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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Der Sarpanch nahm die Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger.<br />

»Leben ist Schmerz«, sagte er. »Leben ist Schmerz und Verlust; es ist<br />

eine Münze ohne Wert, wertloser noch als eine Kauri oder ein Dam.«<br />

Osman der Ochsenjunge, der, wie der Sarpanch, auf der Pilgerreise den<br />

Lebensgefährten verloren hatte, weinte ebenfalls. Mrs. Qureishi<br />

versuchte, das Positive daran zu sehen. »Hauptsache, uns geht’s gut«,<br />

aber niemand antwortete. Dann schloss Aischa die Augen und<br />

deklamierte mit der Singsangstimme der Prophezeiung: »Es ist die Strafe<br />

für den bösen Versuch, den sie unternommen haben.«<br />

Mirza Said wurde wütend. »Sie waren nicht bei der verdammten<br />

Barrikade«, brüllte er. »Sie arbeiteten verflucht noch mal unter Tage.«<br />

»Sie gruben sich ihr eigenes Grab«, entgegnete Aischa.<br />

In diesem Augenblick erblickten sie die zurückkehrenden<br />

Schmetterlinge. Said starrte ungläubig auf die goldene Wolke, wie sie<br />

sich zunächst sammelte und dann Ströme geflügelten Lichts in alle<br />

Richtungen aussandte. Aischa wollte zur Kreuzung zurück. Said war<br />

dagegen: »Da unten ist alles überschwemmt. Unsere einzige Chance ist,<br />

den Berg die andere Seite hinunterzufahren und am andern Ende der<br />

Stadt herauszukommen.« Doch Aischa und Mishal waren schon auf dem<br />

Rückweg; die Prophetin stützte die andere, aschfahle Frau, indem sie sie<br />

um die Taille hielt.<br />

»Mishal, Herrgott noch mal«, rief Mirza Said seiner Frau hinterher. »Um<br />

der Liebe Gottes willen. Was soll ich mit dem Auto machen?«<br />

Aber sie ging weiter den Berg hinab, auf die Überschwemmung zu,<br />

schwer auf Aischa die Seherin gestützt, ohne sich umzublicken.<br />

So geschah es, dass Mirza Said Akhtar seinen geliebten Mercedes-Benz<br />

Kombi am Eingang zu dem abgesoffenen Bergwerk von Sarang<br />

zurückließ und sich dem Pilgerzug zum Arabischen Meer zu Fuß<br />

anschloss.<br />

<strong>Die</strong> sieben triefnassen Reisenden standen an der Kreuzung der Straße der<br />

Fahrradreparateure mit der Straße der Korbflechter schenkeltief im<br />

Wasser. Langsam, langsam hatte das Wasser begonnen abzufließen.<br />

»Machen wir uns nichts vor«, eiferte Said. »Mit der Pilgerreise ist<br />

Schluss. <strong>Die</strong> Dörfler sind wer weiß wo, vielleicht ertrunken, womöglich

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