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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Banknoten, nicht Rupien, sondern Pfund Sterling: sozusagen die Asche<br />

seines Walnussbaums. Er war voller unfertiger Gefühle, und weil Zeenat<br />

aufgetaucht war, wurde sie zu deren Zielscheibe. »Glaubst du, ich liebe<br />

dich?« sagte er mit vorsätzlicher Boshaftigkeit. »Glaubst du, ich bleibe<br />

bei dir? Ich bin ein verheirateter Mann.«<br />

»Ich wollte nicht, dass du meinetwegen bleibst«, sagte sie.<br />

»Aus irgendeinem Grund wollte ich es deinetwegen.«<br />

Ein paar Tage zuvor hatte er sich eine indische Dramatisierung einer<br />

Sartreschen Geschichte zum Thema<br />

»Scham und Schande« angesehen. Im Original verdächtigt ein Ehemann<br />

seine Frau der Untreue und stellt ihr eine Falle. Er gibt vor, auf<br />

Geschäftsreise zu gehen, kehrt jedoch wenige Stunden später zurück, um<br />

ihr nachzuspionieren. Er kniet sich hin, um durch das Schlüsselloch zu<br />

spähen. Da spürt er jemandes Anwesenheit in seinem Rücken, dreht sich<br />

um, ohne aufzustehen, und da steht sie, voll Abscheu und Ekel auf ihn<br />

hinunterblickend. <strong>Die</strong>ses Tableau, er kniend, sie hinunterblickend, ist der<br />

Sartresche Archetyp. Aber in der indischen Fassung spürte der kniende<br />

Ehemann nicht, dass jemand hinter ihm stand; wurde von der Frau<br />

überrascht; stand auf, um ihr auf gleicher Stufe gegenüberzutreten; tobte<br />

und schrie; bis sie weinte, da umarmte er sie, und sie versöhnten sich.<br />

»Du sagst, ich soll mich schämen«, sagte Chamcha bitter zu Zeenat.<br />

»Du, die du keine Scham kennst. Tatsächlich könnte das sogar ein<br />

nationaler Charakterzug sein. Langsam kommt mir der Verdacht, dass es<br />

den Indern an der moralischen Differenziertheit mangelt, die zur<br />

Entwicklung eines echten Sinns für das Tragische notwendig ist, und<br />

dass sie deshalb nicht verstehen können, was Scham wirklich ist.«<br />

Zeenat Vakil trank ihren Whisky aus. »Okay, mehr brauchst du nicht zu<br />

sagen.« Sie hob die Hände. »Ich gebe auf. Ich gehe. Mr. Saladin<br />

Chamcha. Ich dachte, du hättest noch einen Funken Leben in dir, einen<br />

winzig kleinen, aber immerhin noch nicht ganz erloschenen. Ich habe<br />

mich getäuscht. Wie sich herausstellt, warst du die ganze Zeit über schon<br />

mausetot.«<br />

Und noch etwas, bevor sie mit milchigen Augen zur Tür hinausging.<br />

»Lasse die Leute nicht zu nahe an dich heran, Mr. Saladin. Wenn man<br />

die Leute durch seinen Panzer lässt, dann gehen die Schweinehunde hin<br />

und stoßen dir ein Messer ins Herz.«

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