Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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432 Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 11 mit Herrn L wegnehmen und mache einfach wieder egal wie ich mich dabei fühle ich mache jetzt einfach und ... als Sicherheitsanker habe ich mir immer genommen dass ich vielleicht zwar nicht völlig fit bin im Moment sei es noch von der Virusgeschichte sei es eine Angst die mich überfallen könnte, aber mir geht es jetzt nicht so schlecht dass ich jetzt gar nichts machen kann, ich habe mir immer so gesagt vielleicht habe ich jetzt nur sechzig siebzig achtzig Prozent aber deswegen kann ich mich ja in die Bibliothek setzen oder deswegen kann ich ja einmal ins Brauhaus gehen oder deswegen kann ich ja in die Vorlesung gehen deswegen falle ich ja nicht um, und wenn es mir in der Bibliothek oder der Vorlesung wenn ich gemerkt habe mir geht es ein bisschen schlecht ... da habe ich mir dann noch einmal als zweite Rückversicherung ... gedacht dass ich komplett durchgecheckt bin körperlich, und die Wahrscheinlichkeit dass ich jetzt vom Stuhl falle ... mit einem Herzinfarkt oder so ist wahrscheinlich ... kleiner als bei jedem anderen der hier sitzt weil bei mir ist alles durchgecheckt und ich weiß dass ich nichts habe, und jeder andere weiß es gar nicht sicher vielleicht hat er ///// so in der Art habe ich mir das versucht mir da ein bisschen Mut zu machen, ...“. 1756 Dieser Abschnitt zeigt deutlich, wie sehr eine phobophobische Tendenz Herrn L ergreift, nach- dem er Einsicht in die Tatsache erlangt hatte, dass seine Problematik nicht alleine auf das pfeiffersche Drüsenfieber zurückzuführen ist; gleichzeitig zeigt der Abschnitt auch, wie sehr der Patient in relativ kurzer Zeit zu der Einstellung gelangt, sich sein Leben nicht länger rauben lassen zu wollen. Die ‚Tricks‘ und Strategien, die Herr L im Zusammenhang mit seiner ‚Selbst- beruhigung‘ anwendet, zeigen, dass er in alltäglichen Situationen sehr unter seinen Ängsten leidet – es ist für ihn in diesem Stadium der Erkrankung zur Notwendigkeit geworden, sich in – für Menschen ohne Angst banalen – Situationen der Angst intensiv zu beruhigen. Dass diese Dringlichkeit mit Druck und Stress verbunden ist, kann sicher nachvollzogen werden. Herr L schafft es in der Folge auch, wieder mehr Vertrauen in seinen Körper zu bekommen, indem er in einem Gesundheitsleistungszentrum erneut sportliche Aktivitäten aufnimmt und den Erfolg der Sache auf andere Situationen überträgt: „... ich habe mir dann einen Krafttrainings- plan und einen Ausdauerplan erstellen lassen und mache den eben unter Betreuung also da bin ich jetzt zur Zeit drinnen, war da jetzt vielleicht schon zehnmal oder achtmal und das hat mir eben auch geholfen wieder ein bisschen Vertrauen ... zu gewinnen dass ich eben merke ich bin nicht so fit wie vorher aber ich kann hier eine halbe Stunde auf dem Fahrrad fahren also kann 1756 Interview 11, S. 9 ff

Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 11 mit Herrn L auch nichts passieren wenn ich ... mich in eine Vorlesung setze oder wenn ich einmal irgendwie im dritten Stock dann beim Einkaufen bin oder in der Richtung eben.“ 1757 Dieses nunmehr erneut gesteigerte Vertrauen in die Funktionsfähigkeit seines Körpers kann Herr L beispielsweise auf die genannte und zuvor gefürchtete Situation einer Vorlesung übertragen. Auf die Nachfrage, ob er sich in großen Hörsälen wieder angstfrei aufhalten kann, antwortet der Patient: „ja ja und da: wenn man da die Treppen ein bisschen hochgeht und dann sitzt man mittendrin dann irgendwie ... das war mir halt schon zu anstrengend einfach und dann die vielen Leute um mich herum und Lärm das hat alles ... Stress verursacht, ... und beim Sport habe ich eben dann gemerkt so wenig leistungsfähig bin ich jetzt auch nicht dass ich nicht da die Treppen hochgehen kann und nicht einmal eine halbe Stunde unter Leuten sitzen kann auch, also das hat mir dann eben so doch da kann ich mir das selbst eben klarmachen dass die Angst unbegründet ist dass die eigentlich keinen Boden hat auf dem also ... dass es eigentlich keinen Grund dafür gibt!“ 1758 Die Weiterentwicklung der ursprünglich lähmenden Angst scheint bei Herrn L somit recht günstig verlaufen zu sein, denn er sagt selbst, dass er es vor einigen Monaten auch nicht ge- schafft hätte, den Interviewer im vierten Stock in dessen Privatwohnung aufzusuchen, vielmehr hätte das Treffen dann an einem anderen Ort stattfinden müssen. 1759 Von Herrn L wurden bereits viele Einschränkungen, die ihm seine Herzangst im Alltag auferlegt hat, in den Aussagen zu Beginn und Weiterentwicklung der Erkrankung genannt. Eine generelle wesentliche Behinderung im Vollzug des alltäglichen Lebens ist in einer sozialphobischen Tendenz zu sehen, die es dem Patienten erschwert oder unmöglich macht, öffentliche Vorträge zu halten. 1760 Weiterhin ist der Alltag zu Beginn der Erkrankung durch intensives Schon- und Vermeidungs- verhalten geprägt, das in der vorangegangenen Kategorie mit verschiedenen Beispielen unter- mauert wurde. Nach dem abgebrochenen Spanienurlaub wird dieses Verhalten von Herrn L selbst so beschrieben: „ja und dann habe ich mich eigentlich seitdem - - dann eben nur noch geschont: weil ich gedacht habe ich darf jetzt nicht übertreiben sonst kommt so dieser Virus 1757 Interview 11, S. 11 f 1758 Interview 11, S. 12 1759 vgl. Interview 11, S. 12 1760 vgl. Interview 11, S. 3 433

Interpretationen des gewonnenen Datenmateri<strong>als</strong> – Ergebnisse des Forschungsprojekts…<br />

Interview 11 mit Herrn L<br />

auch nichts passieren wenn ich ... mich in eine Vorlesung setze oder wenn ich einmal irgendwie<br />

im dritten Stock dann beim Einkaufen bin oder in der Richtung eben.“ 1757<br />

Dieses nunmehr erneut gesteigerte Vertrauen in die Funktionsfähigkeit seines Körpers kann Herr<br />

L beispielsweise auf die genannte und zuvor gefürchtete Situation einer Vorlesung übertragen.<br />

Auf die Nachfrage, ob er sich in großen Hörsälen wieder angstfrei aufhalten kann, antwortet der<br />

Patient: „ja ja und da: wenn man da die Treppen ein bisschen hochgeht und dann sitzt man<br />

mittendrin dann irgendwie ... das war mir halt schon zu anstrengend einfach und dann die<br />

vielen Leute um mich herum und Lärm das hat alles ... Stress verursacht, ... und beim Sport habe<br />

ich eben dann gemerkt so wenig leistungsfähig bin ich jetzt auch nicht dass ich nicht da die<br />

Treppen hochgehen kann und nicht einmal eine halbe Stunde unter Leuten sitzen kann auch,<br />

<strong>als</strong>o das hat mir dann eben so doch da kann ich mir das selbst eben klarmachen dass die Angst<br />

unbegründet ist dass die eigentlich keinen Boden hat auf dem <strong>als</strong>o ... dass es eigentlich keinen<br />

Grund dafür gibt!“ 1758<br />

Die Weiterentwicklung der ursprünglich lähmenden Angst scheint bei Herrn L somit recht<br />

günstig verlaufen zu sein, denn er sagt selbst, dass er es vor einigen Monaten auch nicht ge-<br />

schafft hätte, den Interviewer im vierten Stock in dessen Privatwohnung aufzusuchen, vielmehr<br />

hätte das Treffen dann an einem anderen Ort stattfinden müssen. 1759<br />

Von Herrn L wurden bereits viele Einschränkungen, die ihm seine Herzangst im Alltag auferlegt<br />

hat, in den Aussagen zu Beginn und Weiterentwicklung der <strong>Erkrankung</strong> genannt. Eine generelle<br />

wesentliche Behinderung im Vollzug des alltäglichen Lebens ist in einer sozialphobischen<br />

Tendenz zu sehen, die es dem Patienten erschwert oder unmöglich macht, öffentliche Vorträge<br />

zu halten. 1760<br />

Weiterhin ist der Alltag zu Beginn der <strong>Erkrankung</strong> durch intensives Schon- und Vermeidungs-<br />

verhalten geprägt, das in der vorangegangenen Kategorie mit verschiedenen Beispielen unter-<br />

mauert wurde. Nach dem abgebrochenen Spanienurlaub wird dieses Verhalten von Herrn L<br />

selbst so beschrieben: „ja und dann habe ich mich eigentlich seitdem - - dann eben nur noch<br />

geschont: weil ich gedacht habe ich darf jetzt nicht übertreiben sonst kommt so dieser Virus<br />

1757 Interview 11, S. 11 f<br />

1758 Interview 11, S. 12<br />

1759 vgl. Interview 11, S. 12<br />

1760 vgl. Interview 11, S. 3<br />

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