10.12.2012 Aufrufe

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

sichtbaren Versuch, sich zu retten. Binnen weniger Augenblicke waren<br />

die Aischa-Pilger allesamt aus dem Blick verschwunden.<br />

Keiner von ihnen tauchte wieder auf. Kein einziger nach Luft<br />

schnappender Kopf, kein um sich schlagender Arm.<br />

Said, Osman, Srinivas, der Sarpanch und selbst die dicke Mrs. Qureishi<br />

rannten ins Wasser und schrien: »Um Gottes willen, kommt alle, helft.«<br />

Menschen in Gefahr zu ertrinken, wehren sich gegen das Wasser. Es ist<br />

wider die menschliche Natur, lammfromm weiterzugehen, bis das Meer<br />

einen verschlingt. Aber Aischa, Mishal Akhtar und die Dörfler aus<br />

Titlipur tauchten unter Wasser; und waren nicht mehr gesehen.<br />

Mrs. Qureishi wurde von einem Polizisten an Land gezogen, blau im<br />

Gesicht, die Lungen voller Wasser, und bedurfte des lebenspendenden<br />

Kusses. Osman, Srinivas und der Sarpanch wurden wenig später<br />

herausgefischt. Nur Mirza Said Akhtar schwamm weiter, immer weiter<br />

hinaus aufs Meer, blieb für immer längere Zeiten unter Wasser; bis auch<br />

er aus dem Arabischen Meer gerettet wurde, verausgabt, kotzend, einer<br />

Ohnmacht nahe. <strong>Die</strong> Pilgerfahrt war vorüber.<br />

Mirza Said erwachte in einem Krankenhauszimmer und sah einen Mann<br />

von der Kriminalpolizei an seinem Bett sitzen. <strong>Die</strong> Behörden prüften, ob<br />

sie gegen die Überlebenden der Aischa-Expedition Anklage wegen<br />

versuchter illegaler Auswanderung erheben sollten, und man hatte<br />

Kriminalbeamte damit beauftragt, ihren Geschichten auf den Grund zu<br />

gehen, bevor sie Gelegenheit hatten, sich abzusprechen.<br />

Folgendes war die Aussage des Sarpanch von Titlipur, Muhammad Din:<br />

»Gerade als mich die Kräfte verließen und ich glaubte, ich würde im<br />

Wasser sterben, sah ich es mit eigenen Augen; ich sah, wie sich das<br />

Meer teilte, wie Haar, das gescheitelt wird; und da waren sie alle, weit<br />

draußen, und gingen von mir weg. Auch sie war da, meine Frau,<br />

Khadija, die ich liebte.«<br />

Folgendes sagte Osman der Ochsen-Junge den Kriminalbeamten, die<br />

durch die eidesstattliche Aussage des Sarpanch völlig durcheinander<br />

waren: »Zunächst hatte ich große Angst zu ertrinken. Dennoch suchte<br />

und suchte ich, insbesondere nach ihr, Aischa, die ich schon vor ihrer<br />

Verwandlung kannte. Und da, endlich, sah ich es geschehen, das<br />

Wunderbare. Das Wasser tat sich auf, und ich sah sie am Grund des<br />

Ozeans inmitten sterbender Fische dahingehen.«

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!