Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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424 Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 10 mit Frau K Frau K betont ausdrücklich, dass sie gerne mehr Kontakte hätte, aber Angst davor verspürt, diese tatsächlich zu haben. 1736 Hier wird die Polarität zwischen Wunsch und krankheitsbedingter Realität besonders deutlich, die Herzangst schränkt Frau K somit auch bezüglich sozialer Kon- takte ein! Die Angst vor Kontakten zu anderen Menschen geht dabei auch aus dem Umstand hervor, wenig Verständnis für die eigene Situation in der Gesellschaft erwarten zu können. So beschreibt Frau K im Hinblick auf ihre während einer Zugfahrt eingetretene Panikattacke den damals verspürten Wunsch, durch das Mitteilen der eigenen Angst Besserung der Symptomatik zu verspüren, was ihr aber an Reaktion von Bekannten während der Zugfahrt beigebracht wird, ist mangelndes Verständnis. 1737 Lediglich engere Bekannte können die Patientin verstehen, der Großteil jedoch nicht. 1738 Dass ein derartiges Unverständnis für übersteigerte Angst der meisten Menschen zu einer Isolation führt, die sich Frau K teilweise selbst verschreibt, erscheint einleuchtend. Betrachtet man noch einmal die klaustrophobischen Tendenzen der Patientin, ergibt sich eine weitere Einschränkung, die das soziale Umfeld und den Bereich der Freizeit tangiert, weil Frau K ganz bestimmte Aktivitäten, die unängstlichen Menschen keine Probleme bereiten, meiden muss, um keine neuerliche Panikattacke zu erleiden: „aber genauso hatte ich die Probleme wenn ich jetzt - - entweder im Kino war; wir waren einmal im Korso-Kino - - da war irgendein Film wo es wahnsinnig voll war schon vorher, ... jedenfalls waren da ... die Leute vor mir und die Leute unter mir ... waren alle über mir ... da musste ich auch hinaus weil da habe ich so langsam gemerkt ich kämpfe mich jetzt durch und gehe hinaus und wenn wir auch ganz hinten stehen ich kann da nicht mehr bleiben also das passiert mir ... wenn ich einfach ... Probleme habe ... den Ausgang zu finden oder Tunnel!“ 1739 Nicht nur der Besuch eines Kinos wird durch Klaustrophobie unter Umständen erschwert oder unmöglich gemacht – auch andere Freizeitaktivitäten, wie beispielsweise das Fliegen, scheiden im Extremfall aus. 1736 vgl. Interview 10, S. 22 1737 vgl. Interview 10, S. 25 1738 vgl. Interview 10, S. 26 1739 Interview 10, S. 23 f

Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 10 mit Frau K Obwohl Frau K vor vielen Jahren einmal nach Amerika geflogen ist – auch bei diesem Flug hatte sie von der ersten bis zur letzten Minute Angst – ist es ihr zum Zeitpunkt des Interviews unmöglich, ein Flugzeug zu betreten, obwohl ihr Ehemann von einem Aufenthalt in Amerika träumt. 1740 Massive Einschnitte in der persönlichen Bewegungsfreiheit – wie sie typisch für viele Herzneurotiker sind – zeigen sich bei Frau K. Im Prinzip ist die gesamte aktuelle Lebensführung von der Angstproblematik der Patientin überschattet. Beispielsweise würde sie auch aktuell viele Kilometer in Form eines Umweges in Kauf nehmen, um ohne Tunnelfahrten an einen gewünschten Ort zu kommen – selbst als Beisitzerin. 1741 Neben der Manifestation des phobischen Vermeidungsverhaltens ist auch die Angst vor dem Alleinsein (mit der Angst) zum Zeitpunkt des Interviews noch existent und drückt sich beispiels- weise derartig aus, dass Frau K vor dem mehrtägigen Untersuchungstermin in der medizinischen Poliklinik Würzburg Angst verspürt, weil sie befürchtet, dort mit niemandem über ihre Ängste sprechen zu können. 1742 Frau K räumt aber selbst ein, dass es sich hierbei um eine Phobophobie handle, die trotz eines insgesamt guten Handlings der Situation noch immer existiere. 1743 Die phobophobische Tendenz der Patientin führt ihren eigenen Aussagen zufolge in der Gegenwart immer wieder dazu, für Frau K unangenehme Dinge zu meiden, wenn ihr dieses Ver- halten möglich erscheint. 1744 Und trotz dieses durch Angst geprägten Lebens ist Frau K dankbar dafür, dass sie nicht an einer Krankheit leidet, mit der sie auf fremde Hilfe angewiesen ist, sie ist glücklich darüber, sich noch selbst versorgen zu können. 1745 Diese letzte Äußerung führt direkt zur Kategorie der Zukunftsplanung, denn trotz dieser Zufrieden- und Bescheidenheit wünscht sich Frau K, dass sie sich wieder so fühlen kann, wie es 1740 vgl. Interview 10, S. 24 1741 vgl. Interview 10, S. 25 1742 vgl. Interview 10, S. 28 1743 vgl. Interview 10, S. 28 1744 vgl. Interview 10, S. 29 1745 vgl. Interview 10, S. 31 425

Interpretationen des gewonnenen Datenmateri<strong>als</strong> – Ergebnisse des Forschungsprojekts…<br />

Interview 10 mit Frau K<br />

Obwohl Frau K vor vielen Jahren einmal nach Amerika geflogen ist – auch bei diesem Flug hatte<br />

sie von der ersten bis zur letzten Minute Angst – ist es ihr zum Zeitpunkt des Interviews<br />

unmöglich, ein Flugzeug zu betreten, obwohl ihr Ehemann von einem Aufenthalt in Amerika<br />

träumt. 1740<br />

Massive Einschnitte in der persönlichen Bewegungsfreiheit – wie sie typisch für viele<br />

Herzneurotiker sind – zeigen sich bei Frau K. Im Prinzip ist die ges<strong>am</strong>te aktuelle Lebensführung<br />

von der Angstproblematik der Patientin überschattet.<br />

Beispielsweise würde sie auch aktuell viele Kilometer in Form eines Umweges in Kauf nehmen,<br />

um ohne Tunnelfahrten an einen gewünschten Ort zu kommen – selbst <strong>als</strong> Beisitzerin. 1741<br />

Neben der Manifestation des phobischen Vermeidungsverhaltens ist auch die Angst vor dem<br />

Alleinsein (mit der Angst) zum Zeitpunkt des Interviews noch existent und drückt sich beispiels-<br />

weise derartig aus, dass Frau K vor dem mehrtägigen Untersuchungstermin in der medizinischen<br />

Poliklinik Würzburg Angst verspürt, weil sie befürchtet, dort mit niemandem über ihre Ängste<br />

sprechen zu können. 1742 Frau K räumt aber selbst ein, dass es sich hierbei um eine Phobophobie<br />

handle, die trotz eines insges<strong>am</strong>t guten Handlings der Situation noch immer existiere. 1743<br />

Die phobophobische Tendenz der Patientin führt ihren eigenen Aussagen zufolge in der<br />

Gegenwart immer wieder dazu, für Frau K unangenehme Dinge zu meiden, wenn ihr dieses Ver-<br />

halten möglich erscheint. 1744<br />

Und trotz dieses durch Angst geprägten Lebens ist Frau K dankbar dafür, dass sie nicht an einer<br />

Krankheit leidet, mit der sie auf fremde Hilfe angewiesen ist, sie ist glücklich darüber, sich noch<br />

selbst versorgen zu können. 1745<br />

Diese letzte Äußerung führt direkt zur Kategorie der Zukunftsplanung, denn trotz dieser<br />

Zufrieden- und Bescheidenheit wünscht sich Frau K, dass sie sich wieder so fühlen kann, wie es<br />

1740 vgl. Interview 10, S. 24<br />

1741 vgl. Interview 10, S. 25<br />

1742 vgl. Interview 10, S. 28<br />

1743 vgl. Interview 10, S. 28<br />

1744 vgl. Interview 10, S. 29<br />

1745 vgl. Interview 10, S. 31<br />

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