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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Leben so hätte sein könne, wünschte sich Saladin (der den Klang seines<br />

vollen, unanglifizierten Namens zum ersten Mal seit zwanzig Jahren als<br />

angenehm empfand). Wie hart es war, seinen Vater zu finden, wenn man<br />

nichts mehr tun konnte, außer ihm auf Wiedersehen zu sagen.<br />

Am Morgen seiner Rückkehr wurde Salahuddin Chamchawala von<br />

seinem Vater gebeten, ihn zu rasieren.<br />

»Meine alten Frauen da wissen nicht, wo bei dem Philishave vorn und<br />

hinten ist.« <strong>Die</strong> Haut hing Changez in weichen, ledrigen Lappen vom<br />

Gesicht, und die Barthaare (als Salahuddin den Apparat reinigte) sahen<br />

aus wie Asche.<br />

Salahuddin konnte sich nicht erinnern, wann er das Gesicht seines Vaters<br />

das letzte Mal auf diese Weise berührt hatte, wie er sanft die Haut<br />

spannte, während der schnurlose Rasierer darüberglitt, und sie dann<br />

streichelte, um zu prüfen, ob sie auch glatt war. Als er fertig war, ließ er<br />

seine Finger noch einen Augenblick über Changez’ Wangen laufen.<br />

»Schau dir den alten Mann an«, sagte Nasreen zu Kasturba, als sie das<br />

Zimmer betraten, »er kann sich an seinem Sohn nicht satt sehen.«<br />

Changez Chamchawala grinste ein erschöpftes Grinsen und entblößte<br />

dabei einen Mund voller zerrütteter Zähne, die mit Speichel und Krümel<br />

gesprenkelt waren.<br />

Als sein Vater wieder eingeschlafen war - nachdem Kasturba und<br />

Nasreen ihm eine kleine Menge Wasser eingeflößt hatten - und mit<br />

seinen offenen, träumenden Augen, die in drei Welten zugleich sehen<br />

konnten, die tatsächliche Welt seines Arbeitszimmers, die visionäre Welt<br />

der Träume und dazu das nahende Leben nach dem Tod (wie Salahuddin<br />

es sich jedenfalls in einem phantasievollen Moment vorstellte) auf - was?<br />

- starrte, ging der Sohn in Changez’ altes Schlafzimmer, um sich<br />

hinzulegen. Groteske Köpfe aus bemalter Terrakotta warfen finstere<br />

Blicke von der Wand auf ihn herab: ein gehörnter Teufel, ein<br />

heimtückischer Araber mit einem Falken auf der Schulter, ein<br />

glatzköpfiger Mann, der die Augen nach oben rollte und die Zunge in<br />

Panik herausstreckte, weil sich eine Fliege auf einer Augenbraue<br />

niedergelassen hatte. Unter diesen Figuren, die er sein ganzes Leben lang<br />

gekannt und gehasst hatte, da sie ihm mit der Zeit als Porträts von<br />

Changez erschienen waren, konnte er nicht schlafen, und schließlich zog<br />

er in ein anderes, neutrales Zimmer um.

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