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Eine lange Weile

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titelthema<br />

Langeweile als titelthema<br />

Einladung<br />

Ich bin mit zwei unserer Kindergartenkinder<br />

im Bewegungsraum im<br />

Keller. Anna, Michael und ich liegen<br />

auf den Turnmatten am Rücken. Wir<br />

reimen so vor uns hin. Manchmal berühren<br />

wir uns, manchmal balgen wir<br />

kurz, um dann wieder am Rücken zu<br />

landen und nichts zu tun.<br />

nicht treiben lassen von all dem, was noch<br />

zu tun ist, dann wird vielleicht auch das<br />

Kind einen Moment Ruhe finden. Und es<br />

erübrigt sich letztlich die Frage, was man<br />

tun könnte, weil für diesen Augenblick das<br />

schlichte Da-Sein im Vordergrund sein<br />

darf. In einer Zeit und einem Lebensgefühl<br />

der ständigen Beschleunigung entsteht ein<br />

eklatantes Ungleichgewicht zwischen dem<br />

Tun und dem Sein. Wir wissen das alle.<br />

Aber es ist so schwer, Ansatzpunkte zu finden<br />

für ein bisschen mehr Gleichgewicht.<br />

Wenn uns ein Kind mit seiner Langeweile<br />

konfrontiert, könnte das so eine Gelegenheit<br />

sein.<br />

Was also tun, wenn mein<br />

Kind mich fragt:<br />

„Was soll ich tun?“<br />

„Tu nicht einfach<br />

etwas, setz Dich<br />

lieber hin.“<br />

Vermutlich nicht Staubsaugen oder andere<br />

abenteuerliche Hausarbeiten anbieten.<br />

Vielleicht auch kein Spiel oder eines<br />

der üblichen Angebote. Eher das Tun weglassen.<br />

Es ist zu viel Tun in unserer Welt.<br />

In der langweiligen Langeweile steckt das<br />

Abenteuer des schlichten Daseins – nicht<br />

als moralische, erzieherische oder spirituelle<br />

Maßnahme, sondern als heilsame<br />

Leerstelle für uns Erwachsene mit unseren<br />

Kindern.<br />

Der große buddhistische Lehrer Thich<br />

Nhat Hanh sagte einmal: „Viele Leute werden<br />

aktiv, aber wenn ihr Geisteszustand<br />

nicht friedvoll oder glücklich ist, säen ihre<br />

Handlungen nur noch mehr Unruhe und<br />

Ärger und verschlimmern die Situation.<br />

Statt also zu sagen: ‚Sitz nicht einfach<br />

herum, tu lieber etwas‘, sollten wir im Gegenteil<br />

sagen: ‚Tu nicht einfach etwas, setz<br />

Dich lieber hin.“<br />

Ich widerstehe dem Impuls, jetzt irgendetwas<br />

(„Sinnvolles“?) mit ihnen<br />

tun zu müssen, oder nach oben zu<br />

schauen, wo meine Kollegin mit dem<br />

Rest der Gruppe alleine ist. Und ich<br />

bleibe jetzt doch einfach mit ihnen liegen.<br />

Exklusiv mit zwei Kindern, ohne<br />

etwas zu tun.<br />

Paula und Michael kommen oft nicht<br />

gut miteinander aus. Manchmal aber<br />

finden sich die beiden. So wie jetzt, wo<br />

wir miteinander nichts tun. Und doch<br />

zusammen sind, einfach da.<br />

Und ich spüre, dass in dieser „Leerstelle“<br />

Wichtiges geschehen kann. Paula<br />

sagt schließlich, sie möchte heute gern<br />

jemanden zu sich nach Hause einladen.<br />

„Aber wen?“, fragt sie.<br />

Wir liegen immer noch zu dritt auf dem<br />

Rücken und ich frage mich, ob sie ihre<br />

Frage jetzt indirekt an Michael richtet.<br />

Der jedenfalls meint vorsichtig:<br />

„Vielleicht mich?“<br />

Paula weiß nicht recht und sagt, sie<br />

möchte es sich noch überlegen.<br />

Soll ich sie ermutigen? Ich entscheide<br />

mich wieder dafür, nichts zu tun. Und<br />

bin berührt von dieser zarten Begegnung<br />

und Annäherung, aber auch von<br />

der Kompetenz einer Sechsjährigen,<br />

sich das noch einen Moment offen zu<br />

lassen, und der eines Fünfjährigen,<br />

mutig zu fragen und damit gut leben zu<br />

können, dass er noch auf eine Antwort<br />

warten muss. Am Ende vereinbaren sie<br />

tatsächlich, dass Michael mittags mit<br />

zu Paula geht.<br />

Steve Heitzer ist Vater von<br />

drei Kindern, Pädagoge und<br />

Theologe, Essentielle Gestaltarbeit<br />

bei Lienhard Valentin<br />

und Katharina Martin, Original<br />

Play Ausbildung bei Fred Donaldson.<br />

Er arbeitet seit 15 Jahren<br />

im Kindergarten Gräteschenwinkel bei Innsbruck<br />

und hat im letzten Jahr sein erstes Buch herausgebracht:<br />

Kinder sind nichts für Feiglinge, siehe<br />

auch: arbor-verlag.de/buch/kinder-sind-nichts-fürfeiglinge<br />

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