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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Und dennoch: Nasreen Chamchawalas Behutsamkeit konnte ihr nicht das<br />

Leben retten. Das Grauen packte und tötete sie, als sie sich am sichersten<br />

wähnte. In einen Sari gehüllt, der mit Fotos und Schlagzeilen aus billigen<br />

Zeitungen bedruckt war, in das Licht der Kronleuchter getaucht, von<br />

ihren Freunden umgeben.<br />

Das geschah fünfeinhalb Jahre, nachdem der junge Salahuddin,<br />

geschmückt und gewarnt, eine Douglas DC-8 bestieg und in den Westen<br />

reiste. Vor ihm England; neben ihm sein Vater, Changez Chamchawala;<br />

unter ihm, Heimat und Schönheit. Wie Nasreen war dem zukünftigen<br />

Saladin das Weinen nie leichtgefallen.<br />

In diesem ersten Flugzeug las er Science-Fiction-Geschichten über<br />

intergalaktische Reisen, Asimovs Tausendjahresplan, Ray Bradburys<br />

Mars-Chroniken. Er stellte sich die DC-8 als das Mutterschiff vor, das<br />

die Erwählten, die Auserkorenen Gottes und der Menschen über<br />

unermessliche Entfernungen trug, sich über Generationen fortbewegte,<br />

die reine Rasse züchtend, auf dass ihr Samen eines Tages Wurzeln<br />

schlagen möge, irgendwo in einer schönen neuen Welt unter einer gelben<br />

Sonne. Er korrigierte sich: Nicht das Mutter-, sondern das Vaterschiff,<br />

denn schließlich war er da, der große Mann, Abbu, der Vater.<br />

Der dreizehnjährige Salahuddin schob die Zweifel und Kränkungen der<br />

letzten Zeit beiseite und verfiel von neuem in die kindliche Anbetung<br />

seines Vaters, denn er hatte ihn vergöttert, er war ein großartiger Vater,<br />

bis man sich eine eigene Meinung zu bilden begann, und dann galt ein<br />

Streit als Verrat an seiner Liebe, aber das ist jetzt egal, ich klage ihn an,<br />

zum höchsten Wesen für mich geworden zu sein, wodurch das, was<br />

passierte, wie ein Verlust des Glaubens war… ja, das Vaterschiff, ein<br />

Flugzeug war nicht ein fliegender Mutterschoß, sondern ein metallener<br />

Phallus, und die Passagiere waren Spermien, die darauf warteten,<br />

verströmt zu werden.<br />

Fünfeinhalb Stunden Zeitunterschied: stell deine Uhr in Bombay auf den<br />

Kopf und du siehst, wie spät es in London ist.<br />

Mein Vater, dachte Chamcha Jahre später in seiner Verbitterung, ich<br />

klage ihn an, die Zeit auf den Kopf gestellt zu haben.<br />

Wie weit flogen sie? Fünfeinhalbtausend Meilen Luftlinie.

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