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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Jetzt stand ein junger Mann in einer anderen Ecke der Kneipe auf und<br />

gab ihm Kontra. Man müsse Assam politisch verstehen, rief er, es habe<br />

wirtschaftliche Gründe gegeben, und dann erhob sich ein weiterer Mann,<br />

um darauf zu antworten, finanzielle Probleme seien keine Erklärung<br />

dafür, warum ein erwachsener Mann ein kleines Mädchen erschlage, und<br />

dann sagte noch ein anderer, wenn du das glaubst, hast du nie Hunger<br />

gehabt, Salah, wie scheißromantisch anzunehmen, dass wirtschaftliche<br />

Gründe Menschen nicht zu wilden Tieren machen können. Während der<br />

Lärmpegel stieg, griff Chamcha nach seinem Glas, und die Luft schien<br />

sich zu verdichten, Goldzähne blitzten ihm ins Gesicht, Schultern rieben<br />

sich an seinen, Ellbogen stießen ihn in die Rippen, die Luft wurde zum<br />

Schneiden dick, und in seiner Brust hatte sein Herz angefangen zu<br />

flattern. George fasste ihn am Handgelenk und zog ihn auf die Straße.<br />

»Alles in Ordnung, Mann? Du warst ganz grün im Gesicht.« Saladin<br />

nickte dankend, pumpte seine Lunge voll mit der Nacht, beruhigte sich.<br />

»Der Rum und die Erschöpfung«, sagte er. »Merkwürdigerweise ist es<br />

bei mir so, dass ich nach jeder Vorstellung mit den Nerven am Ende bin.<br />

Ziemlich oft wird mir mulmig. Ich hätte es wissen müssen.« Zeeny sah<br />

ihn an, und in ihren Augen lag mehr als Mitgefühl. Ein funkelnder Blick,<br />

triumphierend, hart. Etwas ist zu dir durchgedrungen, besagte ihr<br />

hämischer Ausdruck. Was die verfluchte Zeit betrifft.<br />

Nachdem man vom Typhus genesen ist, überlegte Chamcha, bleibt man<br />

etwa zehn Jahre gegen diese Krankheit immun.<br />

Aber nichts dauert ewig; irgendwann verschwinden die Antikörper aus<br />

dem Blut. Er musste sich mit der Tatsache abfinden, dass sein Blut die<br />

Immunstoffe nicht mehr enthielt, die es ihm ermöglicht hätten, die<br />

Realität Indiens zu ertragen. Rum, Herzflattern, seelische Übelkeit. Zeit,<br />

schlafen zu gehen.<br />

Sie nahm ihn nie mit zu sich nach Hause. Immer und ausschließlich das<br />

Hotel, in dem Araber mit goldenen Medaillons in den mitternächtlichen<br />

Korridoren mit geschmuggelten Whiskyflaschen in der Hand auf und ab<br />

stolzierten. Er lag auf dem Bett, Schuhe an, Hemdkragen offen, Krawatte<br />

gelockert, den rechten Arm über die Augen gelegt; sie, im weißen<br />

hoteleigenen Bademantel, beugte sich über ihn und küsste sein Kinn.<br />

»Ich werde dir sagen, was heute Abend mit dir passiert ist«, sagte sie.<br />

»Man könnte behaupten, wir haben deine Schale geknackt.«

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