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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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gegenüber dem Flehen seiner wildhaarigen Frau, die Minoo hochhob und<br />

vor dem Gesicht ihres Gatten schüttelte. Er erklärte Aischa, dass er zwar<br />

nicht Mekka besuchen wolle, aber von einer Sehnsucht ergriffen worden<br />

sei, eine Weile mitzuziehen, vielleicht sogar bis zum Meer.<br />

Als er seinen Platz unter den Leuten von Titlipur einnahm und mit dem<br />

Mann neben ihm in Gleichschritt fiel, sah er mit einer Mischung aus<br />

Unverständnis und Schrecken zu jenem unendlichen<br />

Schmetterlingsschwarm über ihren Köpfen hinauf, der gleich einem<br />

gigantischen Schirm die Pilger vor der Sonne schützte. Es war, als hätten<br />

die Schmetterlinge von Titlipur die Funktion des großen Baums<br />

übernommen. Als nächstes stieß er einen kleinen Schrei der Angst, der<br />

Verwunderung und des Vergnügens aus, denn einige Dutzend dieser<br />

chamäleonflügligen Geschöpfe hatten sich auf seiner Schulter<br />

niedergelassen und augenblicklich das exakte Scharlachrot seines Hemds<br />

angenommen. Jetzt erkannte er den Mann an seiner Seite als den<br />

Sarpanch Muhammad Din, der es vorgezogen hatte, nicht an der Spitze<br />

zu gehen. Er und seine Frau Khadija schritten trotz ihres<br />

fortgeschrittenen Alters zufrieden aus, und als er den lepidopterischen<br />

Segen sah, der über den Spielzeugfabrikanten gekommen war, fasste<br />

Muhammad Din ihn bei der Hand.<br />

Allmählich wurde klar, dass der große Regen ausbleiben würde.<br />

Klappriges Vieh durchstreifte das Land auf der Suche nach Wasser.<br />

Liebe ist Wasser, hatte jemand mit weißer Tünche an die Backsteinwand<br />

einer Motorrollerfabrik geschrieben. Unterwegs begegneten sie anderen<br />

Familien, die nach Süden zogen, ihr Leben auf die Rücken sterbender<br />

Esel gebündelt, und auch diese strebten hoffnungsvoll dem Wasser<br />

entgegen. »Aber nicht zum Scheißsalzwasser«, rief Mirza Said den<br />

Pilgern von Titlipur zu. »Und auch nicht, um zu sehen, wie es sich<br />

zweiteilt! Sie wollen am Leben bleiben, aber ihr Irren wollt ja sterben.«<br />

Geier rotteten sich am Wegesrand zusammen und schauten den Pilgern<br />

nach.<br />

Mirza Said verbrachte die ersten Wochen der Pilgerfahrt zum<br />

Arabischen Meer in einem Zustand permanenter hysterischer Erregung.<br />

Zumeist marschierte man in den Morgenstunden und am späten<br />

Nachmittag, und zu diesen Zeiten sprang Said oft aus seinem Kombi, um<br />

seine sterbende Frau anzuflehen. »Sei vernünftig, Mishu. Du bist krank.

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