Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ... Psychosomatische Erkrankung als biographisches Ereignis am ...

opus.bibliothek.uni.wuerzburg.de
von opus.bibliothek.uni.wuerzburg.de Mehr von diesem Publisher
10.12.2012 Aufrufe

158 Die ‚Herzenurose’ – Annährung an ein vielfach diskutiertes Störungsbild Therapiemöglichkeiten der Herzneurose Sind die Untersuchungen abgeschlossen, ist es wichtig, auf welche Art man das negative Unter- suchungsergebnis mitteilt. 676 „Selbst wenn sich röntgenologisch ein verhältnismäßig kleines Herz findet, so sollte man nicht von einem ‚zu kleinen‘ oder gar ‚etwas schwachen‘ Herzen reden.“ 677 Tritt nach der Akzeptanz des Patienten durch den Arzt Erleichterung ein, ist diese nicht von langer Dauer. „Zahlreiche Patienten erscheinen zum nächsten Besuch mit ähnlichen Fragen und Besorgnissen wie beim ersten mal.“ 678 Dies liegt nach den Autoren darin begründet, dass eine rationale Gewissheit vom Kranken nicht erwartet wird – es geht ihnen in erster Linie um eine erneute Stärkung irrationaler und magischer Art. Die Patienten halten derart an ihrer ‚eingebildeten‘ Krankheit fest, weil diese vor dem Absinken in die Depression schützt. 679 Also scheint die psychologische Führung des Patienten seitens des Arztes unheimlich bedeutsam zu sein. Gerade der Hunger nach Kontakt des Patienten sollte daher ertragen und gehandhabt werden – aber immer mit dem Ziel, jeden noch so kleinen Selbstsicherheitszuwachs zu nutzen, um die ‚Arztdosierung‘ zu reduzieren. 680 Für den so genannten B-Typ wird ein etwas anderer Weg vorgeschlagen: „Wie bereits geschildert, ist der B-Typ im sozialen Verhalten aktiver und selbständiger als der A-Typ. Er pflegt in der Sprechstunde sogar gern davon zu erzählen, was er alles Bedeutendes leisten könne. So groß und stark er sich aber auch darstellt, so merkt man ihm doch bald an, welche Anstrengung es ihn kostet, seine Ängste niederzuhalten.“ 681 Deshalb muss man ihnen das Signal übermitteln, „... dass man sie als besonders qualifizierte, aktive Persönlichkeiten achtet, und sie zugleich fühlen lassen, daß man ihren großen Schutzbedürfnissen entgegenkommt, die sie freilich im Gegensatz zu den A-Patienten zu Beginn einer Therapie weder dem Arzt noch sich selbst einzugestehen vermögen.“ 682 676 vgl. Richter & Beckmann 1973, S. 109 677 Richter & Beckmann 1973, S. 109 678 Richter & Beckmann 1973, S. 111 679 vgl. Richter & Beckmann 1973, S. 111 680 vgl. Richter & Beckmann 1973, S. 116 ff 681 Richter & Beckmann 1973, S. 127 682 Richter & Beckmann 1973, S. 127

Die ‚Herzenurose’ – Annährung an ein vielfach diskutiertes Störungsbild Therapiemöglichkeiten der Herzneurose Es geht also darum, im vertieften ärztlichen Gespräch den Patienten in Bezug auf seine Pro- bleme und Konflikte zu erkennen und ihn zu beraten; besonders die Beruhigung des Patienten scheint hier wesentlich zu sein. 683 Wenn eine erste strukturierte Beziehung zwischen Arzt und Patient hergestellt ist, kann man über die weitere Vorgehensweise nachdenken, denn Annahme des Patienten und Orientierungs- findung in mehreren Gesprächen dürften in den wenigsten Fällen zur Behandlung der Herzangst ausreichen. Zunächst soll noch einmal auf die häufig angewandte Pharmakotherapie eingegangen werden, bevor dann das psychotherapeutische Vorgehen dargestellt wird. Es ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund des plötzlichen und panikartig erlebten Anfalles der Arzt selbst eine Medikation präferiert. Weil aber ein oft anzutreffender häufiger Wechsel der verschiedenen Präparate verrät, dass ein medikamentöses Vorgehen nicht erfolgreich war, 684 wird der Blick für andere Behandlungsmethoden zwangsläufig geweitet. Einige Patienten erhalten nämlich langfristig 20 unterschiedliche Medikamente. 685 Die Palette beginnt bei Beta-Rezeptorenblockern und reicht über Tranquilizer, Antidepressiva und panik- reduzierende Monoaminooxidase-Hemmer bis hin zu Neuroleptika. 686 Gerade im Erfolgsvergleich zeigt sich, „... dass die Wirksamkeit der Beta-Blocker relativ gering ist und die Rückfallgefahr im Sinne einer Verschlechterung der Herzangstsymptomatik mit 90% sehr groß ist. Sehr günstig sind im Vergleich dazu die Ergebnisse einer kognitiven Verhaltens- therapie, die 90% Besserung zeigt und bei der nach Therapieende nur bei 15% der Patienten mit einem Rückfall zu rechnen ist.“ 687 Allerdings wurden die meisten „... Therapiestudien ... bei psychiatrischen Patienten mit Angststörungen oder Paniksyndromen durchgeführt.“ 688 Die untersuchten Patienten litten also nicht spezifisch unter einer phobischen Herzneurose bzw. an einem Herzangstsyndrom. 689 Nachdem aber mittlerweile die Herzneurose auch als Form der 683 vgl. Deter 1997, S. 101 684 vgl. Csef in Nissen 1993, S. 75 ff 685 vgl. Csef 1996, S. 773 686 vgl. Csef 1996, S. 774 687 vgl. Michelson & Marchione 1991, zitiert nach Csef in Nissen 2002, S. 117 688 Csef 1996, S. 774 689 vgl. Csef in Nissen 2002, S. 117 159

158<br />

Die ‚Herzenurose’ – Annährung an ein vielfach diskutiertes Störungsbild<br />

Therapiemöglichkeiten der Herzneurose<br />

Sind die Untersuchungen abgeschlossen, ist es wichtig, auf welche Art man das negative Unter-<br />

suchungsergebnis mitteilt. 676 „Selbst wenn sich röntgenologisch ein verhältnismäßig kleines Herz<br />

findet, so sollte man nicht von einem ‚zu kleinen‘ oder gar ‚etwas schwachen‘ Herzen reden.“ 677<br />

Tritt nach der Akzeptanz des Patienten durch den Arzt Erleichterung ein, ist diese nicht von<br />

langer Dauer. „Zahlreiche Patienten erscheinen zum nächsten Besuch mit ähnlichen Fragen und<br />

Besorgnissen wie beim ersten mal.“ 678<br />

Dies liegt nach den Autoren darin begründet, dass eine rationale Gewissheit vom Kranken nicht<br />

erwartet wird – es geht ihnen in erster Linie um eine erneute Stärkung irrationaler und<br />

magischer Art. Die Patienten halten derart an ihrer ‚eingebildeten‘ Krankheit fest, weil diese vor<br />

dem Absinken in die Depression schützt. 679<br />

Also scheint die psychologische Führung des Patienten seitens des Arztes unheimlich bedeuts<strong>am</strong><br />

zu sein. Gerade der Hunger nach Kontakt des Patienten sollte daher ertragen und gehandhabt<br />

werden – aber immer mit dem Ziel, jeden noch so kleinen Selbstsicherheitszuwachs zu nutzen,<br />

um die ‚Arztdosierung‘ zu reduzieren. 680<br />

Für den so genannten B-Typ wird ein etwas anderer Weg vorgeschlagen: „Wie bereits<br />

geschildert, ist der B-Typ im sozialen Verhalten aktiver und selbständiger <strong>als</strong> der A-Typ. Er pflegt<br />

in der Sprechstunde sogar gern davon zu erzählen, was er alles Bedeutendes leisten könne. So<br />

groß und stark er sich aber auch darstellt, so merkt man ihm doch bald an, welche Anstrengung<br />

es ihn kostet, seine Ängste niederzuhalten.“ 681 Deshalb muss man ihnen das Signal übermitteln,<br />

„... dass man sie <strong>als</strong> besonders qualifizierte, aktive Persönlichkeiten achtet, und sie zugleich<br />

fühlen lassen, daß man ihren großen Schutzbedürfnissen entgegenkommt, die sie freilich im<br />

Gegensatz zu den A-Patienten zu Beginn einer Therapie weder dem Arzt noch sich selbst<br />

einzugestehen vermögen.“ 682<br />

676 vgl. Richter & Beckmann 1973, S. 109<br />

677 Richter & Beckmann 1973, S. 109<br />

678 Richter & Beckmann 1973, S. 111<br />

679 vgl. Richter & Beckmann 1973, S. 111<br />

680 vgl. Richter & Beckmann 1973, S. 116 ff<br />

681 Richter & Beckmann 1973, S. 127<br />

682 Richter & Beckmann 1973, S. 127

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!