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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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weitere Leichen da liegen zu lassen, wo sie umgefallen waren: zwei alte<br />

Männer, eine alte Frau und ein sechsjähriges Mädchen. <strong>Die</strong> Pilger<br />

marschierten weiter, wandten den Toten den Rücken zu; hinter ihnen<br />

aber sammelte Mirza Said Akhtar die Leichen ein und sorgte dafür, dass<br />

sie ein anständiges Begräbnis bekamen. Darin wurde er von dem<br />

Sarpanch Muhammad Din und dem ehemaligen Unberührbaren Osman<br />

unterstützt. An solchen Tagen fielen sie eine ganze Strecke hinter den<br />

Zug zurück, doch ein Mercedes-Benz Kombi braucht nicht lange, um<br />

über einhundertvierzig Männer, Frauen und Kinder einzuholen, die matt<br />

zum Meer hin ziehen.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Toten wuchs, und die Gruppe verunsicherter Pilger um den<br />

Mercedes vergrößerte sich von Nacht zu Nacht.<br />

Mirza Said begann, ihnen Geschichten zu erzählen. Er sprach von<br />

Lemmingen, und wie die Zauberin Circe Männer in Schweine<br />

verwandelte; er erzählte ihnen auch die Geschichte eines Flötenspielers,<br />

der die Kinder einer Stadt in eine Berghöhle lockte. Als er diese<br />

Geschichte in ihrer Sprache erzählt hatte, trug er <strong>Verse</strong> auf Englisch vor,<br />

damit sie der Musik der Dichtung lauschen konnten, auch wenn sie die<br />

Worte nicht verstanden. »<strong>Die</strong> Stadt Hameln liegt in Braunschweig«, hob<br />

er an. »In der Nähe der berühmten Stadt Hannover. Der Fluss Weser, tief<br />

und breit, umspült ihre Mauern an der Südseite…«<br />

Jetzt sah er mit Befriedigung das Mädchen Aischa wütenden Blicks<br />

nahen, während die Schmetterlinge wie das Lagerfeuer hinter ihr<br />

leuchteten, und es schien, als gingen Flammen von ihrem Körper aus.<br />

»<strong>Die</strong>, die den <strong>Verse</strong>n des Teufels lauschen, gesprochen in der Sprache<br />

des Teufels«, rief sie, »werden am Ende selbst zum Teufel gehen.«<br />

»Es gibt also die Wahl«, antwortete Mirza Said ihr, »zwischen dem<br />

Teufel und dem tiefen blauen Meer.«<br />

Acht Wochen waren vergangen, und das Verhältnis zwischen Mirza Said<br />

und seiner Frau Mishal hatte sich so verschlechtert, dass sie kein Wort<br />

mehr miteinander sprachen. Mishal war inzwischen, ungeachtet ihres<br />

Krebses, der sie grau wie Leichenasche hatte werden lassen, Aischas

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