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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Wiedergeburt sein würde, ein Stück Optimismus, das sein Publikum<br />

beruhigte. »Seltsam, aber wahr!« rief er. »Das wird der Tag Null sein,<br />

und weil wir alle den gleichen Geburtstag haben werden, werden wir von<br />

diesem Tag an für den Rest unseres Lebens alle genau gleich alt sein.<br />

Wie nennt man es, wenn fünfzig Kinder aus derselben Mutter kommen?<br />

Weiß der Himmel. Fünfziglinge. Verflucht!«<br />

Für den rasenden Gibril war Reinkarnation ein Begriff, unter dem sich<br />

ein Durcheinander von vielen Vorstellungen zusammenfand: Phönix aus<br />

der Asche, die Auferstehung Christi, der Übergang der Seele des Dalai<br />

Lama im Augenblick des Todes in den Körper eines neugeborenen<br />

Kindes… solche Dinge verbanden sich mit den Avataras des Wischnu,<br />

den Metamorphosen Jupiters, der Wischnu nachgeahmt hatte, indem er<br />

die Gestalt eines Stieres angenommen hatte; und so weiter, wobei<br />

natürlich auch die aufeinanderfolgenden Lebenszyklen - heute eine<br />

Küchenschabe, morgen ein König - mitinbegriffen waren, die die<br />

menschlichen Wesen bis zur Seligkeit des Nicht-mehr-Wiederkehrens<br />

durchliefen. Um wiedergeboren zu werden, musst du erst sterben.<br />

Chamcha machte sich nicht die Mühe einzuwenden, dass bei den meisten<br />

der Beispiele, die Gibril in seinen Monologen anführte, die<br />

Metamorphose den Tod nicht gefordert hatte; man war durch andere<br />

Tore in den neuen Körper eingetreten. Gibril auf dem Höhenflug, mit<br />

Armen, die sich wie gebieterische Flügel auf und ab bewegten, duldete<br />

keine Unterbrechungen. »Das Alte muss sterben, versteht ihr, was ich<br />

meine, oder das Neue kann nicht sein, was immer es sein soll.«<br />

Manchmal endeten diese Tiraden mit Tränen. In seiner Erschöpfung<br />

jenseits aller Erschöpfung verlor Farishta dann die Selbstkontrolle und<br />

legte das schluchzende Haupt an Chamchas Schulter, und Saladin -<br />

anhaltende Gefangenschaft zermürbt gewisse Abneigungen der<br />

Gefangenen untereinander - streichelte sein Gesicht und küsste ihn auf<br />

den Scheitel. Ist ja gut, ist ja gut. Andere Male gewann Chamchas Ärger<br />

die Oberhand. Als Farishta zum siebenten Mal das alte Gramsci-Zitat<br />

strapazierte, schrie Sadin frustriert, vielleicht passiert das jetzt gerade mit<br />

dir, Schreihals, dein altes Ich stirbt, und dein komischer Traum -Engel<br />

versucht, in deinen Körper hineingeboren zu werden.<br />

»Willst du etwas echt Verrücktes hören?« Nach hundertundein Tagen<br />

bot Gibril Chamcha weitere vertrauliche Mitteilungen an »Willst du

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