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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Höhle und die Zimmer drunter, einschließlich dem zweiten Bad, damit<br />

ich unabhängig bin. Ich habe vor, gelegentlich die Küche zu benutzen.<br />

Da meine Leiche nie gefunden wurde, vermute ich, dass ich offiziell<br />

noch immer als vermisst-vermutlich-tot gelte und dass du nicht zum<br />

Gericht bist und mich begraben hast. In dem Fall dürfte es nicht allzu<br />

lange dauern, mich wiederzubeleben, wenn ich erst Bentine, Milligan<br />

und Seilers aufscheuche.« (Beziehungsweise ihrer beider Anwalt,<br />

Steuerberater und Chamchas Agentin.) Pamela hörte benommen zu; ihre<br />

Haltung sagte ihm, dass er kaum auf Gegenargumente stoßen würde,<br />

dass alles, was er wollte, okay war: Wiedergutmachung auf<br />

Körpersprache. »Und dann«, schloss er, »verkaufen wir alles, und du<br />

kriegst deine Scheidung.« Er rauschte hinaus, machte den Abgang, bevor<br />

er das große Zittern bekam, und erreichte gerade noch die Höhle, bevor<br />

es ihn überfiel. Pamela weinte unten wohl; ihm war Weinen nie leicht<br />

gefallen, aber im Zittern war er Weltmeister.<br />

Und jetzt flatterte auch noch sein Herz: bum badum dududum.<br />

Um wiedergeboren zu werden, musst du erst sterben.<br />

So allein, fiel ihm plötzlich ein, dass er und Pamela einmal über eine<br />

Kurzgeschichte, die sie beide gelesen hatten und die vom Wesen des<br />

Unverzeihlichen handelte, verschiedener Meinung gewesen waren, so<br />

wie sie bei allem verschiedener Meinung waren. Titel und Autor waren<br />

ihm entfallen, doch an die Geschichte erinnerte er sich lebhaft. Ein Mann<br />

und eine Frau waren ihr ganzes Leben lang intime Freunde (nie<br />

Liebhaber) gewesen. Zu seinem einundzwanzigsten Geburtstag (damals<br />

waren sie beide arm) hatte sie ihm aus Jux die scheußlichste, billigste<br />

Glasvase geschenkt, die sie auftreiben konnte, mit Farben, die schreiend<br />

venezianische Fröhlichkeit parodierten. Zwanzig Jahre später, als sie<br />

beide erfolgreich waren und ergrauten, besuchte sie ihn zu Hause und<br />

stritt mit ihm über die Art, wie er einen gemeinsamen Freund behandelte.<br />

Im Verlauf des Streits fiel ihr Blick auf die alte Vase, die er noch immer<br />

an einem Ehrenplatz auf dem Sims des Wohnzimmerkamins bewahrte,<br />

und fegte sie, ohne ihre Tirade zu unterbrechen, auf den Boden, wo sie<br />

ohne Hoffnung auf Reparatur zerschellte. Er redete nie wieder ein Wort<br />

mit ihr; als sie ein halbes Jahrhundert später starb, weigerte er sich, sie

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