Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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332 Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 4 mit Herrn D - - ist plötzlich das Umfeld draußen das normale Alltagsumfeld äh empfindet man ein Stück ich würde jetzt nicht sagen feindlich aber ja man geht wie ein kleines Kind durch und entdeckt wieder alles neu so ungefähr so `wo könnte hier etwas sein?´ /// also man schaut nicht darauf was ist schön sondern man schaut nur wo könnte etwas gefährlich werden im Prinzip, ...“. 1380 Herr D beschreibt sein Empfinden im Alltag somit als sehr ängstlich und vorsichtig, er spricht in diesem Zusammenhang deutlich agoraphobische Tendenzen an – zu nennen wäre hier seine Angst vor Fahrten mit der Straßenbahn oder dem Zug sowie Angst vor den gefürchteten Panika- ttacken in Menschenansammlungen, er nennt das Beispiel der Menschenmengen an einem Bahnhof. 1381 Aus diesen Emotionen entwickeln sich bei Angstpatienten allgemein Tendenzen, negativ besetzte Situationen zu vermeiden. Bei Herrn D führt dieses Verhalten dazu, dass sich sein alltägliches Leben in immer engeren Kreisen abspielt. 1382 Dennoch gewinnt er im Laufe seiner Therapie die theoretische Einsicht, dass er nur durch Konfrontation mit diesen angstbe- setzten Situationen lernen kann, nicht mehr wie ein ‚Hund in der Tür klammern zu müssen, der durch die Türe laufen muss‘. 1383 Diese theoretische Einsicht kann von Herrn D aber nicht in die Praxis umgesetzt werden – sein stressiger Beruf, die Scheidung von seiner Ehefrau und der Zu- sammenzug mit seiner neuen Lebensgefährtin führen ihn dazu, dass im Alltag das Umdenken im Kopf nicht ausreicht, um die Angstattacken abzufangen. 1384 Im Abschnitt über Beginn und Verlauf der Erkrankung wurde unter dem Gesichtspunkt dessen, was die Erkrankung aus dem Leben des Patienten macht, bereits darauf hingewiesen, dass der Patient viel Zeit damit verbringt, sich mit seiner Herzneurose zu beschäftigen, indem er oft darüber nachdenkt, ob seinen Symptomatiken nicht eine somatische Grunderkrankung Basis ist. Auch im Abschnitt über das alltägliche Leben mit der Erkrankung kann dieser Punkt angebracht werden, weil Herr D sich damit beschäftigt, welche Klinik die richtige Einrichtung für ihn sei: „ja dann ist es einfach immer schlimmer geworden und dann habe ich bin ich mit einem speziellen Wunsch zum Arzt gegangen und habe gesagt `ich möchte in diese *Taubertal-Klinik gehen zum Beispiel´, also es war für mich nachträglich wenn ich darüber nachdenke sehr wichtig dass ich 1380 Interview 4, S. 9 f 1381 vgl. Interview 4, S. 10 1382 vgl. Interview 4, S. 15 1383 vgl. Interview 4, S. 16 1384 vgl. Interview 4, S. 19

Interpretationen des gewonnenen Datenmaterials – Ergebnisse des Forschungsprojekts… Interview 4 mit Herrn D mich selbst damit beschäftigt habe und dass ich überhaupt eine Information hatte was ist denn die richtige Klinik dafür?“ 1385 Herr D selbst beschreibt diese Beschäftigung mit seiner Erkrankung und damit sein alltägliches Nachdenken darüber als Weg und gibt somit Anlass zu vermuten, was in der gesamten Krankenbiographie latent zum Vorschein kommt – die Krankheit nimmt einen Großteil seines (alltäglichen) Lebens ein und macht aus ihm eine Krankenbiographie im wahrsten Sinne: „- - - und ich glaube dass es also bei mir im Prinzip eigentlich dieser Weg! vom Hausarzt ... vom Hausarzt bis über die Klinik die doch nicht die richtige Spezialklinik war bis dann dahin dass ich dann mich selbst erlesen habe wo ich hingehen könnte auch wenn ich selbst noch nicht so daran geglaubt habe aber einfach an dem Strohhalm gezogen habe ... da konnte ich sehr viel schon aufbauen und ähm dieser Bogen dieser Bogen wo man immer mehr äh nach körperlichen Sachen sucht zu stark ausgebreitet wurde schon davor weil ich im Prinzip gar nicht in die richtige Klinik gekommen wäre ... vielleicht ist es auch einfach ein Los wenn jemand so etwas hat dass er einfach genau diesen Weg einfach geht, ...“. 1386 Behält man das Bild des Weges des Herrn D im Blick, stößt der Patient während seines Aufenthalts in der *Schönblick-Klinik dann im Rahmen der therapeutischen Anstrengungen an eine Weggabelung, die ihm eine Alternative aufzeigt: „und hat dann auch verschiedene Denktechniken beigebracht bekommen ja? dass also im Kopf umgeschaltet werden muss ja? dass also - - ja wie soll ich das beschreiben so ungefähr wenn man das Gefühl hat man bekommt im nächsten Moment einen Herzinfarkt dass man einfach nicht sagt dass man einfach wenn der Gedanke kommt `Mensch du könntest jetzt einen Herz- äh Herzinfarkt bekommen´ äh dass einfach der Gedankengang oben gewechselt werden muss dass man dann sagt `ja gut, die ganze Situation habe ich jetzt ungefähr fünfzig Mal erlebt und es ist nichts passiert also passiert jetzt auch nichts´ um da positive Gedanken wieder von dem ganz schlimmen Weg wieder abzukommen, also das hat natürlich sehr lange gedauert um im Prinzip sich da einmal mit anzufreunden aber das war der erste Weg der mir eigentlich geholfen hat dass man also diese Schwelle also von den Angstattacke oder davor abwälzen und sich wieder beruhigen ...“. 1387 1385 Interview 4, S. 12 1386 Interview 4, S. 12 f 1387 Interview 4, S. 13 f 333

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Interpretationen des gewonnenen Datenmateri<strong>als</strong> – Ergebnisse des Forschungsprojekts…<br />

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- - ist plötzlich das Umfeld draußen das normale Alltagsumfeld äh empfindet man ein Stück ich<br />

würde jetzt nicht sagen feindlich aber ja man geht wie ein kleines Kind durch und entdeckt<br />

wieder alles neu so ungefähr so `wo könnte hier etwas sein?´ /// <strong>als</strong>o man schaut nicht darauf<br />

was ist schön sondern man schaut nur wo könnte etwas gefährlich werden im Prinzip, ...“. 1380<br />

Herr D beschreibt sein Empfinden im Alltag somit <strong>als</strong> sehr ängstlich und vorsichtig, er spricht in<br />

diesem Zus<strong>am</strong>menhang deutlich agoraphobische Tendenzen an – zu nennen wäre hier seine<br />

Angst vor Fahrten mit der Straßenbahn oder dem Zug sowie Angst vor den gefürchteten Panika-<br />

ttacken in Menschenans<strong>am</strong>mlungen, er nennt das Beispiel der Menschenmengen an einem<br />

Bahnhof. 1381 Aus diesen Emotionen entwickeln sich bei Angstpatienten allgemein Tendenzen,<br />

negativ besetzte Situationen zu vermeiden. Bei Herrn D führt dieses Verhalten dazu, dass sich<br />

sein alltägliches Leben in immer engeren Kreisen abspielt. 1382 Dennoch gewinnt er im Laufe<br />

seiner Therapie die theoretische Einsicht, dass er nur durch Konfrontation mit diesen angstbe-<br />

setzten Situationen lernen kann, nicht mehr wie ein ‚Hund in der Tür kl<strong>am</strong>mern zu müssen, der<br />

durch die Türe laufen muss‘. 1383 Diese theoretische Einsicht kann von Herrn D aber nicht in die<br />

Praxis umgesetzt werden – sein stressiger Beruf, die Scheidung von seiner Ehefrau und der Zu-<br />

s<strong>am</strong>menzug mit seiner neuen Lebensgefährtin führen ihn dazu, dass im Alltag das Umdenken im<br />

Kopf nicht ausreicht, um die Angstattacken abzufangen. 1384<br />

Im Abschnitt über Beginn und Verlauf der <strong>Erkrankung</strong> wurde unter dem Gesichtspunkt dessen,<br />

was die <strong>Erkrankung</strong> aus dem Leben des Patienten macht, bereits darauf hingewiesen, dass der<br />

Patient viel Zeit d<strong>am</strong>it verbringt, sich mit seiner Herzneurose zu beschäftigen, indem er oft<br />

darüber nachdenkt, ob seinen Symptomatiken nicht eine somatische Grunderkrankung Basis ist.<br />

Auch im Abschnitt über das alltägliche Leben mit der <strong>Erkrankung</strong> kann dieser Punkt angebracht<br />

werden, weil Herr D sich d<strong>am</strong>it beschäftigt, welche Klinik die richtige Einrichtung für ihn sei: „ja<br />

dann ist es einfach immer schlimmer geworden und dann habe ich bin ich mit einem speziellen<br />

Wunsch zum Arzt gegangen und habe gesagt `ich möchte in diese *Taubertal-Klinik gehen zum<br />

Beispiel´, <strong>als</strong>o es war für mich nachträglich wenn ich darüber nachdenke sehr wichtig dass ich<br />

1380 Interview 4, S. 9 f<br />

1381 vgl. Interview 4, S. 10<br />

1382 vgl. Interview 4, S. 15<br />

1383 vgl. Interview 4, S. 16<br />

1384 vgl. Interview 4, S. 19

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