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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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konnten: rücksichtsvoll, liebevoll, ja, edel. Wir sind also doch noch zur<br />

Erhabenheit fähig, dachte er in feierlicher Stimmung; trotz allem können<br />

wir noch immer transzendieren. Eine hübsche junge Frau - Salahuddin<br />

fiel ein, dass es seine Nichte sein konnte, und schämte sich, ihren Namen<br />

nicht zu wissen - machte Polaroidschnappschüsse von Changez mit<br />

seinen Besuchern, und der kranke Mann amüsierte sich köstlich, schnitt<br />

Gesichter, küsste die vielen dargebotenen Wangen mit einem Leuchten<br />

in den Augen, das Salahuddin als Nostalgie identifizierte. »Wie auf<br />

einem Geburtstag«, dachte er. Oder: wie Finnegans Totenwache. Der<br />

Tote weigerte sich, sich hinzulegen und den Lebenden den Spaß zu<br />

überlassen.<br />

»Wir müssen es ihm sagen«, beharrte Salahuddin, als die Besucher<br />

gegangen waren. Nasreen neigte den Kopf; und nickte. Kasturba brach in<br />

Tränen aus.<br />

Sie sagten es ihm am folgenden Morgen, nachdem sie den Spezialisten<br />

hergebeten hatten, damit er alle Fragen Changez’ beantworten würde.<br />

Der Spezialist namens Panikkar (ein Name, den die Engländer falsch<br />

aussprechen und über den sie heimlich kichern würden, dachte<br />

Salahuddin, ähnlich dem moslemischen Namen »Fakhar«) kam um zehn,<br />

strotzend vor Selbstherrlichkeit. »Ich sollte es ihm sagen«, sagte er und<br />

nahm die Sache in die Hand. »<strong>Die</strong> meisten Patienten schämen sich, vor<br />

ihren Angehörigen ihre Furcht zu zeigen.« »Den Teufel werden Sie«,<br />

sagte Salahuddin mit einer Heftigkeit, die ihn überraschte. »Na, wenn<br />

das so ist«, sagte Panikkar achselzuckend und wandte sich zum Gehen;<br />

was das ausschlaggebende Argument war, denn nun flehten Nasreen und<br />

Kasturba Salahuddin an: »Bitte, keinen Streit jetzt.« Ein geschlagener<br />

Salahuddin geleitete den Arzt zu seinem Vater; und schloss die Tür zum<br />

Arbeitszimmer.<br />

»Ich habe Krebs«, sagte Changez Chamchawala zu Nasreen, Kasturba<br />

und Salahuddin, nachdem Panikkar gegangen war. Er sprach deutlich,<br />

artikulierte das Wort mit herausfordernder, übertriebener Sorgfalt. »Er ist<br />

sehr weit fortgeschritten. Es überrascht mich nicht. Ich sagte zu<br />

Panikkar:<br />

›Das habe ich Ihnen schon am ersten Tag gesagt. Wo sonst hätte das<br />

ganze Blut hin sollen?‹« Vor dem Arbeitszimmer sagte Kasturba zu<br />

Salahuddin: »Seit du da bist, war so ein Leuchten in seinen Augen.

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