Kleines Marienlexikon - Una Voce Deutschland eV
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128 Michael Fiedrowicz<br />
cherer, allgemeingültiger und als Regel anwendbarer Weg finden lasse, um die Wahrheit<br />
des katholischen Glaubens von der Falschheit des häretischen Irrtums zu unterscheiden<br />
(comm. 2, 1). Vinzenz fordert den persönlichen Anschluss an das Glaubensbewusstsein<br />
der Gesamtkirche (ecclesiasticus et catholicus sensus: comm. 2, 4), dessen verschiedene<br />
Dimensionen und Manifestationen er mit der klassischen Formel zusammenfasst:<br />
»In der katholischen Kirche ist in besonderem Maße dafür Sorge zu tragen, dass wir<br />
das festhalten, was überall, was immer, was von allen geglaubt wurde: das ist nämlich<br />
wahrhaft und eigentlich katholisch« (comm. 2, 5). 5 Was es konkret bedeutet, sich bei<br />
der Wahrheitsfindung an diesen Kriterien zu orientieren, wird anschließend illustriert.<br />
Das Prinzip der Universalität (ubique) befolgt, wer den wahren Glauben der Gesamtkirche<br />
bekennt; dem Alter (semper) schließt sich an, wer gegenüber Neuerungen am<br />
Glauben aller Zeiten festhält; dem Grundsatz des Konsenses (ab omnibus) entspricht,<br />
wer sich am alten Glauben orientiert, wie er sich in Dekreten eines Universalkonzils<br />
oder im Konsens bewährter Glaubenslehrer manifestiert (comm. 2, 6; 3, 1-4). Die<br />
Kriterien greifen nacheinander. Das jeweils folgende kommt nur in Ermangelung des<br />
vorangegangenen zum Einsatz. Wenn das erste versagt, wird das zweite befragt; wenn<br />
auch dieses nicht genügt, kommt das letzte zum Tragen. Wird eine Irrlehre nur von<br />
einer Minorität vertreten, soll man sich an das allgemeine Glaubensbewusstsein der<br />
Gesamtkirche halten; hat sich eine Irrlehre bereits in der ganzen Kirche verbreitet, so<br />
dass das Kriterium des »überall« keine Unterscheidung mehr ermöglicht, dann bietet<br />
das von der Neuerung noch unberührte Alter Orientierung; kann schließlich eine Irrlehre<br />
selber schon ein hohes Alter aufweisen, so dass das Glaubenszeugnis auch dieser<br />
Epoche nicht mehr einhellig ist, dann ist innerhalb des Altertums auf die Beschlüsse<br />
eines allgemeinen Konzils oder, falls ein solches fehlt, auf übereinstimmende Aussagen<br />
der maßgeblichen Glaubenslehrer zu rekurrieren (comm. 3, 1-4; 27, 3-4).<br />
Für Vinzenz wird ein Konzil dadurch zur Bezeugungsinstanz der Glaubenswahrheit,<br />
dass es eine Kernstelle des Überlieferungsgeschehens selbst bildet. 6 Der Lérinser<br />
Theologe betrachtet das Wesen authentischer Überlieferung zunächst unter dem Aspekt<br />
unverfälschter Bewahrung und Weitergabe des Empfangenen. Seine Ausführungen<br />
zu der entsprechenden apostolischen Weisung Depositum custodi wurden von dem<br />
bedeutenden französischen Exegeten C. Spicq als der beste Kommentar zu 1 Tim 6,20<br />
bezeichnet. 7 Vinzenz schreibt:<br />
»›O Timotheus, spricht er (d.h. Paulus), bewahre das anvertraute (Glaubens-)Gut,<br />
und meide die unheiligen Wortneuerungen‹ … Wer ist heute jener Timotheus, wenn<br />
5 Zur Interpretation und Rezeption dieses Grundsatzes vgl. Vinzenz von Lérins, Commonitorium:<br />
Einleitung (79-114, 132-177 Fiedrowicz / Barthold).<br />
6 Zu diesem Konzilsverständnis in der patristischen Epoche generell vgl. Fiedrowicz, Theologie<br />
der Kirchenväter, 301-310; ders., Handbuch der Patristik, 432-441.<br />
7 Vgl. C. Spicq, Saint Paul, Les Épîtres Pastorales, Paris 1947, 216.