Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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256 Erhebung, Transkription und Interpretation – das Forschungsdesign der Arbeit Qualitative und quantitative Sozialforschung ein besseres Verständnis des Herzneurotikers und seines Lebens abzielt, denn Erklärungen und Theorien gibt es bereits genug. Zusammenfassend und im Überblick können also folgende Aussagen zum Verhältnis qualitativer und quantitativer Forschung festgehalten werden: - Während qualitative Forschung interpretierend auswertet, verarbeitet quantitative For- schung ihre Ergebnisse statistisch. 1074 Qualitatives Material kann aber dann quantifiziert werden, wenn der Übereinstimmungsgrad verschiedener Deutungen festgestellt werden soll. 1075 Auch Kelle und Erzberger sind der Meinung, dass die Grenzen zwischen quantitativer und qualitativer Methodologie nicht völlig unüberwindlich sein müssen, obwohl es gerade in Deutschland eine starke Tendenz gibt, die beiden Richtungen zwei genuin unterschiedlichen Methodenparadigmen zuzuordnen sowie in diesem Zusammenhang auf die jeweils unter- schiedliche philosophische Wurzel hinzuweisen. 1076 Denn gerade in der Forschungspraxis werden „... immer häufiger interpretative »qualitative« Verfahren (...) mit standardisierten »quantitativen« Methoden zu gemeinsamen Untersuchungsdesigns verbunden.” 1077 - Im qualitativen Forschungsverfahren werden nicht numerische Materialien herangezogen wie etwa Interviewtexte, Briefe, Filme usw. Der Untersuchungsvorgang muss nicht oder nur in geringem Umfang standardisiert werden. 1078 Bei der Diskussion um das verwendete Material gelangt man automatisch auch zu den Vor- und Nachteilen qualitativer und quantitativer Forschung, denn „Dieses qualitative Material scheint ‚reichhaltiger‘ zu sein; es enthält viel mehr Details als ein Meßwert.” 1079 Und weiter: „Wenn man unstandardisiert befragt, will man natürlich genau den inhaltlichen Reichtum der individuellen Antworten in den Analysen berücksichtigen. Dazu dienen interpretative Verfahren. Sie gliedern und strukturieren Texte, arbeiten die wichtigsten Grundideen heraus und machen die Gedanken- und Erlebenswelt der Befragten transparent.” 1080 Im Gegensatz dazu sind Erhebungen mittels Fragebogen anonymer und durch größere Distanz zum Befragenden charakterisiert, ein 1074 vgl. hierzu z. B. Berg 1989, zitiert nach Bortz & Döring 2002, S. 295 1075 vgl. Bortz & Döring 2002, S. 296 1076 vgl. Kelle & Erzberger in Flick und andere 2000, S. 299 1077 vgl. Freter und andere 1991, Nickel und andere 1995, zitiert nach Kelle & Erzberger in Flick und andere 2000, S. 299 f 1078 vgl. Bortz & Döring 2002, S. 296 1079 Bortz & Döring 2002, S. 296 1080 Bortz & Döring 2002, S. 296

Erhebung, Transkription und Interpretation – das Forschungsdesign der Arbeit Qualitative und quantitative Sozialforschung Umstand, der heikle Fragen eventuell offener beantworten lässt. 1081 Die Vor- und Nachteile qualitativer und quantitativer Forschung kommentiert auch Spöring, indem hier die quantitative Forschung mit dem Laborexperiment, die qualitative mit der Feldstudie in Verbindung gesetzt wird, obwohl natürlich auch qualitative Gruppendiskussionen unter Laborbedingungen, strukturierte Verfahren auch in Feldsituationen natürlicher Art durch- geführt werden. 1082 „Dem Laborexperiment wird eine vergleichsweise hohe interne Validität zugesprochen, d. h. daß die beobachteten Effekte (Veränderungen bzw. Unterschiede) in den abhängigen Verhaltensvariablen aufgrund der Ausschaltung von Störeinflüssen eindeutig auf die Wirkung der planmäßig (experimentell) veränderten Faktor- bzw. Stimulusvariablen zurückgeführt werden können. Demgegenüber gilt das Laborexperiment als mit der Hypothek einer relativ geringen externen Validität, d. h. einer geringen Verallgemeinerbarkeit auf andere Personengruppen, Zeitpunkte, Situationen oder Stimuluskriterien, belastet.” 1083 Und weiter: „Eine standardisierte Befragung weist vergleichsweise viele Merkmale der Künst- lichkeit auf: die Verhaltensstimuli (die genau vorformulierten Fragen) und das Bewußtsein des gezielten Befragtwerdens tragen klar artifizielle Züge; das Antwortverhalten ist im Fall geschlossener (Auswahl-) Fragen ebenfalls unnatürlich, im Fall offener Fragen, bei denen der Befragte seine Antwort selbst formulieren kann, weniger.” 1084 Aber „Auch eine qualitative, explorative oder naturalistische Datengewinnung muß sich an den etablierten Gütekriterien der herkömmlichen Sozialforschung messen lassen, kann diese jedoch vergleichsweise liberaler fassen sowie durch zusätzliche Maßstäbe ... ergänzen.” 1085 Auch Terhart macht auf das Problem der Wissenschaftlichkeit qualitativer Daten aufmerksam: „Seit Beginn der neueren Diskussion um qualitative Methoden wird als eines der entscheidenden syste- matischen Probleme dieses Ansatzes die Frage nach der Notwendigkeit und Möglichkeit der Geltungsbegründung von interpretativ gewonnenen Aussagen gestellt. Während die quan- titative Forschung diese Frage auf die höherliegende Ebene des wissenschaftstheoretischen Diskurses verfrachtet und damit erfolgreich aus dem praktischen Geschäft ausgelagert hat, sehen sich qualitative Forscher kontinuierlich der kritischen Rückfrage nach der ‚Wahrheit‘ ihrer Resultate ausgesetzt: Der Verdacht steht im Raum, daß es sich doch ‚nur‘ um subjektiv eingefärbten Journalismus, nichtverallgemeinerbare Einzelfallschilderungen, kurzum: um unkontrollierte und unkontrollierbare, bloß literarische, womöglich gar für irgendeine 1081 vgl. Bortz & Döring 2002, S. 297 1082 vgl. Spöring 1995, S. 18 1083 Spöring 1995, S. 19 1084 Spöring 1995, S. 25 1085 Spöring 1995, S. 27 - zu den Gütemaßstäben siehe Spöring 1995, S. 27 ff 257

Erhebung, Transkription und Interpretation – das Forschungsdesign der Arbeit<br />

Qualitative und quantitative Sozialforschung<br />

Umstand, der heikle Fragen eventuell offener beantworten lässt. 1081 Die Vor- und Nachteile<br />

qualitativer und quantitativer Forschung kommentiert auch Spöring, indem hier die<br />

quantitative Forschung mit dem Laborexperiment, die qualitative mit der Feldstudie in<br />

Verbindung gesetzt wird, obwohl natürlich auch qualitative Gruppendiskussionen unter<br />

Laborbedingungen, strukturierte Verfahren auch in Feldsituationen natürlicher Art durch-<br />

geführt werden. 1082 „Dem Laborexperiment wird eine vergleichsweise hohe interne Validität<br />

zugesprochen, d. h. daß die beobachteten Effekte (Veränderungen bzw. Unterschiede) in den<br />

abhängigen Verhaltensvariablen aufgrund der Ausschaltung von Störeinflüssen eindeutig auf<br />

die Wirkung der planmäßig (experimentell) veränderten Faktor- bzw. Stimulusvariablen<br />

zurückgeführt werden können. Demgegenüber gilt das Laborexperiment <strong>als</strong> mit der Hypothek<br />

einer relativ geringen externen Validität, d. h. einer geringen Verallgemeinerbarkeit auf<br />

andere Personengruppen, Zeitpunkte, Situationen oder Stimuluskriterien, belastet.” 1083 Und<br />

weiter: „Eine standardisierte Befragung weist vergleichsweise viele Merkmale der Künst-<br />

lichkeit auf: die Verhaltensstimuli (die genau vorformulierten Fragen) und das Bewußtsein<br />

des gezielten Befragtwerdens tragen klar artifizielle Züge; das Antwortverhalten ist im Fall<br />

geschlossener (Auswahl-) Fragen ebenfalls unnatürlich, im Fall offener Fragen, bei denen der<br />

Befragte seine Antwort selbst formulieren kann, weniger.” 1084 Aber „Auch eine qualitative,<br />

explorative oder naturalistische Datengewinnung muß sich an den etablierten Gütekriterien<br />

der herkömmlichen Sozialforschung messen lassen, kann diese jedoch vergleichsweise<br />

liberaler fassen sowie durch zusätzliche Maßstäbe ... ergänzen.” 1085 Auch Terhart macht auf<br />

das Problem der Wissenschaftlichkeit qualitativer Daten aufmerks<strong>am</strong>: „Seit Beginn der<br />

neueren Diskussion um qualitative Methoden wird <strong>als</strong> eines der entscheidenden syste-<br />

matischen Probleme dieses Ansatzes die Frage nach der Notwendigkeit und Möglichkeit der<br />

Geltungsbegründung von interpretativ gewonnenen Aussagen gestellt. Während die quan-<br />

titative Forschung diese Frage auf die höherliegende Ebene des wissenschaftstheoretischen<br />

Diskurses verfrachtet und d<strong>am</strong>it erfolgreich aus dem praktischen Geschäft ausgelagert hat,<br />

sehen sich qualitative Forscher kontinuierlich der kritischen Rückfrage nach der ‚Wahrheit‘<br />

ihrer Resultate ausgesetzt: Der Verdacht steht im Raum, daß es sich doch ‚nur‘ um subjektiv<br />

eingefärbten Journalismus, nichtverallgemeinerbare Einzelfallschilderungen, kurzum: um<br />

unkontrollierte und unkontrollierbare, bloß literarische, womöglich gar für irgendeine<br />

1081 vgl. Bortz & Döring 2002, S. 297<br />

1082 vgl. Spöring 1995, S. 18<br />

1083 Spöring 1995, S. 19<br />

1084 Spöring 1995, S. 25<br />

1085 Spöring 1995, S. 27 - zu den Gütemaßstäben siehe Spöring 1995, S. 27 ff<br />

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