Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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352 Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 5 mit Frau E eine Sache, wo man bekommt Angst: und das hat sich dann zugespitzt wieder ... weil also du verlierst einfach dann deinen Arbeitsplatz wenn du da mit solchen Sachen belastet bist ...“. 1464 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle also, dass Frau E mit einer Anfallsangst ihre Arbeit verrichtet hat, dass sie aber trotz gelegentlicher Anfälle den Verlust ihres Arbeitsplatzes verhindern kann – sie selbst führt dies ihrer Vermutung nach auf ihr Pflichtbewusstsein zurück, das ihr nicht gestattet hat, ihren Beruf aufzugeben. 1465 Innerhalb ihrer Ehe und der Familie machen sich die Herzsensationen der Frau E ebenfalls be- merkbar, schon nach den ersten Interviewminuten erwähnt die Patientin die Ausfälle, die ihren Anfällen inhärent sind und betont, dass man einfach liegen müsse – und dies sei problematisch, wenn man kleine Kinder zu Hause habe. 1466 Trotz der Tatsache, dass Frau E faktische Ausfälle im Alltag erlebt, versteht ihr Ehemann sie nicht, 1467 auch ihre Familie kann mit ihrem Krankheitsbild nichts anfangen, diese würde ihr hingegen noch Schuldgefühle einimpfen, weswegen sie dem familiären Umfeld von ihrem Leiden schlicht nichts mehr erzählt. 1468 Speziell auf ihren Ehemann bezogen gibt Frau E an, dass er zu ihrer Erkrankung nichts gesagt habe, wobei sie vermutet, dass er auch keine Informationen über den Zustand seiner Ehefrau haben wolle. 1469 Die Patientin nimmt ihn in Schutz und räumt die Möglichkeit ein, dass ihr Ehemann ihre Erkrankung vielleicht nicht verstanden habe, 1470 aus Gesprächen des Interviewers mit dem Sohn der Patientin wurde aber deutlich, dass die Ehe der Frau E noch nie glücklich gewesen und Kommunikation mit dem Ehemann generell nur schwierig möglich sei. Unter diesem Vorzeichen ließe sich sagen, dass sich die Herzangst der Patientin nicht auf die Ehe ausgewirkt hat, weil diese ohnehin nicht von Zuneigung getragen ist – das würde auch erklären, warum die Patientin kaum Details ihres Ehe- lebens erwähnt. Erweitert man die Untersuchung auf das gesamte soziale Umfeld und die Freizeit der Frau E, kommt zum Vorschein, dass die Herzsensationen einschränkend gewirkt haben, weil Frau E bei- spielsweise angeraten wird, längere Wanderungen im Gebirge zu vermeiden, weil sie dort im 1464 Interview 5, S. 22 f 1465 vgl. Interview 5, S. 23 1466 vgl. Interview 5, S. 5 1467 vgl. Interview 5, S. 13 1468 vgl. Interview 5, S. 29 1469 vgl. Interview 5, S. 32 f 1470 vgl. Interview 5, S. 32

Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 5 mit Frau E Falle eines Anfalls über Stunden nicht zu erreichen wäre: 1471 „und wenn man jetzt solche Gebirgswanderungen macht bei denen man frühs startet und abends wiederkommt und es passiert einem so etwas wo man es dann nicht mehr wegbekommt und man kann ja auch nicht mehr laufen!“ 1472 Weil also das Freizeitverhalten geändert wird, schränkt sich automatisch auch das soziale Umfeld der Patientin ein, da sie bestimmte Unternehmungen einfach nicht mehr macht – so erzählt sie von einem Anfall während eines Urlaubes mit dem Bus, bei dem fünfzig weitere Urlauber festgesessen hätten, weil die von einem Anfall Geplagte nicht mehr mit dem Bus weiterfahren konnte – daher habe sie in der Folge derartige Reisen gemieden: 1473 „das kann mir wieder passieren und die Leute sind dann ja so unmöglich! ... ja? die sagen `jetzt fährt die wieder mit, wegen der können wir die ganzen Dinge nicht machen!´... und und dass ich das also für mich fand ich dann das habe ich dann nicht mehr gemacht, ich wäre gerne da noch einmal mitgefahren und da, dann habe ich gesagt das äh da denke ich dann dran! es könnte wieder sein! ... ich gehe den Leuten damit auf die Nerven und die gehen mir auf die Nerven weil ich dann absolute Ruhe brauche! ... dass sich das wieder beruhigt und da habe ich mir gedacht das tue ich mir nicht mehr an, das bringt mir nichts! ... auch wenn es nicht wie wir vorhin schon sagten äh eigentlich nicht durch diese Einbildung kam, aber man kann es ja nicht wissen ... und dann hat man also ein ungutes Gefühl und mir bringt diese Fahrt von drei Tagen nichts!“ 1474 Um ihre eigenen Nerven und die anderer Menschen zu schonen, zieht sich Frau E also zum damaligen Zeitpunkt aus bestimmten Bereichen des sozialen Lebens zurück und denkt sogar, es gäbe kaum jemanden, der unter einem ähnlichen Störungsbild leide. 1475 Gerade wegen dem von Frau E so empfundenen Unverständnis anderer Menschen bezüglich ihrer Erkrankung zieht sie sich nicht nur aus bestimmten Bereichen des sozialen Umfeldes zurück, sie würde anderen Menschen ein Verständnis ihrer Situation sogar auf besondere Weise erfahren lassen wollen: „aber ich habe vielen Menschen gewünscht dass sie das einmal ein Jahr haben ... und das Gefühl haben (Frau E wird laut) das äh hört nicht mehr auf: ... das soll wieder aufhören: die denen soll es gut gehen verstehen Sie? ... nur ... das das jetzt einmal losgeht alle zwei Monate oder was weiß ich ein ganzes Jahr ... und die haben die Gewissheit `ja das geht jetzt bis an mein Lebens- ende, das hört nicht mehr auf.´ ... das soll aber wieder aufhören: nur dass die einmal das Gefühl haben wie es einem eigentlich dann geht ... und das ganze Unverständnis was die Leute dann 1471 vgl. Interview 5, S. 10 1472 Interview 5, S. 10 1473 vgl. Interview 5, S. 11 1474 Interview 5, S. 12 1475 vgl. Interview 5, S. 13 353

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Interpretationen des gewonnenen Datenmateri<strong>als</strong> – Ergebnisse des Forschungsprojekts…<br />

Interview 5 mit Frau E<br />

eine Sache, wo man bekommt Angst: und das hat sich dann zugespitzt wieder ... weil <strong>als</strong>o du<br />

verlierst einfach dann deinen Arbeitsplatz wenn du da mit solchen Sachen belastet bist ...“. 1464<br />

Festzuhalten bleibt an dieser Stelle <strong>als</strong>o, dass Frau E mit einer Anfallsangst ihre Arbeit verrichtet<br />

hat, dass sie aber trotz gelegentlicher Anfälle den Verlust ihres Arbeitsplatzes verhindern kann –<br />

sie selbst führt dies ihrer Vermutung nach auf ihr Pflichtbewusstsein zurück, das ihr nicht gestattet<br />

hat, ihren Beruf aufzugeben. 1465<br />

Innerhalb ihrer Ehe und der F<strong>am</strong>ilie machen sich die Herzsensationen der Frau E ebenfalls be-<br />

merkbar, schon nach den ersten Interviewminuten erwähnt die Patientin die Ausfälle, die ihren<br />

Anfällen inhärent sind und betont, dass man einfach liegen müsse – und dies sei problematisch,<br />

wenn man kleine Kinder zu Hause habe. 1466 Trotz der Tatsache, dass Frau E faktische Ausfälle im<br />

Alltag erlebt, versteht ihr Ehemann sie nicht, 1467 auch ihre F<strong>am</strong>ilie kann mit ihrem Krankheitsbild<br />

nichts anfangen, diese würde ihr hingegen noch Schuldgefühle einimpfen, weswegen sie dem<br />

f<strong>am</strong>iliären Umfeld von ihrem Leiden schlicht nichts mehr erzählt. 1468 Speziell auf ihren Ehemann<br />

bezogen gibt Frau E an, dass er zu ihrer <strong>Erkrankung</strong> nichts gesagt habe, wobei sie vermutet, dass<br />

er auch keine Informationen über den Zustand seiner Ehefrau haben wolle. 1469 Die Patientin<br />

nimmt ihn in Schutz und räumt die Möglichkeit ein, dass ihr Ehemann ihre <strong>Erkrankung</strong> vielleicht<br />

nicht verstanden habe, 1470 aus Gesprächen des Interviewers mit dem Sohn der Patientin wurde<br />

aber deutlich, dass die Ehe der Frau E noch nie glücklich gewesen und Kommunikation mit dem<br />

Ehemann generell nur schwierig möglich sei. Unter diesem Vorzeichen ließe sich sagen, dass sich<br />

die Herzangst der Patientin nicht auf die Ehe ausgewirkt hat, weil diese ohnehin nicht von<br />

Zuneigung getragen ist – das würde auch erklären, warum die Patientin kaum Details ihres Ehe-<br />

lebens erwähnt.<br />

Erweitert man die Untersuchung auf das ges<strong>am</strong>te soziale Umfeld und die Freizeit der Frau E,<br />

kommt zum Vorschein, dass die Herzsensationen einschränkend gewirkt haben, weil Frau E bei-<br />

spielsweise angeraten wird, längere Wanderungen im Gebirge zu vermeiden, weil sie dort im<br />

1464 Interview 5, S. 22 f<br />

1465 vgl. Interview 5, S. 23<br />

1466 vgl. Interview 5, S. 5<br />

1467 vgl. Interview 5, S. 13<br />

1468 vgl. Interview 5, S. 29<br />

1469 vgl. Interview 5, S. 32 f<br />

1470 vgl. Interview 5, S. 32

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