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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Zorn«, ruft Gibril Farishta in die Nacht des Aufruhrs hinein, »dass den<br />

Menschen ihre Herzenswünsche gewährt werden und dass sie von ihnen<br />

verzehrt werden.«<br />

Billighochhäuser umschließen ihn. Nigger fressen Scheiße vom weißen<br />

Mann, meinen die unoriginellen Wände. <strong>Die</strong> Gebäude haben Namen:<br />

»Isandhlwana«, »Rorke’s Drift.« Doch eine Umänderungsaktion ist im<br />

Gange, denn zwei der vier Türme wurden umbenannt und tragen jetzt die<br />

Namen »Mandela« und »Toussaint l’Ouverture«. <strong>Die</strong> Türme stehen auf<br />

Stelzen, und in der Formlosigkeit des Betons darunter und dazwischen<br />

heult unablässig der Wind und strudelt Schrott: zerfallene Küchenteile,<br />

luftlose Fahrradreifen, Scherben zerbrochener Türen, Puppenbeine,<br />

Gemüsereste, die von hungrigen Katzen und Hunden aus<br />

Plastikmüllsäcken herausgezerrt wurden, Fast-food-Packungen,<br />

kollernde Dosen, zerronnene Aussichten auf einen Job, aufgegebene<br />

Hoffnungen, verlorene Illusionen, verbrauchte Wut, angehäufte<br />

Verbitterung, ausgekotzte Angst und eine rostende Badewanne. Er steht<br />

reglos da, während kleine Gruppen der Hausbewohner an ihm in<br />

unterschiedlichen Richtungen vorbeihasten. Einige (nicht alle) haben<br />

Waffen. Knüppel, Flaschen, Messer. In allen diesen Gruppen sind weiße<br />

ebenso wie schwarze Jugendliche. Er setzt die Trompete an die Lippen<br />

und beginnt zu spielen.<br />

Kleine Flammenknospen sprießen aus dem Beton, genährt von den<br />

abgelegten Haufen Besitztümer und Träume. Da ist ein kleines,<br />

faulendes Häuflein Neid: es brennt grünlich in der Nacht. <strong>Die</strong> Feuer<br />

lodern in allen Regenbogenfarben, und nicht alle brauchen Brennstoff.<br />

Er bläst die kleinen Feuerblumen aus seinem Horn, und sie tanzen auf<br />

dem Beton, brauchen weder brennbares Material noch Wurzeln. Da, eine<br />

rosafarbene! Da, was wäre schön? Ich weiß: eine silberne Rose. Und nun<br />

erblühen die Knospen zu Büschen, erklimmen kletterpflanzengleich die<br />

Türme, greifen aus nach ihren Nachbarn, bilden Hecken aus<br />

buntschillernden Flammen. Es ist, als betrachtete man einen leuchtenden<br />

Garten, dessen Wachstum vieltausendmal beschleunigt wird, einen<br />

blühenden, sprießenden, wuchernden, verflochtenen, undurchdringlichen<br />

Garten, einen Garten dichter, verschlungener Chimären, der sich auf<br />

seine eigene hell strahlende Weise mit dem Dornbusch misst, der um den<br />

Palast der schlafenden Schönheit in einem ändern Märchen emporspross,

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