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Salman Rushdie – Die Satanischen Verse

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Draperien, bat die Soldaten, sich anstandshalber für eine Stunde<br />

zurückzuziehen, damit die Gäste das Haus verlassen könnten. Der<br />

Kommandeur der Sittenpolizei, unerfahren wie er war, erklärte sich<br />

einverstanden. Daraufhin schickte die Madame die Eunuchen los, die<br />

Mädchen zu benachrichten und die Gäste durch einen Hinterausgang<br />

hinauszubegleiten. »Entschuldigt euch bei ihnen für die Störung«, befahl<br />

sie den Eunuchen, »und sagt ihnen, dass sie in Anbetracht der Lage<br />

nichts bezahlen müssen.«<br />

Das waren ihre letzten Worte. Als die aufgeschreckten Mädchen<br />

schnatternd in den Thronsaal drängten, um herauszufinden, ob das<br />

Schlimmste wirklich eingetroffen war, gab sie keine Antwort auf ihre<br />

angstvollen Fragen, sind wir jetzt arbeitslos, wovon sollen wir leben,<br />

müssen wir ins Gefängnis, was wird aus uns, bis Aischa all ihren Mut<br />

zusammennahm und tat, was noch kein Mädchen bislang gewagt hatte:<br />

sie riss die schwarzen Vorhänge auf. Sie standen vor einer toten Frau, die<br />

fünfzig oder hundertfünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, höchstens<br />

einen Meter groß, zusammengesunken wie eine Puppe in einem<br />

kissenbeladenen Korbsessel, in der Hand die leere Giftflasche.<br />

»Jetzt, da ihr angefangen habt«, sagte Baal, der in den Raum gekommen<br />

war, »könnt ihr die anderen Vorhänge auch alle aufziehen. Es gibt<br />

keinen Grund mehr, die Sonne nicht hereinzulassen.«<br />

Der junge Kommandeur der Sittenpolizei, Umar, reagierte ziemlich<br />

gereizt und wütend, als er von dem Selbstmord der Bordellbesitzerin<br />

erfuhr. »Wenn wir den Chef nicht aufhängen können, dann knöpfen wir<br />

uns halt die Arbeiterinnen vor«, brüllte er und befahl seinen Leuten, die<br />

»Nutten« in strenge Haft zu nehmen, eine Aufgabe, der sich die Männer<br />

mit großer Begeisterung widmeten. <strong>Die</strong> Frauen lärmten und schrien und<br />

wehrten sich mit Händen und Füßen, und die Eunuchen standen da und<br />

sahen untätig zu, da Umar ihnen erklärt hatte:<br />

»Den Fotzen soll der Prozess gemacht werden, aber ich habe keinerlei<br />

Anweisung, was mit euch geschehen soll. Also, wenn ihr außer euren<br />

Eiern nicht auch noch eure Köpfe verlieren wollt, dann haltet euch da<br />

raus.« <strong>Die</strong> Eunuchen kamen den Frauen nicht zur Hilfe, als diese von<br />

den Soldaten zu Boden geworfen wurden; bei den Eunuchen stand auch<br />

Baal, der mit der gefärbten Haut und den Gedichten. Kurz bevor die<br />

jüngste »Fotze« oder »Möse« gepackt wurde, gellte sie: »Gemahl! Um

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