Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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10.12.2012 Aufrufe

348 Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 5 mit Frau E Das alltägliche Leben der Patientin ist zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung mehr oder weniger stark von ihrer Herzsymptomatik beeinflusst. Frau E schildert zunächst, dass die sympathikovasalen Anfälle wie aus heiterem Himmel kämen, man wäre wie vom Blitz getroffen und falle in diesen Perioden völlig aus: 1445 „auch wenn man zu Hause kleine Kinder hat oder so man man liegt! ... also bei mir war es so ich musste mich hinlegen sonst war das so schlimm dass man wirklich gedacht hat `jetzt ist es aus!´ ... es ist äh also von einer Sekunde auf die andere Sekunde war das einfach so wie wenn das jetzt so ein richtiger Aussetzer! ... und dann: galoppiert es los, aber dann so stark dass ich dann nur äh ja ich musste mich einfach hinlegen sonst äh war das also beim dann hatte man das Gefühl also das geht nicht mehr!“ 1446 Dieses Ausfallen während der Anfälle beinhaltet bei Frau E auch, dass sie sich im Falle einer Herzsensation außerhalb der häuslichen Umgebung nach Hause begeben muss: 1447 „... das ist dann diese wahnsinnige Problematik wenn man jetzt woanders ist und äh ja man setzt sich dann irgendwo auf eine Bank früher und das war nach zehn Minuten vorbei ja? dann ist das ja ok ... aber wenn man woanders ist und das ist nach zwei Stunden noch nicht vorbei ... dann geht ja gar nichts mehr!“ 1448 Für den Fall, dass die Symptomatik der Patientin auftritt, hat sie Medikamente dabei, die sie dann einnehmen muss – ihr Alltag wird quasi in der Zeit ihrer Erkrankung nur durch diese ‚Krücke‘ gestaltbar: „also ich habe auch immer ich weiß bloß nicht mehr die Tabletten ich habe auch immer Tabletten in der Handtasche gehabt für den Fall, ... da hatte ich immer so so da musste ich immer zwei Tabletten nehmen und wenn das nach zwei Stunden nicht geholfen hat dann musste ich gespritzt werden ...“. 1449 Der Alltag der Patientin war somit immer mit der eventuellen Notwendigkeit verbunden, Medikamente einnehmen – oder im schlimmsten Falle einen Arzt aufsuchen zu müssen. Diese Angewiesenheit auf Medikamente oder Ärzte versteht sich von selbst als massive Einschränkung im Vollzug des alltäglichen Lebens, zumal Frau E nach dem Spritzen eines Wirkstoffes immer über Stunden matt gewesen ist. 1450 1445 vgl. Interview 5, S. 4 f 1446 Interview 5, S. 5 1447 vgl. Interview 5, S. 5 1448 Interview 5, S. 6 1449 Interview 5, S. 8 1450 vgl. Interview 5, S. 9

Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 5 mit Frau E Frau E empfindet ihre Herzsensationen im Alltag derartig belastend, dass sie die Meinung äußert, dass Patienten ihrer Art sogar eine Betreuung bräuchten: 1451 „er braucht vom Hausarzt eine Betreuung und dann dort wenn man sich dort einmal ausheult der mit einem redet ... oder der zumindest einem das Gefühl vermittelt `ich bin für Sie da!´ ... und nicht so am Wochenende einmal ja dann hört das und hört das nicht auf ...“. 1452 Die Symptomatik der Frau E führt in der Phase ihrer Krankheit schließlich dazu, dass das Gefühl der Angst vor Anfällen zu ihrem Wegbegleiter wird. 1453 Diese Anfallsangst mündet bei Frau E letztlich in ein Verhalten der Vermeidung, das typisch für Herzangstpatienten ist und den Grad der Behinderung und Einschränkung deutlich werden lässt, allerdings schafft es die Patientin im Laufe der Zeit, das Vermeidungsverhalten durch die auch unangenehme aber in ihrem Fall weniger einschränkende Angst zu ersetzen: „nur wie Sie sagen so bestimmte Sachen wo es mir beim Friseur passiert ist das hat Ihnen der *Herbert schon erzählt das war so schlimm das hat nicht mehr aufgehört, jetzt wollte ich den Arzt ja nicht zum Friseur bringen lassen! ... jetzt hat die mich mit dem Taxi damals nach Hause gefahren ... ich habe da gewisse Dinge habe ich natürlich dann daran gedacht ... ja? also diese Einschränkung ist dann da und mir war dann immer mulmig, aber ich habe auch mit diesem Friseur ich habe ganz langsam mit dem Friseur wieder angefangen weil ich mir gedacht habe ich kann mich ja nicht so davon beherrschen lassen ... dann hatte ich einmal eine Bekannte die dann erst einmal mir die Haare zu Hause geschnitten hat ja? (Frau E lacht) ... und und dann habe ich gesagt `das kann ja nicht sein!´ und dann habe ich angefangen zum Friseur zu gehen `lasst mich bloß nicht warten!´ ... und und und das habe ich also durchgezogen aber ich habe beim Friseur geschwitzt ja? ... aber ich habe mich dazu überwunden und das hat eigentlich wirklich dann Jahre gedauert und ich bin nie gerne gegangen aber ich habe gedacht `nein!´ und wenn dann rufe ich eben ein Taxi und fahre ich nach Hause aber was ist denn wenn Sie die Lockenwickler drinhaben? ... wissen Sie das sind so Dinge äh die eben dann doch wie Sie sagen da war viel Gedanken dabei ... das ist mir aber auch nicht mehr beim Friseur passiert ... aber die Angst ist da, ...“. 1454 1451 vgl. Interview 5, S. 10 1452 Interview 5, S. 10 1453 vgl. Interview 5, S. 12 f 1454 Interview 5, S. 14 f 349

Interpretationen des gewonnenen Datenmateri<strong>als</strong> – Ergebnisse des Forschungsprojekts…<br />

Interview 5 mit Frau E<br />

Frau E empfindet ihre Herzsensationen im Alltag derartig belastend, dass sie die Meinung<br />

äußert, dass Patienten ihrer Art sogar eine Betreuung bräuchten: 1451 „er braucht vom Hausarzt<br />

eine Betreuung und dann dort wenn man sich dort einmal ausheult der mit einem redet ... oder<br />

der zumindest einem das Gefühl vermittelt `ich bin für Sie da!´ ... und nicht so <strong>am</strong> Wochenende<br />

einmal ja dann hört das und hört das nicht auf ...“. 1452<br />

Die Symptomatik der Frau E führt in der Phase ihrer Krankheit schließlich dazu, dass das Gefühl<br />

der Angst vor Anfällen zu ihrem Wegbegleiter wird. 1453<br />

Diese Anfallsangst mündet bei Frau E letztlich in ein Verhalten der Vermeidung, das typisch für<br />

Herzangstpatienten ist und den Grad der Behinderung und Einschränkung deutlich werden lässt,<br />

allerdings schafft es die Patientin im Laufe der Zeit, das Vermeidungsverhalten durch die auch<br />

unangenehme aber in ihrem Fall weniger einschränkende Angst zu ersetzen: „nur wie Sie sagen<br />

so bestimmte Sachen wo es mir beim Friseur passiert ist das hat Ihnen der *Herbert schon<br />

erzählt das war so schlimm das hat nicht mehr aufgehört, jetzt wollte ich den Arzt ja nicht zum<br />

Friseur bringen lassen! ... jetzt hat die mich mit dem Taxi d<strong>am</strong><strong>als</strong> nach Hause gefahren ... ich<br />

habe da gewisse Dinge habe ich natürlich dann daran gedacht ... ja? <strong>als</strong>o diese Einschränkung ist<br />

dann da und mir war dann immer mulmig, aber ich habe auch mit diesem Friseur ich habe ganz<br />

langs<strong>am</strong> mit dem Friseur wieder angefangen weil ich mir gedacht habe ich kann mich ja nicht<br />

so davon beherrschen lassen ... dann hatte ich einmal eine Bekannte die dann erst einmal mir<br />

die Haare zu Hause geschnitten hat ja? (Frau E lacht) ... und und dann habe ich gesagt `das kann<br />

ja nicht sein!´ und dann habe ich angefangen zum Friseur zu gehen `lasst mich bloß nicht<br />

warten!´ ... und und und das habe ich <strong>als</strong>o durchgezogen aber ich habe beim Friseur geschwitzt<br />

ja? ... aber ich habe mich dazu überwunden und das hat eigentlich wirklich dann Jahre gedauert<br />

und ich bin nie gerne gegangen aber ich habe gedacht `nein!´ und wenn dann rufe ich eben ein<br />

Taxi und fahre ich nach Hause aber was ist denn wenn Sie die Lockenwickler drinhaben? ...<br />

wissen Sie das sind so Dinge äh die eben dann doch wie Sie sagen da war viel Gedanken dabei ...<br />

das ist mir aber auch nicht mehr beim Friseur passiert ... aber die Angst ist da, ...“. 1454<br />

1451 vgl. Interview 5, S. 10<br />

1452 Interview 5, S. 10<br />

1453 vgl. Interview 5, S. 12 f<br />

1454 Interview 5, S. 14 f<br />

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