO setzt<br />

die Einigungsgebühr nicht mehr voraus, dass die Parteien<br />

einen Vergleich im Sinne des § 779 BGB geschlossen haben.<br />

Umgekehrt ist ein Vergleich i.S.d. § 779 BGB dagegen immer<br />

auch zugleich eine Einigung. Nachdem die Beteiligten hier<br />

einen Teilvergleich im Sinne des § 779 BGB über die oben<br />

152 02/08<br />

angeführten Anträge zu Ziff. 5, 10 bis 12, 13, 27 <strong>und</strong> 30<br />

geschlossen haben, m.a.W., eine Vereinbarung dahingehend<br />

getroffen haben, durch den der Streit oder die Ungewissheit<br />

der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wurde <strong>und</strong><br />

die Vereinbarung bzw. der Vertrag sich nicht ausschließlich<br />

auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt, ist hier<br />

ohne weiteres eine Einigungsgebühr entstanden.<br />

Nach alledem war daher auf die sofortige Beschwerde des<br />

Beschwerdeführers zu 2. der Beschluss des Arbeitsgerichts<br />

Leipzig vom 10.01.2007 in der Fassung des Beschlusses vom<br />

02.02.2007 entsprechend abzuändern <strong>und</strong> die weitergehende<br />

sofortige Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.<br />

Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung<br />

durch die Vorsitzende allein ergehen (§ 568 Abs. 1 ZPO i. V.<br />

m. §§ 64 Abs. 7, 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).<br />

Eine Kostenentscheidung war nicht erforderlich, da es sich bei<br />

dem Gebührentatbestand der Nr. 8613 GKG KV 8700 um eine<br />

Festgebühr handelt.<br />

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.<br />

■ Sächsisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 27.04.2007, 4 Ta 41/07 (5)<br />

eingereicht vom Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig, Tel: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de; www.advo-gross.de<br />

Anmerkung:<br />

Es fällt schwer, verschiedene Begründungsansätze des LAG<br />

überhaupt noch nachzuvollziehen bzw. rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen<br />

zuzuordnen. Insbesondere eine realitätsorientierte<br />

Betrachtung des Arbeitsaufwands von Verfahren, beispielsweise<br />

wie in dem hier dargestellten Verfahren, in der mehrere<br />

ganztägige Verhandlungen stattfanden, lässt sich dem Gericht<br />

nicht nahe bringen. (gr)<br />

131. Streitwert im Beschlussverfahren, Verpflichtung zum<br />

Abschluss einer Betriebsvereinbarung „flexible Arbeitszeit“,<br />

€ 12.000,00<br />

Entscheidungsgründe:<br />

1. Die Beteiligten streiten um die zutreffende Gegenstandswertfestsetzung.<br />

Im Ausgangsverfahren hat die Beteiligte zu 1) (Arbeitgeberin)<br />

dem Beteiligten zu 2) (Betriebsrat) aufgeben lassen wollen,<br />

mit ihr eine durchformulierte, elf Paragraphen umfassende<br />

<strong>und</strong> einen Umfang von 10 Seiten ausmachende „Betriebsvereinbarung<br />

über flexible Arbeitszeit“ für das Werk X abzuschließen.<br />

Wegen des Inhaltes der von der Arbeitgeberin<br />

begehrten Regelung wird auf Bl. 2 bis 12 d. A. ergänzend<br />

Bezug genommen. Das Verfahren endete durch Antragsrücknahme,<br />

nachdem zwischen den Beteiligten im Rahmen einer<br />

Einigungsstelle eine Regelung getroffen worden war.<br />

Unter dem 26. November 2007 hat das Arbeitsgericht die<br />

Beteiligten zu einer beabsichtigten Gegenstandswertfestsetzung<br />

in Höhe von 12.000,00 Euro angehört <strong>und</strong> diesen Betrag<br />

erläutert (Bl. 77 f. d. A.). Hiergegen hat die Arbeitgeberin mit


Schriftsatz vom 06. Dezember 2007 Einwendungen erhoben.<br />

Mit Beschluss vom 17. Dezember 2007 hat das Arbeitsgericht<br />

den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das genannte<br />

Ausgangsverfahren auf 12.000,00 Euro festgesetzt.<br />

2. Mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht<br />

den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das<br />

Ausgangsverfahren auf den dreifachen Hilfswert des § 23<br />

Abs. 3 S. 2, 2. Halbsatz RVG festgesetzt.<br />

■ Hessisches Landesarbeitsgericht<br />

vom 01.02.2008, 5 Ta 58/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Werner Mansholt, Rheinstraße<br />

30, 64283 Darmstadt, Tel.: 06151/26264, Fax: 06151/25461<br />

132. Streitwert im Beschlussverfahren, mehrere betroffene<br />

Arbeitnehmer Unterlassung Mitbestimmungsrechtsverletzung,<br />

einstweilige Verfügung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. Der Wert des Gegenstandes für die anwaltliche Tätigkeit<br />

der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten ist auf<br />

12.000,00 € festzusetzen.<br />

Die Wertfestsetzung für das vorliegende Beschlussverfahren<br />

richtet sich nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG.<br />

Hiernach ist der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden<br />

Art nach billigem Ermessen zu bestimmen, wobei in Ermangelung<br />

genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung<br />

<strong>und</strong> bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen der<br />

Gegenstandswert mit 4.000,00 € nach Lage des Falles niedriger<br />

oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 € anzunehmen<br />

ist.<br />

Bei der vorliegend vom antragstellenden Betriebsrat begehrten<br />

Unterlassung handelt es sich um eine nicht vermögensrechtliche<br />

Streitigkeit im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Gerade<br />

wenn von der Arbeitgeberin die Unterlassung bestimmter<br />

Handlungen verlangt wird <strong>und</strong> der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht<br />

nach § 87 BetrVG geltend macht, kann für<br />

die Ausfüllung des Ermessensrahmens des § 23 Abs. 3 Satz 2<br />

RVG die wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreites für die<br />

Arbeitgeberin bzw. für die Belegschaft nicht unberücksichtigt<br />

bleiben. Dabei ist allerdings auch der Gr<strong>und</strong>tendenz des arbeitsgerichtlichen<br />

Verfahrens zu entsprechend, die Kosten zu<br />

begrenzen (vgl. hier LAG Hamm, Beschluss vom 31.05.2007 –<br />

10Ta 163/07 – aus juris).<br />

Unter Berücksichtigung dieser Gr<strong>und</strong>sätze wird der einfache<br />

Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG der Bedeutung der<br />

vorliegenden Angelegenheit nicht gerecht. Der Ausgangswert<br />

des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist gerade unter Zugr<strong>und</strong>elegung<br />

der Tatsache, dass die Angelegenheit eine sehr große Zahl<br />

von Arbeitnehmerinnen <strong>und</strong> Arbeitnehmern berührt, angemessen<br />

zu erhöhen. Durch die große Anzahl der betroffenen<br />

Arbeitnehmer wird die Bedeutung der Angelegenheit für die<br />

Beteiligten gewichtiger.<br />

Allerdings ist nicht unberücksichtigt zu lassen, dass es sich<br />

vorliegend um einen einstweiligen Rechtsschutz handelt <strong>und</strong><br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

die Angelegenheit durch das vorliegende Verfahren (nur) zeitweilig<br />

geregelt werden sollte.<br />

Diese Umstände führen dazu, dass das Gericht den dreifachen<br />

Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, mithin insgesamt<br />

12.000,00 € für angemessen hält.<br />

■ Arbeitsgericht Dresden<br />

vom 12.02.2008, 6 BVGa 8/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de, www.advo-gross.de<br />

133. Gegenstandswert, personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren<br />

§ 23 Abs. 3 RVG, § 52 Abs. 2 GKG<br />

Es entspricht nach Lage des Falles billigem Ermessen, den<br />

Gegenstandswert in personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren<br />

auf € 5.000,00 festzusetzen. Insoweit ist auf<br />

einen Rechtsgedanken in § 52 Abs. 2 GKG zurückzugreifen,<br />

wonach im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein Streitwert<br />

von € 5.000,00 anzunehmen ist, wenn der Sach- <strong>und</strong> Streitstand<br />

für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden<br />

Anhaltspunkte bietet. Dies erscheint deswegen gerechtfertigt,<br />

weil für das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren<br />

ungeachtet der weitgehenden Geltung des Arbeitsgerichtsgesetztes<br />

der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet<br />

ist (§ 106 BPersVG i.V.m. § 88 Abs. 1 SächsPersVG).<br />

■ B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht<br />

vom 21.03.2007, 6 PB 17.06<br />

134. Streitwert in Kündigungsschutzverfahren, Vergütungsansprüche<br />

neben Kündigungsschutzantrag<br />

Entscheidungsgründe:<br />

... II. ... 3. Die Zahlungsklagen auf Löhne, die nach dem<br />

03.03.2006 fällig sind (Kündigungstermin), sind mit EUR<br />

2.000,– anzusetzen.<br />

a) Feststellungsklage <strong>und</strong> Klage auf Zahlung von Löhnen,<br />

die nach dem Kündigungstermin fällig sind, sind wirtschaftlich<br />

identisch (BAG, 16.01.1968, AP Nr. 17 zu § 12 ArbGG 1953;<br />

Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 5. Aufl., –<br />

im Folgenden: GMPM – Rn 105 zu § 12 m.w.N.). Mit dem<br />

Leistungsantrag wird lediglich die Folgerung aus dem Feststellungsantrag<br />

gezogen (GMPM, Rn 106 zu § 12). § 42 Abs. 4<br />

Satz 1 GKG begrenzt bei Bestandsschutzklagen den Streitwert<br />

auf die Vierteljahresvergütung. Zweck dieser Regelung ist,<br />

für Arbeitnehmer eine möglichst kostengünstige Rechtsverfolgung<br />

zu ermöglichen (GMPM, Rn 106 zu § 12).<br />

Dieser Zweck kann bei der Bewertung von Rechtsstreitigkeiten,<br />

bei denen neben der Bestandsfeststellung auch noch<br />

Lohn, der vom Ausgang des Bestandsstreits abhängig ist,<br />

begehrt wird, nicht unberücksichtigt bleiben. Dies bedeutet,<br />

dass Lohnansprüche, die ab dem Kündigungstermin fällig<br />

werden, den Streitwert prinzipiell nicht erhöhen.<br />

Dies gilt auch dann, wenn die Lohnansprüche den Wert des<br />

Bestandsstreits übersteigen (GMPM, Rn 107 zu § 12).<br />

153


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

Aus dem Umstand, dass § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG eine besondere<br />

Streitwertberechnungsregelung für wiederkehrende<br />

Leistungen getroffen hat, ergibt sich kein Gegenargument.<br />

Denn aus dem Wortlaut des § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG lässt sich<br />

nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber gerade auch den Fall<br />

erfassen wollte, in dem es um Leistungen geht, die von dem<br />

Ausgang eines Bestandsstreits abhängig sind (GMPM, Rn10<br />

zu § 12).<br />

Das Gesetz stellt für die Wertfestsetzung nicht darauf ab,<br />

ob die Lohnansprüche bestritten sind. Damit bleiben Löhnansprüche<br />

auch dann unberücksichtigt, wenn z.B. die Höhe<br />

des Monatseinkommens streitig ist oder der Arbeitgeber einwendet,<br />

anderweitiger Erwerb sei gemäß § 615 Satz 2 BGB<br />

anzurechnen. Dabei ist unerheblich, ob der Streit schon vor<br />

Klageerhebung oder erst danach aufgetreten ist.<br />

b) Gleichwohl kann nicht verkannt werden, dass der<br />

obsiegende Arbeitnehmer mit einem Zahlungsteil einen<br />

Vollstreckungstitel erwirbt. Dieses sog. Titulierungsinteresse<br />

ist mit einem Monatseinkommen zu bewerten (hier: EUR<br />

2.000,00).<br />

■ Landesarbeitsarbeitsgericht Nürnberg<br />

vom 25.06.2007, 7 Ta 101/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Dirk Clausen, Königstraße 30,<br />

90402 Nürnberg, Tel.: 0911/205510<br />

sec@clausen-doll.de, www.clausen-doll.de<br />

135. Streitwert, Beschäftigungsanspruch<br />

Klagt der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung<br />

ein, beträgt der Streitwert auch dann nicht mehr<br />

als zwei Bruttomonatsvergütungen, wenn die beanstandete<br />

Freistellung im ungekündigten Arbeitsverhältnis erfolgte <strong>und</strong><br />

länger als zwei Monate andauert. Es ist kein Gr<strong>und</strong> ersichtlich,<br />

den Beschäftigungsanspruch im ungekündigten Arbeitsverhältnis<br />

anders zu bewerten als im gekündigten.<br />

■ Landesarbeitsarbeitsgericht Köln<br />

vom 12.09.2007, 7 Ta 125/07<br />

136. Streitwert, nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />

Entscheidungsgründe:<br />

1. Maßgeblich für die Festsetzung des Streitwerts ist – bei<br />

vermögensrechtlichen Streitigkeiten – der wirtschaftliche<br />

Wert des Streitgegenstands. Streitgegenstand des vorliegenden<br />

Rechtsstreits war unter anderem die Frage, ob die<br />

Klägerin verpflichtet war, sich an das in § 16 des Anstellungsvertrages<br />

der Parteien vereinbarte nachvertragliche<br />

Wettbewerbsverbot nach Vertragsende zu halten. Ein nachvertragliches<br />

Wettbewerbsverbot kann für den betroffenen<br />

Arbeitnehmer einschneidende wirtschaftliche Folgen haben,<br />

insbesondere dann, wenn er sich durch ein nachvertragliches<br />

Wettbewerbsverbot daran gehindert sieht, lukrative<br />

Angebote andere Arbeitgeber für Nachfolgearbeitsverträge<br />

anzunehmen oder im Anschluss an die Beendigung des mit<br />

einem Wettbewerbsverbot versehenen Arbeitsverhältnisses<br />

154 02/08<br />

eine gewinnträchtige eigene unternehmerische Tätigkeit aufzunehmen.<br />

a. Die wirtschaftliche Bedeutung eines nachvertraglichen<br />

Wettbewerbsverbots für den betroffenen Arbeitnehmer kann<br />

je nach den Umständen des Einzelfalles sehr stark schwanken.<br />

Pauschale Durchschnittswerte sind nicht erkennbar.<br />

b. Einen Anhaltspunkt für die wirtschaftliche Bewertung<br />

eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots aus Sicht des<br />

Arbeitnehmers liefert jedoch die in §§ 74 ff. HGB enthaltene<br />

gesetzliche Regelung. Wesentliche Eckpunkte dieser gesetzlichen<br />

Regelung sind dabei, dass die Vereinbarung eines<br />

nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes gr<strong>und</strong>sätzlich zulässig<br />

ist, dass sich das Verbot jedoch nicht auf einen Zeitraum<br />

von mehr als 2 Jahren von der Beendigung des Dienstverhältnisses<br />

an erstrecken darf <strong>und</strong> dass es nur verbindlich<br />

ist, wenn sich der so genannte Prinzipal bzw. Arbeitgeber<br />

verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung<br />

zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die<br />

Hälfte der von dem Handlungsgehilfen/Arbeitnehmer zuletzt<br />

bezogenen vertragsmäßigen Leistungen ausmacht.<br />

c. Es liegt nach Auffassung des Beschwerdegerichts nahe,<br />

die wirtschaftliche Bedeutung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots<br />

für den betroffenen Arbeitnehmer jedenfalls<br />

immer dann, wenn sich im Einzelfall keine konkreteren Anhaltspunkte<br />

für eine Berechnung ergeben, an der gesetzlich<br />

vorgeschriebenen Mindestentschädigung auszurichten; denn<br />

die gesetzliche Regelung über die Höhe der Mindestentschädigung<br />

bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot<br />

dient nach der Intention des Gesetzgebers gerade dem Ziel,<br />

die für den Arbeitnehmer durch das Wettbewerbsverbot entstehenden<br />

wirtschaftlichen Nachteile angemessen auszugleichen.<br />

d. Da in § 16 des Anstellungsvertrages der Parteien das<br />

nachvertragliche Wettbewerbsverbot zeitlich nicht beschränkt<br />

wurde, ist von der nach § 74a Abs. 1 S. 3 HGB festgelegten<br />

gesetzlichen Höchstdauer von 2 Jahren auszugehen.<br />

Die in § 74 Abs. 2 HGB geregelte Mindestentschädigung hätte<br />

somit im Falle der Klägerin 50 % ihrer Monatsvergütung von<br />

zuletzt 2.000,00 € für die Dauer von 24 Monaten betragen<br />

müssen. Entsprechend dem Begehren des Beschwerdeführers<br />

war der Streitgegenstand „Wirksamkeit des nachvertraglichen<br />

Wettbewerbsverbots“ somit mit 24.000,00 € zu beziffern.<br />

2. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts kann es nach<br />

Überzeugung des Beschwerdegerichts für die Streitwertfestsetzung<br />

vorliegend keine Rolle spielen, dass das in § 16 des<br />

Anstellungsvertrages der Parteien vereinbarte nachvertragliche<br />

Wettbewerbsverbot offensichtlich unwirksam ist, eine<br />

Karenzentschädigung nicht vorsieht <strong>und</strong> die Beklagte sich auf<br />

das Verbot auch nicht berufen hat.<br />

a. Zwar mag das in § 16 des Anstellungsvertrags der<br />

Parteien vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot<br />

für den rechtsk<strong>und</strong>igen Betrachter in Ermangelung der<br />

Vereinbarung einer Karenzentschädigung „offensichtlich<br />

unwirksam“ erscheinen. Maßgeblich muss jedoch auf den


Empfängerhorizont des nicht notwendigerweise rechtsk<strong>und</strong>igen<br />

Arbeitnehmers abgestellt werden.<br />

Dieser muss die in dem von ihm unterschriebenen Arbeitsvertrag<br />

enthaltene Vertragsklausel zunächst einmal ernst nehmen<br />

<strong>und</strong> wird nur dann erkennen können, dass er sich an<br />

diese vertragliche Regel nicht halten muss, wenn er entweder<br />

selber über rechtliche Vorkenntnisse verfügt oder sich in<br />

rechtliche Beratung begibt.<br />

Allenfalls dann, wenn einer Vertragsklausel ihre rechtliche<br />

Unwirksamkeit so offensichtlich <strong>und</strong> unzweifelhaft „auf die<br />

Stirn geschrieben ist“, dass selbst ein durchschnittlicher Laie<br />

ohne Rechtskenntnisse problemlos erkennen kann, dass die<br />

Vertragsklausel bedeutungslos ist, mag dies auch Auswirkungen<br />

auf die wirtschaftliche Bewertung eines entsprechenden<br />

Streits um die Wirksamkeit der Klausel haben. So liegen die<br />

Dinge vorliegend aber gerade nicht.<br />

b. Ebenso wenig kann es darauf ankommen, ob die Beklagte<br />

sich auf das Wettbewerbsverbot im Zusammenhang mit<br />

der Beendigung des Arbeitsverhältnisses berufen hat. Die<br />

Beklagte hat die Klausel jedenfalls in den Arbeitsvertrag<br />

aufgenommen, <strong>und</strong> es ist nicht erkennbar geworden, dass<br />

sie auf diese Klausel zu einem späteren Zeitpunkt verzichtet<br />

hätte.<br />

c. Schließlich kann es nicht darauf ankommen, ob die Vertragsklausel<br />

eine Karenzentschädigung vorsieht oder gerade<br />

deswegen rechtsunwirksam ist, weil dies nicht der Fall ist.<br />

3. Dem Begehren des Beschwerdeführers war daher uneingeschränkt<br />

stattzugeben (im Ergebnis wie hier: LAG Hamm,<br />

Anwbl 81, 106; Zöller-Herget, ZPO, § 3, Rn 16 Stichwort „Wettbewerbsverbot“).<br />

■ Landesarbeitsarbeitsgericht Köln<br />

vom 12.11.2007, 7 Ta 295/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Axel Bierganz, Konrad-Adenauer-Straße<br />

244-246, 52511 Geilenkirchen,<br />

Tel.: 02451/484560, Fax: 02451/67090<br />

info@anwaltskanzlei-krueppel.de<br />

Anmerkung:<br />

Bemerkenswert erscheint, dass die Parteien anscheinend im<br />

Rahmen des Beendigungsrechtsstreits überhaupt nicht über<br />

das nachvertragliche Wettbewerbsverbot gestritten haben.<br />

Allein der Umstand, dass ein solches im Arbeitsvertrag,<br />

wenn auch mangels Zusage einer Karenzentschädigung<br />

offenk<strong>und</strong>ig unwirksam, formuliert war, erhöht den Streitwert.<br />

Dem LAG ist zu folgen, da ein wie auch immer formuliertes<br />

nachvertragliches Wettbewerbsverbot den Arbeitnehmer<br />

belastet. (gr)<br />

137. Streitwert, Beschlussverfahren, Umgruppierung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

1. Für ein Zustimmungserzwingungsverfahren, die Umgruppierung<br />

einer Arbeitnehmerin betreffend, ist der Hilfswert des<br />

§ 23 Abs. 3 S. 2 RVG in Ansatz zu bringen.<br />

2. Bei dem vorliegenden Beschlussverfahren handelt es sich<br />

02/08<br />

Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit i.S.d. § 23<br />

Abs. 3 Satz 2 RVG, sodass die gebührenrechtliche Bewertung<br />

nach dieser Vorschrift vorzunehmen ist.<br />

Zu der Vorgängerregelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO) ist<br />

bereits eine Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichtes<br />

ergangen (Beschluss vom 31.03.2004 –4Ta34/04 –<br />

LAGE § 101 BetrVG Nr. 1). Auch andere Landesarbeitsgerichte<br />

vertreten diese Auffassung (LAG Nürnberg, Beschluss vom<br />

30.05.2006 – 4 Ta 73/06; Beschluss vom 27.07.2006 – 4Ta<br />

100/06 m.w.N., abweichende Auffassung z.B. Beschluss des<br />

LAG Rheinland-Pfalz vom 20.05.2003 –6Ta494/03).<br />

In Streit stehen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates<br />

<strong>und</strong> die von ihm herangezogenen Gründe gegen die personelle<br />

Maßnahme. Im vorliegenden Fall dient das Erzwingungsverfahren<br />

dazu, das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrates<br />

bei der Eingruppierungsentscheidung des Arbeitgebers im<br />

Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG<br />

durchzusetzen. Der Streitgegenstand des Beschlussverfahrens<br />

hat nicht unmittelbar wirtschaftliche Bedeutung.<br />

Bei der Bemessung des Gegenstandswertes gem. § 23 Abs. 3<br />

Satz 2 RVG sind alle Umstände des Einzelfalles, insbesondere<br />

der Umfang <strong>und</strong> die Bedeutung der Sache, zu berücksichtigen.<br />

Im vorliegenden Fall ist für den Antrag zu 1. (festzustellen,<br />

dass die Zustimmung des Betriebsrats zur Eingruppierung<br />

einer Arbeitnehmerin in eine Vergütungsgruppe als erteilt gilt,<br />

gr) ein Betrag von 2.000,00 EUR angemessen. Zu berücksichtigen<br />

ist die Bedeutung der betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Rechtsposition, um deren Klärung es im Beschlussverfahren<br />

ging (vgl. LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.12.2005 –<br />

1 Ta 256/05 – in juris). Der Streit über die Begründung des<br />

Widerspruches des Betriebsrates hatte nur eine durchschnittliche<br />

Bedeutung, so dass eine Herabsetzung des Hilfswertes<br />

gerechtfertigt ist.<br />

Für den Antrag zu Ziff. 2. (die Zustimmung des Betriebsrats<br />

zur Umgruppierung zu ersetzen, gr) war der volle Hilfswert<br />

anzusetzen. Zusammen ergibt das einen Gegenstandswert<br />

von 6.000,00 EUR.<br />

Da die Wertberechnung nicht durch entsprechende Anwendung<br />

des § 42 Abs. 4 Satz 2 GKG vorgenommen worden ist,<br />

konnte unentschieden bleiben, welche Differenzvergütung<br />

bei der Arbeitnehmerin X anzuwenden ist. Die Beteiligten<br />

haben dazu eine unterschiedliche Auffassung vertreten.<br />

■ Arbeitsgericht Leipzig<br />

vom 29.12.2006, 8 BV 53/06<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig, Tel: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de; www.advo-gross.de<br />

138. Streitwert, Änderungskündigung<br />

Bei der Änderungsschutzklage ist nach Auffassung der Kammer<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich von einem monatlichen Bruttoverdienst<br />

auszugehen. Je nach Art <strong>und</strong> Umfang der beabsichtigten<br />

Änderung der Arbeitsbedingungen ist ein Betrag zwischen<br />

155


Rechtsprechung<br />

Streitwert <strong>und</strong> Gebühren<br />

einem Bruttomonatseinkommen <strong>und</strong> dem Vierteljahresverdienst<br />

des Arbeitnehmers festzusetzen. Aufgr<strong>und</strong> der<br />

beabsichtigten Reduzierung der Arbeitszeit (von 40 auf 32<br />

St<strong>und</strong>en) <strong>und</strong> des Arbeitsentgeltes sind für die Kündigung<br />

zwei Bruttomonatseinkommen zu berücksichtigen.<br />

■ Arbeitsgericht Leipzig<br />

vom 16.08.2007, 8 Ca 1496/07<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig, Tel: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de; www.advo-gross.de<br />

139. Gegenstandswert, Beschlussverfahren, Einstellung,<br />

vorläufige personelle Maßnahme, §§ 99, 100 BetrVG<br />

1. Der Gegenstandswert für den Antrag des Arbeitgebers auf<br />

Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer Einstellung<br />

eines Leiharbeitnehmers gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG entspricht<br />

dem Entgelt, welches der Arbeitgeber für eine zweimonatige<br />

Leihe des betroffenen Arbeitnehmers aufzuwenden<br />

hat.<br />

2. Der Gegenstandswert für den Feststellungsantrag nach<br />

§ 100 Abs. 2 S. 3 BetrVG bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern<br />

entspricht dem Entgelt, welches der Arbeitgeber<br />

für eine zweimonatige Leihe des betroffenen Arbeitnehmers<br />

aufzuwenden hat.<br />

3. Eine Herabsetzung des Gegenstandswerts allein deshalb,<br />

weil gleichzeitig über eine Mehrzahl gleichartiger Fälle zu<br />

entscheiden ist, kommt regelmäßig nicht in Betracht.<br />

■ Landesarbeitsarbeitsgericht Hamburg<br />

vom 27.09.2007, 8 Ta 10/07 (vergleich auch LAG Hamburg,<br />

vom 18.04.2007 – 4 Ta 4/07)<br />

Anmerkung:<br />

Da Leihe nach § 598 BGB unentgeltliche Überlassung einer<br />

Sache zum Gebrauch ist, Arbeitnehmer aber sicherlich nicht<br />

unentgeltlich überlassen werden, schon gar nicht als Sache,<br />

sollte endlich der juristisch unzutreffende <strong>und</strong> inhumane<br />

Sprachgebrauch aufgegeben werden. (gr)<br />

140. Streitwert im Beschlussverfahren, Bestellung Vorsitzenden<br />

einer Einigungsstelle<br />

Entscheidungsgründe:<br />

Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes in einem Beschlussverfahren,<br />

wie dem vorliegenden Verfahren auf Bestellung<br />

eines Vorsitzenden einer Einigungsstelle, ist gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG der Regelwert von<br />

4.000,00 € maßgeblich, denn es handelte sich um eine nicht<br />

vermögensrechtliche Streitigkeit. Abweichungen nach der<br />

Lage des Falles können sich insbesondere aus dessen rechtlicher<br />

oder tatsächlicher Schwierigkeit sowie dem Arbeitsaufwand<br />

des Rechtsanwaltes ergeben. Der wirtschaftliche Wert<br />

der Angelegenheit bleibt dagegen unberücksichtigt.<br />

Nach diesen Gr<strong>und</strong>sätzen ist der zweifache Regelwert für das<br />

Verfahren als Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit an-<br />

156 02/08<br />

gemessen. Dies ergibt sich daraus, dass die Beteiligte zu 2.<br />

neben der Person des Einigungsstellenvorsitzenden in dem<br />

eingeleiteten Verfahren dann auch die Zuständigkeit der Einigungsstelle<br />

in Streit stellte. So waren zwei Streitgegenstände<br />

zu prüfen, einmal die Zuständigkeit der Einigungsstelle <strong>und</strong><br />

einmal der Vorsitzende der Einigungsstelle.<br />

Diese Umstände führen dazu, dass das Gericht den zweifachen<br />

Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG, mithin insgesamt<br />

8.000,00 € für angemessen hält.<br />

■ Arbeitsgericht Leipzig<br />

vom 06.03.2008, 9 BV 1/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig, Tel: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de; www.advo-gross.de<br />

141. Vergleich, Kostenverteilung<br />

Wird in einem Prozessvergleich eine Vereinbarung über die<br />

„Kosten des Rechtsstreits“ getroffen, wird damit gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

auch die Verteilung der Kosten eines einen Mehrwert ausweisenden<br />

Vergleichs geregelt.<br />

■ Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz<br />

vom 17.01.2008, 9 Ta 1/08<br />

142. Streitwert im Beschlussverfahren, Unterlassung Mitbestimmungsrechtsverletzung,<br />

einstweilige Verfügung<br />

Entscheidungsgründe:<br />

I. Der Gesamtbetriebsrat verlangt im einstweiligen Rechtsschutz<br />

von der Arbeitgeberin die Einführung <strong>und</strong> Anwendung<br />

der Telekommunikation X bis zu einer Einigung der Parteien<br />

oder einem Spruch der Einigungsstelle zu unterlassen.<br />

Der Gesamtbetriebsrat vertritt ca. 1.500 Beschäftigte in mehreren<br />

Betrieben. Es gibt am Standort Dresden eine Betriebsvereinbarung<br />

für die Telekommunikation <strong>und</strong> auch für die in<br />

Betrieb befindliche Telefonnebenstellenanlage.<br />

Gegen die Arbeitgeberin wurden weitere acht Beschlussverfahren,<br />

davon drei im einstweiligen Rechtsschutz <strong>und</strong> vier<br />

Hauptsacheverfahren anhängig gemacht. Diese Verfahren betrafen<br />

jeweils gleich gelagerte Sachverhalte zum Mitbestimmungsrecht<br />

nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Zwischen den Parteien<br />

ist außerdem ein Einigungsstellenbesetzungsverfahren<br />

anhängig.<br />

II. Vorliegend handelt es sich um eine nicht vermögensrechtliche<br />

Streitigkeit. Damit ist nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG der<br />

Gegenstandswert auf 4.000,00 €, nach Lage des Falles, aber<br />

auch niedriger oder höher festzusetzen. Maßgebend für die<br />

Höhe des Gegenstandswertes sind dabei Bedeutung, Umfang<br />

<strong>und</strong> Schwierigkeit der Sache (vgl. LAG Düsseldorf, 30.01.1986,<br />

7 Ta 127/<strong>85</strong>; 14.05.1990, 7 Ta 72/90). Der wirtschaftliche Wert<br />

der Angelegenheit bleibt dagegen unberücksichtigt.<br />

Es sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang<br />

<strong>und</strong> Bedeutung der Sache zu berücksichtigen. Hierzu gehören<br />

auch die wirtschaftlichen Auswirkungen des Rechtsstreits <strong>und</strong><br />

die rechtlichen <strong>und</strong> tatsächlichen Besonderheiten des Falls


(LAG Bremen, vom 19.07.2001, 4 Ta 33/01; LAG Berlin, vom<br />

21.10.2002, 17 Ta [Kost] 60<strong>85</strong>/03). Der Unterlassungsantrag<br />

beinhaltet die Änderung der Telekommunikation mittels X.<br />

Die Auswirkungen dieser Änderungen sind erheblich, denn<br />

die behauptete Verletzung der Mitbestimmungsrechte nach<br />

§ 87 BetrVG betrifft ca. 1.500 Arbeitnehmer. Damit ist ein<br />

hoher Grad der Verletzung streitgegenständlich. Außerdem<br />

liegt auf der Hand, dass eine Untersagung der Einführung<br />

<strong>und</strong> Anwendung des beabsichtigten Systems X erhebliche<br />

wirtschaftliche Auswirkungen auf die Arbeitgeberin haben<br />

dürfte.<br />

Demgegenüber haben der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit<br />

<strong>und</strong> die Schwierigkeit des Verfahrens eine untergeordnete<br />

Bedeutung (LAG Hamm, vom 10.10.2005, 10 TaBV 102/05);<br />

Hiernach sind die anderen Beschlussverfahren mit ähnlich<br />

gelagerten Sachverhalten nicht von Bedeutung, da sie andere<br />

Streitgegenstände betreffen. Dass diese möglicherweise einer<br />

gleichen rechtlichen Beurteilung unterliegen, kann hier nicht<br />

ausschlaggebend sein. Die Heranziehung des beabsichtigten<br />

Gegenstandswertes für das Einigungsstellenbesetzungsverfahren<br />

von 8.000,00 € ist hier nicht geboten, da es sich um<br />

einen völlig anderen Streitgegenstand (Zuständigkeit der<br />

Einigungsstelle, Person des Vorsitzenden <strong>und</strong> Anzahl der<br />

Rezensionen<br />

Hümmerich/Boecken/Düwell (Hrsg.)<br />

AnwaltKommentar Arbeitsrecht<br />

Deutscher Anwaltverlag, Bonn, 1. Aufl. 2008, 2 Bde., 4700<br />

Seiten, EUR 298,00<br />

ISBN 978-3-8240-0645-8<br />

Der im Deutschen Anwaltverlag in der bewährten Kommentarreihe<br />

erschienene „AnwaltKommentar Arbeitsrecht“ wendet<br />

sich ausweislich des Vorworts „in erster Linie an die Arbeitsrechtspraxis“.<br />

Er will den „auf dem Gebiet des Arbeitsrechts“<br />

tätigen Praktikern für ihre tägliche Arbeit eine umfassende<br />

<strong>und</strong> verlässliche Informationsquelle <strong>und</strong> Arbeitshilfe an<br />

die Hand geben. Diesem Anspruch wird das Werk schon in<br />

der ersten Auflage mehr als gerecht. Dafür stehen der Herausgeberkreis<br />

<strong>und</strong> der Autorenkreis. Im Herausgeberkreis sind<br />

mit dem – leider unmittelbar vor Redaktionsschluss verstorbenen<br />

– Anwaltskollegen Prof. Dr. Klaus Hümmerich, dem Hochschulprofessor<br />

Dr. Winfried Boecken <strong>und</strong> dem Vorsitzenden<br />

Richter am B<strong>und</strong>esarbeitsgericht Franz Josef Düwell die Anwaltspraxis,<br />

die Arbeitsgerichtsbarkeit <strong>und</strong> die Arbeitsrechts-<br />

02/08<br />

Rezensionen<br />

Beisitzer) handelt als im vorliegenden Verfahren (vgl. LAG<br />

Hamm, vom 05.11.2007, 10 Ta 609/07).<br />

Aus vorgenannten Gründen ist ein Gegenstandswert in Höhe<br />

des sechsfachen Regelstreitwertes von insgesamt 24.000,00 €<br />

angemessen.<br />

Dieser ist jedoch auf die Hälfte von 12.000,00 € herabzusetzen,<br />

da nur zeitweilig (bis zur Einigung oder einem Spruch)<br />

die Untersagung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes<br />

begehrt wird.<br />

■ Arbeitsgericht Dresden<br />

vom 12.02.2008, 11 BVGa 1/08<br />

eingereicht von Rechtsanwalt Roland Gross, Petersstraße 15,<br />

04109 Leipzig Tel.: 0341/984620, Fax: 0341/9846224<br />

leipzig@advo-gross.de, www.advo-gross.de<br />

143. Festsetzung, offensichtlich unbegründeter Einwand<br />

Ist ein materiell-rechtlicher Einwand gegen die Vergütungsfestsetzung<br />

offensichtlich unbegründet, bzw. offensichtlich<br />

vorgeschoben, um eine Zahlung der Vergütung zu verzögern,<br />

steht er einer Vergütungsfestsetzung nach § 11 Abs. 5 RVG<br />

nicht entgegen.<br />

■ Landesarbeitsgericht Berlin<br />

vom 04.09.2007, 17 Ta (Kost) 6181/07<br />

lehre sehr prominent <strong>und</strong> kompetent repräsentiert. Der Autorenkreis<br />

setzt sich aus einer großen Zahl namhafter Praktiker<br />

der freien Berufe, insbesondere des Anwaltsberufs, der<br />

Arbeitsgerichtsbarkeit, der Rechtslehre <strong>und</strong> der öffentlichen<br />

Verwaltung bzw. Ministerialbürokratie zusammen. Die größte<br />

Autorengruppe bilden die anwaltlichen Praktiker, gefolgt von<br />

den Richtern der Arbeitsgerichtsbarkeit der verschiedenen Instanzen.<br />

Obwohl die „Wucht“ der zu bearbeitenden Themenfelder zwei<br />

umfangreiche Bände mit insgesamt ca. 4.700 Druckseiten<br />

erfordert, ist es Herausgebern <strong>und</strong> Verlag gelungen, durch<br />

einen klaren Aufbau <strong>und</strong> durch eine praxisgerechte Optik<br />

dem Rechtsanwender einen schnellen Zugang zu allen einschlägigen<br />

Fragestellungen des Arbeitsrechts zu gewähren.<br />

Besonders hilfreich ist das angenehme Schriftbild mit wenigen<br />

aber prägnant eingesetzten Hervorhebungen <strong>und</strong> einem<br />

gut lesbaren Fußnotenapparat. Auf lange Klammer-Zitate<br />

im fließenden Text wird ebenso verzichtet wie auf unnötige<br />

Parallelf<strong>und</strong>stellen. Zitiert wird vielmehr überwiegend die<br />

einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung mit denje-<br />

157


Rezensionen<br />

nigen F<strong>und</strong>stellen, die dem arbeitsrechtlichen Praktiker üblicherweise<br />

zugänglich sind.<br />

Der Kommentar folgt in seinem Aufbau der alphabetischen<br />

Reihenfolge der kommentierten Gesetze <strong>und</strong> sonstigen<br />

Rechtsvorschriften. Die in der Paragraphenfolge dargestellte<br />

Kommentierung <strong>und</strong> die klare Gliederung innerhalb der<br />

einzelnen Kommentierungen erleichtern dem <strong>Leser</strong> den<br />

schnellen Zugang zu den einschlägigen Problemen.<br />

Besonders erfreulich ist die sehr vollständige Kommentierung<br />

der für den arbeitsrechtlichen Praktiker wichtigen Rechtsgebiete.<br />

Dabei werden auch – „über den Tellerrand schauend“ –<br />

Kommentierungen zu dem Arbeitsrecht benachbarten Themenbereichen<br />

angeboten. Zu nennen sind beispielsweise<br />

eine Kommentierung zum B<strong>und</strong>esdatenschutzgesetz, eine<br />

Kommentierung zu den in der arbeitsrechtlichen Praxis<br />

wichtigen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes <strong>und</strong><br />

insbesondere auch eine sehr überschaubar gegliederte<br />

Kommentierung der europarechtlichen Vorschriften mit<br />

arbeitsrechtlichem Einschlag (sowohl aus dem EG-Vertrag<br />

als auch aus wichtigen EWG-Richtlinien). Selbst Kommentierungen<br />

zum Kosten- <strong>und</strong> Gebührenrecht (GKG/RVG) <strong>und</strong><br />

zu verschiedenen Sozialgesetzbüchern finden sich in dem<br />

Werk ebenso wie eine Kommentierung zu den maßgeblichen<br />

Pfändungsvorschriften in der ZPO (§§ <strong>85</strong>0 ff. ZPO). Ferner<br />

wird unter der Rubrik „Länderberichte“ eine übersichtliche<br />

<strong>und</strong> prägnante Zusammenstellung wichtiger arbeitrechtlicher<br />

Vorschriften in den wichtigsten EG-Partnerländern angeboten.<br />

Auch die Gewichtung der verschiedenen Kommentierungsbereiche<br />

ist gelungen. So nehmen selbstverständlich die arbeitsrechtlichen<br />

Vorschriften des BGB, das Betriebsverfassungsgesetz,<br />

das TzBfG <strong>und</strong> ähnliche wichtige Arbeitsgesetze sehr<br />

große Teile der Kommentierung in Anspruch, während die gesetzlichen<br />

Vorschriften, die nur punktuell einen arbeitsrechtlichen<br />

Einschlag haben, in der gebotenen Kürze <strong>und</strong> Präzision<br />

bearbeitet werden, wie beispielsweise das Umwandlungsgesetz<br />

oder das Aktiengesetz <strong>und</strong> das HGB.<br />

Literaturverzeichnisse, Stichwortverzeichnis, Inhaltsverzeichnis<br />

<strong>und</strong> Abkürzungsverzeichnis bestätigen schon nach kurzem<br />

Gebrauch der beiden Bände die für den Verlag typische hohe<br />

Präzision <strong>und</strong> Qualität. Dass diese inhaltliche, technische<br />

<strong>und</strong> formelle Qualität schon in der ersten Auflage gelungen<br />

ist, lässt einerseits die Handschrift der Herausgeber erkennbar<br />

werden <strong>und</strong> belegt andererseits die hohe Professionalität aller<br />

Beteiligten. Das Werk kann dem arbeitsrechtlichen Praktiker<br />

nicht nur uneingeschränkt empfohlen werden, es ist ihm<br />

dringend nahe zu legen.<br />

Wolfgang Arens<br />

Rechtsanwalt <strong>und</strong> Notar<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht <strong>und</strong> Fachanwalt für Steuerrecht,<br />

Bielefeld<br />

158 02/08<br />

Bauer/Göpfert/Krieger<br />

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz<br />

Kommentar<br />

C.H.Beck Verlag, 2. Aufl., München 2008, 542 Seiten, EUR 48,00<br />

ISBN 978-3-406-569142<br />

Die von den Fachanwälten für Arbeitsrecht Jobst-Hubertus<br />

Bauer, Burkard Göpfert <strong>und</strong> Steffen Krieger verfasste Kommentierung<br />

ist mittlerweile in zweiter Auflage erschienen. Sie enthält<br />

– wie schon die erste Auflage – eine Erörterung des<br />

gesamten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), ist<br />

aber im Schwerpunkt als arbeitsrechtliches Werk zu verstehen,<br />

dass sich an alle diejenigen richtet, die sich in der Arbeitspraxis<br />

mit dem AGG befassen müssen, also an Richter, Rechtsanwälte,<br />

Personalabteilungen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften<br />

<strong>und</strong> Betriebsräte. Auch die Neuauflage enthält im<br />

Anhang neben den EU-Richtlinien, auf die das AGG zurückzuführen<br />

ist, die Gesetzesbegründung <strong>und</strong> einige ausgewählte<br />

Entscheidungen des EuGH <strong>und</strong> des BAG zu arbeitsrechtlichen<br />

Diskriminierungsfragen. Hervorzuheben ist, dass auch mittlerweile<br />

ergangene, neue Entscheidungen (z.B. Cadman <strong>und</strong><br />

Palacios) in das Werk aufgenommen wurden. Keinen Eingang<br />

in die Neuauflage hat dagegen die Kurzkommentierung des<br />

mit dem AGG verabschiedeten Soldatinnen- <strong>und</strong> Soldatengleichbehandlungsgesetz<br />

gef<strong>und</strong>en.<br />

Nach einer ausführlichen Einleitung, die das Europarecht<br />

streift <strong>und</strong> auch einen für die arbeitsrechtlich tätigen Juristen<br />

wichtigen Prüfungsaufbau enthält, befasst sich der Kommentar<br />

mit dem Allgemeinen Teil des AGG. Die Autoren führen<br />

schon dort umfangreiche arbeitsrechtliche Beispielsfälle ein.<br />

Die rein zivilrechtlichen Vorschriften des dritten Abschnitts<br />

des AGG werden für den mit diesem Rechtsgebiet sonst nicht<br />

befassten Arbeitsrechtler in verständlicher Form aufbereitet.<br />

Exzellent ist die Kommentierung des arbeitsrechtlichen Teils<br />

des AGG. Hier zeigt sich der Wert des Werkes für den Praktiker:<br />

Die Verfasser geben vielfältige prophylaktische Hinweise, die<br />

der Vermeidung <strong>und</strong> Verhinderung von Benachteiligungen<br />

<strong>und</strong> dem damit verb<strong>und</strong>enen Risiko von Schadensersatzansprüchen<br />

dienen. Sollte „das Kind allerdings bereits in den<br />

Brunnen gefallen sein“, so finden sich in dem Werk auch ausführliche<br />

Hilfestellungen prozessualer Natur, um evtl. Ansprüche<br />

aus dem AGG abzuwehren.<br />

Der Kommentar ist durch die der jeweiligen Einzelkommentierung<br />

vorangestellten Inhaltsübersicht klar gegliedert <strong>und</strong><br />

funktional. Er zeichnet sich überdies durch Aktualität aus.<br />

So wurde die neueste Rechtsprechung der Arbeitsgerichte,<br />

Landesarbeitsgerichte, des B<strong>und</strong>esarbeitsgerichts <strong>und</strong> des<br />

EuGH ebenso berücksichtigt, wie die Neuerscheinungen<br />

in der rechtswissenschaftlichen Literatur. Insgesamt ist das<br />

Werk wegen seines handlichen Umfangs, seiner Materialfülle<br />

<strong>und</strong> seiner praxisnahen Ausführungen, die durch ein gut<br />

strukturiertes Stichwortverzeichnis abger<strong>und</strong>et werden, sehr<br />

zu empfehlen.<br />

Thomas Zahn, LL.M.<br />

Rechtsanwalt, Berlin


Richardi<br />

Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung<br />

Verlag C. H. Beck, 11. Auflage 2008, 2387 Seiten, geb<strong>und</strong>en,<br />

EUR 152,00<br />

ISBN 978-3-406-55687-6<br />

In AE 1/08 haben wir den unter dem gleichen Hauptautor<br />

entstandenen Kommentar zum B<strong>und</strong>espersonalvertretungsgesetz<br />

besprochen <strong>und</strong> schon steht ein weiteres umfassendes<br />

Werk dieses hochgeschätzten Rechtslehrers zur Verfügung.<br />

Als Bearbeiter mitgewirkt haben Prof. Dr. Thüsing (Bonn)<br />

<strong>und</strong> der Kollege <strong>und</strong> Privatdozent Dr. Annuß, den Prof. Richardi<br />

im Vorwort mit offensichtlichem Stolz „mein Schüler“<br />

nennt, eine persönliche Beziehung, die bekanntlich auch den<br />

so Angesprochenen glücklich macht. Auch die Neuauflage des<br />

Betriebsverfassungsgesetzkommentares war in Ansehung der<br />

Veränderungen in Gesetzgebung <strong>und</strong> Rechtsprechung dringend<br />

notwendig <strong>und</strong> gibt den Stand per September 2007 wieder.<br />

Schwerpunkte der 11. Auflage sind die Auswirkungen des<br />

AGG auf die Betriebsverfassung, Berücksichtigung der 1-Euro-<br />

Jobber in der Betriebsverfassung, gemeinsamer Betrieb <strong>und</strong><br />

Betriebsteil in der Betriebsverfassung, Betriebsvereinbarung<br />

bei Betriebsübergang, Rechtsprechung zur Betriebsratsschulung,<br />

zu den Betriebsratswahlen sowie das Übergangsmandat<br />

<strong>und</strong> Restmandat. Natürlich handelt es sich um eine umfassende<br />

Darstellung, die keines der zum Betriebsverfassungsgesetz<br />

diskutierten Rechtsprobleme unbeachtet lässt, deutlich<br />

macht, wo man nachlesen kann, wer warum abweichende<br />

Meinungen vertritt. Beispielhaft sei erwähnt die Auffassung<br />

von Thüsing, der Betriebsrat könne während der Probezeit<br />

eines Arbeitsverhältnisses auf die Kündigungsanhörung verzichten.<br />

Obwohl das Werk überwiegend von Rechtslehrern verfasst<br />

wurde, ist es zwar umfangreich <strong>und</strong> umfassend aber nicht<br />

ausufernd <strong>und</strong> in der Argumentation leicht nachvollziehbar. In<br />

dieser Aktualität gehört der Richardi wieder zu den drei oder<br />

vier Standardwerken zum Betriebsverfassungsgesetz, die auch<br />

im Zeitalter der digitalisierten Recherche im Bücherregal eines<br />

Fachanwaltes für Arbeitsrecht nicht fehlen dürfen.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Lansnicker (Hrsg.)<br />

Prozesse in Arbeitssachen,<br />

Vertretung/Verfahren/Vollstreckung<br />

Nomos, 1. Auflage 2008, EUR 98,00<br />

ISBN 978-3-8329-2307-5<br />

Zu besprechen ist kein Handbuch des Arbeitsrechts, mit dem<br />

interessierten Rechtsanwendern prägnant das Fachgebiet für<br />

die schnelle Anwendung erläutert wird; auch nicht ein Prozessformularbuch<br />

das, wenn es gut gelungen ist, dem Anwender<br />

das eigenständige Formulieren abgewöhnen kann –<br />

02/08<br />

Rezensionen<br />

<strong>und</strong> doch enthält das zu besprechende Werk aus der Reihe<br />

NomosProzessHandbuch von beidem das Gute.<br />

Sechs profilierte Fachanwälte für Arbeitsrecht, alle Mitglieder<br />

der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV, <strong>und</strong> ein erfahrener<br />

Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht haben sich<br />

in 10 Kapiteln an eine umfassende Erläuterung <strong>und</strong> Handlungsanleitung<br />

zu „Prozessen in Arbeitsachen“ gemacht. Dabei<br />

wurde ein durchaus weites Prozessverständnis an den Tag<br />

gelegt, nicht nur weil die ersten 50 Textseiten/ Kapitel 1 die<br />

vorgerichtliche Vertretung betreffen, sondern weil auch stets<br />

ein Blick auf die „außergerichtliche“ Vertretung des Mandanten<br />

parallel zum Verfahren geworfen wird.<br />

Das arbeitsgerichtliche Verfahren wird in allen drei Instanzen<br />

dargestellt, aber auch hinsichtlich außerordentlicher Rechtsbehelfe,<br />

wie Anhörungsrüge, Verfassungsbeschwerde, Verfahren<br />

vor dem Europäischen Gerichtshof <strong>und</strong> Verfahren vor dem<br />

Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Schwerpunktmäßig<br />

fokussiert wird das individualrechtliche Verfahren, aber<br />

dennoch auch das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren sowohl<br />

in der Hauptsache wie der einstweiligen Verfügung nicht<br />

nur in Gr<strong>und</strong>zügen dargestellt. Den Rahmen des schon so<br />

knapp 1000 Seiten starken Bandes hätte es aber sicherlich<br />

gesprengt, wenn in gleicher Weise wie zu den individualrechtlichen<br />

Ansprüchen auch die materiellrechtlichen Ansprüche in<br />

den kollektivrechtlichen Verfahren behandelt worden wären.<br />

Es sei beispielhaft für die Gründlichkeit, mit der die Autoren<br />

gearbeitet haben, erwähnt, dass die erforderliche Beschlussfassung<br />

von Betriebsräten zur Einleitung <strong>und</strong> zum Betreiben<br />

von Beschlussverfahren prägnant dargestellt wird. Die Verfasser<br />

sind praxisorientiert <strong>und</strong> beziehen sich deshalb durchweg<br />

auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, sodass zu der angeführten<br />

Frage erwähnt wird, ein für den Betriebsrat gestellter<br />

Antrag sei als unzulässig abzuweisen, wenn die Einleitung<br />

des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens <strong>und</strong> die Beauftragung<br />

eines Rechtsanwalts nicht auf einem ordnungsgemäßen<br />

Beschluss des Betriebsrats beruht. Soweit der Betriebsrat,<br />

im erstinstanzlichen Verfahren, sich selbst vertreten kann,<br />

dürfte das B<strong>und</strong>esarbeitsgericht sich mit seiner Annahme der<br />

Unzulässigkeit irren. Beruht die Anwaltsbeauftragung nicht<br />

auf einem ordnungsgemäßen Beschluss, ist möglicherweise<br />

die Kostenerstattung nach § 40 Abs. 1 BetrVG nicht gesichert.<br />

Der wissenschaftliche Disput, auch nur die Auseinandersetzung<br />

mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, muss in<br />

der praxisorientierten Handlungsanleitung aber unterbleiben.<br />

Jedoch der Verweis auf die Hinweispflicht des Gerichts, das<br />

dem Betriebsrat eine Nachbesserung seiner Beschlusslage ermöglichen<br />

muss, hilft dem Praktiker über die Klippe.<br />

Gelungen <strong>und</strong> faszinierend prägnant – bei einer doch fast<br />

schon unüberschaubaren Materie – ist die im Kontext vorgenommene<br />

Kommentierung zum Betriebsübergang nach<br />

§ 613a BGB <strong>und</strong> zur Betriebsänderung nach § 111 ff. BetrVG<br />

im vorletzten Kapitel (§ 9 die Betriebsänderung, kommentiert<br />

von Fleddermann auf Seiten 825 – 878).<br />

Die Texte werden, im Wortsinne „mustergültig“, abger<strong>und</strong>et<br />

durch übersichtlich gehaltene <strong>und</strong> sympathisch knappe Musterformulierungen,<br />

nicht zu allem <strong>und</strong> jedem, sondern nur<br />

159


Rezensionen<br />

da, wo man tatsächlich in Zweifel geraten könnte. Dies verleiht<br />

Sicherheit <strong>und</strong> stärkt den Mut zu eigenem „Experimentieren“<br />

in der Antragstellung. An keiner Stelle entsteht die<br />

Aufdringlichkeit eines formularmäßigen Korsetts.<br />

Zitiert wird die neuere höchstrichterliche, wenn nicht vorhanden<br />

obergerichtliche Rechtsprechung <strong>und</strong> sehr dosiert Kommentarliteratur.<br />

Ein sehr umfangreiches <strong>und</strong> fein gegliedertes<br />

Stichwortverzeichnis r<strong>und</strong>en das Werk ab.<br />

Erfreulich sind auch das Schriftbild <strong>und</strong> die Seitenuntergliederung.<br />

Bei Werken mit umfassendem Anspruch zur Bearbeitung<br />

des gesamten Arbeitsrechts ist man es ansonsten schon fast<br />

gewohnt, über das Nachlassen der eigenen Sehkraft nachzudenken,<br />

wenn die Schrift immer kleiner <strong>und</strong> das Papier immer<br />

dünner wird. Hier werden die Inhalte sehr gefällig präsentiert.<br />

Der Rezensent räumt ein, dass er mit dem Titel anfänglich<br />

nicht viel hat anfangen können; eine Kaufentscheidung wäre<br />

durch den Titel nicht ausgelöst worden. Jedoch wurde der<br />

hohe Anspruch, der insbesondere auch mit dem Untertitel<br />

„Vertretung/Verfahren/Vollstreckung“ formuliert wurde, eingehalten.<br />

Es kann somit zuversichtlich die Begründung eines<br />

neuen Standardwerks, dem „Lansnicker“, verkündet werden.<br />

„Prozesse in Arbeitssachen“ ist unaufdringlich hilfreich für den<br />

erfahrenen Praktiker <strong>und</strong> sicherlich auch für den <strong>Kollegen</strong>, der<br />

sich in einer arbeitsrechtlichen Detailfrage auf für ihn sonst<br />

eher fremdes Terrain vorwagt.<br />

Roland Gross<br />

Rechtsanwalt <strong>und</strong> Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />

Kittner/Däubler/Zwanziger (Hrsg.)<br />

Kündigungsschutzrecht<br />

B<strong>und</strong>-Verlag, 7. Auflage 2008, 2503 Seiten, geb<strong>und</strong>en,<br />

EUR 189,00<br />

ISBN 978-3-7663-3706-1<br />

Auch hier handelt es sich um enorm produktive Autoren, haben<br />

doch Däubler/Kittner schon einen Monat nach dem hier<br />

zu besprechenden Werk die 11. Auflage des Betriebsverfassungsgesetzkommentars<br />

im Oktober 2007 vollendet.<br />

Der Umfang des Werkes lässt es bereits erwarten, hier geht es<br />

entsprechend dem Untertitel nicht nur um das Kündigungsschutzgesetz,<br />

sondern auch um andere Formen der Beendigung<br />

von Arbeitsverhältnissen. In einer fast 250 Seiten umfassenden<br />

Einleitung werden u. a. die Themen Abmahnung, Wiedereinstellungsanspruch,<br />

sozialrechtliche Folgen der Beendigung<br />

des Arbeitsverhältnisses <strong>und</strong> ausländisches Kündigungsschutzrecht<br />

erläutert. Sie endet mit einem Beitrag „Rechtspolitische<br />

Diskussion“ von Däubler, in dem er seine bekannten<br />

rechtspolitischen Thesen ausbreitet <strong>und</strong> die Behauptung aufstellt,<br />

geringer Kündigungsschutz sei ein Standortnachteil <strong>und</strong><br />

damit einen Begriff für die Arbeitnehmerseite ursurpiert, der<br />

bisher von der Wirtschaft in Anspruch genommen wurde.<br />

In der folgenden Kommentierung der Kündigungsschutzvorschriften<br />

nimmt natürlich das Kündigungsschutzgesetz<br />

160 02/08<br />

selbst mit über 400 Seiten einen herausragenden Teil ein,<br />

aber es werden auch eine Vielzahl sonstiger Vorschriften<br />

auf ihre kündigungsschutzrechtliche Relevanz abgeklopft,<br />

vom Abgeordnetengesetz bis zum Zivilschutzgesetz, vom<br />

Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz über das BGB, das Katastrophenschutzerweiterungsgesetz,<br />

die Sozialgesetzbücher<br />

bis zum (vom Professor erstaunlich kritikarm kommentierten)<br />

Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Allein die Kenntnisnahme,<br />

in welchen Vorschriften sich alle kündigungsschutzrelevante<br />

Regelungen befinden, worin diese liegen <strong>und</strong> wie sie sich auswirken,<br />

macht das Buch zu einer hochwirksamen Arbeitshilfe.<br />

Das es aus der Sicht der Arbeitnehmervertreter geschrieben<br />

ist, schränkt den Wert nicht ein. Einerseits überrascht es<br />

niemanden, andererseits zeigt es dem Arbeitnehmervertreter,<br />

wie weit er äußerstenfalls argumentieren kann, dem Arbeitgebervertreter,<br />

womit er im Prozess äußerstenfalls zu rechnen<br />

hat. Erfreulich ist in jedem Fall der umgesetzte Anspruch der<br />

Vollständigkeit. Selbst in Kommentaren <strong>und</strong> Handbüchern,<br />

die eher aus einer rechtspolitisch anderen Sicht geschrieben<br />

sind, findet man manchmal für die Arbeitgeberseite positive<br />

Entscheidungen nicht, die im Däubler/Kittner/Zwanziger<br />

kritisch besprochen <strong>und</strong> dadurch bekannt gemacht werden.<br />

Natürlich vertritt Kittner anders als Thüsing die Auffassung,<br />

weder der Betriebsrat noch ein Arbeitnehmer könnten unter<br />

irgendwelchen Umständen auf die Kündigungsanhörung verzichten.<br />

Er meint, eine Notwendigkeit ergebe sich mit Rücksicht<br />

auf die Regelung der Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast im<br />

Prozess ohnehin nicht. Der Arbeitnehmer könne ja auf eine<br />

entsprechende Rüge verzichten. Diese Erkenntnis würde der<br />

Unterzeichner gern vielen Arbeitsrichtern ans Herz legen, die<br />

ohne einen Anlass aus dem klägerischen Vortrag dem Arbeitgeber<br />

auferlegen, zur Betriebsratsanhörung vorzutragen.<br />

Zu überzeugen vermag das Argument von Kittner allerdings<br />

nicht. Es berücksichtigt nicht die Motivlage der Arbeitnehmer,<br />

die eben nicht wollen, dass der Vorgang dem Betriebsrat überhaupt<br />

oder jedenfalls nicht im Detail bekanntgegeben wird.<br />

Zu Recht rühmt der Verlag nicht nur die Aktualität des Werkes,<br />

sondern auch die Einbindung prozessualer Fragen. Das gilt bis<br />

hin zu Streitwertregelungen (vornehmlich in der Einleitung).<br />

Insgesamt gilt auch für dieses Werk: Es gehört zum Standardinventar<br />

jeder Arbeitsrechtsbibliothek.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

Henssler/Braun (Hrsg.)<br />

Arbeitsrecht in Europa<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln, 2. neubearbeitete Auflage 2007,<br />

1669 Seiten, Lexikonformat, geb., EUR 169,00<br />

ISBN 978-3-504-42665-1<br />

Welchen Einfluss nimmt das europäische Recht auf das deutsche<br />

Arbeitsrecht? Diese Frage stellt zunehmend einen gewichtigen<br />

Teil der anwaltlichen Prüfungsaufgabe dar. Aber


wem dient die Kenntnis davon, wie das Arbeitsrecht in den<br />

anderen Ländern der europäischen Gemeinschaft ferner in<br />

der Schweiz, in der Türkei <strong>und</strong> in Russland gestaltet ist? Natürlich<br />

in erster Linie den Anwälten, deren Mandanten eine<br />

Investition im Ausland planen <strong>und</strong> dabei die Vor- <strong>und</strong> Nachteile<br />

der jeweiligen Rechtsordnungen prüfen. Dabei spielt als<br />

Standortvor- oder nachteil das Arbeitsrecht eine wesentliche<br />

Rolle. Zu diesen potentiellen Investoren gehören schon seit<br />

langem nicht nur die Großunternehmen, sondern auch die<br />

mittelständische Wirtschaft, die eine große Zahl von Anwälten<br />

mandatiert, die von dem Handbuch „Arbeitsrecht in Europa“<br />

profitieren können. Und dabei geht es nicht nur um<br />

die Investitionsentscheidung, sondern auch um unternehmerische<br />

Entscheidungen während oder zum Ende des Betriebes.<br />

Solche Entscheidungen werden mindestens im Gr<strong>und</strong>satz<br />

im Land des Investors getroffen. Deswegen muss auch der<br />

Anwalt in Deutschland mindestens in groben Zügen seinen<br />

Auftraggeber hinsichtlich der im Ausland wirkenden unternehmerischen<br />

Entscheidungen beraten können.<br />

Aber auch bei der Lösung inländischer Rechtsfragen können<br />

aus der Handhabung des europäischen Arbeitsrechts in den<br />

anderen europäischen Ländern wertvolle Argumentationshilfen<br />

gewonnen werden. Immer wieder wird in Literatur <strong>und</strong><br />

Rechtsprechung von einem angeblichen gemeinsamen europäischen<br />

Verständnis bestimmter sozialer Fragen gesprochen<br />

<strong>und</strong> dieses angeblich gleiche Verständnis als Argument bei<br />

inländischen Entscheidung genutzt. Außerdem ist der deutsche<br />

Anwalt in seinem Rechtsverständnis gefangen <strong>und</strong> dadurch<br />

in seiner Kreativität eingeschränkt. Der Blick in die Arbeitsrechtssysteme<br />

unserer europäischen Nachbarn kann uns<br />

dabei zeigen, dass auch andere Lösungen gerecht sein können<br />

oder aber scheinbar besonders soziale Einzelregelungen<br />

im Gesamtsystem des jeweiligen Landes sich doch nicht als<br />

Vorbild eignen.<br />

Den Zugriff zu all diesen Gedanken ermöglicht im „Arbeitsrecht<br />

in Europa“ neben dem Beitrag zum Arbeitsrecht in der<br />

europäischen Union allgemein <strong>und</strong> der Darstellung des deutschen<br />

internationalen Privatrechts des Arbeitsrechts vor allem<br />

die weitgehend einer einheitlichen Gliederung folgenden<br />

Länderbeiträge mit einer Einleitung, der Darstellung des individuellen<br />

<strong>und</strong> des kollektiven Arbeitsrechts, des Verfahrensrechts<br />

sowie der Umsetzung des EU-Rechts (soweit anwendbar)<br />

in die jeweilige Rechtsordnung. Dabei sind die Länderbeiträge<br />

von Fachleuten des jeweiligen Berichtsstaates gefertigt,<br />

was für Authentizität sorgt.<br />

Neben der Aktualisierung dient die 2. Auflage der Aufnahme<br />

der Darstellung des Arbeitsrechts in Estland, Finnland, Luxemburg,<br />

der Slowakei <strong>und</strong> der Türkei sowie Kurzbeiträgen<br />

zu Lettland <strong>und</strong> Litauen. Außerdem wurde ein Beitrag zum<br />

Sozialversicherungsrecht bei grenzüberschreitender Tätigkeit<br />

deutscher Arbeitnehmer aufgenommen, bei der zunehmenden<br />

Wanderbewegung in Europa sicherlich ein weiterer Vorteil<br />

dieses Werkes von allgemeinem Interesse.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

02/08<br />

Rezensionen<br />

Deutsches Arbeitsrecht auf englisch<br />

Stefan Lingemann, Robert von Steinau-Steinrück, Anja Mengel<br />

(Hrsg.)<br />

Employment & Labor Law in Germany<br />

Verlag C. H. Beck , 2. Auflage 2008, 590 Seiten geb<strong>und</strong>en, EUR<br />

98,00<br />

ISBN 978-3-406-53929-9<br />

Eine deutsche Überschriftszeile vor dem eigentlichen Buchtitel<br />

hat der Unterzeichner gewählt, um Ihnen gleich den<br />

großen Vorteil dieses wichtigen Werkes kenntlich zu machen.<br />

Wohl jeder Anwalt <strong>und</strong> beileibe nicht nur die Mitglieder der<br />

mittleren <strong>und</strong> großen Kanzleien stand wohl schon vor der<br />

Aufgabe, einem nicht oder nicht ausreichend deutsch sprechenden<br />

Mandanten Probleme des deutschen Arbeitsrechts<br />

erklären zu müssen, d.h. in der Regel in englischer Sprache.<br />

Abgesehen von denen, die während ihrer Ausbildung einen<br />

langfristigen Auslandsaufenthalt in einem englischsprachigen<br />

Land genießen durften oder gar den LL.M. absolviert haben,<br />

beschränken sich unsere Englischkenntnisse in der Regel auf<br />

eine leidliche Umgangssprache <strong>und</strong> sicher ist uns auch der<br />

eine oder andere Fachbegriff bekannt, aber so richtig schlüssig<br />

gehen uns die Erläuterungen denn doch nicht von der<br />

Zunge. So manche Phrase des selbstübersetzten Fachchinesisch<br />

(sprich Deutsch) dürfte unserem Gesprächspartner nur<br />

schwer verständlich sein oder mindestens unbeholfen klingen.<br />

In dieser Situation ist das vorgelegte Werk eine enorme Hilfe.<br />

Sie können Ihrem Auftraggeber, wenn Sie sich auf das Gespräch<br />

mit dem „Employment & Labor Law in Germany“ vorbereitet<br />

haben, flüssig <strong>und</strong> exakt die deutschen Regelungen<br />

erklären. Für die schriftliche Ausarbeitung sparen Sie sich das<br />

mühsame Blättern im Sprachlexikon. Hier ist alles perfekt vorbereitet.<br />

Das geht in der aktualisierten <strong>und</strong> natürlich auch erweiterten<br />

2. Auflage so weit, dass zahlreiche Gesetzestexte in<br />

beiden Sprachen synoptisch gegenübergestellt werden, auch<br />

insoweit also dem Klienten mühelos an die Hand gegeben<br />

werden können.<br />

Gewarnt sei davor, sich lediglich in einer Bibliothek die 10 Seiten<br />

englisch/deutsch <strong>und</strong> deutsch/englisch lexikalisch übersetzten<br />

Schlüsselworte zu kopieren. Abgesehen davon, dass<br />

das natürlich nicht umfassend sein kann (Sie finden dort weder<br />

den Begriff Verzicht noch Vergleich), ist es zwar bei einem<br />

Blick in letzter Sek<strong>und</strong>e schön zu wissen, das dringende<br />

betriebliche Erfordernisse „Compelling Operational Requirements“<br />

heißen, aber zur Darstellung dessen, was das inhaltlich<br />

bedeutet, sollten Sie sich dem Werk insgesamt anvertrauen.<br />

Dr. Hans-Georg Meier<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Berlin<br />

161


Stichwortverzeichnis<br />

Stichwortverzeichnis<br />

(Zahlenangaben sind lfd. Nummern der Entscheidungen)<br />

Abfindung<br />

Sozialversicherung – 119<br />

Steuerberechnung durch Arbeitgeber – 111<br />

AGB<br />

Befristung Arbeitszeitumfang – 67<br />

Bezugnahmeklausel – 69<br />

Transparenzgebot – 69, 111<br />

Verfallfrist – 64, 69<br />

Abmahnung<br />

Bestimmtheitsgebot – 73, 114<br />

Erklärungswille – 114<br />

Altersteilzeit<br />

Anspruch auf – 98<br />

ATZ-Modell – 100<br />

Rückwirkende Begründung – 100<br />

Aktivlegitimation<br />

Verbraucherinsolvenz – 117<br />

Änderungskündigung<br />

Änderung des Arbeitszeitvolumens – 81<br />

zur Kosteneinsparung – 75<br />

Annahmeverzug<br />

Bemessungsgr<strong>und</strong>lage – 102<br />

Steuerschaden – 64<br />

Arbeitnehmerstatus<br />

Rechtsweg – siehe dort<br />

treuwidriges Berufen – 105<br />

Arbeitsvertrag<br />

Befristung – siehe dort<br />

Ehegatten – 72<br />

Formularvertrag – 69<br />

Günstigkeitsvergleich – 65<br />

Scheinvertrag – 72<br />

Arbeitszeit<br />

Aufstockungsanspruch – 67<br />

Befristung – 67<br />

Auslegung<br />

Anträge an Betriebsrat – 83, 94<br />

Prozessvergleich – 111, 141<br />

Tarifvertrag – 96, 99, 101<br />

Ausschlussfrist<br />

Geltendmachung – 64<br />

unwirksame – 64<br />

Vereinbarung, tarifliche – 69<br />

vertragliche Verfallklausel – 64, 69<br />

Außerordentliche Kündigung<br />

Frist des § 626 Abs. 2 BGB – 70<br />

Schwerbehinderter – 77<br />

tarifliche Unkündbarkeit – 77<br />

Aussetzung<br />

Einigungsstelleneinsetzung – 82<br />

AVR-DW/EKD<br />

Anhörung § 7 – 97<br />

Auslegung – 97<br />

Befangenheitsantrag<br />

rechtliches Gehör – 103<br />

Rechtsmittel – 103<br />

Befristung des Arbeitsverhältnisses<br />

Schriftform – 68<br />

162 02/08<br />

Beschlussverfahren<br />

Antragsauslegung – 94<br />

Antragsbefugnis – 94<br />

Betriebsrat<br />

Anhörung zur Kündigung – 80<br />

Auskunftsanspruch – 90<br />

Auslegung von Arbeitgeberanträgen – 83<br />

Personalstatistik – 90<br />

Schulung – siehe Betriebsratsschulung<br />

Betriebsrat/personelle Mitbestimmung<br />

fehlerhafte Unterrichtung – 80, 83<br />

Betriebsratsmitglied<br />

außerordentliche Kündigung – 70<br />

Betriebsratsschulung<br />

Spielsucht – 93<br />

Strafrecht – 91<br />

Betriebsratswahl<br />

Wahlbehinderung – 87<br />

Betriebsvereinbarung<br />

Günstigkeitsvergleich – 65<br />

Bruttovergütung<br />

Steuereinbehalt – 111<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast<br />

Geltungsbereich KSchG – 76<br />

Mobbing – 109<br />

Dienstvertrag<br />

Abgrenzung – 118<br />

Direktionsrecht<br />

Arbeitsort – 97<br />

einstweilige Verfügung – 97<br />

Diskriminierung<br />

Altersdiskriminierung – 92, 108, 112<br />

Bewerber – 63, 110<br />

Entschädigungsanspruch – 110<br />

Gleichbehandlung – siehe dort<br />

Passivlegitimation – 63<br />

Personalvermittler – 63<br />

Eigenkündigung<br />

Sozialplan – 88<br />

Eingruppierung<br />

konstitutive Vereinbarung – 95<br />

Maßstab vertragliche Tätigkeit – 95<br />

Pflegehelfer – 95<br />

Stationshelfer – 95<br />

Eingruppierungsklage<br />

Antragsauslegung – 95<br />

Einigungsstelle<br />

Einsetzungsverfahren – 82<br />

offensichtliche Unzuständigkeit – 84, <strong>85</strong><br />

Vermittlung BAA – 82<br />

Einstweilige Verfügung<br />

Urlaub – 62<br />

Elternzeit<br />

dringender betrieblicher Gr<strong>und</strong> – 116<br />

Geltendmachung – 116<br />

Urlaubsanspruch – 115<br />

Familienversicherung<br />

Abfindung – 119


Feststellungsklage<br />

Sozialversicherungspflicht – 120<br />

Steuerschaden bei Zahlungsverzug – 64<br />

Freistellung<br />

Sozialversicherungspflicht – 120<br />

Geschäftsführer<br />

Funktionsbezeichnung – 71<br />

Gleichbehandlung<br />

Altersdiskriminierung – 92, 108, 112<br />

Bewerber – 63, 110<br />

Entschädigungsanspruch – 110<br />

Passivlegitimation – 63<br />

Personalvermittler – 63<br />

Sozialplan – 92, 108<br />

Günstigkeitsvergleich –65<br />

Kirchlich-diakonische Vertragsordnung<br />

Einbeziehung – 95<br />

Eingruppierung – 95<br />

Konzern<br />

Kündigungsschutz – 74<br />

Kostenfestsetzung<br />

unbeachtliche Einwendungen – 143<br />

Kostenvereinbarung<br />

Auslegung – 141<br />

Krankheitsbedingte Kündigung<br />

außerordentliche Kündigung – 77<br />

negative Prognose – 77<br />

Schwerbehinderte – 77<br />

Kündigungserklärung<br />

Zugang – 79<br />

Zurückweisung mangels Vollmacht – 71<br />

Kündigungsfrist<br />

Altersdiskriminierung – 111<br />

Massenentlassungsanzeige – 78<br />

Kündigungsschutz<br />

Konzern – 74<br />

Kündigungsschutzgesetz<br />

Kleinbetriebsklausel – 76<br />

Massenentlassungsanzeige<br />

Sperrfrist, Wirkung – 78<br />

Mitbestimmung des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten<br />

Kündigungsanhörung – 80<br />

Versetzung – 83<br />

Mitwirkung des Personalrates<br />

Schulschließung – 86<br />

Mobbing<br />

Begriffsbestimmung – 109<br />

Darlegungs- <strong>und</strong> Beweislast – 109<br />

Örtliche Zuständigkeit<br />

auswärtige Baustelle – 107<br />

Erfüllungsort – 107<br />

Passivrubrum<br />

Berichtigung – 117<br />

gewillkürter Parteiwechsel – 117<br />

Personalakte<br />

Vertraulichkeit – 89<br />

Personalgespräch<br />

Anwesenheit BR – 89<br />

Personalrat<br />

Mitwirkung bei Schulschließung – 86<br />

Personenbedingte Kündigung<br />

krankheitsbedingte Kündigung – siehe dort<br />

Stichwortverzeichnis<br />

Persönlichkeitsrecht<br />

Teilnehmer Personalgespräch – 88<br />

Prozessvergleich<br />

Auslegung – 111, 141<br />

Rechtliches Gehör<br />

Stellungnahmerecht – 103<br />

Rechtsmissbrauch<br />

Statusverfahren – 105<br />

Rechtsweg<br />

treuwidriges Berufen – 105<br />

UWG – 113<br />

Rufbereitschaft<br />

Vergütung TVöD – 101<br />

Scheinvertrag –72<br />

Schriftform<br />

Befristung Arbeitsvertrag – 68<br />

Verzicht – 68<br />

Zugang – 68<br />

Schwerbehinderte<br />

Beschäftigungspflicht, gesteigerte – 77<br />

Bewerbung – 104<br />

Sozialplan<br />

Altersdiskriminierung – 92, 108<br />

Eigenkündigung – 88<br />

Sozialversicherungspflicht<br />

Abgrenzung Beitrags- <strong>und</strong> Leistungsrecht – 120<br />

Freistellung – 120<br />

Steuern<br />

als Schaden – 64<br />

Streitwert<br />

Änderungskündigungsschutzklage – 124, 138<br />

Beschäftigungsanspruch – 1335<br />

Beschlussverfahren – siehe dort<br />

Eingruppierung – 121<br />

Entfristungsklage – 128<br />

Kündigungsschutzverfahren – siehe dort<br />

Weiterbeschäftigungsanspruch – 125<br />

Wettbewerbsverbot, nachvertragliches – 136<br />

Streitwert im Beschlussverfahren<br />

Betriebsvereinbarung, Abschlusspflicht – 131<br />

Eingruppierung – 130, 137<br />

Einigungsstelle, Einsetzungsverfahren – 140<br />

Einstellung Leiharbeitnehmer – 139<br />

einstweilige Verfügung auf Unterlassung – 132, 142<br />

mehrere betroffene Arbeitnehmer – 130, 132, 139, 142<br />

Personalvertretungsrecht – 133<br />

Unterlassung Mitbestimmungsverstöße – 132, 142<br />

vorläufige Maßnahme – 139<br />

Streitwert im Kündigungsschutzverfahren<br />

allgemeiner Feststellungsantrag – 122<br />

Änderungskündigung – siehe Streitwert (der Änderungskündigungsschutzklage)<br />

Entfristungsklage neben Kündigungsschutzklage – 128<br />

Freistellung – 122<br />

Hilfsantrag – 128<br />

Integrationsamt, Antragsrücknahme – 122<br />

Kurze Vertragsdauer – 129<br />

Vergleichsmehrwert – 122, 126<br />

Vergütungsansprüche neben – 123, 127, 134<br />

Streitwertentscheidung<br />

Rechtsmittelverzicht – 125<br />

Tarifvertrag<br />

Auslegung – 96, 99<br />

02/08<br />

163


Impressum<br />

einzelvertragliche Abmachung – 69<br />

Tarifvertrag – DRK<br />

Kündigung BAT – 99<br />

Tarifvertrag TVöD<br />

Rufbereitschaft – 101<br />

Treu <strong>und</strong> Glauben<br />

treuwidrige Geltendmachung – 105<br />

Unlauterer Wettbewerb<br />

Rechtsweg – 113<br />

Urlaubsanspruch<br />

Elternzeit – 115<br />

Urlaubsgewährung<br />

einstweilige Verfügung – 62<br />

Vergleichswert<br />

Streit/Ungewissheit – 126, 127<br />

Verhaltensbedingte Kündigung<br />

Betriebsratsanhörung – 80<br />

Zerrüttung der Ehe – 72<br />

Weiterbeschäftigung<br />

unzumutbar – 70<br />

Impressum<br />

AE-Arbeitsrechtliche Entscheidungen<br />

Herausgeber, Chefredaktion- <strong>und</strong> Anschrift:<br />

Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Meier<br />

Budapester Straße 40<br />

10787 Berlin<br />

Telefon (030) 25 45 91 55<br />

Telefax (030) 25 45 91 66<br />

E–Mail: m.bendel@advocati.de<br />

Redakteur:<br />

Rechtsanwalt Roland Gross<br />

Petersstr. 15<br />

04105 Leipzig<br />

Telefon (0341) 984 62-0<br />

Fax (0341) 984 62-24<br />

E–Mail: leipzig@eisenbeis-reinhardt.de;<br />

www.eisenbeis-reinhardt.de<br />

<strong>und</strong> die Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DeutschenAnwaltverein<br />

(Adresse s. unten)<br />

Geschäftsführender Ausschuss:<br />

Dr. Jobst-Hubertus Bauer (Vors.)<br />

Geschäftsstelle:<br />

c/o Dr. Johannes Schipp<br />

Münsterstraße 21<br />

33330 Gütersloh<br />

Telefon (0 52 41) 90 33-0<br />

Telefax (0 52 41) 1 48 59<br />

Deutscher AnwaltVerein<br />

Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht<br />

Geschäftsstelle<br />

Dr. Katharina Freytag<br />

Littenstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

Telefon (030) 72 61 52-0, Sekr. 134<br />

Telefax (030) 72 61 52-195<br />

164 02/08<br />

Verlag:<br />

Deutscher AnwaltVerlag<br />

Wachsbleiche 7<br />

53111 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 19 11-0<br />

Telefax: (0228) 9 19 11-23<br />

E–Mail: kontakt@anwaltverlag.de<br />

Anzeigen<br />

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Bettina Roos<br />

Siegburger Str. 123<br />

53229 Bonn<br />

Telefon: (0228) 9 78 98-0<br />

Telefax: (0228) 9 78 98-20<br />

E–Mail: roos@sales-friendly.de<br />

Gültig ist die Preisliste Nr. 4 vom 1.1.2007<br />

Lektorat<br />

Anne Krauss<br />

Satz<br />

Cicero Computer GmbH, 53225 Bonn<br />

Druck<br />

Hans Soldan Druck GmbH, 45356 Essen<br />

Erscheinungsweise<br />

Die AE erscheint vierteljährlich<br />

Bezugspreise 2008<br />

Inland € 92,– (zzgl. Versand)<br />

Einzelheft € 23,– (zzgl. Versand)<br />

Alle Preise verstehen sich inkl. Mehrwertsteuer. Der Abonnementpreis<br />

wird im Voraus in Rechnung gestellt.<br />

Das Abonnement verlängert sich zu den jeweils gültigen Bedingungen<br />

um ein Jahr, wenn es nicht 8 Wochen vor Ablauf des Bezugsjahres<br />

gekündigt wird.<br />

Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

Schwerbehinderter – 77<br />

Werkvertrag<br />

Abgrenzung – 118<br />

Abnahme – 118<br />

Willenserklärung<br />

Auslegung – 83<br />

Zugang – 68, 79<br />

Zeugnis<br />

Rügeverlust – 118<br />

Zielvereinbarung<br />

unterlassene – 66<br />

Zurückweisung der Kündigungserklärung<br />

mangels Vollmacht – 71<br />

Zuständigkeit des Arbeitsgerichts<br />

örtliche –<br />

siehe dort<br />

Zwangsvollstreckung<br />

Einstellung – 106, 111<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsrecht erhalten die<br />

AE im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Urheber- <strong>und</strong> Verlagsrecht<br />

Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge – auch die bearbeiteten<br />

Gerichtsentscheidungen <strong>und</strong> Leitsätze – sind urheberrechtlich<br />

geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong><br />

ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser Zeitschrift darf außerhalb<br />

der Grenzen des Urhebergesetzes ohne schriftliche Genehmigung<br />

des Verlages in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder<br />

andere Verfahren – reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere<br />

von Datenverarbeitungsanlagen verwendbare Sprache,<br />

übertragen werden. Namentlich gezeichnete Artikel müssen nicht die<br />

Meinung der Redaktion wiedergeben. Manuskripte <strong>und</strong> Einsendungen<br />

sind bitte an die Redaktionsanschrift zu senden.<br />

Manuskripte<br />

Die AE beinhaltet aktuelle arbeitsrechtliche Entscheidungen sowie<br />

Beiträge für die Anwaltspraxis. Manuskripte sind an die Redaktionsanschrift<br />

zu richten. Unverlangt eingesandte Manuskripte – für die<br />

keine Haftung übernommen wird – gelten als Veröffentlichungsvorschlag<br />

zu den Bedingungen des Verlages. Es werden nur unveröffentlichte<br />

Originalarbeiten übernommen. Die Verfasser erklären sich<br />

mit einer nicht sinnentstellenden redaktionellen Bearbeitung durch<br />

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