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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Straßen zu verstopfen. <strong>Die</strong> Aufregung in der Stadt war enorm: Tag für<br />

Tag, wenn die Pilger zu ihrem nächsten Ruheplatz aufbrachen, wurden<br />

sie von riesigen Menschenmengen beobachtet, manche höhnten und<br />

feindeten sie an, viele aber brachten Geschenke, Süßigkeiten, Arznei,<br />

Essen.<br />

Mirza Said, ausgemergelt und verdreckt, befand sich in einem Zustand<br />

tiefer Frustration ob seines Scheiterns, mehr als eine Handvoll Pilger<br />

davon zu überzeugen, dass es besser war, auf Vernunft statt auf Wunder<br />

zu setzen. Wunder hätten ihnen bisher doch ziemlich geholfen, machten<br />

die Leute aus Titlipur, nicht ohne Grund, geltend. »<strong>Die</strong>se verdammten<br />

Schmetterlinge«, brummelte Said den Sarpanch an. »Ohne sie hätten wir<br />

eine Chance gehabt.«<br />

»Aber sie waren ja von Anfang an dabei«, entgegnete der Sarpanch<br />

achselzuckend.<br />

Mishal Akhtar war offensichtlich dem Tode nah; sie roch bereits danach<br />

und hatte eine kalkweiße Farbe angenommen, die Said einen gehörigen<br />

Schrecken einjagte. Doch Mishal ließ ihn nicht an sich heran. Auch ihre<br />

Mutter hatte sie geächtet, und als ihr Vater sich von seiner Bank<br />

freinahm, um sie in der ersten Nacht des Pilgerzugs in einer<br />

Stadtmoschee zu besuchen, bedeutete sie ihm, er solle verduften. »<strong>Die</strong><br />

Dinge haben sich so weit entwickelt«, verkündete sie, »dass nur die<br />

Reinen bei den Reinen sein können.« Als Mirza Said die Diktion Aischas<br />

der Prophetin aus dem Munde seiner Frau vernahm, verlor er das letzte<br />

Fünkchen Hoffnung.<br />

Es wurde Freitag, und Aischa willigte ein, dass der Pilgerzug einen Tag<br />

lang verweilte, um an den Freitagsgebeten teilzunehmen. Mirza Said, der<br />

fast alle arabischen <strong>Verse</strong> vergessen hatte, die er einmal hatte auswendig<br />

lernen müssen, und sich kaum mehr erinnern konnte, wann er, die Hände<br />

vor sich wie ein Buch, stehen, wann er die Knie beugen, wann die Stirn<br />

auf den Boden drücken sollte, schusselte mit wachsendem Selbsthass<br />

durch die Zeremonie. Am Ende der Gebete jedoch geschah etwas, das<br />

die Aischa-Hadsch abrupt unterbrach.<br />

Als die Pilger zusahen, wie die Gemeinde den Hof der Moschee verließ,<br />

wurde es vor dem Haupttor unruhig. Mirza Said ging nachschauen, was<br />

los war. »Was soll der Lärm?«<br />

fragte er, während er sich durch die Menge auf den Stufen der Moschee

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