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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Stimmregister, von der engelgleichen Julia bis zur teuflischen Mae West.<br />

»Wir sollten heiraten, wenn du wieder frei bist«, schlug ihm Mimi<br />

einmal vor. »Du und ich, wir wären die Vereinten Nationen.«<br />

»Du bist Jüdin«, bemerkte er. »Ich bin zu bestimmten Ansichten über<br />

Juden erzogen worden.«<br />

»Na und, bin ich eben Jüdin«, sagte sie achselzuckend. »Du bist<br />

derjenige, der beschnitten ist. Niemand ist vollkommen.«<br />

Mimi war eine winzige Person mit schwarzen Locken und sah aus wie<br />

ein Michelin-Männchen. In Bombay räkelte sich Zeenat Vakil, gähnte<br />

und verscheuchte andere Frauen aus seinen Gedanken. »Das gibt es<br />

nicht«, lachte sie ihn aus. »Sie bezahlen dich, damit du sie nachmachst,<br />

solange sie dich nicht anzusehen brauchen. Deine Stimme wird berühmt,<br />

aber sie verstecken dein Gesicht. Hast du eine Ahnung, weshalb?<br />

Warzen auf der Nase, schielst du, oder was? Fällt dir nichts ein,<br />

Herzchen? Dein verdammtes Salathirn, ich schwör’s dir.«<br />

Das stimmte, dachte er. Saladin und Mimi waren so etwas wie eine<br />

Legende, aber eine verkrüppelte Legende, dunkle Sterne. Das Kraftfeld<br />

ihrer Fähigkeiten zog Arbeit für sie an, aber sie blieben unsichtbar,<br />

legten ihre Körper ab, um sich Stimmen anzuziehen. Im Radio konnte<br />

Mimi zu Botticellis Venus werden, sie konnte Olympia sein, die Monroe,<br />

jede vermaledeite Frau, die sie wollte. Es war ihr völlig egal, wie sie<br />

aussah; sie war zu ihrer Stimme geworden, sie war steinreich, und drei<br />

junge Frauen waren hoffnungslos in sie verliebt. Sie erwarb Grundbesitz.<br />

»Eine eindeutig neurotische Verhaltensweise«, gestand sie ungeniert.<br />

»Übertriebenes Bedürfnis, Wurzeln zu schlagen aufgrund der<br />

Umwälzungen in der Geschichte der armenischen Juden. Verzweiflung<br />

aufgrund fortschreitenden Alters und kleiner, als im Hals diagnostizierter<br />

Polypen. Grundbesitz beruhigt ungemein, ich kann ihn nur empfehlen.«<br />

Sie besaß ein ehemaliges Pfarrhaus in Norfolk, ein Bauernhaus in der<br />

Normandie, einen Glockenturm in der Toskana, eine Meeresküste in<br />

Böhmen. »Alles von Geistern heimgesucht«, erklärte sie. »Gerassel,<br />

Geheul, Blut auf den Teppichen, Frauen in Nachtgewändern, alles.<br />

Niemand gibt Landbesitz kampflos auf.«<br />

Niemand außer mir, dachte Chamcha, und Schwermut erfasste ihn,<br />

während er neben Zeenat Vakil lag. Vielleicht bin ich schon ein Geist.<br />

Aber zumindest ein Geist mit einem Flugticket, Erfolg, Geld, einer Frau.

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