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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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alle erdenklichen Menschen, die wandelnden Protokolle eines toten<br />

Mannes Leben.<br />

Das Grab. Salahuddin klettert hinab, steht am Kopfende, der Totengräber<br />

am Fußende. Changez Chamchawala wird herabgesenkt. Das Gewicht<br />

des Kopfes meines Vaters liegt in meiner Hand. Ich legte ihn nieder, zur<br />

Ruhe.<br />

<strong>Die</strong> Welt, schrieb jemand, ist der Ort, dessen Existenz wir beweisen,<br />

indem wir darin sterben.<br />

Auf ihn wartete, als er vom Friedhof zurückkam: eine Lampe aus Kupfer<br />

und Messing, sein erneuertes Erbe. Er ging in Changez’ Arbeitszimmer<br />

und schloss die Tür. Am Bett standen seine alten Pantoffeln: Er war, wie<br />

er es vorausgesagt hatte, »ein Paar leerer Schuhe« geworden. Im<br />

Bettzeug noch der Körperabdruck seines Vaters, das Zimmer war voll<br />

widerlichem Parfüm: Sandelholz, Kampfer, Nelken. Er nahm die Lampe<br />

aus dem Regal und setzte sich an Changez’ Schreibtisch. Er zog ein<br />

Taschentuch hervor und rieb schnell: einmal, zweimal, dreimal. Alle<br />

Lichter gingen sofort an.<br />

Zeenat Vakil betrat das Zimmer.<br />

»O Gott, Entschuldigung, vielleicht wolltest du sie aus haben, aber bei<br />

den geschlossenen Rollläden wirkte alles so traurig.«<br />

Wie sie mit den Armen herumfuchtelte, laut mit ihrer wundervoll<br />

krächzenden Stimme redete, das Haar ausnahmsweise zu einem<br />

hüftlangen Pferdeschwanz gebunden: da stand sie, sein Dschinn. »Ich<br />

habe ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht früher gekommen bin, ich<br />

wollte dir nur wehtun, aber was für eine Zeit habe ich mir dafür<br />

ausgesucht, so verdammt selbstgefällig, ach jaa, es ist schön, dich zu<br />

sehen, du armes Waisenkind.«<br />

Sie war so wie immer, steckte bis zum Hals im Leben, verband<br />

gelegentliche Kunstvorlesungen an der Universität mit der Tätigkeit als<br />

Ärztin und politischen Aktivitäten. »Ich war in dem verdammten<br />

Krankenhaus, als ihr dort wart. Ich war da, Mensch, aber ich erfuhr das<br />

mit deinem Vater erst, als es vorbei war, und selbst dann bin ich nicht<br />

gekommen, um dich in den Arm zu nehmen, bin ich nicht ein Scheusal,<br />

wenn du mich rausschmeißen willst, werd’ ich mich nicht beklagen.« Sie

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