Kleines Marienlexikon - Una Voce Deutschland eV
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158 Dionysius Carthusianus<br />
das bedeutet, die Glut der göttlichen Liebe wird in meinem Geist entfacht, während er<br />
der Betrachtung obliegt. Doch kann man fragen, in welcher Weise die Erkenntnis als<br />
Ursache des Liebens bezeichnet wird, da es die Gutheit der geliebten Sache ist, die die<br />
Liebe in den Geist des Liebenden einführt und dort anregt. Und darauf ist zu antworten,<br />
dass die Erkenntnis des Guten die Ursache des Liebens ist, gleichsam als Weg, auf dem<br />
der Wille zur Liebe des Guten strebt. Die Gutheit einer Sache aber bzw. das Objekt des<br />
Willens ist Beweggrund und sozusagen Wirkursache des Liebens. Je klarer also die Erkenntnis<br />
gewesen ist und je größer die Gutheit einer Sache, desto besser ist der Weg, der<br />
zur Liebe führt, und desto stärker die Ursache des Liebens. Auch die Liebe zu Gott ist<br />
mit Freude verbunden, wie geschrieben steht: Ich gedenke des Herrn und gerate in Freude<br />
(Ps 77(76),4), und wieder: Meine Seele begehrt und verzehrt sich nach den Vorhöfen des<br />
Herrn (Ps 84(83),3), und das darauf Folgende: Mein Herz und mein Fleisch jubeln dem<br />
lebendigen Gott zu (ebd.). Daher ist Hingabe nichts anderes als die Bereitschaft des Willens,<br />
das zu verfolgen, was Gott zugehört und göttliche Verehrung und göttlichen Kult<br />
betrifft. 7 Die Hingabe entsteht also aus der Betrachtung des Göttlichen vermittelt durch<br />
Liebe. Aus unserer Liebe zu Gott und aus Freude an seiner Liebe entfacht sich nämlich<br />
die affektive Bereitschaft, das zu erfüllen, was Gott wohlgefällig ist.<br />
Ferner gibt es in unserem Herrn Jesus Christus zwei Naturen und doch nur eine<br />
einzige Person; und hinsichtlich beider Naturen müssen wir ihn betrachten und lieben.<br />
Doch je überragender und vollkommener seine göttliche Natur im Vergleich zur<br />
angenommenen Menschheit ist, desto wertvoller und zugleich erhabener ist die Betrachtung<br />
Christi in seiner göttlichen Natur und die diesbezügliche Liebe im Verhältnis<br />
zur Betrachtung seiner menschlichen Natur und der diesbezüglichen Liebe. Deswegen<br />
sagt der Apostel: Auch wenn wir Christus irgendwann einmal dem Fleische nach gekannt<br />
haben, so kennen wir ihn jetzt nicht mehr (2 Kor 5,16). Ja, in allen Bereichen verhält es<br />
sich so: Je besser und göttlicher eine erkannte Sache ist, desto mehr wird ihre Betrachtung<br />
ersehnt; und die Liebe, die dieser Betrachtung entströmt, ist in höherem Grad<br />
verdienstlich und Gott wohlgefällig. Daher ist die Erkenntnis der hochgepriesenen<br />
Gottheit und die spekulative Betrachtung der hochheiligen Trinität in höchstem und<br />
unvergleichlichem Maß erstrebenswert. Und die Liebe, die aus einer solchen Betrachtung<br />
hervorgeht, ist äußerst verdienstlich und macht den Liebenden in höchstem Maß<br />
gottähnlich.<br />
Doch zu dieser Vollkommenheit vermag niemand zu gelangen, der sich nicht darum<br />
bemüht hat, die von Christus in der Welt geübte Lebensweise nachzuahmen, indem<br />
er seiner Demut nacheifert, seine Geduld hochschätzt, seine Liebe einübt, seinen Gehorsam<br />
nachahmt. Denn wer von sich behauptet, in Christus zu bleiben, muss selbst so<br />
wandeln, wie jener gewandelt ist (1 Joh 2,6). Der Strahl des göttlichen Lichtes kann im<br />
höheren Teil der vernunftbegabten Seele nicht leuchten und auch nicht die Glut der<br />
7 Vgl. Thomas, STh II/II q.82 a.1 c., a.2. c.