10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

vertreten werden. Jede Metapher kann einer Fehlinterpretation<br />

unterliegen.« Sie legte ihre Theorie dar. <strong>Die</strong> Gesellschaft sei von, wie sie<br />

es nannte, großen Erzählungen orchestriert: Geschichte, Wirtschaft,<br />

Ethik. In Indien habe die Entwicklung eines korrupten und<br />

undurchdringlichen Staatsapparats »die Volksmassen vom ethischen<br />

Projekt ausgeschlossen«. <strong>Die</strong> Folge sei, dass sie ihre ethische<br />

Befriedigung in der ältesten der großen Erzählungen, nämlich der<br />

Religion suchten. »<strong>Die</strong>se Erzählungen aber werden von der Theokratie<br />

und verschiedenen politischen Elementen auf eine gänzlich retrogressive<br />

Weise manipuliert.« Bhupen sagte: »Wir können die Allgegenwart des<br />

Glaubens nicht negieren. Wenn wir auf eine Art schreiben, die einen<br />

solchen Glauben als irregeleitet oder falsch vorverurteilt, machen wir uns<br />

dann nicht des Elitedenkens schuldig, drängen wir dann den Massen<br />

nicht unsere Weltsicht auf?« Swatilekha war voll Verachtung. »Im<br />

Indien von heute werden Frontlinien gezogen«, rief sie aus.<br />

»Säkular gegen religiös, Licht gegen Finsternis. Überleg dir genau, auf<br />

welcher Seite du stehst.«<br />

Bhupen erhob sich wütend und wollte gehen. Zeeny beruhigte ihn: »Wir<br />

können uns keine Schismen leisten. Pläne müssen gemacht werden.« Er<br />

setzte sich wieder, und Swatilekha drückte ihm einen Kuss auf die<br />

Wange. »Tut mir leid«, sagte sie. »Zuviel Collegebildung, wie George<br />

immer sagt. Eigentlich mag ich die Gedichte sehr. Ich wollte nur einen<br />

Fall durchspielen.« Ein beschwichtigter Bhupen tat, als wollte er ihr eins<br />

auf die Nase geben; die Krise war überstanden.<br />

Salahuddin dämmerte jetzt, dass sie sich getroffen hatten, um ihre Rolle<br />

bei einer bemerkenswerten politischen Demonstration zu besprechen: der<br />

Bildung einer Menschenkette zur Förderung der »nationalen<br />

Integration«, die vom Tor Indiens bis in die letzten Vororte der Stadt<br />

reichen sollte. <strong>Die</strong> Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) hatte<br />

unlängst in Kerala eine solche Menschenkette mit großem Erfolg<br />

organisiert. »Aber«, meinte George Miranda, »hier in Bombay wird das<br />

etwas völlig anderes sein. In Kerala hat die KP(M) die Macht. Hier, wo<br />

diese Shiv-Sena-Schweine alles beherrschen, müssen wir mit allen<br />

erdenklichen Schikanen rechnen, von einer Obstruktionspolitik seitens<br />

der Polizei bis hin zu richtiggehenden Überfällen von Banden auf<br />

einzelne Glieder der Kette, insbesondere, da sie, was unausweichlich ist,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!