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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Achtzehn Monate nach seinem Herzinfarkt schwang Saladin Chamcha<br />

sich wieder in die Lüfte; der Grund war ein Telegramm des Inhalts, dass<br />

sein Vater sich im letzten Stadium multipler Myelomalazie befinde,<br />

einem systemischen Knochenmarkskrebs, der »hundert Prozent tödlich«<br />

sei, wie Chamchas Hausärztin es unsentimental formulierte, als er sich<br />

telefonisch bei ihr danach erkundigte. Seit Changez Chamchawala<br />

Saladin den Erlös aus dem gefällten Walnussbaum geschickt hatte, was<br />

Ewigkeiten her war, hatte es keinen nennenswerten Kontakt zwischen<br />

Vater und Sohn gegeben. Saladin hatte ihm in wenigen Worten<br />

mitgeteilt, dass er die Bostan-Katastrophe überlebt habe, worauf er ein<br />

noch knapperes Schreiben erhalten hatte: »Mitteilung erh. Hatte d.<br />

Information schon vorl.« Als aber das Telegramm mit der schlechten<br />

Nachricht kam - unterzeichnet war es von der ihm unbekannten zweiten<br />

Frau seines Vaters, Nasreen II, der Ton recht ungeschminkt: VATER<br />

STIRBT + WENN DANN SOFORT KOMMEN + N<br />

CHAMCHAWALLA (MRS.) -, stellte er zu seiner Überraschung fest,<br />

dass er nach einem Leben der verworrenen Beziehungen mit seinem<br />

Vater, nach langen Jahren gekreuzter Kabel und »unwiderruflicher<br />

Brüche«, wieder einer unkomplizierten Reaktion fähig war. Es war<br />

einfach und überwältigend dringend erforderlich, dass er Bombay<br />

erreichte, bevor Changez es für immer verließ.<br />

Den größten Teil eines Tages verbrachte er in der Visumschlange vor der<br />

Konsularabteilung des India House und anschließend damit, einen<br />

dumpfen Beamten von der Dringlichkeit seines Antrags zu überzeugen.<br />

Idiotischerweise hatte er vergessen, das Telegramm mitzubringen, und<br />

wurde daraufhin beschieden, es sei »ein wesentliches Beweisstück.<br />

Sehen sie, da könnte doch jeder kommen und sagen, sein Vater liegt im<br />

Sterben, nicht wahr? Um die Angelegenheit zu beschleunigen.«<br />

Chamcha schluckte mit Mühe seinen Ärger hinunter, platzte aber dann<br />

doch. »Sehe ich für Sie etwa wie ein khalistanischer Zelot aus?« Der<br />

Beamte zuckte die Schultern.<br />

»Ich sage Ihnen, wer ich bin«, kläffte Chamcha, durch dieses<br />

Schulterzucken aufgebracht. »Ich bin das arme Schwein, das von<br />

Terroristen in die Luft gejagt wurde und wegen Terroristen zehntausend<br />

Meter aus dem Himmel fiel, und jetzt muss ich mich hier wegen<br />

ebendieser Terroristen von Schreibtischhengsten wie Ihnen beleidigen

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