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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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kühlen Trost. »Das ist ein Zeichen«, sagte sie. »Lasse endlich den Kombi<br />

stehen und schließe dich uns an.«<br />

»Einen Mercedes-Benz stehen lassen?« japste Said in echtem Entsetzen.<br />

»Na und?« entgegnete Mishal mit ihrer grauen, erschöpften Stimme.<br />

»Ständig redest du vom Untergang. Welchen Unterschied soll da ein<br />

Mercedes machen?«<br />

»Das verstehst du nicht«, weinte Said. »Niemand versteht mich.«<br />

Gibril träumte eine Dürre:<br />

Das Land wurde unter dem regenlosen Himmel braun. <strong>Die</strong> Leichen von<br />

Bussen und historischen Monumenten verrotteten auf den Feldern neben<br />

der Ernte. Durch die nicht mehr vorhandene Windschutzscheibe sah<br />

Mirza Said den Beginn des Unheils: <strong>Die</strong> wilden Esel fickten lustlos und<br />

fielen, noch miteinander verbunden, mitten auf der Straße tot um, die<br />

Bäume standen auf Wurzeln, die durch die Bodenerosion freigelegt<br />

waren, und sahen aus wie riesige hölzerne Klauen, die nach Wasser in<br />

der Erde wühlten, die mittellosen Bauern, die sich bei der Regierung als<br />

Handarbeiter verdingen mussten, gruben neben der Fernstraße ein<br />

Reservoir, ein leeres Behältnis für den Regen, der nicht fallen wollte.<br />

Elendes Leben an der Straße: eine Frau, die mit einem Bündel auf ein<br />

Zelt aus Stöcken und Lumpen zustrebt, ein Mädchen, das tagaus, tagein<br />

dazu verdammt ist, auf ihrem Stück schmutzigen Staub diesen Topf,<br />

diese Pfanne zu scheuern. »Ist ein solches Leben wirklich so viel wert<br />

wie unseres?« fragte sich Mirza Said Akhtar. »So viel wie meines? Wie<br />

Mishals? Wie wenig haben sie erlebt, wie wenig haben sie, um ihrer<br />

Seele Nahrung zu geben.« Ein Mann in Dhoti und weitem gelbem Pugri<br />

stand wie ein Vogel auf einem Meilenstein, kauerte da, den einen Fuß<br />

auf das andere Knie gestützt, eine Hand unter dem anderen Ellbogen,<br />

und rauchte ein Biri. Als Mirza Said Akhtar an ihm vorbeifuhr, spuckte<br />

der Mann aus und erwischte den Zamindar voll im Gesicht.<br />

<strong>Die</strong> Pilger kamen nur langsam voran, drei Stunden Marsch am<br />

Vormittag, weitere drei nach der Hitze, sie richteten sich nach dem<br />

langsamsten Pilger, waren endlosen Verzögerungen ausgesetzt, kranke<br />

Kinder, Schikanen von Behörden, ein Rad löste sich von einem der<br />

Ochsenkarren, bestenfalls zwei Meilen am Tag, einhundertfünfzig<br />

Meilen zum Meer, eine Reise von ungefähr elf Wochen. Der erste<br />

Todesfall ereignete sich am achtzehnten Tag. Khadija, die taktlose alte

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