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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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todernst. Ich habe vor, sie davon abzubringen, bevor irgendetwas<br />

Verrücktes passiert.« Der Oberste Wachtmeister, über und über Tressen,<br />

Schnauzbart und Gewichtigkeit, schüttelte den Kopf.<br />

»Aber schauen Sie doch, wie kann ich zulassen, dass sich so viele<br />

Individuen auf der Straße versammeln? <strong>Die</strong> Leute können sich erregen,<br />

Zwischenfälle sind möglich.« Da teilte sich die Masse der Pilger, und<br />

Srinivas sah zum ersten Mal die phantastische Mädchengestalt, die völlig<br />

in Schmetterlinge gekleidet war und der schneegleiches Haar bis zu den<br />

Knöcheln herabfiel. »Arré deo«, schrie er, »Aischa, bist du das?« Und<br />

setzte törichterweise hinzu: »Und wo sind meine<br />

Familienplanungspuppen?«<br />

Sein Ausbruch blieb unbemerkt: alle Welt beobachtete Aischa, wie sie<br />

auf den schwellbrüstigen Obersten Wachtmeister zuging. Sie sagte<br />

nichts, sondern lächelte und nickte, worauf der Bursche zwanzig Jahre<br />

jünger zu werden schien, bis er auf die Art eines zehn oder elfjährigen<br />

Jungen sagte: »Okay, okay, Mausi. Tut mir leid. Nichts für ungut. Ich<br />

bitte um Entschuldigung.« Das war das Ende des Ärgers mit der Polizei.<br />

Später, in der Nachmittagshitze, warf eine Horde Jugendlicher aus der<br />

Stadt, denen man RSS-und Vishwa Hindu Parishad-Verbindungen<br />

nachsagte, Steine von nahegelegenen Dächern; woraufhin der Oberste<br />

Wachtmeister sie in weniger als zwei Minuten verhaften und ins<br />

Gefängnis werfen ließ.<br />

»Aischa, Tochter«, sagte Srinivas laut in die leere Luft hinein,<br />

»was zum Teufel ist mit dir geschehen?«<br />

Während der Hitze des Tages ruhten sich die Pilger in jedem nur<br />

erreichbaren Schatten aus. Srinivas wanderte in einer Art Benommenheit<br />

zwischen ihnen umher, bis obenhin mit Emotionen gefüllt, und wurde<br />

sich bewusst, dass auf unerklärliche Weise ein großer Wendepunkt in<br />

seinem Leben eingetreten war. Sein Blick suchte nach der verwandelten<br />

Gestalt Aischas, der Seherin, die zusammen mit Mishal Akhtar, ihrer<br />

Mutter Mrs. Qureishi und dem liebeskranken Osman mit dem Ochsen im<br />

Schatten eines Peepul-Baums ruhte.<br />

Schließlich stolperte Srinivas über den Zamindar Mirza Said, der sich<br />

auf der Rückbank seines Mercedes-Benz ausgestreckt hatte, aber keinen<br />

Schlaf fand, ein Mann in Pein. Srinivas sprach ihn mit einer Demut an,<br />

die seiner Verwunderung entsprang. »Sethji, Sie glauben doch nicht an

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