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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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ihn wartete, auf uns alle, das die Augen dieses tapferen Mannes vor<br />

Furcht erstarren ließ? Jetzt, da es vorbei war, trat er wieder an Changez’<br />

Bett und sah, dass der Mund seines Vaters ein Lächeln formte.<br />

Er streichelte die süßen Wangen. Ich habe ihn heute nicht rasiert. Er<br />

starb mit Stoppeln auf dem Kinn. Wie kalt das Gesicht schon war; doch<br />

das Gehirn, das Gehirn hatte noch etwas Wärme. Sie hatten ihm Watte in<br />

die Nasenlöcher gestopft. Und wenn sie sich getäuscht haben? Wenn er<br />

noch atmen will? Nasreen Chamchawala stand neben ihm. »Komm,<br />

bringen wir deinen Vater nach Hause«, sagte sie.<br />

Changez Chamchawala fuhr in einem Rettungswagen nach Hause; er lag<br />

in einer Aluminiumschale zwischen den beiden Frauen, die ihn geliebt<br />

hatten, während Salahuddin in seinem Auto hinterherfuhr. <strong>Die</strong> Männer<br />

vom Rettungswagen bahrten ihn im Arbeitszimmer auf; Nasreen stellte<br />

die Klimaanlage auf die höchste Stufe. Schließlich war das ein tropischer<br />

Tod, und die Sonne würde bald aufgehen.<br />

Was hat er gesehen? dachte Salahuddin immer wieder.<br />

Warum das Entsetzen? Woher dieses letzte Lächeln?<br />

Wieder kamen die Leute. Onkel, Vettern, Freunde nahmen die Sache in<br />

die Hand, arrangierten alles. Nasreen und Kasturba saßen auf weißen<br />

Laken auf dem Fußboden des Zimmers, in dem Saladin und Zeeny vor<br />

langer Zeit einmal den Oger Changez besucht hatten; bei ihnen saßen<br />

Frauen und trauerten mit ihnen, viele leierten, mit Hilfe von<br />

Gebetsperlen, unablässig die Qalmah herunter. Salahuddin ging das auf<br />

die Nerven, doch fehlte ihm die Kraft, ihnen Einhalt zu gebieten.<br />

Dann kam der Mullah und nähte Changez’ Leichentuch, und es wurde<br />

Zeit, den Leichnam zu waschen; und obwohl viele Männer da waren und<br />

seine Hilfe nicht nötig war, bestand Salahuddin darauf. Wenn er seinem<br />

Tod ins Auge blicken konnte, dann kann ich es auch. Und als sein Vater<br />

gewaschen wurde, sein Körper nach den Anordnungen des Mullah<br />

hierhin und dorthin gerollt wurde, das Fleisch mit Malen und Flecken<br />

übersät, die Blinddarmnarbe lang und braun, erinnerte Salahuddin sich<br />

an das einzige andere Mal in seinem Leben, als er seinen, was das<br />

Körperliche betraf, zimperlichen Vater nackt gesehen hatte: Er war neun<br />

Jahre alt gewesen, als er in ein Badezimmer platzte, wo Changez gerade

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