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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Handschrift, die sich geändert hat.«<br />

<strong>Die</strong> Briefe kamen nicht mehr. Jahre vergingen; und dann kehrte Saladin<br />

Chamcha, Schauspieler, Selfmademan, mit den Prospero Players nach<br />

Bombay zurück, um die Rolle des indischen Arztes in der Millionärin<br />

von George Bernard Shaw zu verkörpern. Auf der Bühne passte er seine<br />

Sprechweise den Erfordernissen der Rolle an, aber die langunterdrückte<br />

Ausdrucksweise, die ausrangierten Vokale und Konsonanten begannen,<br />

auch außerhalb des Theaters aus seinem Mund zu sickern. Seine Stimme<br />

verriet ihn; und er entdeckte, dass seine Bestandteile auch anderer<br />

Verrätereien fähig waren.<br />

Ein Mensch, der daran geht, sich zu erfinden, macht sich, gemäß einer<br />

Art, die Dinge zu sehen, die Rolle des Schöpfers zu eigen; er handelt<br />

wider die Natur, ist ein Gotteslästerer, verabscheuungswürdiger als alle<br />

anderen Gräuel. Aus einer anderen Perspektive könnte man Pathos in<br />

ihm erkennen, Heroismus in seinem Kampf, in seiner Bereitschaft zum<br />

Risiko: nicht alle Mutanten überleben. Oder, soziopolitisch betrachtet:<br />

die meisten Auswanderer lernen und können zu Masken werden. Unsere<br />

eigenen falschen Selbstdarstellungen dienen zur Bekämpfung der<br />

Falschheiten, die über uns erfunden werden, und verschleiern aus<br />

Gründen der Sicherheit unser verborgenes Ich.<br />

Ein Mann, der sich erfindet, braucht jemanden, der an ihn glaubt, der<br />

beweist, dass es ihm gelungen ist. Wiederum Gott spielen, könnte man<br />

sagen. Oder man könnte ein wenig zurückstecken und an Tinkerbell<br />

denken; Feen existieren nur, wenn Kinder in die Hände klatschen. Oder<br />

man könnte einfach sagen: So ist es eben, wenn man ein Mensch ist.<br />

Nicht nur das Bedürfnis, dass ein anderer an einen glaubt, sondern auch<br />

das, an einen anderen zu glauben. Sie haben es erraten: Liebe.<br />

Saladin Chamcha lernte Pamela Lovelace fünfeinhalb Tage vor dem<br />

Ende der sechziger Jahre kennen, als die Frauen noch indische Tücher im<br />

Haar trugen. Sie stand in der Mitte eines Zimmers voller trotzkistischer<br />

Schauspielerinnen und sah ihn mit strahlenden, so strahlenden Augen an.<br />

Den ganzen Abend belegte er sie mit Beschlag, und sie hörte nie auf zu<br />

lächeln und ging mit einem anderen Mann weg. Zu Hause träumte er von<br />

ihren Augen und ihrem Lächeln, ihrem schlanken Körper, ihrer Haut. Er

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