Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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410 Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 9 mit Herrn J dann weiß ich genau welche Nummer ich anrufen muss - - deswegen habe ich auch immer ... ein Handy dabei ... der Doktor *Groß sagt zu mir `Sie können mich jederzeit anrufen!´ ich merke wie sauer: er ist das merke ich an der Stimme, aber das Gefühl ich kann da anrufen, der hilft mir natürlich: nicht, als ich in Dresden war und er gesagt hat `Sie müssen ins Krankenhaus gehen!´ da hat er mir natürlich nicht geholfen, als ich in Ungarn ihn anrufe, rief um zehn Uhr abends da hat er gesagt ... so in der Art `seien Sie nicht so hysterisch legen Sie sich ins Bett nehmen Sie Baldrian!´ und / hat er mir da verschrieben das Zeug hat überhaupt nicht geholfen denn wenn man in der Aufregung ist hilft das alles: nicht!“ 1695 Schließlich ist der Bereich der aktuellen Lebensführung als ‚Ist-Zustand‘ der Auswirkungen der Herzneurose auf das Leben des Patienten zu betrachten. Dabei fällt zunächst auf, dass Herr J in ständigem Wissen darum lebt, an seiner Herzerkrankung sterben zu können: 1696 „doch: stellen Sie sich einmal vor ich kann ... daran sterben wenn ich jetzt eine Arrhythmia absoluta habe es kommt zu ... Gerinnselbildung!“ 1697 Aus diesem und aus anderen Gründen nimmt Herr J zum Zeitpunkt des Interviews auch Medikamente ein – ein Umstand, der die aktuelle Lebensführung seinerseits bestimmt: „... zur Zeit habe ich Atenolol und // also blödes Wort! und dann nehme ich auch gegen Prostata was ja auch ... eine Betablockerwirkung hat also blutdrucksenkende nicht das andere, / das bringt nicht sehr viel und natürlich Aspirin 300 zur Blutverdünnung! ... für den Fall der Fälle ja? ... ich weiß genau: wenn ich jetzt plötzlich Hochdruck bekomme dann nehme ich eine Captopril eine halbe 12,5 Milligramm halbe Tablette also das sind dann 6,25 Captopril und dann geht das wieder runter! ... also da habe ich schon meinen Mechanismus soweit im Griff: ...“. 1698 Insgesamt äußert der Patient, dass er keine andere Möglichkeit habe – er müsse sich derart mit seiner Erkrankung arrangieren und tue es aus diesem Grunde auch. 1699 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die aktuelle Lebensführung des Patienten zum Zeitpunkt des Interviews noch immer durch ein großes Interesse an der Dokumentation 1695 Interview 9, S. 23 1696 bei einer Arrhythmia absoluta kann es zu Blutgerinnselbildung im Herzen kommen 1697 Interview 9, S. 28 1698 Interview 9, S. 28 f 1699 vgl. Interview 9, S. 29

Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 9 mit Herrn J seiner Symptomatik charakterisiert ist, Herr J möchte die vorliegende Auswertung des Gesprächs für seine Akte haben. Für die Zukunft wünscht sich der Patient schlicht eine Besserung der Symptomatiken: „... ich weiß nicht Zukunftsplanung: was soll ein Mann mit einundsechzig Jahren der mit vierund- sechzig Jahren in Pension gehen wird eher kann ich nicht gehen es sei denn ich bin krank aber was soll ich? ... was wollen Sie von einem alten Mann wissen? ... ja also ich hoffe dass wenn ich einmal aufhöre zu arbeiten in knapp drei Jahren dass es besser wird: aber ... sagen kann ich das auch nicht! ... also dass ich die wissenschaftlichen Arbeiten machen kann die ich alle machen kann denn dazu bin ich jetzt auch: zu müde!“ 1700 Der letzte zu erwähnende Punkt ist der eines möglichen Krankheitsgewinns im Sinne einer positiven Begleiterscheinung, den Herr J möglicherweise aus seiner Herzneurose ziehen kann. In deutlicher Weise schildert der Patient, dass dies in keiner Weise der Fall sei – dies ist als Indiz dafür zu werten, dass Herr J seine Herzneurose ausschließlich im Spannungsfeld zwischen dem Erleiden seiner Störung einerseits und deren bestmöglichen Integration in den Lebensvollzug andererseits erlebt: „..., wenn ein Mann mit Krücken in die Straßenbahn kommt stehen die Leute auf und lassen ihn hinsetzen! ... wenn Sie das einen Krankheitsgewinn: nennen dann habe ich einen, aber der Mann mit Krücken würde gerne stehen wenn er könnte: verstehen Sie ... Krankheitsgewinn das ist einer der ... ein Pappplakat immer vor sich herträgt und sagt `jetzt werde ich Frührentner!´ nicht? ... ich kann natürlich sagen ich habe es nicht aber wenn ich jetzt fünfzig Prozent Behinderung bekäme dann bekomme ich einen Steuernachlass ... ja wer fünfzig Prozent behindert ist ist meistens, Betrüger gibt es immer! so behindert dass er gerne auf den Steuernachlass verzichten würde um wieder eine volle Arbeitskraft zu haben ja?“ 1701 Als Fazit bleibt demnach übrig, dass Herr J tatsächlich massive Einschränkungen durch seine Herzneurose erlebt – andererseits scheint er sie bestmöglich in sein Leben integrieren zu können. 1702 Die These ist somit belegt. 1700 Interview 9, S. 30 1701 Interview 9, S. 29 f 1702 vgl. Interview 9, S. 26 411

Interpretationen des gewonnenen Datenmateri<strong>als</strong> – Ergebnisse des Forschungsprojekts…<br />

Interview 9 mit Herrn J<br />

seiner Symptomatik charakterisiert ist, Herr J möchte die vorliegende Auswertung des Gesprächs<br />

für seine Akte haben.<br />

Für die Zukunft wünscht sich der Patient schlicht eine Besserung der Symptomatiken: „... ich<br />

weiß nicht Zukunftsplanung: was soll ein Mann mit einundsechzig Jahren der mit vierund-<br />

sechzig Jahren in Pension gehen wird eher kann ich nicht gehen es sei denn ich bin krank aber<br />

was soll ich? ... was wollen Sie von einem alten Mann wissen? ... ja <strong>als</strong>o ich hoffe dass wenn ich<br />

einmal aufhöre zu arbeiten in knapp drei Jahren dass es besser wird: aber ... sagen kann ich das<br />

auch nicht! ... <strong>als</strong>o dass ich die wissenschaftlichen Arbeiten machen kann die ich alle machen<br />

kann denn dazu bin ich jetzt auch: zu müde!“ 1700<br />

Der letzte zu erwähnende Punkt ist der eines möglichen Krankheitsgewinns im Sinne einer<br />

positiven Begleiterscheinung, den Herr J möglicherweise aus seiner Herzneurose ziehen kann.<br />

In deutlicher Weise schildert der Patient, dass dies in keiner Weise der Fall sei – dies ist <strong>als</strong> Indiz<br />

dafür zu werten, dass Herr J seine Herzneurose ausschließlich im Spannungsfeld zwischen dem<br />

Erleiden seiner Störung einerseits und deren bestmöglichen Integration in den Lebensvollzug<br />

andererseits erlebt: „..., wenn ein Mann mit Krücken in die Straßenbahn kommt stehen die Leute<br />

auf und lassen ihn hinsetzen! ... wenn Sie das einen Krankheitsgewinn: nennen dann habe ich<br />

einen, aber der Mann mit Krücken würde gerne stehen wenn er könnte: verstehen Sie ...<br />

Krankheitsgewinn das ist einer der ... ein Pappplakat immer vor sich herträgt und sagt `jetzt<br />

werde ich Frührentner!´ nicht? ... ich kann natürlich sagen ich habe es nicht aber wenn ich jetzt<br />

fünfzig Prozent Behinderung bekäme dann bekomme ich einen Steuernachlass ... ja wer fünfzig<br />

Prozent behindert ist ist meistens, Betrüger gibt es immer! so behindert dass er gerne auf den<br />

Steuernachlass verzichten würde um wieder eine volle Arbeitskraft zu haben ja?“ 1701<br />

Als Fazit bleibt demnach übrig, dass Herr J tatsächlich massive Einschränkungen durch seine<br />

Herzneurose erlebt – andererseits scheint er sie bestmöglich in sein Leben integrieren zu<br />

können. 1702<br />

Die These ist somit belegt.<br />

1700 Interview 9, S. 30<br />

1701 Interview 9, S. 29 f<br />

1702 vgl. Interview 9, S. 26<br />

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