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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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nicht traut, gänzlich bekannt zu sein? Und hat Gibril Saladin nicht in<br />

Umständen gesehen - Entführung, Sturz, Verhaftung -, in welchen die<br />

innersten Geheimnisse bis zum äußersten entblößt waren?<br />

Gut denn. Kommen wir der Sache näher? Sollten wir sogar sagen, dass<br />

die beiden zwei fundamental verschiedene Arten des Ichs sind? Könnten<br />

wir uns nicht darauf einigen, dass Gibril, Künstlername hin und Auftritte<br />

her, trotz Wiedergeburtssprüchen, neuer Anfänge, Metamorphosen sich<br />

gewünscht hat, in hohem Maße eine kontinuierliche Größe zu bleiben,<br />

das heißt, seiner Vergangenheit verbunden und aus ihr sich<br />

fortentwickelnd; dass er weder fast-tödliche Krankheit noch<br />

verwandelnden Sturz wählte, dass er tatsächlich vor allem anderen die<br />

geänderten Zustände fürchtet, in die seine Träume sickern und die sein<br />

waches Ich überwältigen, ihn zu dem engelsgleichen Gibril machen, der<br />

er nicht sein will, so dass sein Ich noch immer eines ist, das wir, für<br />

unsere gegenwärtigen Zwecke, als »wahr« bezeichnen können…<br />

während Saladin Chamcha ein Wesen der selektierten Diskontinuitäten<br />

ist, eine willige Neuerfindung; seine gewollte Revolte gegen die<br />

Geschichte das ist, was ihn, gemäß unserer Redewendung, »falsch«<br />

macht? Und könnten wir dann nicht einen Schritt weitergehen und sagen,<br />

dass ebendiese Falschheit des Ichs bei Chamcha eine schlimmere und<br />

tiefere Falschheit ermöglicht - nennen wir es das »Böse« - und dass dies<br />

die Wahrheit, die Tür ist, die durch seinen Sturz in ihm geöffnet wurde?<br />

Während Gibril, der Logik unserer eingeführten Terminologie zufolge,<br />

als »gut« betrachtet werden muss, vermöge seines Wunsches, bei all<br />

seinen Wandlungen ein im Grunde ungewandelter Mann zu bleiben.<br />

Aber, und abermals aber: Das klingt doch gefährlich nach einem<br />

vorsätzlichen Trugschluss, oder? Solcherlei Unterscheidungen, die<br />

notwendig auf der Vorstellung des Ichs als (idealerweise) homogen,<br />

nicht-hybrid, »rein« - eine absolut phantastische Vorstellung! - beruhen,<br />

können, dürfen nicht genügen. Nein! Sagen wir etwas noch Härteres:<br />

dass das Böse vielleicht doch nicht so tief unter unserer Oberfläche liegt,<br />

wie wir es gern hätten. Dass wir ihm auf natürliche Weise, das heißt,<br />

nicht gegen unsere Natur, anheimfallen. Und dass Saladin Chamcha<br />

loszog, Farishta zu zerstören, weil es sich letztlich als so leicht erwies;<br />

denn der wahre Reiz des Bösen ist die verführerische Leichtigkeit, mit<br />

der man sich auf diesen Weg begeben kann. (Und, fügen wir

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