Kleines Marienlexikon - Una Voce Deutschland eV
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Konzilshermeneutik – Ein Beitrag des Vinzenz von Lérins<br />
Von Michael Fiedrowicz<br />
127<br />
Angesichts der gegenwärtigen Diskussion über Auslegung und Geltungskraft des Zweiten<br />
Vatikanischen Konzils 1 lohnt ein Blick auf die frühe Kirche. Hier ist die Konzilsinstitution<br />
entstanden, hier wurde bereits intensiv über Funktion und Autorität von<br />
Konzilien diskutiert. 2 Ein wenig bekannter und selten zitierter Passus findet sich im<br />
sogenannten »Commonitorium« des Vinzenz von Lérins, der langjährigen Lesern der<br />
UVK keineswegs ein Unbekannter mehr ist. 3 Dort heißt es:<br />
»Was hat sie (d.h. die Kirche) denn auch je anderes durch die Beschlüsse der Konzilien<br />
angestrebt, als dass das, was früher einfach geglaubt wurde, später genauer geglaubt<br />
wurde, was früher ruhiger verkündigt wurde, später eindringlicher verkündet wurde,<br />
was vorher unbekümmerter verehrt wurde, später eifriger verehrt wurde? Das und<br />
nichts anderes sonst, sage ich, hat die katholische Kirche immer, veranlasst durch die<br />
Neuerungen der Häretiker, mit ihren Konzilsbeschlüssen erreicht: nämlich das, was sie<br />
früher von den Vorfahren nur durch (d.h. mündliche) Überlieferung empfangen hatte,<br />
später den Nachkommen auch in schriftlichen Dokumenten zu verbürgen, indem sie<br />
eine große Anzahl von Wahrheiten in wenigen Worten zusammengefasst und oft zum<br />
Zwecke des klareren Verständnisses einen keineswegs neuen Glaubensinhalt mit einem<br />
adäquaten neuen Ausdruck bezeichnet hat.« 4<br />
Der südgallische Priestermönch Vinzenz von Lérins verfasste sein »Commonitorium«<br />
(Merkbuch) in der Absicht, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie sich ein si-<br />
1 Vgl. B. Gherardini, Das Zweite Vatikanische Konzil. Ein ausstehender Diskurs, Mülheim /<br />
Mosel 2010.<br />
2 Vgl. M. Fiedrowicz, Theologie der Kirchenväter. Grundlagen frühchristlicher Glaubensreflexion,<br />
Freiburg i. Br. 22010, 291-322; ders., Handbuch der Patristik. Quellentexte zur Theologie<br />
der Kirchenväter, Freiburg i.Br. 2010, 406-462.<br />
3 Vgl. H.-B. Barth, Überlegungen zum katholischen Traditionsbegriff: UVK 19 (1989) 309-<br />
324; ders., »Fern sei es, daß sich die Rosenschößlinge der katholischen Lehre in Disteln<br />
und Dornen verwandeln!«: UVK 26 (1996) 293-306; E. Krursel, Die Bedeutung der traditio<br />
catholica und des profectus fidei im Commonitorium des hl. Vincens von Lérins: UVK 24<br />
(1994) 67-79; E. Raffelt, Ein typischer Irrtum in der Auffassung von Glaube und Offenbarung:<br />
UVK 22 (1997) 92-108.<br />
4 Comm. 23,18f. Erstmals liegt das Werk nun in einer lateinisch-deutschen Ausgabe vor: Vinzenz<br />
von Lérins, Commonitorium. Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben<br />
von M. Fiedrowicz, übersetzt von C. Barthold, Mülheim / Mosel 2011, hier: 272f.