Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

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172 Krankheit als biographisches Ereignis. Ziel der Arbeit und Begründung der Themenwahl Krankheit aus medizinischer Sicht Und weiter: „Der Kranke muß ‚verarztet‘ werden, wie man sich jetzt ausdrückt, und es ist das kein schlechtes Wort für diesen Vorgang. Wenn der Arzt das Zimmer betritt, fällt sein erster Blick auf die Kurve am Kopfende des Bettes, nicht auf den Kranken.“ 754 Und selbst dem Patienten ist es nicht neu, seine Erkrankung mit technischen und chemischen Bezeichnungen zu beschreiben und mit Bezeichnungen zu hantieren, die er selbst gar nicht kennt und die ihn genau aus diesem Grunde befriedigen. 755 Dieses dritte Kapitel wird sich mit der gerade angesprochenen Thematik beschäftigen. Zunächst wird dabei entfaltet, dass die medizinische Wissenschaft ‚Krankheit‘ als ‚Störfall‘, als kritisches Lebensereignis betrachtet, das beispielsweise durch andere kritische Lebensereignisse hervorgerufen wird und durch die Einordnung in die modernen Klassifizierungssysteme ICD-10 und DSM-IV zur genauen Verortung gelangen soll, weil hierdurch eine auf die Erkrankung abgestimmte Therapie ermöglicht wird, die sich im pharmakologischen und/oder psychothera- peutischen Bereich bewegt. Dabei wird im Prinzip jeglicher Umgang mit einer Krankheit als ‚Coping‘ verstanden, das der Frage nachgeht, wie der Patient mit dem ‚Störfall Krankheit‘ umgeht beziehungsweise wie er ihn bewältigt. Im weiteren Verlauf des Kapitels (siehe 3.2) wird dann eine gänzlich andere Sichtweise von ‚Krankheit‘ dargestellt, die gleichzeitig Grundlage der hier durchgeführten Studie ist: ‚Krankheiten‘ – insbesondere aber Neurosen – werden dabei als Vorgänge betrachtet, die schlicht zum menschlichen Leben gehören. Dadurch wird ‚Krankheit‘ nicht mehr (nur) als Störfall innerhalb der individuellen Biographie verstanden, sie wird vielmehr unter dem Aspekt der Bildung betrachtet, weil ‚Krankheit‘ zum menschlichen Leben gehört, das immer auch als Bildungsweg verstanden werden kann. Das Interesse der Arbeit dreht sich also nicht um die Frage, wie ‚Krankheit‘ bewältigt, verarbeitet, eingeordnet, benannt und therapiert wird, sondern es wird die Frage aufgeworfen, wie Erkrankungen – hier die Herzneurose – erlebt werden, wie sich gerade diese psychosomatische Erkrankung im Alltag, dem Beruf, der Partnerschaft etc. auswirkt. Das vorliegende Kapitel ist somit als fruchtbar gedachte Kritik an der häufig anzutreffenden Einseitigkeit der Medizin, Skizzierung des Forschungsvorhabens im Bereich der Theorie und Begründung des pädagogischen Interesses an einem medizinischen Thema zu verstehen, das durch das vierte Kapitel, in dem es um die Methode der Studie (Datenerhebung und deren Interpretation) geht, ergänzt wird. 754 v. Weizsäcker 1950, S. 105 755 vgl. v. Weizsäcker 1950, S. 105

Krankheit als biographisches Ereignis. Ziel der Arbeit und Begründung der Themenwahl Zur Definition von ‚Gesundheit’ und ‚Krankheit’ 3.1.1 Zur Definition von ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ Nachdem im ersten Kapitel ausführlich auf die Frage eingegangen wurde, was man unter ‚psychosomatischen Erkrankungen‘, ‚Psychosomatik‘ und ‚psychosomatischer Medizin‘ zu ver- stehen hat, soll zu Beginn des dritten Teils der vorliegenden Arbeit nur noch in aller Kürze da- rauf eingegangen werden, was die Medizin unter ‚Gesundheit‘ bzw. ‚Krankheit‘ eigentlich ganz allgemein versteht, zumal dieses Verständnis wie ein roter Faden das komplette Kapitel 3.1 durchzieht, indem hier nämlich dargestellt wird, was innerhalb der Medizin als Konsequenz aus dieser Haltung entsteht. Wie dieser medizinische Standpunkt dann sinnvoll erweitert werden kann, wird in Abschnitt 3.2 skizziert. Dennoch soll hier einführend eine Art ‚Grundlagen- definition‘ geleistet werden. Krankheit ganz allgemein kann nach Pschyrembel unter medizinischem Aspekt folgendermaßen verstanden werden: „Krankheit: (engl.) disease, illness; Erkrankung, Nosos, Pathos, Morbus; 1. Störung der Lebens- vorgänge in Organen od. im gesamten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen bzw. objektiv feststellbaren körperl., geistigen bzw. seelischen Veränderungen; 2. I. S. der sozialversicherungs- u. arbeitsrechtl. Gesetze der regelwidrige Körper- od. Geisteszustand, der in der Notwendigkeit einer Heilbehandlung (...) od. der Arbeitsunfähigkeit* wahrnehmbar zutage tritt; 3. Begriffl. Bez. für eine definierbare Einheit typischer ätiol., morphol., sympt., nosologisch beschreibbarer Erscheinungen, die als eine best. Erkrankung verstanden wird. Vgl. Gesundheit.“ 756 Nachdem der Leser aufgefordert wird, diese Definition mit der des Begriffs ‚Gesundheit‘ zu ver- gleichen, soll dies dem Leser dieser Arbeit nicht vorenthalten werden. Unter ‚Gesundheit‘ findet man dann folgende Definition: „Gesundheit: (engl.) health; 1. I. w. S. nach der Definition der WHO der Zustand völligen körperl., geistigen, seel. u. sozialen Wohlbefindens; 2. I. e. S. das sub- jektive Empfinden des Fehlens körperl., geistiger u. seel. Störungen od. Veränderungen bzw. ein Zustand, in dem Erkr. u. pathol. Veränderungen nicht nachgewiesen werden können; 3. Im sozialversicherungsrechtl. Sinn der Zustand, aus dem Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit resultiert. ... .“ 757 756 Pschyrembel & Braun 2002, S. 904 757 Pschyrembel & Braun 2002, S. 594 173

Krankheit <strong>als</strong> <strong>biographisches</strong> <strong>Ereignis</strong>. Ziel der Arbeit und Begründung der Themenwahl<br />

Zur Definition von ‚Gesundheit’ und ‚Krankheit’<br />

3.1.1 Zur Definition von ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘<br />

Nachdem im ersten Kapitel ausführlich auf die Frage eingegangen wurde, was man unter<br />

‚psychosomatischen <strong>Erkrankung</strong>en‘, ‚Psychosomatik‘ und ‚psychosomatischer Medizin‘ zu ver-<br />

stehen hat, soll zu Beginn des dritten Teils der vorliegenden Arbeit nur noch in aller Kürze da-<br />

rauf eingegangen werden, was die Medizin unter ‚Gesundheit‘ bzw. ‚Krankheit‘ eigentlich ganz<br />

allgemein versteht, zumal dieses Verständnis wie ein roter Faden das komplette Kapitel 3.1<br />

durchzieht, indem hier nämlich dargestellt wird, was innerhalb der Medizin <strong>als</strong> Konsequenz aus<br />

dieser Haltung entsteht. Wie dieser medizinische Standpunkt dann sinnvoll erweitert werden<br />

kann, wird in Abschnitt 3.2 skizziert. Dennoch soll hier einführend eine Art ‚Grundlagen-<br />

definition‘ geleistet werden. Krankheit ganz allgemein kann nach Pschyrembel unter<br />

medizinischem Aspekt folgendermaßen verstanden werden:<br />

„Krankheit: (engl.) disease, illness; <strong>Erkrankung</strong>, Nosos, Pathos, Morbus; 1. Störung der Lebens-<br />

vorgänge in Organen od. im ges<strong>am</strong>ten Organismus mit der Folge von subjektiv empfundenen<br />

bzw. objektiv feststellbaren körperl., geistigen bzw. seelischen Veränderungen; 2. I. S. der<br />

sozialversicherungs- u. arbeitsrechtl. Gesetze der regelwidrige Körper- od. Geisteszustand, der in<br />

der Notwendigkeit einer Heilbehandlung (...) od. der Arbeitsunfähigkeit* wahrnehmbar zutage<br />

tritt; 3. Begriffl. Bez. für eine definierbare Einheit typischer ätiol., morphol., sympt., nosologisch<br />

beschreibbarer Erscheinungen, die <strong>als</strong> eine best. <strong>Erkrankung</strong> verstanden wird. Vgl. Gesundheit.“ 756<br />

Nachdem der Leser aufgefordert wird, diese Definition mit der des Begriffs ‚Gesundheit‘ zu ver-<br />

gleichen, soll dies dem Leser dieser Arbeit nicht vorenthalten werden. Unter ‚Gesundheit‘ findet<br />

man dann folgende Definition: „Gesundheit: (engl.) health; 1. I. w. S. nach der Definition der<br />

WHO der Zustand völligen körperl., geistigen, seel. u. sozialen Wohlbefindens; 2. I. e. S. das sub-<br />

jektive Empfinden des Fehlens körperl., geistiger u. seel. Störungen od. Veränderungen bzw. ein<br />

Zustand, in dem Erkr. u. pathol. Veränderungen nicht nachgewiesen werden können; 3. Im<br />

sozialversicherungsrechtl. Sinn der Zustand, aus dem Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit resultiert. ...<br />

.“ 757<br />

756 Pschyrembel & Braun 2002, S. 904<br />

757 Pschyrembel & Braun 2002, S. 594<br />

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