Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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16 Psychosomatische Erkrankungen, Psychosomatik und Psychosomatische Medizin – ein Überblick Begriffliches somatische Medizin widmet sich als Spezialdisziplin den seelischen Einflüssen bei der Krank- heitsentstehung, Krankheitsverarbeitung und Behandlung.“ 44 Dagegen ist „Psychosomatik ... die Lehre von der Wechselwirkung zwischen seelischen, psycho- sozialen und körperlichen Prozessen in Gesundheit und Krankheit.“ 45 Man kann also sagen, dass Psychosomatik eine integrative Wissenschaft ist „..., deren Notwen- digkeit sich aus den Erkenntnissen ableitet, die in den Human- und Sozialwissenschaften über die Beziehungen zwischen ‚mind-body-environment‘ gemacht worden sind.“ 46 Er fasst die Bezeichnung ‚psychosomatisch‘ jedoch noch weiter und bezieht sie auf eine ärztliche bio-psycho-soziale Orientierung 47 „..., die ein integrativer Bestandteil des ärztlichen Handelns ist. Sie ist darum bemüht, seelische, soziale und körperliche Aspekte des Krankseins zu integrieren und bei der Behandlung von Kranken gleichrangig zu beachten.“ 48 Zur Entstehung 49 sagt Ermann, das psychosomatische Denken sei als Reaktion auf die moderne naturwissenschaftliche Ausrichtung der Medizin zu verstehen; der einzelne Mensch sei im Gegensatz zu einer eher somatisch orientierten Medizin mitsamt seinem Erleben, seinem Schick- sal und seiner Geschichte ins Zentrum gerückt. 50 „Das Programm der allgemeinen psychosomatischen Orientierung in der neuzeitlichen Medizin war und ist es, verstärkt wieder ‚das Subjekt in die Medizin einzuführen‘.“ 51 Wie Weber weist auch Alexander auf die Problematik des Ausdrucks ‚Psychosomatik‘ in Bezug auf die scheinbar enthaltene Spaltung zwischen Leib und Seele hin, weil genau diese Trennung nicht beabsichtigt ist, wenn man einen psychosomatischen Standpunkt einnimmt. 52 44 Ermann 1999, S. 15 45 Ermann 1999, S. 15 46 Franke 1981, S. 13 47 vgl. v. Uexküll & Wesiack 1996, zitiert nach Ermann 1999, S. 15 48 Ermann 1999, S. 15 49 hierzu wird ausführlich im Teil über die geschichtliche Entwicklung psychosomatischer Denkweise berichtet 50 vgl. Ermann 1999, S. 16 51 v. Weizsäcker 1940, zitiert nach Ermann 1999, S. 16 52 vgl. Alexander 1985, S. 28

Psychosomatische Erkrankungen, Psychosomatik und Psychosomatische Medizin – ein Überblick Begriffliches Alexander fügt hinzu, dass unter ‚Psychosomatik‘ ausschließlich eine Vorgehensweise in For- schung und Praxis verstanden werden soll, „... eine Methode nämlich, die sich auf die gleich- zeitige und koordinierte Verwertung von somatischen – das heißt physiologischen – Methoden und Vorstellungen auf der einen Seite und psychologischen Methoden und Vorstellungen auf der anderen Seite stützt. Besonderer Wert muß auf den Ausdruck ‚koordinierte Verwertung‘ gelegt werden, mit dem gesagt sein soll, daß die beiden Methoden innerhalb des Begriffsgebäudes der kausalen Abläufe angewendet werden sollen.“ 53 Was versteht Alexander nun genau unter koordinierter Verwertung der beiden Methoden? Er gibt ein Beispiel: „Psychosomatische Erforschung der Magensaftsekretion erfaßt ... nicht nur einen Teil dieses komplexen Prozesses, sondern tritt ihm in seiner Totalität entgegen. Sie schließt deshalb zentrale kortikale Reize ein, von denen die Magensaftsekretion beeinflußt wird und die nur mit psychologischen Methoden beschrieben und untersucht werden können.“ 54 Interessant erscheint in diesem Zusammenhang die von ihm aufgeworfene Frage, „... ob das psychosomatische Vorgehen nur als eine vorübergehende Methode betrachtet werden sollte, die wieder fallen zu lassen ist, sobald wir in der Lage sind, mit verbesserten elektroencephalo- graphischen und anderen physiologischen Methoden diejenigen Hirnprozesse zu untersuchen, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur mit psychologischen Methoden erfassen lassen.“ 55 Er relativiert diesen (nicht so recht passenden, M. Hager) Gedankengang aber gleich wieder mit der Bemerkung, dass es doch eher wahrscheinlich sein dürfte, zwischenmenschlichen Be- ziehungen zugehörige Hirnprozesse nur in soziologischen und psychologischen Ausdrücken be- schreiben zu können 56 und ergänzt: „Eine biochemische Formel, die ein rezeptives Verlangen irgendwo in der Hirnrinde beschreibt, wird niemals zwischenmenschliche Umstände, denen zufolge dieses Verlangen auftrat oder verstärkt wurde, ausweisen.“ 57 Nachdem also jetzt eine erste Einsicht in das, was Psychosomatik ist, ermöglicht wurde, soll jetzt umrissen werden, was es mit psychosomatischer Medizin auf sich hat. Handelt es sich dabei, um mit v. Weizsäckers Worten zu sprechen, nur um eine die Psychologie und Natur- 53 Alexander 1985, S. 28 f 54 Alexander 1985, S. 29 55 Alexander 1985, S. 29 56 vgl. Alexander 1985, S. 29 57 Alexander 1985, S. 29 17

<strong>Psychosomatische</strong> <strong>Erkrankung</strong>en, Psychosomatik und <strong>Psychosomatische</strong> Medizin – ein Überblick<br />

Begriffliches<br />

Alexander fügt hinzu, dass unter ‚Psychosomatik‘ ausschließlich eine Vorgehensweise in For-<br />

schung und Praxis verstanden werden soll, „... eine Methode nämlich, die sich auf die gleich-<br />

zeitige und koordinierte Verwertung von somatischen – das heißt physiologischen – Methoden<br />

und Vorstellungen auf der einen Seite und psychologischen Methoden und Vorstellungen auf der<br />

anderen Seite stützt. Besonderer Wert muß auf den Ausdruck ‚koordinierte Verwertung‘ gelegt<br />

werden, mit dem gesagt sein soll, daß die beiden Methoden innerhalb des Begriffsgebäudes der<br />

kausalen Abläufe angewendet werden sollen.“ 53<br />

Was versteht Alexander nun genau unter koordinierter Verwertung der beiden Methoden? Er<br />

gibt ein Beispiel: „<strong>Psychosomatische</strong> Erforschung der Magensaftsekretion erfaßt ... nicht nur<br />

einen Teil dieses komplexen Prozesses, sondern tritt ihm in seiner Totalität entgegen. Sie<br />

schließt deshalb zentrale kortikale Reize ein, von denen die Magensaftsekretion beeinflußt wird<br />

und die nur mit psychologischen Methoden beschrieben und untersucht werden können.“ 54<br />

Interessant erscheint in diesem Zus<strong>am</strong>menhang die von ihm aufgeworfene Frage, „... ob das<br />

psychosomatische Vorgehen nur <strong>als</strong> eine vorübergehende Methode betrachtet werden sollte, die<br />

wieder fallen zu lassen ist, sobald wir in der Lage sind, mit verbesserten elektroencephalo-<br />

graphischen und anderen physiologischen Methoden diejenigen Hirnprozesse zu untersuchen,<br />

die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur mit psychologischen Methoden erfassen lassen.“ 55<br />

Er relativiert diesen (nicht so recht passenden, M. Hager) Gedankengang aber gleich wieder mit<br />

der Bemerkung, dass es doch eher wahrscheinlich sein dürfte, zwischenmenschlichen Be-<br />

ziehungen zugehörige Hirnprozesse nur in soziologischen und psychologischen Ausdrücken be-<br />

schreiben zu können 56 und ergänzt: „Eine biochemische Formel, die ein rezeptives Verlangen<br />

irgendwo in der Hirnrinde beschreibt, wird niem<strong>als</strong> zwischenmenschliche Umstände, denen<br />

zufolge dieses Verlangen auftrat oder verstärkt wurde, ausweisen.“ 57<br />

Nachdem <strong>als</strong>o jetzt eine erste Einsicht in das, was Psychosomatik ist, ermöglicht wurde, soll<br />

jetzt umrissen werden, was es mit psychosomatischer Medizin auf sich hat. Handelt es sich<br />

dabei, um mit v. Weizsäckers Worten zu sprechen, nur um eine die Psychologie und Natur-<br />

53 Alexander 1985, S. 28 f<br />

54 Alexander 1985, S. 29<br />

55 Alexander 1985, S. 29<br />

56 vgl. Alexander 1985, S. 29<br />

57 Alexander 1985, S. 29<br />

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