Kleines Marienlexikon - Una Voce Deutschland eV
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Expositio missae<br />
157<br />
Händen berühren, mit reinen Lippen loben und mit unbeflecktem Mund empfangen. 2<br />
Da es also heißt, dass der Priester gehalten ist, mit außerordentlicher Hingabe und aktueller<br />
Andacht zu zelebrieren 3 , gilt es zu erklären, was Hingabe eigentlich ist.<br />
Dabei ist zu beachten, dass man die übernatürliche Liebe (caritas) erste, aber auch<br />
letzte aller Tugenden nennt 4 – obgleich ihr der Glaube vorangeht: der Glaube ist nämlich<br />
das Fundament und somit der Ursprung des gesamten geistlichen Gebäudes 5 . Denn, wie<br />
Jesaja bezeugt, wer ungläubig ist, handelt untreu (Jes 21,2); und Habakuk sagt: Mein Gerechter<br />
lebt aus dem Glauben (Hab 2,4). Daher heißt es im Evangelium öfter: Dein Glaube<br />
hat dich gerettet (Mt 9,22; Mk 10,52 etc.). Ja, nach dem Apostel ist sogar alles, was nicht<br />
aus dem Glauben hervorgeht, Sünde (Röm 14,23). Wie kann also die Liebe als erste aller<br />
Tugenden gelten, wenn ihr der Glaube vorangeht? Hierauf ist zu antworten, dass die Wirkung<br />
der Tugend darin besteht, den Handelnden zu vervollkommnen und sein Handeln<br />
für Gott akzeptabel zu machen. Da also kein Tun verdienstlich für das ewige Leben oder<br />
für Gott annehmbar ist, wenn es nicht in irgendeiner Weise aus der übernatürlichen Liebe<br />
hervorgeht, d.h. auf Anreiz oder auf Anweisung, gemäß jenem Spruch des Apostels: Wenn<br />
ich die Sprachen der Menschen beherrsche und die der Engel, jedoch die Liebe nicht habe, so<br />
bin ich wie tönendes Erz oder eine klingende Schelle (1 Kor 13,1), deshalb nennt man die<br />
übernatürliche Liebe die erste aller Tugenden. Die Liebe verbindet nämlich das Herz mühelos<br />
mit Gott und führt die Handlungen aller anderen Tugenden zur Hinordnung auf<br />
das letzte Ziel: Gott in seiner Herrlichkeit und Heiligkeit. Aus diesem Grund wird sie auch<br />
die letzte aller Tugenden genannt: sie selbst ist nämlich die Königin der Tugenden und<br />
deren Ziel, und wie Gott Anfang und Ende aller Dinge ist, so kann man die Liebe zu Gott<br />
die erste aller Tugenden und deren Ziel nennen. Was immer wir also denken, aussprechen<br />
oder tun, müssen wir zur Gottesliebe in Beziehung setzen. Dessen ungeachtet heißt es,<br />
der Glaube gehe der Liebe voran, weil er nämlich in den Bereich des Intellektes fällt und<br />
den Affekt leitet und dem Willen zeigt, was Gegenstand der übernatürlichen Liebe ist. Es<br />
ist also offensichtlich, dass der Glaube der Liebe hinsichtlich der Entstehung vorangeht;<br />
die Liebe hingegen geht dem Glauben hinsichtlich der Vollkommenheit voran.<br />
Auch gründet das Lieben (dilectio), welches der Akt der Liebe ist 6 , in der Glaubenserkenntnis;<br />
und deshalb pflegt man zu sagen, dass die Liebe aus der Erkenntnis hervorgeht.<br />
Der Psalmist sagt nämlich: In meiner Betrachtung wird sich Feuer entfachen (Ps 39(38),4),<br />
2 Vgl. decr. p.I d.LXXXIV c.3 [Friedberg 1, 295f], u. vgl. p.I d. XXVII f [Friedberg 1, 98-106].<br />
3 Vgl. Thomas, Sent. IV. d.15 q.4 a.2 qc. 4-5; vgl. STh II-II q.83 a.13.<br />
4 Vgl. Thomas, STh II/I q.62 a.4: Die caritas rangiert in der Ordnung der Entstehung (generatio)<br />
nach fides und spes, in der Ordnung der Vollkommenheit (perfectio) an erster Stelle: als mater<br />
omnium virtutum et radix »Mutter und Wurzel aller Tugenden«.<br />
5 Vgl. Ps.-Dionysius, div. nom. c.7; Thomas, STh II/II q.4 a.1 c.; a.7 ad 4.<br />
6 Zum Begriff dilectio »Lieben« als Akt, der eine Wahlentscheidung beinhaltet und somit der rationalen<br />
Kreatur vorbehalten ist, vgl. Thomas, STh II/I q.26 a.3.