Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...
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70 Psychosomatische Erkrankungen, Psychosomatik und Psychosomatische Medizin – ein Überblick Das Situationskreiskonzept v. Uexkülls puls, der dem ‚Gelegenheitsapparat‘ Körper die Anweisung gibt, sich auf dieses oder jenes Ziel auszurichten.“ 279 Nach v. Uexküll ist nun die Handlung das Vorstellungsmodell, auf das sich die Aktion des ‚Gelegenheitsapparates‘ bezieht. „Ursprünglich und auf die allgemeinste Form gebracht ist Handlung: Umgang mit der Welt. An diesem Umgang sind wir in irgendeiner Weise beteiligt. Wenn wir zunächst das Gesamtgeschehen einer Handlung analysieren, lassen sich darin ver- schiedene Phasen oder Etappen unterscheiden.“ 280 Nach v. Uexküll beinhaltet eine Handlung folgende Schritte: „1. Ein Ausschnitt der mich umgebenden Welt wird gedeutet. 281 2. Das Gedeutete gibt uns bestimmte Handlungsanweisungen. 282 3. Im Umgang erfolgt eine Prüfung, ob die Deutung und Handlungsanweisungen richtig waren. 283 “ 284 Allerdings deutet nicht das bewusste Ich diesen Ausschnitt der Welt, sondern das Motiv; im angeführten Beispiel 285 also der Appetit auf einen Apfel: „Die Deutungen und die Handlungs- anweisungen gehen also vom Motiv aus, und erst der dritte Teil des Handlungsablaufes, nämlich die Prüfung, erfolgt durch das Ich.“ 286 Führt man diesen Gedanken v. Uexkülls weiter, kommt man zu der Erkenntnis, dass eine Willens- handlung dann vorliegt, wenn die der Handlung zugrunde liegenden Motive mit dem Ich zur Identifikation gelangen. Der Nutzen dieser Vorstellung kommt in dem Moment ans Licht, wenn man das Konversionssymptom genauer betrachtet: Sowohl bei der Willens- als auch bei der Triebhandlung wird das im einen Fall bewusste, im anderen Fall unbewusste Motiv direkt in eine 279 Wesiack in Loch 1998, S. 304 280 v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305 281 „Ich sehe etwas, z. B. Farben und Formen, die durch eine gleichzeitig einsetzende Deutung als Baum vor einer Mauer mit einem Apfel im Geäst interpretiert werden.” (v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305) 282 „Apfel, Baum und Mauer geben mir Handlungsanweisungen, die Mauer als Stütze und den Baum als Leiter zu benutzen und den Apfel zu ergreifen.” (v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305) 283 „Sobald ich versuche, diese Anweisungen auszuführen, stellt sich heraus, ob die Deutung richtig war. Es könnte ja sein, dass die Mauer nachgibt, der Stamm bricht oder der Apfel faul ist.” (v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305) 284 vgl. v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305 285 siehe Fußnoten 286 Wesiack in Loch 1998, S. 305
Psychosomatische Erkrankungen, Psychosomatik und Psychosomatische Medizin – ein Überblick Das Situationskreiskonzept v. Uexkülls Handlung überführt, wobei die verschiedenen Motive den unterschiedlichen Instanzen der Person 287 entspringen und derart verarbeitet werden, dass die Es-Motive durch das Ich adaptiert werden, das wiederum den Über-Ich-Anweisungen folgt. Schafft es das Ich aber nicht, die bei- spielsweise sehr gegensätzlichen Motive aus den Bereichen des Es und des Über-Ichs zu integrieren, kann die Folge nur in einem Bruchstück einer Handlung oder gar einer missglückten Handlung bestehen - nie aber in einer Handlung. Weil das Ich in diesen Fällen versucht, sich gegen die aus dem Es kommenden Wünsche zu wehren, wenn es nicht gelingt, Triebverzicht oder zumindest Triebaufschub zu erreichen, besteht das Ergebnis dann in Abwehrmechanismen, welche die Psychoanalyse beschreibt. 288 „Wenn wir menschliche Physiologie und Pathologie mit dem Modell der Handlung interpretieren, dann haben wir erstmals ein holistisches, psychosomatisches Konzept, das ‚Körper‘ und ‚Seele‘ als Einheit auffaßt und den Leib-Seele-Dualismus überwindet.“ 289 Mithilfe der bisherigen Aus- führungen kann also festgehalten werden, dass Konversion letztlich bedeutet, dass ein un- bewusstes Motiv in Handlungsbruchstücke umgesetzt wird. Diese müssen wegen ihrer Aus- drucksbedeutung Bruchstücke bleiben, entziehen sich dadurch aber der Integration in andere Handlungen. 290 Der Vollständigkeit halber müssen die Begriffe des ‚Motivs‘ und der ‚Handlung‘ aber noch durch die der ‚Stimmung‘ und ‚Bereitstellung‘ ergänzt werden : „Normalerweise, wenn es zur Handlung kommt, wird die Bereitstellung in der Handlung aufgebraucht, und das vegetative Nervensystem und die von ihm bereitgestellten Organe kehren zur mittleren Ausgangslage zurück, um für neue Bereitstellungen verfügbar zu sein. Im Bereich der Stimmung ist das in einem Gefühl der Ent- spannung und Befriedigung wahrzunehmen. Ein ganz anderes Bild bietet sich uns aber, wenn es nie zur entspannenden Handlung kommt, die Stimmung und Bereitstellung aber ununterbrochen weiterläuft.“ 291 Die Gruppe der Ausdruckskrankheiten muss also durch die der Bereitstellungskrankheiten er- weitert werden. Schließlich ist auch in diesem Zusammenhang auf die dritte Gruppe der funkti- onellen Syndrome hinzuweisen, die in der Regel keine Organschädigungen hinterlassen und wie 287 dem Es (unbewußte Triebe), dem Ich (bewußte Zielsetzungen) und dem Über-Ich (soziale Normen) 288 vgl. Wesiack in Loch 1998, S. 305 ff 289 Wesiack in Loch 1998, S. 308 290 vgl. v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 308 291 Wesiack in Loch 1998, S. 309 71
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Das Situationskreiskonzept v. Uexkülls<br />
puls, der dem ‚Gelegenheitsapparat‘ Körper die Anweisung gibt, sich auf dieses oder jenes Ziel<br />
auszurichten.“ 279<br />
Nach v. Uexküll ist nun die Handlung das Vorstellungsmodell, auf das sich die Aktion des<br />
‚Gelegenheitsapparates‘ bezieht. „Ursprünglich und auf die allgemeinste Form gebracht ist<br />
Handlung: Umgang mit der Welt. An diesem Umgang sind wir in irgendeiner Weise beteiligt.<br />
Wenn wir zunächst das Ges<strong>am</strong>tgeschehen einer Handlung analysieren, lassen sich darin ver-<br />
schiedene Phasen oder Etappen unterscheiden.“ 280<br />
Nach v. Uexküll beinhaltet eine Handlung folgende Schritte:<br />
„1. Ein Ausschnitt der mich umgebenden Welt wird gedeutet. 281<br />
2. Das Gedeutete gibt uns bestimmte Handlungsanweisungen. 282<br />
3. Im Umgang erfolgt eine Prüfung, ob die Deutung und Handlungsanweisungen richtig<br />
waren. 283 “ 284<br />
Allerdings deutet nicht das bewusste Ich diesen Ausschnitt der Welt, sondern das Motiv; im<br />
angeführten Beispiel 285 <strong>als</strong>o der Appetit auf einen Apfel: „Die Deutungen und die Handlungs-<br />
anweisungen gehen <strong>als</strong>o vom Motiv aus, und erst der dritte Teil des Handlungsablaufes, nämlich<br />
die Prüfung, erfolgt durch das Ich.“ 286<br />
Führt man diesen Gedanken v. Uexkülls weiter, kommt man zu der Erkenntnis, dass eine Willens-<br />
handlung dann vorliegt, wenn die der Handlung zugrunde liegenden Motive mit dem Ich zur<br />
Identifikation gelangen. Der Nutzen dieser Vorstellung kommt in dem Moment ans Licht, wenn<br />
man das Konversionssymptom genauer betrachtet: Sowohl bei der Willens- <strong>als</strong> auch bei der<br />
Triebhandlung wird das im einen Fall bewusste, im anderen Fall unbewusste Motiv direkt in eine<br />
279 Wesiack in Loch 1998, S. 304<br />
280 v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305<br />
281 „Ich sehe etwas, z. B. Farben und Formen, die durch eine gleichzeitig einsetzende Deutung <strong>als</strong> Baum vor einer<br />
Mauer mit einem Apfel im Geäst interpretiert werden.” (v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305)<br />
282 „Apfel, Baum und Mauer geben mir Handlungsanweisungen, die Mauer <strong>als</strong> Stütze und den Baum <strong>als</strong> Leiter zu<br />
benutzen und den Apfel zu ergreifen.” (v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305)<br />
283 „Sobald ich versuche, diese Anweisungen auszuführen, stellt sich heraus, ob die Deutung richtig war. Es könnte<br />
ja sein, dass die Mauer nachgibt, der St<strong>am</strong>m bricht oder der Apfel faul ist.” (v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in<br />
Loch 1998, S. 305)<br />
284 vgl. v. Uexküll 1963, zitiert nach Wesiack in Loch 1998, S. 305<br />
285 siehe Fußnoten<br />
286 Wesiack in Loch 1998, S. 305