10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

keiner redete mehr von Armen und Beinen - und in seinen Schädel<br />

gefressen. Auch im Blut um die Knochen hatte man Krebszellen<br />

gefunden. »Wir hätten es merken müssen«, sagte Nasreen, und Saladin<br />

spürte die Kraft der alten Dame, die Willensstärke, mit der sie über ihre<br />

Gefühle herrschte. »Sein auffälliger Gewichtsverlust während der letzten<br />

zwei Jahre.<br />

Auch klagte er immer über Schmerzen, etwa in den Knien. Du weißt ja,<br />

wie das ist. Bei einem alten Mann schiebt man es immer aufs Alter, man<br />

stellt sich nicht vor, dass eine bösartige, schreckliche Krankheit.« Sie<br />

verstummte, musste ihre Stimme unter Kontrolle bringen. Kasturba, die<br />

Ex-Ayah, war zu ihnen in den Garten gekommen. Es stellte sich heraus,<br />

dass ihr Mann Vallabh vor fast einem Jahr gestorben war, an<br />

Altersschwäche, im Schlaf: ein schönerer Tod als der, der sich nun durch<br />

den Körper seines Arbeitgebers fraß, dem Verführer seiner Frau,<br />

Kasturba trug noch immer Nasreen I’s alte grelle Saris: Heute hatte sie<br />

einen der verrücktesten der Schwarzweiß-Op-Art-Drucke gewählt. Auch<br />

sie begrüßte Saladin warm: Umarmung Küsse Tränen. »Was mich<br />

betrifft«, schluchzte sie, »ich höre nicht auf, um ein Wunder zu beten, so<br />

lange noch ein Atemzug in seinen armen Lungen ist.«<br />

Nasreen II umarmte Kasturba; jede Frau legte der anderen den Kopf auf<br />

die Schulter. <strong>Die</strong> Vertrautheit zwischen den beiden Frauen war spontan<br />

und ungetrübt von Groll, als hätte die Nähe des Todes die Streitereien<br />

und Eifersüchteleien des Lebens weggewischt. <strong>Die</strong> beiden Damen<br />

trösteten einander im Garten, jede die andere für den bevorstehenden<br />

Verlust des kostbarsten Guts: der Liebe. Oder besser: des Geliebten.<br />

»Komm«, sagte Nasreen schließlich zu Saladin. »Er sollte dich sehen,<br />

pronto.«<br />

»Weiß er es?« fragte Saladin. Nasreen gab eine ausweichende Antwort.<br />

»Er ist ein intelligenter Mann. Immerzu fragt er, wo ist das ganze Blut<br />

hin? Er sagt, es gibt nur zwei Krankheiten, bei denen das Blut so<br />

verschwindet. <strong>Die</strong> eine ist Tuberkulose.« Aber, drängte Saladin weiter,<br />

er spricht das Wort nicht aus? Nasreen senkte den Kopf. Das Wort sei<br />

nicht gesagt worden, weder von Changez noch in seiner Gegenwart.<br />

»Sollte er es nicht wissen?« fragte Chamcha. »Hat ein Mensch nicht das<br />

Recht, sich auf den Tod vorzubereiten?« Er sah, wie es in Nasreens<br />

Augen einen Moment lang aufflackerte. Was glaubst du, wer du bist,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!