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Eine lange Weile

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expertinnenInterview<br />

Wer rettet das letzte Einhorn?<br />

Rollenspiel bei Kindergartenkindern<br />

Was bedeutet<br />

„Rollenspiel“?<br />

Bei dieser Art von Spiel<br />

schlüpfen Kinder in Rollen<br />

und „tun so als ob“ - sie<br />

reisen in eine fiktive Welt.<br />

Sie werden zu Heldinnen<br />

und Helden, zu Monstern<br />

und Dieben, zu Babys<br />

und Papis. Sie spielen<br />

alleine oder mit anderen.<br />

Manchmal verarbeiten<br />

sie etwas, was sie in der<br />

Familie erlebt haben,<br />

manchmal tauchen sie<br />

in ihre Fantasiewelt ein.<br />

Das Rollenspiel beginnt<br />

mit etwa drei Jahren, die<br />

Sprache ist für das Spiel<br />

sehr wichtig.<br />

Wie ist das bei euch im<br />

Kindergarten?<br />

Wir sind viel draußen, im<br />

Wald und im Garten. Das<br />

Rollenspiel der Kinder<br />

wird dabei intensiver und<br />

noch konzentrierter. Wir<br />

haben kein Spielzeug, die<br />

Kinder erfinden alles<br />

selbst. Ein Stock<br />

mit zwei<br />

Ästen wird<br />

Interview mit Ingrid Sinn<br />

zum Baby, dann wird er<br />

benutzt, um ein Loch zu<br />

bohren und dann wird er<br />

zum Feuerholz in einem<br />

fiktiven Herd. Im Wald<br />

gibt es die Grenzen der<br />

Puppenecke nicht, ich habe<br />

beobachtet, dass viele Kinder<br />

gemeinsam an einem<br />

Rollenspiel teilnehmen.<br />

Verarbeiten Kinder<br />

nicht auch Filme oder<br />

Computerspiele?<br />

Ich habe einmal gelesen,<br />

dass es für eine Stunde<br />

Fernsehen mindestens<br />

zwei Stunden Rollenspiel<br />

braucht.<br />

Wir haben beobachtet, dass<br />

Figuren aus den Computerspielen<br />

oder aus Fernsehsendungen<br />

im Spiel<br />

vorkommen, auch Zeichentrickfiguren<br />

wie Spider<br />

Man oder Einhörner… Fest<br />

steht, dass Rollenspiele<br />

eine sehr gute Möglichkeit<br />

sind, um sich mit Gesehenem<br />

oder Gedachtem<br />

auseinanderzusetzen. Im<br />

Spiel können die Kinder<br />

Situationen erleben, ohne<br />

wirklich gefährdet zu<br />

sein, sie können jederzeit<br />

ins Geschehen eingreifen<br />

und „Regieanweisungen“<br />

geben und mit den anderen<br />

MitspielerInnen verhandeln.<br />

So können sie auch<br />

in schwierige Themen hineingehen:<br />

Entführungen,<br />

Kämpfe, Streit, Abenteuer.<br />

Wir haben im Kindergartenraum<br />

eine Sandkiste,<br />

in der Rollenspiele mit<br />

Plastiktieren und Naturmaterialien<br />

stattfinden.<br />

Ein Kind hat zum Beispiel<br />

den Wolf vor dem Spielen<br />

aussortiert und versteckt.<br />

So hat es die Gefahr von<br />

vorn herein gebannt.<br />

Wozu ist das Rollenspiel<br />

gut? Können sich Kinder<br />

nicht auch in ihrer Fantasie<br />

verlieren?<br />

Kinder lernen im Rollenspiel<br />

unglaublich viel, weil<br />

es so komplex ist. Ein Kind<br />

muss sich während so<br />

eines Spiels positionieren,<br />

für sich selbst einsetzen,<br />

sich in die anderen MitspielerInnen<br />

hineinfühlen.<br />

Meistens verhandeln die<br />

Kinder während des Spiels:<br />

Wer welche Rolle spielt,<br />

was er oder sie dabei tun<br />

soll oder nicht machen<br />

darf, wie das Spiel weitergeht…<br />

Ganz zentral ist<br />

dabei die Sprache, die sich<br />

im Rollenspiel entwickelt<br />

und entfaltet. Die Kinder<br />

lernen in eine Welt hineinzugehen,<br />

ja, sich die<br />

Welt zu erschaffen und<br />

konzentriert zu bleiben.<br />

Ich hatte nie das Problem,<br />

dass ein Kind sich<br />

verliert, irgendwann hat<br />

es von seiner Rolle genug<br />

und kommt von alleine<br />

wieder heraus. Es kann<br />

sein, dass es etwas Geduld<br />

erfordert, wenn das Kind<br />

im Prinzessinnennachthemd<br />

in den Kindergarten<br />

möchte oder die tollen Heldenstiefel<br />

in der Sommerhitze<br />

anbehalten will.<br />

Was können Eltern tun,<br />

um das Rollenspiel zu<br />

fördern?<br />

Diese Art von Spiel braucht<br />

Freiräume: einen Platz,<br />

an dem die Kinder ungestört<br />

spielen und auch mal<br />

etwas bauen können und<br />

vor allem Zeit. Spielzeug<br />

ist nicht nötig, aber die Eltern<br />

können eine Kiste mit<br />

Tüchern zum Verkleiden<br />

und Decken zum Bauen<br />

zur Verfügung stellen. Wir<br />

werden manchmal von<br />

Eltern gefragt, ob sie da<br />

mitspielen müssen und die<br />

Antwort darauf ist: Nein,<br />

ihr müsst nicht, aber wenn<br />

ihr wollt, dürft ihr. Es ist<br />

wichtig, authentisch zu<br />

sein und nicht mitzumachen,<br />

obwohl man keine<br />

Lust hat. Es gibt Spiele, da<br />

fällt den Eltern eine leichte<br />

Rolle zu: Sie<br />

sollen Essen bestellen<br />

oder einkaufen kommen<br />

oder im Zug sitzen. Eltern<br />

können auch aktiv am<br />

Spiel teilnehmen, wichtig<br />

ist nur, dass die Spielleitung<br />

bei den Kindern<br />

bleibt. Für uns Erwachsene<br />

ist es interessant, uns die<br />

Zeit zu nehmen und den<br />

Kindern zuzuschauen,<br />

denn im Spiel zeigen sie<br />

Facetten davon, wie sie die<br />

Welt sehen und wie sie uns<br />

wahrnehmen.<br />

Herzlichen Dank für das<br />

Interview!<br />

Ingrid Sinn<br />

ist Erzieherin,<br />

Montessoripädagogin,<br />

Wildnispädagogin<br />

und Kräuterfrau.<br />

Sie ist Mutter eines<br />

Sohnes und Pädagogische<br />

Leiterin sowie Begleiterin im<br />

Montessori & Natur Kindergarten<br />

in Kohlern<br />

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