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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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egraben, seine Lunge mit ihrer alten Salzigkeit füllen.<br />

Heute bin ich nicht ich selbst, dachte er. Das Herz flattert. Das Leben<br />

fügt den Lebenden Schaden zu. Niemand von uns ist er selbst. Niemand<br />

von uns ist so.<br />

Inzwischen versiegelten Stahltore, die mit einer Fernbedienung betätigt<br />

wurden, den zerfallenden Triumphbogen. Sie öffneten sich mit einem<br />

leisen, surrenden Geräusch und ließen Chamcha ein in diesen Ort der<br />

verlorenen Zeit. Als er den Walnussbaum sah, in dem seinem Vater<br />

zufolge seine Seele aufbewahrt wurde, begannen seine Hände zu zittern.<br />

Er versteckte sich hinter neutralen Tatsachen. »In Kaschmir«, erklärte er<br />

Zeeny, »ist ein Geburtsbaum eine Art Wertanlage. Wenn ein Kind<br />

volljährig wird, ist der Walnussbaum mit einer fälligen<br />

Versicherungspolice vergleichbar; es ist ein wertvoller Baum, man kann<br />

ihn verkaufen, um eine Hochzeit damit zu bezahlen oder einen Start ins<br />

Leben zu ermöglichen.<br />

Der Erwachsene fällt seine Kindheit, um seinem großgewordenen Ich zu<br />

helfen. <strong>Die</strong>ses Fehlen von Sentimentalität ist ansprechend, findest du<br />

nicht?«<br />

Der Wagen hielt unter der überdachten Vorhalle. Zeeny verstummte,<br />

während sie die sechs Stufen zur Eingangstür hinaufstiegen, wo sie von<br />

einem gesetzten und uralten <strong>Die</strong>ner in einer weißen Livree mit<br />

Messingknöpfen begrüßt wurden, dessen weißen Haarschopf Chamcha,<br />

indem er ihn in einen schwarzen rückverwandelte, plötzlich als die<br />

Mähne ebendieses Vallabh wiedererkannte, der in den Alten Zeiten dem<br />

Haushalt als Majordomus vorgestanden hatte. »Du liebe Güte,<br />

Vallabhbhai«, stammelte er und umarmte den alten Mann. Der <strong>Die</strong>ner<br />

lächelte gezwungen. »Ich bin so alt geworden, Baba, ich habe gedacht,<br />

Sie würden mich nicht mehr erkennen.« Er führte sie durch die von<br />

Kristall schweren Gänge des herrschaftlichen Hauses, und Saladin<br />

bemerkte, dass der Mangel an Veränderung höchst auffällig war, das<br />

musste Absicht sein. Es stimme, erklärte ihm Vallabh, dass Changez<br />

Sahib nach dem Tod der Begum geschworen habe, dass das Haus ihre<br />

Gedenkstätte sein würde. Folglich war seit ihrem Todestag nichts<br />

verändert worden, Gemälde, Möbel, Seifenschalen, die Figuren<br />

kämpfender Stiere aus rotem Glas und Porzellanballerinen aus Dresden,<br />

alles war noch am gleichen Ort, dieselben Zeitungen lagen auf denselben

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