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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Unverzeihliche.<br />

Es soll gesagt werden, dass niemand, Allie nicht, Gibril nicht, nicht<br />

einmal die Abhörprofis, die sie hinzugezogen hatten, auch nur den<br />

leisesten Verdacht hegten, dass die Anrufe das Werk eines einzigen<br />

Mannes waren; aber für Saladin Chamcha, einstmals berühmt<br />

(wenngleich nur in Spezialistenkreisen) als der Mann der Tausend<br />

Stimmen, war eine solche Täuschung eine einfache Sache, vollkommen<br />

mühe-wie risikolos. Im Ganzen musste er (aus seinen tausendundeins<br />

Stimmen) nicht mehr als neununddreißig auswählen.<br />

Nahm Allie den Hörer ab, hörte sie unbekannte Männer ihr intime<br />

Geheimnisse ins Ohr flüstern, Fremde, die um die entlegensten Nischen<br />

ihres Körpers zu wissen schienen, gesichtslose Wesen, die den Beweis<br />

führten, dass sie ihre erlesensten Vorlieben unter den Myriaden Arten<br />

der Liebe aus eigener Erfahrung kennengelernt hatten; und als dann die<br />

Bemühungen, die Anrufe zurückzuverfolgen, begonnen hatten, wuchs<br />

ihre Erniedrigung, denn nun konnte sie nicht mehr einfach auflegen,<br />

sondern musste zuhören, heiß im Gesicht und kalt am Rückgrat, und<br />

versuchen (was ihr nicht gelang), die Gespräche in die Länge zu ziehen.<br />

Auch Gibril bekam sein Teil Stimmen ab: großartige Byronsche<br />

Aristokraten brüsteten sich, den »Everest bezwungen« zu haben,<br />

höhnische Gassenjungen; salbungsvolle Bester-Freund-Stimmen<br />

mischten Warnungen und Scheinteilnahme, ganz im Vertrauen, wie blöd<br />

kannst du, weißt du noch immer nicht, was sie, alles, was Hosen trägt, du<br />

armer Trottel, glaub einem Freund. Eine Stimme aber erhob sich über<br />

alle anderen, eine der ersten Stimmen, die Gibril hörte, und diejenige, die<br />

ihm am tiefsten unter die Haut ging, eine Stimme, die ausschließlich in<br />

Reimen redete, die Knittelverse von heruntergespielter Naivität, ja,<br />

Unschuld vortrug, und die einen so tiefen Kontrast zu der<br />

masturbatorischen Grobheit der meisten anderen Anrufer bildete, dass<br />

sie für Gibril bald die heimtückischste Bedrohung von allen darstellte.<br />

Ich mag Schnaps, ich mag Bier, Ich mag, was du machst mit mir.<br />

Sag ihr das, schmachtete die Stimme und legte auf. An einem anderen<br />

Tag kam sie mit einem anderen Verschen wieder:<br />

Ich mag Milch, ich mag Wein, Du bist mir die Liebste mein.<br />

Sag ihr auch das, wenn du so nett wärst. Gibril fand, dass dieses<br />

Grußkarten-Tanderadei etwas Teuflisches hatte, etwas zutiefst

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