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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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verfolgte sie zwei Jahre lang. England rückt seine Schätze nur<br />

widerwillig raus. Er war erstaunt über seine eigene Beharrlichkeit und<br />

begriff, dass sie zum Treuhänder seines Schicksals geworden war, dass<br />

sein Versuch einer Metamorphose fehlschlagen würde, wenn sie nicht<br />

nachgab.<br />

»Lass mich«, flehte er, während er artig auf dem weißen Teppich mit ihr<br />

rang, dessen schuldbewusster Flaum ihn bedeckte, wenn er an<br />

mitternächtlichen Bushaltestellen stand.<br />

»Glaub mir. Ich bin der Richtige.«<br />

Eines Abends, aus heiterem Himmel, ließ sie ihn, sie sagte, sie glaube<br />

ihm. Er heiratete sie, bevor sie ihre Meinung ändern konnte, lernte aber<br />

nie, ihre Gedanken zu lesen. Wenn sie unglücklich war, schloss sie sich<br />

im Schlafzimmer ein, bis es ihr besser ging. »Das geht dich nichts an«,<br />

sagte sie. »Ich will nicht, dass mich jemand in diesem Zustand sieht.« Er<br />

nannte sie eine Auster. »Mach auf«, rief er und hämmerte an all die<br />

verschlossenen Türen ihres gemeinsamen Lebens, zuerst im Tiefparterre,<br />

dann in der Etagenwohnung, dann in der Villa.<br />

»Ich liebe dich, lasse mich rein.« Er bedurfte ihrer so sehr, damit sie ihn<br />

seiner eigenen Existenz versicherte, dass er nie die Verzweiflung in<br />

ihrem betörenden, ununterbrochenen Lächeln verstand, das Entsetzen in<br />

dem Strahlen, mit dem sie der Welt entgegentrat oder die Gründe,<br />

warum sie sich verkroch, wenn sie kein strahlendes Lächeln zustande<br />

brachte. Erst als es bereits zu spät war, erzählte sie ihm, dass ihre Eltern<br />

gemeinsam Selbstmord begangen hatten, gerade als sie zum ersten Mal<br />

menstruierte; bis zum Hals in Spielschulden ließen sie sie zurück mit<br />

einer aristokratisch grölenden Stimme, die sie als begnadetes Mädchen<br />

auszeichnete, als beneidenswerte Frau, während sie tatsächlich verlassen<br />

war, verloren, ihre Eltern nicht einmal gewartet hatten, bis sie erwachsen<br />

war, so sehr war sie geliebt worden, deshalb hatte sie natürlich überhaupt<br />

kein Selbstvertrauen, jeder Augenblick ihres Lebens war voller Panik,<br />

deswegen lächelte sie und lächelte, und ungefähr einmal in der Woche<br />

verschloss sie die Tür und bebte und zitterte und fühlte sich wie eine<br />

Hülse, wie eine leere Erdnussschale, wie ein Affe ohne Kokosnuss.<br />

Sie bekamen keine Kinder; sie gab sich selbst die Schuld.<br />

Nach zehn Jahren entdeckte Saladin, dass mit seinen Chromosomen<br />

irgendetwas nicht stimmte, zwei Abschnitte zu lang, oder zu kurz, er

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