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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Changez, Zeeny, Vallabh, Kasturba verharrten reglos und still, bis<br />

Saladin Chamcha schamrot und verlegen innehielt.<br />

»Ein solch ungestümes Gemüt nach so langer Zeit«, sagte Changez nach<br />

einer Weile. »Wie traurig. Ein Vierteljahr hundert, und noch immer<br />

missgönnt einem der Sohn die kleinen Sünden der Vergangenheit. Ach,<br />

mein Sohn. Du musst aufhören, mich wie einen Papagei auf deiner<br />

Schulter herumzutragen. Was bin ich denn? Erledigt. Ich bin nicht dein<br />

Alter Mann auf dem Meer. Schau den Tatsachen ins Gesicht, mein<br />

Lieber: Mit mir kannst du dich nicht mehr erklären.«<br />

Durch ein Fenster erblickte Saladin Chamcha einen vierzig Jahre alten<br />

Walnussbaum. »Fäll ihn«, sagte er zu seinem Vater.<br />

»Fäll ihn, verkauf ihn und schick mir dann das Geld.«<br />

Chamchawala stand auf und streckte die rechte Hand aus.<br />

Zeeny erhob sich gleichfalls und ergriff sie, wie eine Tänzerin einen<br />

Blumenstrauß entgegennimmt; augenblicklich schrumpften Vallabh und<br />

Kasturba zu <strong>Die</strong>nern, als hätte eine Uhr leise die Kürbis-Zeit, die<br />

Märchenzeit, geschlagen. »Ihr Buch«, sagte er zu Zeeny. »Ich habe<br />

etwas, das Sie interessieren wird.«<br />

<strong>Die</strong> beiden verließen das Zimmer; nach kurzem Zögern stapfte der<br />

ohnmächtige Saladin verdrießlich hinter ihnen her.<br />

»Sauertopf«, rief Zeeny fröhlich über die Schulter. »Ach komm, hör auf<br />

damit, werd endlich erwachsen.«<br />

<strong>Die</strong> Kunstsammlung der Chamchawalas, die hier in Scandal Point<br />

untergebracht war, enthielt unter anderem einen Großteil der legendären<br />

Hamza-Nama Stoffbilder, Teile der Bilderfolge aus dem sechzehnten<br />

Jahrhundert, die Szenen aus dem Leben eines Helden darstellte, der<br />

vielleicht der berühmte Hamza gewesen ist oder auch nicht, Mohammeds<br />

Onkel, dessen Herz von Hind, der Frau aus Mekka, gegessen wurde, als<br />

er tot auf dem Schlachtfeld von Uhud lag. »Ich mag diese Bilder«, sagte<br />

Changez Chamchawala zu Zeeny, »weil der Held scheitern darf. Sehen<br />

Sie, wie oft er aus einer misslichen Lage befreit werden musste.« <strong>Die</strong><br />

Bilder bestätigten beredt Zeeny Vakils These vom eklektischen,<br />

hybriden Wesen der künstlerischen Tradition Indiens. <strong>Die</strong> Moguln hatten<br />

Künstler aus allen Teilen Indiens kommen lassen, damit sie die Bilder<br />

malten; die individuelle Identität wurde unterdrückt, um einen<br />

vielköpfigen, vielpinseligen Überkünstler zu schaffen, der, buchstäblich,

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